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„Haben Sie schon einmal über Ihr Dach nachgedacht?“

Lisa von Rabenau (26) hat das Hans Weisser-Stipendium der Studienstiftung genutzt, um in Indien das Start-up ReMaterials mit aufzubauen. Es entwickelt eine originelle Alternative zu den weitverbreiteten Wellblechdächern – und kann das Leben vieler Menschen verändern.

Die Studienstiftung hat Sie von 2015 bis 2016 mit einem Hans Weisser-Stipendium gefördert. Wie haben Sie es genutzt?

Ich lebe seit Ende 2014 in Ahmedabad/Indien und baue hier das Start-up ReMaterials mit auf. Das Stipendium hat mich dabei in einer entscheidenden Phase der Unternehmensgründung unterstützt. Wir entwickeln eine Alternative für Wellblechdächer. In den Slums und ländlichen Regionen der Entwicklungsländer leben Menschen mit nichts mehr als einem Stück Wellblech über dem Kopf – und das möchten wir ändern!

Was ist das Problem mit Wellblechdächern?

Haben Sie schon einmal über Ihr Dach nachgedacht? Vermutlich nicht. Aber Millionen von Menschen in Entwicklungsländern tun dies, fast jeden Tag und jede Nacht. Das Leben unter einem Wellblechdach ist äußerst unangenehm und auch gefährlich.

Woran liegt das?

Im Sommer ist es unerträglich heiß, besonders für Kinder und ältere Menschen. Während der Monsunregenfälle ist es ohrenbetäubend laut, zudem sind Wellblechdächer an vielen Stellen undicht. Sie stürzen leicht ein und führen zu Verletzungen. Zeit und Geld fehlen, um sie korrekt zu reparieren. Und sie enthalten giftige Chemikalien wie Asbest. Die einzige Option ist ein Betondach, aber das können sich die meisten einfach nicht leisten.

Wie sieht Ihre Lösung aus?

ReMaterials möchte die Wohnsituation und damit verbunden die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl der Menschen, die in so prekären Verhältnissen leben, fundamental verbessern. Das gelingt uns, indem wir ein neuartiges, hochwertiges und bezahlbares Dach entwickeln und produzieren. Wir haben es ModRoof genannt. Das Dach setzt sich aus modular aufgebauten Dachplatten zusammen. Die Platten stellen wir größtenteils aus lokal gesammeltem und recyceltem Altpapier her, gepresst und beschichtet.

Ein installiertes ModRoof-Dach inmitten von Wellblechdächern © Lisa von RabenauEin installiertes ModRoof-Dach inmitten von Wellblechdächern © Lisa von Rabenau

Was macht die ModRoof-Dächer besonders?

Die Dachplatten sind sehr strapazierfähig, wasserdicht und feuerfest. Die Platten sind auch deutlich besser in der thermischen und akustischen Isolation. Im Sommer ist es wesentlich kühler, in der Monsunzeit trocken und leise. Und ganz wichtig: ModRoof ist für einkommensschwache Familien über Mikrokredite finanzierbar. Hinzu kommt, dass das Dach aus den grauen und tristen Slumdächern hervorsticht, es ist fröhlich und farbenfroh. Wir möchten, dass sich die Menschen in ihrem Zuhause wohlfühlen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich habe Maschinenbau an der TU Darmstadt studiert. Während eines Auslandssemesters an der University of California, Berkeley habe ich Hasit Ganatra kennengelernt, den Gründer von ReMaterials. Er hatte sich schon länger damit beschäftigt, warum es auf dem indischen Markt keine Alternative zu Wellblechdächern gibt und wollte etwas bewegen. Ich war sofort angefixt.

Wie läuft es bisher?

Angefangen haben wir mit einem kleinen Team und geringen Produktionskapazitäten. Die ersten zwei, drei Dächer haben wir persönlich verkauft und installiert. Heute haben wir ein großartiges Team aus über 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bestehend aus Fabrikarbeitern, Installateuren, Vertrieblern und Ingenieuren. Wir haben ein fertig entwickeltes Produkt und eine erste Fertigungslinie. Und, am wichtigsten: Wir haben schon über 50 Dächer verkauft – und es werden immer mehr!

Mitarbeiter des Teams von ReMaterials © Lisa von Rabenau

Wie haben Sie vom Hans Weisser-Stipendium profitiert?

Das Stipendium hat mir die Tür zum Unternehmertum dauerhaft geöffnet. Es hat mir die Möglichkeit gegeben, mich dieser Aufgabe voll und ganz hinzugeben. Als Chef-Ingenieurin entwickle ich ein Produkt, dass das Potenzial hat, das Leben vieler benachteiligter Menschen zu verbessern – ein tolles Gefühl!

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich denke, dass ich noch etwa ein Jahr in Indien bleiben werde. Mein Ziel ist es, ReMaterials so weit voranzubringen, dass es von einem lokalen Team geleitet werden kann. Dann möchte ich gerne einen Master machen, am liebsten wäre mir ein praxisorientierter Einblick in naturwissenschaftliche Fächer. Ich kann mir gut vorstellen, danach ein eigenes Start-up zu gründen oder wieder in eines einzusteigen.

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