Preisträger:innen der Promotionspreise 2022
Friedrich Hirzebruch-Promotionspreis: Dr. Annabelle Bohrdt
Die Physikerin Annabelle Bohrdt erhält den Friedrich Hirzebruch-Promotionspreis 2022. In ihrer Arbeit nutzt sie Verfahrensweisen der Vielteilchentheorie in Kombination mit maschinellem Lernen und entwickelt daraus ein mächtiges neues Werkzeug zur theoretischen Modellierung von Quantenmaterialien.
Dr. Annabelle Bohrdt wird für ihre Dissertation „Probing strongly correlated many-body systems with quantum simulation“ im Fach Theoretische Physik an der Technischen Universität München mit dem Friedrich Hirzebruch-Promotionspreis 2022 ausgezeichnet.
Die methodisch sehr innovative Arbeit leistet einen wesentlichen Beitrag zur theoretischen Modellierung von Quantenmaterialien. Bisher können Wechselwirkungen von wenigen Teilchen berechnet werden, was jedoch zum Verständnis von Stoff- und Materialeigenschaften nicht ausreicht. Wechselwirkende Quanten-Vielteilchen-Systeme sind dagegen schwer zu beschreiben und zu berechnen – dies gelingt Bohrdt nun durch die Kombination von Methoden der quantenmechanischen Vielteilchentheorie mit denen des maschinellen Lernens. Hiermit trägt die Physikerin zum Verständnis des Mechanismus bei, der sich hinter dem Phänomen der Hochtemperatur-Supraleitung in Kupferoxiden verbirgt – ein seit Jahrzehnten ungelöstes Rätsel. Die Jury zeigte sich gleichermaßen beeindruckt von der methodischen Vielfalt und der Originalität der Arbeit, die ausgehend von theoretischen Konzepten neue experimentelle Zugänge eröffnet.
Bohrdt studierte Theoretische Physik an der Technischen Universität Kaiserslautern und war während ihrer Doktorarbeit an der Technischen Universität München von 2016 bis 2018 Research Fellow in Harvard. Sowohl während ihres Studiums als auch während der Promotion erhielt sie ein Stipendium der Studienstiftung. Ihre Erkenntnisse wurden bereits in renommierten Journalen wie „Science“ publiziert und finden Eingang in Kollaborationsprojekte internationaler Forschungsgruppen und Unternehmen wie dem Google Quantum Computing Team in Santa Barbara und dem Max Planck Institute of Quantum Optics. Seit 2021 forscht sie am Harvard Smithsonian Center for Astrophysics an der Harvard Universität in Cambridge.
Jury
- Prof. Dr. Thorsten Bach, Chemie, München
- Prof. Dr. Silke Biermann, Physik, Paris
- Prof. Dr. Olaf Dössel, Medizintechnik, Karlsruhe
- Prof. Dr. Dorothea Fiedler, Molekulare Pharmakologie, Berlin
- Prof. Dr. Elina Fuchs, Physik, Genf
- Prof. Dr. Xin Li, Mathematik, Glasgow
- Prof. Dr. Nadine Große, Mathematik, Freiburg
- Prof. Dr. Hansjörg Küster, Geobotanik, Hannover
- Prof. Dr. Ina Schaefer, Informatik, Braunschweig
- Prof. Dr. med. Dr. Esther G. C. Troost, Medizin, Dresden
Lieselotte Pongratz-Promotionspreis: Dr. Richard Schweitzer
Mit dem Lieselotte Pongratz-Promotionspreis 2022 wird Richard Schweitzer ausgezeichnet. Der Psychologe entwickelte in seiner Arbeit einen neuartigen Ansatz zur Bedeutung und Funktion von schnellen Augenbewegungen.
Dr. Richard Schweitzer wird für seine Dissertation „Perceptual and Motor Consequences of Intra-saccadic Perception“ im Fach Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Lieselotte Pongratz-Promotionspreis 2022 ausgezeichnet.
Mit seiner Dissertation hat Richard Schweitzer einen neuen Ansatz zur Bedeutung und Funktion von schnellen Augenbewegungen (sogenannten Sakkaden) in der menschlichen Wahrnehmung entwickelt, wie die Jury in ihrer Würdigung der Arbeit feststellt. Diese Blickbewegungen sind die wahrscheinlich häufigsten und schnellsten aller menschlichen Bewegungen. Bisher nahm die Forschung an, dass mit der Ausführung der Sakkade ein Wahrnehmungsausfall einhergeht. In seiner Arbeit belegt Schweitzer dagegen, dass das Gehirn die visuelle Information von Blickbewegungen nicht als Störfaktor eliminiert, sondern sie aktiv nutzt, um Raumstabilität zu erzeugen. Die Jury hob insbesondere die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der Arbeit hervor, mit der sich Schweitzer an eine Neuinterpretation des menschlichen Sehens wage. Mit seiner Arbeit beschreite Schweitzer einen innovativen Weg der Erforschung der menschlichen Informationsverarbeitung und gebe neue Impulse für das Verständnis unserer Wahrnehmung. Sein methodischer Ansatz sei bahnbrechend ebenso wie seine Erkenntnisse, die das Forschungsfeld nachhaltig verändern werden.
Schweitzer studierte im Bachelor Psychologie an der Universität Potsdam und im Master „Mind and Brain“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Schweitzer erhielt während seiner Promotion an der HU Berlin ein Promotionsstipendium der Studienstiftung. Seit 202o forscht er am Exzellenzcluster „Science of Intelligence“ in Berlin.
Jury
- Prof. Dr. Monika Eigmüller, Soziologie, Flensburg
- Prof. Dr. Johannes Grave, Kunstgeschichte, Jena
- Prof. Dr. Regina Grundmann, Judaistik, Münster
- Prof. Dr. Delia González de Reufels, Geschichte, Bremen
- Prof. Dr. Valentin Lang, VWL, Mannheim
- Prof. Dr. Katharina Lugani, Jura, Düsseldorf
- Prof. Dr. Gesine Manuwald, Latinistik, London
- Prof. Dr. Annika McPherson, Amerikanistik, Augsburg
- Prof. Dr. Frederike Middelhoff, Germanistik, Frankfurt/Main
- Prof. Dr. Eva Neidhardt, Psychologie, Koblenz-Landau
- Prof. Dr. Christian Rößner, Philosophie, Linz, Österreich
- Prof. Dr. Dagmar Schäfer, Wissenschaftsgeschichte China, Berlin
- Prof. Dr. Heike Schweitzer, Jura, Berlin
- Prof. Dr. Benedikt Strobel, Philosophie, Trier
- Prof. Dr. Andreas Vasilache, Politikwissenschaften, Bielefeld
Johannes Zilkens-Promotionspreis: Cornelia Pierstorff
Wie ein literarischer Text im Erzählen eine eigene Welt erzeugt, untersuchte Cornelia Pierstorff am Beispiel des Erzählwerks Wilhelm Raabes. Mit ihrer Dissertation hat die Literaturwissenschaftlerin ein Referenzwerk für die Realismusforschung geschaffen und wird mit dem Johannes Zilkens-Promotionspreis für Geisteswissenschaften 2022 geehrt.
Cornelia Pierstorff erhält für ihre Dissertation „Ontologische Narratologie. Welt erzählen bei Wilhelm Raabe“ im Fach Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich den Johannes Zilkens-Promotionspreis 2022.
Die Arbeit setzt an der Frage an: Was ist erzählte Welt und wie „machen“ Erzähltexte die Welt, von der sie erzählen? Pierstorff befasst sich mit grundlegenden Fragen der Erzähl- und Fiktionstheorie und verbindet diese gewinnbringend zu einer neuen Narratologie des „Worldmaking“. Ergänzt und unterfüttert werden ihre theoretischen Ausführungen durch Einzelanalysen der realistischen Prosa Wilhelm Raabes zwischen 1856 und 1902. Das Problemfeld der „Erzählbarkeit” und der „erzählten Welt“ werde dabei über das konkrete Korpusbeispiel hinaus systematisch operationalisiert und für andere Philologien anwendbar, hebt die Jury in ihrer Begründung hervor. Mit ihrer Arbeit und dem Vorschlag einer „ontologischen Narratologie“ leiste die Literaturwissenschaftlerin einen wegweisenden Beitrag zur Erzählforschung im breiten Kontext historischer, soziologischer, psychologischer und kultureller Dimensionen der Moderne. Die Arbeit ebne nicht nur der Raabe-Forschung neue Wege, sondern werde ein Standardwerk für die Realismus- und Erzähltextforschung.
Pierstorff studierte im Bachelor Geschichtswissenschaft und Philosophie sowie im Master Literatur- und Kulturtheorie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie erhielt während ihrer Promotion an der Universität Zürich ein Promotionsstipendium der Studienstiftung. Seit 2021 forscht Pierstorff als Oberassistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich.
Jury 2022
Die Jury des Johannes Zilkens-Promotionspreises entspricht der o.g. Jury des Lieselotte Pongratz-Promotionspreises.