Porträt

Lasse Paetz

Philosophy, Politics, and Economics

Universität Witten/Herdecke

Lasse Paetz studiert Philosophy, Politics, and Economics an der Universität Witten/Herdecke. Für sein ehrenamtliches Engagement erhält er den „weitergeben – Engagementpreis der Studienstiftung“ 2018.

Die Eltern reagieren ein wenig überrascht, als der Grundschullehrer ihnen eröffnet, dass ihr Sohn seine Hausaufgaben nur unregelmäßig erledige. Davon wussten sie nichts. Im Gespräch mit seinen Eltern fragt Lasse Paetz: „Warum soll ich Hausaufgaben machen, wenn ich das schon kann?“ Zwischen ihm und seinen Eltern wird ein Kompromiss gefunden: Er kommt mit hervorragenden Noten aus der Schule, aber der Hausaufgabenvermerk bleibt. Lobend von seinen Lehrkräften erwähnt wird hingegen der Enthusiasmus, mit dem er den Schülerunterricht gestaltet und über Themen referiert, die eben ein Grundschulkind interessieren: Tiere in der Savanne, Elektrizität oder Wasser.

Am Gymnasium ist Schluss damit – und folglich auch mit seinem Engagement. „Ich war kein einfacher Schüler und habe oft die Konfrontation gesucht, aber das Potenzial für mein Engagement wurde nie mehr abgefragt“, resümiert der 29-Jährige, der heute an der Universität Witten/Herdecke sein zweites Masterstudium in Philosophie, Politik und Ökonomik absolviert und parallel als Referent für die Hilfsorganisation „Care International“ Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema Integration und interkulturelle Kompetenzen gibt.

Groll gegen die Schule

Sein Groll gegen die Schule wächst. In der 8. Klasse stellt Paetz einen Antrag, um eine Klasse zu überspringen – nur um die Schulzeit zu verkürzen. „Meine Noten waren gar nicht so gut, sodass es in der Schule durchaus Diskussionen gab“, erinnert sich Paetz. Der Antrag wird aber genehmigt, den Anschluss schafft er spielend. 2007 besteht der 18-Jährige sein Abitur mit vielen Fehlzeiten, immer noch fehlenden Hausaufgaben und einem Durchschnitt von 2,0: „Damit wäre ich vermutlich nie in der Studienstiftung gelandet“.

Das ändert sich erst mit dem Mathematikstudium in Bremen. „Ich habe mich für diese Richtung entschieden, weil ich mich stundenlang mit Mathematik beschäftigen konnte, ohne dass ich etwas auswendig lernen musste“, erklärt Paetz. Eine gewisse Zufriedenheit stellt sich ein – und er reflektiert viel über die verkorkste Schulzeit: „Ich hatte immer das Gefühl, ich passe nicht ins Schulsystem. Ich bin nur durchgekommen, weil ich glücklicherweise einen gut funktionierenden Kopf habe. Ohne den wäre ich untergegangen.“

Vor diesem Hintergrund setzt sich Lasse Paetz zunehmend mit der Gerechtigkeit im Bildungssystem auseinander und engagiert sich ehrenamtlich in der gemeinnützigen Hilfsorganisation „Go Ahead“, die sich für einen gerechteren Bildungszugang im südlichen Afrika einsetzt. Außerdem übernimmt er zeitgleich eine Stelle als Honorarlehrkraft in der Potenzialanalyse des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Diese berufseinstiegsbegleitende Maßnahme für achte Klassen hat das Ziel, den Anteil von Jugendlichen ohne Schulabschluss zu verringern – knappe drei Jahre, die Lasse Paetz prägen: „Da habe ich das erste Mal gemerkt, dass ich keine Ahnung von der Lebenswelt dieser Jugendlichen habe, dass sie völlig anders kommunizieren als ich und dass ich sie teilweise nicht einmal verstehe“, erzählt der Stipendiat. Doch eine gehörige Portion Empathie, seine Vergangenheit als „schwieriger Schüler“, ein extremes Gerechtigkeitsempfinden und eine Offenheit, die seine Familie ihm mit auf den Weg gegeben hat, helfen ihm, Zugang zu finden.

Stipendiat der Studienstiftung

In jener Zeit macht Lasse Paetz endlich die Erfahrung, dass ausgezeichnete Noten, geistige Freiheiten, analytisches Denken und soziales Engagement einander nicht ausschließen müssen. Eine Freundin macht Paetz schließlich auf die Studienstiftung aufmerksam, einer seiner Hochschullehrer schlägt ihn für die Förderung vor. „Bis dahin wusste ich nicht, dass die Studienstiftung auch eine ideelle Förderung anbietet“, so Paetz. 2012 wird er als Masterstudent in die Studienstiftung aufgenommen, engagiert sich weiterhin ehrenamtlich und besucht Seminare der Studienstiftung zum Thema Bildungsgerechtigkeit.

2014 beendet er sein Studium mit brillanten Noten, entscheidet sich jedoch gegen eine Promotion und tritt stattdessen eine befristete Lehrtätigkeit bei „Teach First“ in Freiburg an, einer gemeinnützigen Bildungsinitiative mit dem Ziel, die Chancengerechtigkeit im Bildungswesen zu verbessern. Der Mathematiker unterrichtet an einer Gemeinschaftsschule, organisiert ein schulübergreifendes Lerncamp mit 50 Jugendlichen zur Vorbereitung auf den mittleren Schulabschluss und baut unter anderem Kooperationen mit einem englischsprachigen Internat und der Jugendinitiative des Umweltministeriums Baden-Württemberg auf.

Herzensprojekt Bildungsfestival

Paetz weiß: Nach zwei Jahren ist Schluss, der Weg zurück in die Mathematik offen, aber das Thema Bildungsungerechtigkeit lässt ihn nicht mehr los. Mit Kolleginnen und Kollegen von Teach First überlegt er, was man darüber hinaus tun kann, um benachteiligte Jugendliche zu ermutigen, ihren Eltern und Lehrkräften, der Öffentlichkeit, vor allem aber sich selbst zu zeigen: auch ohne schulische Spitzenleistungen kann man großes gesellschaftliches Potenzial in sich tragen. „Und so entstand die Idee zum Bildungsfestival“, erzählt er.

Unzählige Vorbereitungstreffen, Verhandlungs- und Finanzierungsgespräche später eröffnet er am 1. Juli 2016 in der Theodor-Heuss-Schule in Berlin Moabit das erste Bildungsfestival: 117 junge Menschen zwischen elf und 18 Jahren von 15 Schulen aus ganz Deutschland feiern die Freude am gemeinsamen Lernen und an Bildung. „Ein großartiger Moment“, schwärmt der Begründer.

Aber schnell ist ihm auch klar: Das kann es noch nicht gewesen sein: 2017 folgt die Neuauflage in Essen, Mitte 2018 steht das dritte Festival im Terminkalender. Für sein Engagement wird Lasse Paetz im Juli 2017 bei der Elisabeth Tengelmann-Preisverleihung mit einem dritten Platz ausgezeichnet – verliehen von der Stiftung Private Universität Witten/Herdecke, wo Lasse Paetz Philosophy, Politics, and Economics studiert. Er will die Schnittstellen zwischen Mathematik, Ökonomik und Politik besser verstehen. Einerseits, um besser nachvollziehen zu können, inwiefern schlecht quantifizierbare Faktoren wie Bildung vernachlässigt werden, aber auch um zu verstehen, welche Auswirkungen das auf politische Entscheidungen hat, und nicht zuletzt, um selbst besser Veränderung auf den Weg bringen zu können.

Engagement-Preis der Studienstiftung

Mit dem Engagement-Preis der Studienstiftung hatte er überhaupt nicht gerechnet: „Der erste Platz war umso überraschender, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass andere Formate öffentlich wirksamer sind.“ Bildungsungerechtigkeit sei eben nicht nur ein sperriger Begriff, sondern auch nicht sonderlich medienwirksam, „umso mehr hat es mich gefreut, dass mit der Auszeichnung meines Herzensprojektes die Problematik der Bildungsgerechtigkeit öffentlich anerkannt wird.“

Stand: Mai 2018

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