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Katrin Böhning-Gaese: "Der Artenverlust bedroht unsere Existenz"

Bereits während ihres Studiums entwickelte Katrin Böhning-Gaese ein Interesse für die großen Zusammenhänge. Im Interview erläutert die Biologin, warum der Erhalt der Artenvielfalt so zentral ist.

Für ihre Forschungen zur Biodiversität wurde die Biologin und Alumna der Studienstiftung Katrin Böhning-Gaese 2021 gemeinsam mit Hans Joosten mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet, der mit 500.000 Euro dotiert ist. Als Forscherin und Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums trägt sie dazu bei, auch in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für den notwendigen Schutz der Biodiversität zu schaffen.

Frau Professorin Böhning-Gaese, herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises! Seit wann beschäftigen Sie sich mit Artenvielfalt und woher kommt dieses Interesse?

Mein Forschungsinteresse hat sich schon während des Studiums an der Universität Tübingen entwickelt, bei meinen ersten – ornithologischen – Exkursionen im Studium. Es war allerdings in Deutschland damals gar nicht so einfach, sich in dem Bereich akademisch weiterzuentwickeln, da in der Ökologie ein sehr deskriptiver Ansatz vorherrschte. Die großen Fragen, die damals schon aufkamen, konnten damit nicht adressiert werden: Warum gehen manche Arten zurück, wie lässt sich die Artenvielfalt bewahren, wozu dient die große Artenvielfalt überhaupt? Mich haben diese Fragen sehr interessiert, aber eine inhaltlich und methodisch moderne Ökologie gab es in Deutschland nur an ganz wenigen Lehrstühlen. Deswegen bin ich für meine Doktorarbeit in die USA gegangen, wo ich eine neue ökologische Disziplin, die Makroökologie, kennengelernt und dann nach Deutschland zurückgebracht habe. Seitdem arbeite ich auf einem großen räumlichen Maßstab, nehme viele Arten in den Blick und schaue mir Langzeittrends oder globale Muster im Artenreichtum an. Letztlich sind das auch die Fragen, die heute noch die Debatte bestimmen.

Wenn Sie auf die heutige Debatte schauen, was bedeutet der Klimawandel für Sie als Biodiversitätsforscherin? Nützt die Aufmerksamkeit für das Thema auch Ihren Anliegen oder müsste mehr über Artenvielfalt als eigenes Problem gesprochen werden?

In der Tat heißt es manchmal, der Klimawandel zähle zu den harten Themen und Biodiversität oder Naturschutz seien die weichen Themen. Das ist leider eine vollkommen einseitige Wahrnehmung, weil der Verlust der Biodiversität wie auch der Klimawandel gleich ernst zu nehmen sind. Der Verlust der Arten bedroht unsere Existenzgrundlage. Außerdem sind Artenverlust und Klimawandel Symptome des gleichen Problems, nämlich dass wir Menschen die Natur übernutzen. Das heißt, wenn man die zugrundeliegenden Ursachen ernsthaft bekämpfen möchte, muss man auf derselben Ebene ansetzen. Deshalb müssen Klimawandel und Artensterben gleich wichtig genommen und der Schutz der Biodiversität noch besser auf der politischen Agenda verankert werden.

"Wir als moderne Menschen unterschätzen unsere existenzielle Verflechtung mit der Natur."

Können Sie uns in Kürze erklären, warum Artenvielfalt so entscheidend ist?

Letztlich beruht alles, was wir für unsere Existenz brauchen, von sauberer Luft über Nahrungsmittel, Medikamente, bis hin zu unserem Wohlbefinden und unserem Glück, auf einer intakten Natur. Die Biodiversität ist das Netzwerk in der Natur, das uns all diese Leistungen zur Verfügung stellt. Das Verständnis dafür ist uns leider abhandengekommen, aber letztlich bestimmt die Biodiversität darüber, ob wir leben, während der Klimawandel definiert, wie wir leben. Diese existenzielle Verflechtung mit der Natur unterschätzen wir als moderne Menschen, die wir oft distanziert von der Natur leben.

Sehen Sie die Artenvielfalt weltweit in ähnlicher Weise bedroht?

Der wesentliche Faktor für den Rückgang der Artenvielfalt ist überall die Übernutzung, die Ausprägungen aber unterscheiden sich. In Europa ist die landwirtschaftliche Produktivität in der Agrarlandschaft zu hoch und geht auf Kosten der Biodiversität, in vielen Ländern des globalen Südens, insbesondere in Afrika, wo ich mich gut auskenne, ist die Produktivität zu niedrig. Das führt dazu, dass die vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen nicht effizient genutzt, sondern immer wieder neue Waldflächen gerodet werden.

Sie sprechen die Nahrungsmittelerzeugung an – sehen Sie landwirtschaftliche Nutzung und Artenvielfalt als gegensätzliche Anliegen?

Auf der einen Seite ist Biodiversität eine Voraussetzung für den landwirtschaftlichen Anbau, auf der anderen Seite ist die moderne Landwirtschaft durch ihre Rahmenbedingungen oft zwangsweise auf maximale Produktivität hin ausgerichtet – auf Kosten all der regulierenden Leistungen, die die Natur zur Verfügung stellt. Wir leben also auf Kosten langfristig funktionierender Ökosysteme und damit auf Kosten der kommenden Generationen. Dabei gibt es Win-Win-Lösungen, die eine produktive Landwirtschaft und eine Förderung der Bio- diversität verbinden. Diese setzen allerdings veränderte Anbausysteme und Rahmenbedingungen voraus, das heißt, wir brauchen eine fundamentale sozial-ökologische Transformation. Der Weg ist schwierig, aber er ist notwendig und grundsätzlich möglich.

"Es gibt Win-Win- Lösungen, die eine produktive Landwirtschaft und eine Förderung der Biodiversität verbinden. Der Weg ist schwierig, aber er ist notwendig und möglich."

Wen sehen Sie in der Verantwortung, Veränderungen herbeizuführen?

Alle gemeinsam. Die großen Weichenstellungen müssen von der Politik getroffen werden, aber auch die Zivilgesellschaft kann Veränderungen herbeiführen. Das Beispiel der Tierhaltung etwa zeigt, dass Politik und Wirtschaft durchaus auf öffentliche Debatten und Konsumverhalten reagieren. Bei der Orientierung können bestimmte Produktsiegel helfen. Es gibt bereits einzelne Siegel, welche den Schutz der Umwelt und Biodiversität als Vergabekriterien berücksichtigen und seit kurzem nehmen weitere Siegel diese Aspekte zusätzlich auf. Das ist genau der richtige Weg. Noch geht es um einen Nischenmarkt, aber wenn der Anteil solcher Produkte stiege, würde das einen großen Unterschied machen. Konsumenten fördern damit direkt die Biodiversität – und zwar global. Wenn etwa Kaffeebäuerinnen und -bauern in Südamerika einen Biokaffee anbauen und dafür auch noch fair vergütet werden, dann wird in den artenreichsten Regionen die Biodiversität geschützt, ein nachhaltiger Anbau gefördert, und das Produkt hat einen positiven sozialen Impact. Mir scheint, das wird öffentlich noch zu wenig wahrgenommen.

In der Debatte über den Klimawandel wird nachhaltiger Konsum oft auf regional und saisonal verkürzt, aber es gibt global einen wahnsinnigen Druck auf Land, und wenn es gelänge, einen biodiversen Landbau in vielen Ländern des globalen Südens zu erreichen, verbunden mit einer fairen Entlohnung der Produzenten, würde das einen großen positiven Unterschied für die Natur und die Menschen machen.