Studienstiftung Jahresbericht 2012 - page 80

Promotionsförderung
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„Multidisziplinarität mit fachlicher Aktualität“ – Gemeinsame Tagung der
Doktorandenforen Kultur und Gesellschaft
Hannover, 13. bis 16.12.2012: Was sollen Vorträge vor überwiegend fachfremdem Pu-
blikum für die Arbeit an Promotionsprojekten bringen? Das habe ich mich vor meinem
ersten Doktorandenforum der Studienstiftung gefragt und wurde positiv überrascht.
Das Konzept funktioniert gut und ich möchte drei Punkte daran hervorheben:
Erstens ist die Fähigkeit, seine eigenen Gedanken vor fachfremdem Publikum vor-
zustellen, vor allem für Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler von
politischer Bedeutung. Deren Auftrag, die kritische Beobachtung von Gesellschaft,
geht alle Menschen an. Er kann nur erfolgreich ausgeführt werden, wenn die wis-
senschaftlich produzierten Gedanken auch allgemeinverständlich kommuniziert
werden. Die Ausdifferenzierung der Wissenschaft ist zwar einerseits notwendig für
deren Komplexität. Andererseits führt sie – wie schon von Marx diagnostiziert – zu
immer mehr Fachidiotentum. Dies senkt die Allgemeinverständlichkeit und Kom-
munikationsfähigkeit von Wissenschaftlern. Durch die Vorträge auf den Doktoran-
denforen werden diese politisch wichtigen, aber bedrohten Fähigkeiten trainiert.
Zweitens bringt die 20-minütige Diskussion nach dem Vortrag für die meisten Vor-
tragenden wertvolle Anregungen und Kritik. Die Hinweise von Stipendiatinnen und
Stipendiaten aus der eigenen Disziplin sind fast immer hilfreich. Das Besondere an
den Doktorandenforen sind aber die Anregungen von Teilnehmenden aus anlie-
genden Fachbereichen. Denn die sind fachlich nah genug, um produktiv in die Pro-
motionsprojekte einbezogen werden zu können, jedoch außerhalb von Doktoran-
denforen fast unerreichbar weit weg, wegen der starken Disziplinentrennung an den
Universitäten. Die Doktorandenforen ermöglichen also sonst unwahrscheinliche Be-
gegnungen mit anliegenden Fachbereichen und eröffnen dadurch neue Horizonte.
Drittens kenne ich keine andere Veranstaltungsform, die wie die Doktorandenforen
Multidisziplinarität mit fachlicher Aktualität verbindet. Hergebrachte multidiszipli-
näre Foren wie Schule oder „Studium generale“ vermitteln meist Basiswissen und
zeigen die Disziplinen nicht als Praxis im Vollzug. Bei den Doktorandenforen hin-
gegen erlebt man, wie Wissenschaft in anderen Fächern konkret gemacht wird. Des-
halb sind die Diskussionen selbst dann noch interessant, wenn man fachlich schon
ausgestiegen ist. Philosophen und Physikerinnen können ihre unterschiedlichen
Diskussions- und Denkschemata live erleben und dabei ihre unterschiedlichen Fra-
geweisen aneinanderprallen lassen. Und diese produktive Perspektivierung ist mehr
als der bekannte Blick über den Tellerrand – nämlich wirklich gemeinsames Denken.
Karsten Schubert, Philosophie, Universität Leipzig
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