Berichte

Doktorandenmeeting 2015 in Granada: Wo Okzident und Orient aufeinandertreffen

Dem Thema „Religion und gesellschaftlicher Wandel“ war das zweite Doktorandentreffen gewidmet, welches vom 20. - 24. September 2015 in Andalusien stattfand. Ein Bericht von Hanna Stähle, Promotionsstipendiatin der Studienstiftung und Doktorandin der Slavischen Kulturwissenschaften an der Universität Passau

Entlang des Flusses Río Darro, vorbei am Gedränge und Touristenscharen, führt uns der Weg über gepflasterte Straßen und enge Gassen in die Cuesta del Chapiz. Wir sind im Altstadtviertel Albaicín. Hinter weiß gestrichenen Mauern und hohen Zypressen, geschützt vor neugierigen Blicken, verstecken sich die im maurischen Stil erbauten Villen mit Garten aus dem 14. Jahrhundert. Diese Baukonstruktion wird als „Carmen“ bezeichnet, was aus dem Arabischen als „Haus mit Garten“ übersetzt wird.

Die Carmenes gehörten den Morisken Hernán López el Feri und Lorenzo el Chapiz, nach dem das Anwesen benannt ist. Wir steigen die steilen Stufen hoch und erblicken einen zierlichen Innenhof mit seerosenbedecktem Wasserbecken – eine Oase der Ruhe. Vom Garten der Casas del Chapiz mit seinen Orangen-, Zitronen- und Olivenbäumen bietet sich ein atemberaubender Blick auf den Berg von Sacromonte und die Alhambra, die Granada weltweit berühmt gemacht hat. Orientalisches Flair hängt in der Luft.

Thema „Religion und gesellschaftlicher Wandel“ im Fokus

Vor dieser spektakulären historischen und architektonischen Kulisse beginnt das zweite interdisziplinäre Doktorandenmeeting der Studienstiftung. Die Casas del Chapiz, 1919 auf königlichen Erlass unter Denkmalschutz gestellt, beherbergen seit 1932 die Escuela des Estudios Árabes und eine große Bibliothek islamischer Literatur. Die Bibliothek enthält eine beachtliche Sammlung zur Geschichte des maurischen Andalusiens – über 100 Zeitschriften und 18.000 gedruckte Monographien, darunter Erstausgaben und seltene Exemplare, die sich durch Schönheit und hohen literarischen Wert auszeichnen. In den Räumen der Schule für arabische Studien fand unser Seminar statt.

Das Doktorandentreffen 2015 war dem Thema „Religion und gesellschaftlicher Wandel“ gewidmet. Aus interkultureller und interdisziplinärer Perspektive setzten sich über 45 Promotionsstipendiaten der Studienstiftung mit religiösen Fragestellungen und der wechselhaften Geschichte Granadas auseinander. Die am Fuße der Sierra Nevada gelegene Metropole, die 800 Jahre lang Teil der islamischen Welt war und 1492 infolge der Reconquista an die spanische Krone zurückfiel, bot dabei viele Anknüpfungspunkte für Referate, Exkursionen und fruchtbare Gespräche.

Das Programm des Treffens – weitgehend von den Stipendiaten selbst gestaltet – war inspirierend und vielfältig wie die Teilnehmer selbst und deren fachliche und persönliche Hintergründe. Vertreten waren verschiedene Fachrichtungen und -gebiete, von Jura, Kunstgeschichte, Finanzwirtschaft, Agrarwissenschaften über Mathematik, Physik, Biologie bis hin zu Anglistik, Judaistik und Romanistik. Angereist waren die Stipendiaten aus allen Ecken Deutschlands und manch einer aus Großbritannien, Italien, Russland oder den USA.

Im Gespräch: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten nutzen die Zeit zwischen den Vorträgen für den Austausch im Innenhof Escuela des Estudios Árabes. © Alexander BartlIm Gespräch: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten nutzen die Zeit zwischen den Vorträgen für den Austausch im Innenhof Escuela des Estudios Árabes. © Alexander Bartl

Unterwegs in der Stadt der drei Kulturen

Jeder hat sich in das Programm des Treffens eingebracht, durch die Organisation einer Exkursion, Vorbereitung eines wissenschaftlichen Vortrags, Museumsbesuchs oder Stadtrundgangs. Gemeinsam oder in Gruppen erlebten wir das literarische Granada, besuchten die im Renaissance-Stil erbaute Kathedrale Santa María de Encarnación und die Capilla Real, machten uns mit der jüdischen Geschichte der Stadt vertraut, spazierten über den alten Friedhof von Granada, besuchten die Madraza – eine alte maurische Universität, diskutierten Einsteins Relativitätstheorie im Wissenschaftsmuseum Museo Parque de las Ciencias de Granada und tauschten uns unzählige Male zu den Doktorarbeiten und geplanten Forschungsvorhaben aus.

Eine Einführung in die Geschichte des mittelalterlichen Spaniens und die Verflochtenheit der muslimischen, katholischen und jüdischen Kulturen Andalusiens machte Prof. Dr. Wolfram Drews, der am Historischen Seminar an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster lehrt. Statt vom „Goldenen Zeitalter“ des maurischen Granada zu sprechen oder sich romantischer Idealbilder zu bedienen, betonte der Historiker vielmehr die Hybridität und kulturelle Vielfalt des mittelalterlichen Spaniens, aber auch Differenzen und unscharfe Grenzziehungen zwischen verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen und warnte vor der Vereinfachung komplexer Zusammenhänge.

Einen besonderen Höhenpunkt des Doktorandentreffens bildete der Besuch der Alhambra und der Gartenanlage Generalife aus der Zeit der Herrscherdynastie der Nasriden, die neben dem maurischen Wohnviertel Albaicín zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. In Schatten spendenden Gärten der Alhambra begaben wir uns gemeinsam auf die Spuren des maurischen Andalusiens und lauschten etwa einem Vortrag zu den königlichen Bädern der prachtvollen Residenz der Nasriden.

Bei einem Besuch der Moschee von Granada beantwortet Abdul Hakim Praena, Sprecher der 2003 erbauten Moschee, Fragen zum islamischen Erbe und Alltag in der sogenannten Stadt der Drei Kulturen. © Alexander BartlBei einem Besuch der Moschee von Granada beantwortet Abdul Hakim Praena, Sprecher der 2003 erbauten Moschee, Fragen zum islamischen Erbe und Alltag in der sogenannten Stadt der Drei Kulturen. © Alexander Bartl

Besuch in der Moschee: Islamische Tradition und Gegenwart

Ist von der islamischen Kultur im heutigen Granada noch etwas zu spüren? Oder gehört das maurische Erbe längst der Vergangenheit an? Diese Fragen konnten wir mit Abdul Hakim Praena bei einem Besuch der Moschee von Granada ausgiebig diskutieren, die 2003 auf dem Berg von Sacromonte errichtet worden ist.

Der gebürtige Madrider Praena wuchs in einer katholischen Familie auf, bis er zum Islam konvertierte. Bis heute hat sich seine Familie damit nicht abgefunden. Inzwischen ist er selbst verheiratet und erzieht seinen Sohn nach islamischer Tradition. Stolz erzählte er von dessen Erfolgen in der Koranschule.

Sich selbst bezeichnet Praena als Spanier und fühlt sich der spanischen Kultur zugehörig, Islam sei ein Teil davon. Praena betont die Bedeutung des Ortes Granada als Knotenpunkt verschiedener Kulturen und Religionen, einem weltoffenen, toleranten Ort. Die Proteste der Granadiner gegen den Bau der Moschee lässt er unerwähnt. Dass es keine Gebetsrufe vom Minarett gibt, sieht er gleichfalls gelassen. „Wer beten will, wird den Weg zur Moschee finden“, sagt Praena.

Und das Interesse sei groß. Es sind spanische Muslime, aber auch viele Flüchtlinge aus den Maghreb-Ländern, vor allem aus Marokko, die der Gemeinde angehören. Die Moschee von Granada ist nicht nur ein Gebetshaus, sondern auch eine aktive religiöse Gemeinschaft. Angeboten werden Koran-Unterricht, Arabisch-Sprachkurse für Kinder und Erwachsene, Konferenzen, Seminare und Ausstellungen.

Bilanz und Ausblick

Direkt gegenüber der Moschee sind zwei katholische Kirchen, daneben der Mirador San Nicolás, eine Aussichtsplattform mit Panoramablick auf die Alhambra. Tagsüber und spät abends strömen Touristen zum Mirador, auch wir genießen den Blick auf die Nasridenpaläste und die Straßenmusik in gemütlicher Atmosphäre. Unter die Flamenco-Klänge der Gitarrenspieler mischt sich Enrique Iglesias vom Band.

Bei einem Abendessen nahe des Universitätscampus‘ mit gemütlichen Cafés und Restaurants genießen wir unseren Rioja und dazu gereichte Tapas. Wir lassen unser Treffen in Granada Revue passieren und diskutieren die vielen Möglichkeiten, sich hier interdisziplinär auszutauschen, in neue Themengebiete einzuarbeiten und über den eigenen Tellerrand zu schauen, aber auch andere vom eigenen Forschungsvorhaben zu überzeugen. Wir ziehen Bilanz und schmieden Pläne für die Zukunft. Denn es soll weitere Doktorandentreffen folgen, 2016 in Florenz und 2017 in Stockholm.