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Elisa Arslan: „Mir kommt es so vor, als sei China eine Blackbox“

Elisa Arslan, 20, Stipendiatin der Studienstiftung, nimmt am China-Kolleg teil, um sich intensiv mit dem Denken und Handeln der chinesischen Führung zu beschäftigen und es besser zu verstehen.

Frau Arslan, warum haben Sie sich für das China-Kolleg beworben?

Ich absolviere neben meinem Jurastudium noch einen Bachelor in Regionalstudien Asien mit regionalen Schwerpunkt auf Zentral- und Ostasien. Dadurch habe ich bereits Vorwissen, was einige Themenschwerpunkte mit Chinabezug angeht. Allerdings fehlt mir immer ein grundlegendes Verständnis, was China als Staat und Gesellschaft ausmacht und in der Geschichte geprägt hat. Durch das Kolleg erhoffe ich mir, ein breit angelegtes Wissen über China zu gewinnen, damit ich dann punktuell vertieft arbeiten kann. Stipendiatin

Mit welchem Thema haben Sie sich in Ihrer AG beschäftigt?

Ich habe mich in der AG mit Vergangenheitsbewältigung in der jüngeren chinesischen Geschichte auseinandergesetzt. Insbesondere beschäftigten wir uns eingehend mit einschneidenden Ereignissen und Perioden, vor allem der Kulturrevolution, aber auch zum Beispiel der großen Hungersnot oder dem Tiananmen-Massaker und versuchten zu verstehen, wie die Menschen mit den Spuren und Traumata umgingen.

Zu welchen Erkenntnissen sind Sie bislang gelangt?

Ein zentraler Aspekt für mich war das kollektive Schweigen in der Volksrepublik. Viele Menschen, die im 20. Jahrhundert mehrere kollektive Traumata durchleben mussten, verstummten. Einen möglichen Grund hierfür fanden wir in der Kontinuität des Systems: Viele der Verantwortlichen für die Grausamkeiten wurden nie zu Rechenschaft gezogen oder werden gar noch als Helden gesehen.

Was war Ihr persönliches Highlight in der AG?

Mein persönliches Highlight in der AG war das Gespräch mit Liao Yiwu, dem Autor von „Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens.” Seine Schilderungen über das Tiananmen-Massaker waren ebenso eindrücklich wie aufwühlend.

Welcher Programmbestandteil des Kollegs hat Ihnen sonst noch besonders gut gefallen?

Im Rahmen des Programms unternahmen wir unter anderem eine  Exkursion zum Konfuzius-Institut. Die Institute stehen schon länger in der Kritik und es war interessant, einmal die „innere Perspektive“ kennenzulernen.

Wie würden Sie die allgemeine Atmosphäre des Kollegs beschreiben?

Es war eine produktive und inspirierende Atmosphäre. Die Teilnehmer:innen des Kollegs kommen alle aus verschiedenen Studienfächern und bringen daher ganz unterschiedliche Vorkenntnisse und Gründe für ihre Teilnahme mit. Einerseits kann ich mich mit vielen über die linguistischen Besonderheiten von Mandarin unterhalten, andererseits kommen auch einige spannende Gespräche ohne direkten China-Bezug zustande.

Was war Ihr persönliches Highlight des Kollegs?

Der Tag, an dem morgens die Exkursion zum Konfuzius-Institut und nachmittags das Gespräch mit Liao Yiwu stattfand. Der Kontrast aus einem positiven und Peking-geneigten Chinabild auf der einen und einem politischen Flüchtling im Exil auf der anderen Seite, und beides an einem Tag, war sehr eindrücklich und zeigt die Ambivalenz Chinas.

Was nehmen Sie bislang mit aus dem Kolleg?

Mir kommt es so vor, als sei China eine Blackbox. Auf viele Fragen, die sich mit dem „Warum” hinter Entscheidungen der chinesischen Führung beschäftigen, mussten die Expert:innen aus unseren Vorträgen und AGs spekulative Antworten geben. Gleichzeitig wurde mir mit jedem Vortrag deutlicher, wie unglaublich komplex und vielschichtig China als Staat und Gesellschaft ist.

Mit welchen Zielen aber auch Fragen gehen Sie in die zweite Arbeitsphase des Kollegs?

Ich möchte an das Thema China weniger mit meinen eigenen Wertvorstellungen im Hinterkopf herangehen, sondern versuchen, mich besser in das Denken und Handeln der chinesischen Führung hineinversetzen zu können. Außerdem hat sich seit der ersten Kollegphase im Oktober wieder viel getan in China: Ich bin gespannt, wie wir die Entwicklungen auf dem Parteitag Ende Oktober sowie die wirtschaftlichen Probleme auf dem Kolleg thematisieren werden.

Elisa Arslan, 20, studiert Jura an der HU Berlin und ist seit 2022 Stipendiatin der Studienstiftung. Sie gehört zum zweiten Jahrgang des 2021 neu gestarteten China-Kollegs der Studienstiftung. Mit diesem möchte die Studienstiftung die Beschäftigung mit dem Land in ihrem Bildungsprogramm verankern, ihre Geförderten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Volksrepublik anregen und damit zur Herausbildung eines differenzierten und modernen Chinabildes in Deutschland beitragen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert das China-Kolleg von 2021 bis 2024.

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Stand: April 2023