Preisträger:innen der Promotionspreise 2023
Dr. Nico Wunderling, Physik, Universität Potsdam und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Mit Dr. Nico Wunderling erhält ein Wissenschaftler den Friedrich Hirzebruch-Promotionspreis 2023, der einen in der aktuellen Phase der menschengemachten Klimakrise essentiellen Faktor betrachtet: die sogenannten Kipppunkte. Der Klimaphysiker trägt mit seiner Dissertation „Nonlinear dynamics and interactions of tipping elements in the Earth system“ zum Verständnis der Wechselwirkung von Kippelementen – konkret der großen Eisschilde, der Ozeanströmungen und des Amazonas-Regenwaldes – bei.
Um die Weltgemeinschaft auf zukünftige Auswirkungen des Klimawandels vorzubereiten, sei eine Analyse des Zusammenspiels der Kipppunkte von herausragender Bedeutung, hebt die Jury in ihrer Begründung hervor. Nico Wunderling hat sich in seiner Dissertation vor allem der Frage gewidmet, wie verschiedene „kritische Organe des Erdsystems“ miteinander in Verbindung stehen und das Kippen eines Elements eine selbstverstärkende Rückkopplung haben und so das Kippen anderer Elemente auslösen könnte – also einen Domino-Effekt.
Bisher wurden die Kippelemente mehrheitlich als individuelle Systeme betrachtet, deren Wechselwirkung stand dagegen seltener im Fokus. Wunderling entwickelte ein Modell zur Untersuchung interagierender Kippelemente und deren Schwellenwerte. Mit dem eigens entwickelten Open-Source-Softwarepaket PyCascades identifizierte der Physiker verletzliche Strukturen in Interaktionsnetzwerken und übertrug die Erkenntnisse auf die Interaktion dieser Organe im Klimasystem.
Dabei hat sich herausgestellt, dass Domino-Effekte – sogenannte Kippkaskaden – vor allem von den großen Eisschilden auf Grönland und der Westantarktis ausgelöst werden und sich dann in Richtung der atlantischen Ozeanströmungen und dem Amazonasregenwald ausbreiten. Herausragend sei die Arbeit auch aufgrund ihrer Inter- und Transdisziplinarität, so die Jury: Kipppunktnetzwerke sind auch in anderen komplexen Systemen vorhanden, etwa der Biologie oder Ökonomie, und könnten daher auf weitere gesellschaftliche Prozesse übertragen werden.
Wunderling studierte Physik in Erlangen-Nürnberg, Forschungsaufenthalte führten ihn nach Sao Paulo und Princeton. Sowohl während seines Studiums als auch der Promotion in Potsdam erhielt er ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Seit 2021 forscht er als Post-Doc am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in der Abteilung Erdsystemanalyse und im FutureLab „Earth Resilience in the Anthopocene“ und ist zugleich Gastwissenschaftler an der Princeton University sowie am Stockholm Resilience Centre. Seine Erkenntnisse zur Klimaveränderung wurden jüngst im Journal „Nature Climate Change“ publiziert.
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Dr. Max Erdmann, Jura, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der Lieselotte Pongratz-Promotionspreis 2023 würdigt Dr. Max Erdmanns sorgfältige und ideenreiche Beschäftigung mit der rechtsphilosophischen Konzeption des Völkerrechts bei Hegel und Kant. Seine Dissertation „Die Vernunft zwischen den Staaten. Zur Grundlegung des Völkerrechts im Werk von G.W.F. Hegel“ schaffe die Grundlage für eine rechtsphilosophische Erschließung des Völkerrechts als eigenständiger Teildisziplin im Überlappungsbereich von Rechtswissenschaft und Philosophie, so die Jury in ihrer Begründung.
In seiner Untersuchung hebt Erdmann hervor, dass entgegen der bisherigen Rezeption Hegel der Völkerrechtslehre Kants zum größten Teil treu bleibt und einen beträchtlichen Teil der völkerrechtsphilosophischen Festlegungen Kants fortführt. Er konnte dabei zeigen, dass Hegel das philosophische Völkerrecht als zwischenstaatliches Recht in einer Staatenwelt auslegt, die ideal als Gemeinschaft freiheitlicher Staaten gedacht wird. Dabei geht Erdmann methodisch zunächst exegetisch im Sinne der Philosophiegeschichtsschreibung vor, untersucht Hegels veröffentlichte „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ und interpretiert diese auch unter Rückgriff auf dessen rechtsphilosophische Vorlesungen.
Die Ergebnisse der Textexegese nutzte Erdmann dann für eine systematische Bezugnahme auf das gegenwärtige Völkerrecht. In dem systematischen Teil der Arbeit steht der Versuch im Zentrum, eine philosophische Perspektive auf grundlegende Strukturen der Völkerrechtsordnung zu gewinnen, die auch für das Völkerrecht der Gegenwart Bedeutung haben. Ziel der Untersuchung ist es somit, im Ausgang von Hegels Völkerrechtsdenken die Grundlagen und Grenzen einer Philosophie des Völkerrechts zu bestimmen.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaft sowie der Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Freiburg forschte Erdmann als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsphilosophie der LMU München. Sowohl während seines Studiums als auch während der Promotion an der LMU München erhielt er ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Seit 2022 ist Dr. Erdmann Rechtsreferendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln sowie weiterhin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsphilosophie der LMU München tätig.
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Dr. Annabell Zander, Archäologie, University of York, Großbritannien

Der Johannes Zilkens-Promotionspreis 2023 würdigt Dr. Annabell Zanders Arbeit zum frühgeschichtlichen Klimawandel. In ihrer Dissertation „‘Lost in transition‘ – Tracing human responses to climatic and environmental change in the Pleistocene-Holocene transition in north-western Europe“ beschäftigt sich die Archäologin anhand ausgewählter späteiszeitlicher und früh-nacheiszeitlicher Fundstellen in Nordwesteuropa mit der Mensch-Umwelt-Interaktion vor etwa 11.500 Jahren. Diese Periode am Ende der letzten Eiszeit ist von starken Umweltveränderungen geprägt, die ihrerseits Einfluss auf die kulturellen Entwicklungen ausgeübt haben.
Zander bezieht hierbei Ergebnisse aus 49 verschiedenen archäologischen Fundstellen in Europa aufeinander, die aufgrund von Sprachgrenzen und divergierenden Forschungstraditionen bisher jeweils nur getrennt betrachtet wurden. Damit eröffnet sie neue Perspektiven auf eine Phase des Umbruchs sowie auf die menschliche Resilienz und Adaption angesichts des einschneidenden frühgeschichtlichen Klimawandels.
Die Arbeit entwickele ein herausragend komplexes Verständnis der Veränderungen menschlicher Siedlungs- und Kolonisationsmuster am Ende der letzten Eiszeit zwischen etwa 11.000 und 9.000 Jahren v. Chr., hebt die Jury hervor. Mit der Zusammenführung großer Datenzusammenhänge und einer historisch und epistemisch nuancierten Reflexion erweitere Zander Methodik und Wissen der Archäologie auf beeindruckende und nachhaltige Weise.
Zander studierte im Bachelor Alte Geschichte und Archäologie an der University of Nottingham sowie im Master Archäologie an der Universität zu Köln. Während ihrer Promotion an der University of York erhielt sie ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ausgestattet mit einem British Academy Postdoctoral Fellowship wird sie ab 2023 dort weiter forschen.
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Zusammensetzung der Jury der Promotionspreise 2023
Johannes Zilkens-Promotionspreis für herausragende Arbeiten im Bereich der Geisteswissenschaften
- Prof. Dr. Christian Frevel, Kath. Theologie, Bochum
- Prof. Dr. Delia González de Reufels, Geschichte, Bremen
- Prof. Dr. Johannes Grave, Kunstgeschichte, Jena
- Prof. Dr. Gesine Manuwald, Latinistik, London
- Prof. Dr. Annika McPherson, Amerikanistik, Augsburg
- Prof. Dr. Frederike Middelhoff, Germanistik, Frankfurt/Main
- Prof. Dr. Christian Rößner, Philosophie, Linz, Österreich
- Prof. Dr. Dagmar Schäfer, Wissenschaftsgeschichte China, Berlin
- Prof. Dr. Benedikt Strobel, Philosophie, Trier
Lieselotte Pongratz-Promotionspreis für herausragende Arbeiten im Bereich der Gesellschaftswissenschaften
- Prof. Dr. Jens-Hinrich Binder, Jura, Tübingen
- Prof. Dr. Monika Eigmüller, Soziologie, Flensburg
- Prof. Dr. Bernd Grzeszick, Jura, Heidelberg
- Prof. Dr. Jochen Kaiser, Psychologie, Frankfurt/Main
- Prof. Dr. Eva Neidhardt, Psychologie, Koblenz
- Prof. Dr. Farzad Saidi, VWL, Bonn
- Prof. Dr. Andreas Vasilache, Politikwissenschaften, Bielefeld
Friedrich Hirzebruch-Promotionspreis für herausragende Arbeiten im Bereich der Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften
- Prof. Dr. Thorsten Bach, Chemie, München
- Prof. Dr. Silke Biermann, Physik, Paris
- Prof. Dr. Olaf Eisen, Geowissenschaften, Bremerhaven
- Prof. Dr. Gerd Faltings, Mathematik, Bonn
- Prof. Dr. Felix Joos, Informatik, Heidelberg
- Prof. Dr. Xin Li, Mathematik, Glasgow
- Prof. Dr. Michael Saliba, Materialwissenschaften, Stuttgart
- Prof. Dr. Anett Schallmey, Biotechnologie, Braunschweig
- Prof. Dr. med. Dr. Esther G. C. Troost, Medizin, Dresden