Page 56 - Jahresbericht 2018
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tes Masterstudium in Philosophie, Politik und Öko- nomik absolviert und parallel als Referent für die Hilfsorganisation „Care International“ Lehrkräfte zum Thema Integration und interkulturelle Kompetenzen fortbildet. Groll gegen die Schule Sein Groll gegen die Schule wächst. In der achten Klasse stellt Paetz einen Antrag, um eine Klasse zu überspringen – nur um die Schulzeit zu verkürzen. „Meine Noten waren gar nicht so gut, so dass es in der Schule durchaus Diskussionen gab“, erinnert sich Paetz. Der Antrag wird aber genehmigt, den An- schluss schafft er spielend. 2007 besteht der 18-Jährige sein Abitur mit vielen Fehlzeiten, immer noch fehlenden Hausaufgaben und einem Durch- schnitt von 2,0. Dann nimmt er ein Mathematikstudium in Bremen auf. „Ich habe mich für diese Richtung entschieden, weil ich mich stundenlang mit Mathematik beschäfti- gen konnte, ohne dass ich etwas auswendig lernen musste“, erklärt Paetz. Eine gewisse Zufriedenheit stellt sich ein – und er reflektiert viel über die ver- korkste Schulzeit: „Ich hatte immer das Gefühl, ich passe nicht ins Schulsystem. Ich bin nur durchge- kommen, weil ich glücklicherweise einen gut funktio- nierenden Kopf habe.“ Lasse Paetz setzt sich zunehmend mit der Gerech- tigkeit im Bildungssystem auseinander und enga- giert sich ehrenamtlich in der gemeinnützigen Hilfs- organisation „Go Ahead“, die sich für einen gerechteren Bildungszugang im südlichen Afrika einsetzt. Außerdem übernimmt er zeitgleich eine Stelle als Honorarlehrkraft in einer berufseinstiegs- begleitenden Maßnahme für achte Klassen, mit der der Anteil von Jugendlichen ohne Schulabschluss verringert werden soll: „Da habe ich das erste Mal gemerkt, dass ich keine Ahnung von der Lebenswelt dieser Jugendlichen habe, dass sie völlig anders kommunizieren als ich und dass ich sie teilweise nicht einmal verstehe“, erzählt der Stipendiat. Doch eine gehörige Portion Empathie, seine Vergangen- heit als „schwieriger Schüler“, ein extremes Gerech- tigkeitsempfinden und eine Offenheit, die seine Fami- lie ihm mit auf den Weg gegeben hat, helfen ihm, Zugang zu  nden. Herzensprojekt Bildungsfestival 2014 beendet er sein Studium mit brillanten Noten, entscheidet sich jedoch gegen eine Promotion und tritt stattdessen eine befristete Lehrtätigkeit bei „Teach First“ in Freiburg an, einer gemeinnützigen Bildungsinitiative mit dem Ziel, die Chancengerech- tigkeit im Bildungswesen zu verbessern. Der Mathe- matiker unterrichtet an einer Gemeinschaftsschule, organisiert ein schulübergreifendes Lerncamp mit 50 Jugendlichen zur Vorbereitung auf den mittleren Schulabschluss und baut unter anderem Kooperatio- nen mit einem englischsprachigen Internat und der Jugendinitiative des Umweltministeriums Baden- Württemberg auf. Paetz weiß: Nach zwei Jahren ist Schluss, der Weg zurück in die Mathematik offen, aber das Thema Bil- dungsungerechtigkeit lässt ihn nicht mehr los. Mit Kolleginnen und Kollegen von Teach First überlegt er, was man darüber hinaus tun kann, um benachtei- ligte Jugendliche zu ermutigen, ihren Eltern und Lehrkräften, der Öffentlichkeit, vor allem aber sich selbst zu zeigen: Auch ohne schulische Spitzenleis- tungen kann man großes gesellschaftliches Potenzi- al in sich tragen. „Und so entstand die Idee zum Bil- dungsfestival“, erzählt er. Unzählige Vorbereitungstreffen, Verhandlungs- und Finanzierungsgespräche später eröffnet er am 1. Juli 2016 in der Theodor-Heuss-Schule in Berlin Moabit das erste Bildungsfestival: 117 junge Men- schen zwischen elf und 18 Jahren von 15 Schulen aus ganz Deutschland feiern die Freude am gemein- samen Lernen und an Bildung. „Ein großartiger Mo- ment“, schwärmt der Begründer. Aber schnell ist ihm auch klar: Das kann es noch nicht gewesen sein. Im Herbst 2016 nimmt er sein Masterstudium in Witten auf, 2017 folgt die Neuauf- lage des Bildungsfestivals in Essen, und im Juni 2019 steht bereits das vierte Festival im Termin- kalender. Nach Abschluss seines Studiums strebt Paetz eine Position an, in der er Ökonomik und Ma- thematik kombinieren kann – nicht zuletzt, um die vielen Studien zur Bildung besser nachvollziehen und eine eigene Haltung hierzu entwickeln zu kön- nen, aber auch um eines Tages selbst Studien auf den Weg zu bringen, die auch schlecht quantifizier- bare Faktoren wie „Bildung“ einbeziehen. n Preisträgerinnen und Preisträger 55 


































































































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