Porträt

Pia Wöhrle

Psychologie

Universität Ulm

Pia Wöhrle (28) studiert Psychologie an der Universität Ulm. Später möchte sie gerne als Kinder-und Jugendpsychologin arbeiten. Neben ihrem Studium engagiert sie sich für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, der auch jährlich bis zu zehn Kandidatinnen und Kandidaten für die Auswahl der Studienstiftung vorschlagen darf. Ganz bewusst hat sich die Stipendiatin dazu entschieden, bereits während des Studiums Mutter zu werden.

Frau Wöhrle, wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zur Geburt Ihrer Tochter Célia. Wann haben Sie entschieden, während des Studiums Mutter zu werden?

Ich habe schon immer den großen Wunsch gehabt, jung Mutter zu werden und eine Familie zu gründen. Selbstverständlich kann man nie sicher sein, ob sich dieser Wunsch dann auch erfüllen wird – es ist ein wahres Geschenk!  Da mein Mann und ich bereit für diesen nächsten großen Schritt waren und in unserem Fall Familie sehr gut mit Beruf und Studium vereinbar ist , entschieden wir uns ganz bewusst für unsere Familiengründung während meines Studiums.

Wie hat Ihr Umfeld auf die Nachricht Ihrer Schwangerschaft reagiert?

Meine Familie und meine Freunde haben die Freude über die Schwangerschaft voll und ganz mit mir geteilt und mitgefiebert.

Wie wirkt sich Ihre Mutterschaft konkret auf das Studium aus?

Nach der Geburt im Mai 2019 habe ich ein Semester pausiert, um in meiner neuen Rolle als Mutter erst einmal in Ruhe ankommen zu können und mich ganz unserer Tochter zu widmen. Als sich wieder einigermaßen ein Alltag eingependelt und ich wieder bei Kräften war, habe ich langsam begonnen, mich mit dem Thema Masterarbeit auseinanderzusetzen, das als nächstes anstand. Da ich bereits alle Pflichtveranstaltungen mit den dazugehörigen Klausuren vor und während der Schwangerschaft abgeschlossen hatte, ist es mir nunmöglich, meine noch ausstehende Masterarbeit zeitlich und örtlich flexibel zu gestalten.

Welche Vorteile sehen Sie drin, bereits während des Studiums Mutter zu werden?

Ich habe einen deutlich größeren Handlungsspielraum, verglichen mit dem Berufsleben. Im Studium ist es möglich, die Mehrheit der Veranstaltungen im Rahmen des Modulplans flexibel zu planen. Zudem bin ich außerhalb der Präsenztermine nicht an die Uni gebunden und kann viele Aufgaben von zu Hause aus bearbeiten. Und nicht zuletzt habe ich lange vorlesungsfreie Zeiten, die ich mit meiner Tochter verbringen kann – kein Vergleich zu den wenigen Urlaubstagen im Berufsleben.

Welche Herausforderungen gibt es?

Eine Herausforderung besteht sicherlich darin, sowohl meiner Familie mit einem berufstätigen Ehemann als auch der anstehenden Masterarbeit gerecht zu werden. Deshalb werde ich meine Masterarbeit auch in Teilzeit schreiben, Vollzeit schaffe ich nicht. Wenn meine Mutter auf meine Tochter aufpasst oder sie abends im Bett liegt, versuche ich, in kleinen Schritten voranzukommen.

Wie teilen Sie sich die Aufgaben mit  Ihrem Partner?

Mein Mann übernimmt insbesondere an den Abenden und Wochenenden die Betreuung unserer Tochter. Das schafft Freiräume, die ich für meine Masterarbeit benötige. Zudem nimmt er auch Elternzeit. In dieser Zeit absolviere ich unter anderem noch ein Praktikum. Es ist wichtig, als Team zu funktionieren, das Absprachen trifft. Dann lassen sich Studium, Familie und Beruf auch gut miteinander vereinbaren.

Wie unterstützt Sie die Studienstiftung?

Die Studienstiftung ermöglicht mir die Verlängerung meines Studiums und fördert mich weiterhin ideell und finanziell. Die finanzielle Unterstützung, zu der dann auch ein Familienzuschlag und eine Kinderbetreuungspauschale gehören, ist natürlich eine große Unterstützung. Es hat mich überrascht, wie einfach und unbürokratisch das vonstattenging. Was mir in schöner Erinnerung geblieben ist, war ein Treffen mit meiner Referentin aus der Geschäftsstelle der Studienstiftung bei einer Sprechstunde in Ulm, noch bevor meine Tochter auf die Welt gekommen ist. Sie hat mir von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet und viel Mut gemacht, da sie selbst auch während ihres Studiums Mutter geworden ist. Das hat mich bestärkt und mir ein gutes Gefühl gegeben.

Was würden Sie anderen Studierenden sagen, die überlegen, bereits während des Studiums Eltern zu werden?

Wer sich das wünscht, sollte es auch tun! Zugleich empfehle ich eine vorausschauende und realistische Planung des Studiums. Außerdem sollte klar sein, dass Krankheitsphasen oder Schlafmangel eine Elternschaft immer wieder begleiten. Hier helfen ein gewisses Maß an Flexibilität, Disziplin, Durchhaltevermögen und Multitasking-Fähigkeit. Ein unterstützendes soziales Netzwerk ist hier sehr viel wert und darf auch eingebunden werden.

Neben Ihrem Studium und Ihrer Mutterschaft spielt auch Ihr Engagement  für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine wichtige Rolle in Ihrem Leben. Warum engagieren Sie sich für den Zentralrat und wie bringen Sie sich ein?

Mir ist es ein großes Anliegen, in dieser noch heute benachteiligten Gruppe einen Zugang zum Bildungssystem zu erleichtern, um Jugendlichen eine Zukunftsperspektive zu geben. Ein vorrangiges Ziel besteht also darin, ein Umdenken zum Thema Bildung zu schaffen. Lernen, Aus- und Weiterbildung oder ein Studium sollen keine Fremdworte mehr darstellen und zunehmend einen wichtigen Stellenwert in den einzelnen Biographien einnehmen. Bildung sollte idealerweise als Schritt in eine gelungene gesellschaftliche Integration verstanden werden.

Gemeinsam mit anderen Studierenden aus der Minderheit setzen wir uns daher dafür ein, Jugendliche aus Nicht-Akademikerfamilien primär mit Informationen,  etwa zum Thema Studium, Bewerbung, Stipendium zu versorgen, die ihnen nach einem Schulabschluss eine Hilfestellung geben sollen. Zudem möchten wir einen Informationsaustausch zwischen angehenden Studierenden, Studierenden aus der Minderheit und unterschiedlichen Förderwerken anregen.

Was genau machen Sie?

Bei regelmäßig stattfindender Bildungstreffen in Dokumentationszentren deutscher Sinti und Roma in Berlin, Köln, Heidelberg und weiteren Städten beteilige ich mich an der  Programmgestaltung. Meist berichten hier mehrere Studierende über persönliche Bildungsbiographien. An dieser Stelle soll bei den Jugendlichen durch positive Vorbilder das Interesse geweckt werden. Die Berichte helfen auch, Sorgen bezüglich der Finanzierung zu reduzieren, Hürden bei der Bewerbung auszuräumen oder schlicht das fehlende Wissen über Bildungsmöglichkeiten aufzubauen. Zudem wollen wir die Jugend für die große Notwendigkeit und Bedeutung von Bildung für die jetzige und die künftige Generation sensibilisieren.

Was gibt Ihnen das Engagement?

Mir macht es Freude, mein Wissen und auch meine Erfahrung weiterzugeben. Ein Hochschulabschluss sowie eine Förderung in Form eines Stipendiums werden von vielen jungen Menschen als unerreichbar betrachtet, oftmals schlichtweg beeinflusst durch das Aufwachsen in einem bildungsfernen Milieu. Es gibt so viele unentdeckte Talente, die es zu entdecken und zu fördern gilt.

Was war ein besonders schöner Augenblick?

Besonders beeindruckt haben mich auf den Bildungstreffen diverse Erfahrungsberichte deutscher Sinti und Roma, deren Zugangswege zu Bildung überwiegend durch ihren Background erschwert wurde. Eine junge Frau berichtete beispielsweise davon, dass sie als ältestes Kind einer Nicht-Akademikerfamilie und einer Analphabetin als Mutter während ihrer gesamten Schullaufbahn durch verschiedene Lehrkräfte dazu ermutigt wurde, zu lernen und stets Fleiß an den Tag zu legen. Die Förderung ihrer Leistung und Talente fand somit nur außerhalb der Familie statt.  Die ausgeprägte Willenskraft und der Ehrgeiz zahlten sich letztlich aus: Momentan steht sie vor dem Abschluss ihres Biochemiestudiums.

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Stand: April 2020