Ehemalige /
90 Jahre, 90 Köpfe
Anlässlich des 90-jährigen Jubiläums der Studienstiftung entstand zwischen 2015 und 2018 die Porträtreihe „90 Jahre, 90 Köpfe“. Auf dieser Seite haben wird die Beiträge archiviert. Zudem stellen wir Ihnen die Broschüre von 2018 als Download zur Verfügung.
Am 29. Januar 1925 wurde die Studienstiftung des deutschen Volkes als Teil der Wirtschaftshilfe (heute: Deutsches Studentenwerk) gegründet. Seitdem fördert sie – mit 14-jähriger Unterbrechung zwischen 1934 und 1948 – Studierende, deren Begabung und Persönlichkeit besondere Leistungen im Dienst der Allgemeinheit erwarten lassen. Derzeit umfasst das Ehemaligennetz der Studienstiftung gut 65.000 Alumni. Ihren 90. Gründungstag im Januar 2015 hat die Studienstiftung zum Anlass genommen, hinter diese beeindruckenden Zahlen zu schauen und exemplarisch Biografien von Ehemaligen in den Blick zu nehmen und auf ihrer Webseite vorzustellen. Über einen Zeitraum von rund drei Jahren entstand so die Porträtserie „90 Jahre, 90 Köpfe“, die nunmehr auch als Broschüre (PDF, 14 MB) vorliegt.
Die Menschen, die wir Ihnen hier vorstellen, stammen aus allen Generationen von Studienstiftlerinnen und Studienstiftlern, haben verschiedenste Studienhintergründe und stehen für eine große Breite von innerhalb des demokratischen Spektrums verankerten politischen, religiösen und weltanschaulichen Haltungen. Die Porträtierten eint, dass sie sich mit Hartnäckigkeit, Neugier und Mut für ihre Anliegen einsetzen, sich mit Bestehendem nicht zufriedengeben und unsere Gesellschaft auf ihre je eigene Weise mitgestalten. Dabei fragen, denken und handeln sie weiter und weitreichender als viele andere – ob in der Wissenschaft oder der Kunst, ob in der Politik, einem Unternehmen oder im gemeinnützigen und öffentlichen Sektor. Die Porträts geben dabei nicht zuletzt Einblicke, in welcher Weise die Studienstiftung Entwicklungen fördern konnte oder, insbesondere in den frühen Fördergenerationen, ein Studium durch das Stipendium überhaupt erst möglich wurde.
Dass eine hohe kognitive Begabung, gepaart mit besonderer Sensibilität für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, menschlich wie politisch auch in die Irre führen kann, das zeigen die Biografien derjenigen RAF-Terroristen, die die Studienstiftung zu ihren Alumni zählt und von denen in dieser Reihe Ulrike Meinhof vorgestellt wird. Ihr Werdegang macht exemplarisch die Grenzen deutlich, an die Begabtenförderung mit ihrem Angebot der individuellen Begleitung und mit ihren Vorhersagen über die weitere Entwicklung junger Persönlichkeiten stoßen kann. Dennoch – oder gerade deswegen – ist und bleibt es eine der zentralen Aufgaben der Studienstiftung, junge Menschen mit besonderen Potenzialen auf das Gemeinwohl zu orientieren, sie zu Menschenfreundlichkeit und Respekt vor den Haltungen (und erst recht vor der Unversehrtheit) anderer und nicht zuletzt zu Demut und Einsicht in die eigenen Grenzen zu ermutigen.
Bei allem Bemühen um Repräsentativität und Vielfalt haftet einer Auswahl wie dieser immer auch ein Anteil von Willkür und Subjektivität an. Wir hoffen dennoch, dass die Serie auf Ihre Neugierde und Ihr Interesse trifft und dass die hier vorgestellten Ehemaligen Sie mit ihren Lebenswegen und ihren An- und Einsichten inspirieren und hier und da auch überraschen können.
Allen Porträtierten danke ich von Herzen für ihre Mitwirkung an dieser Veröffentlichung!
Bonn im Dezember 2018
Dr. Annette Julius
Portraitserie
- Name
- Svenja Flaßpöhler
- Jahrgang
- 1975
- Förderzeitraum
- 2002-2005
- Beruf
- Philosophin, Journalistin, Autorin, Chefredakteurin des »Philosophie Magazins«
Für »die großen und kleinen Fragen des Lebens« interessiert sich Svenja Flaßpöhler nicht erst, seit sie stellvertretende Chefredakteurin des »Philosophie Magazin« ist. Schon in ihren Büchern hat sich die Philosophin mit dem Verhältnis von Eifersucht und Liebe, mit Sterbehilfe oder Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft auseinandergesetzt. Während ihrer Promotion erhielt sie ein Stipendium der Studienstiftung. Für die Serie »90 Jahre, 90 Köpfe« hat sie ihre Eindrücke als Stipendiatin zusammengefasst.
Als mein Doktorvater zum ersten Mal die Studienstiftung des deutschen Volkes erwähnte, dachte ich spontan: Das ist nur was für Kinder aus Arzthaushalten, die mindestens ein Musikinstrument spielen, Goethes »Faust« schon mit 15 gelesen haben und sich beim Essen Servietten auf den Schoß legen. Ich selbst komme aus einer Familie, in der Geld immer ein Thema war und in der, um Musik zu machen oder in einem Buch zu versinken, viel zu viel gestritten wurde.
Wegweisendes Doktorandenforum
2003 reiste ich als frisch gebackene Stipendiatin zu meinem ersten Doktorandenforum nach Westfalen. Am Bahnhof in Hamm, wo ich umsteigen musste, sah ich einen großen, breitschultrigen Mann am Gleis stehen, Kapuzenpulli, Jeans, Rucksack. Wie wir ins Gespräch kamen, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls stellte sich schnell heraus, dass auch er als Stipendiat nach Schwerte reiste. Auf der Fahrt unterhielten wir uns über unsere Themen: Er promovierte über das Motiv der Apokalypse im Rap, ich über Pornografie und Moderne.
Der »breitschultrige Mann«, Florian Werner, ist heute mein Ehemann. Im März 2015 haben wir unser zweites Kind bekommen. Einige der Stipendiaten, die damals in Schwerte waren, zählen zu meinen engsten Freunden.
Unbändige Lust am Denken
Das Wochenende im Haus Villigst hat mein Leben aber nicht nur deshalb nachhaltig und tief beeinflusst. Drei Tage lang war ich mit Menschen zusammen, die (wie ich) mit sich haderten, zweifelten, grübelten – und gleichzeitig eine kaum zu bändigende Lust am Denken hatten. Die Studienstiftung hat mir ermöglicht, dieser Lust auch nach dem Ende der Förderung zu folgen. Mein Vertrauensdozent Burghardt Wittig empfahl mich einem befreundeten Redakteur beim Deutschlandfunk. Sechs Jahre lang schrieb ich als freie Autorin Essays und Features für den Sender. Aus meinem ersten Feature wurde wenig später mein erstes nicht-akademisches Buch: »Mein Wille geschehe. Sterben in Zeiten der Freitodhilfe«, ausgezeichnet mit dem Arthur-Koestler-Preis.
Philosophische Großprojekte
2011 erhielt ich eine wegweisende Mail, wiederum von einem ehemaligen Studienstiftler, den ich auf einem weiteren Doktorandenforum kennengelernt hatte: Es gebe da ein »journalistisches Großprojekt«, ob ich Lust hätte, dabei zu sein? Seit 2011 leite ich mit Wolfram Eilenberger das »Philosophie Magazin«, er als Chefredakteur, ich als seine Stellvertreterin. Gemeinsam mit ihm sowie Gert Scobel (3Sat) und Jürgen Wiebicke (WDR) gestalte ich überdies seit 2013 das Programm der »phil.cologne«, des größten philosophischen Festivals in Deutschland. Ebenfalls seit 2013 bin ich, neben Barbara Vinken und Ina Hartwig, Sachbuch- und Literaturkritikerin in der 3Sat- »Buchzeit«. Zum Bücherschreiben bleibt mir aufgrund meiner Festanstellung nicht mehr viel Zeit, was ich manchmal bedauere. 2016 ist mein letztes Buch zum Thema »Verzeihen. Vom Umgang mit Schuld« erschienen.
Es wäre natürlich falsch zu sagen, dass ich der Studienstiftung »alles« verdanke. Doch hat sie durch ihr Vertrauen in mich dazu beigetragen, dass ich den gefühlten Herkunftsmakel umdeuten konnte. Die Bodenlosigkeit, die ich als Kind so oft empfand, ist meine Inspirationsquelle. Ohne sie wäre ich nicht, was ich heute bin.
Stand: 2018
- Name
- Petra Gerster
- Jahrgang
- 1955
- Förderzeitraum
- 1979-1982
- Beruf
- Journalistin, Fernsehmoderatorin
- Aus dem Lebenslauf
- 1996 Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus, 1998 Goldene Kamera für Glaubwürdigkeit im TV, 1999 Medienpreis Bambi
Sie ist das Gesicht der ZDF-Nachrichten: Seit 1998 moderiert Petra Gerster die »heute«-Sendung um 19 Uhr. über ihre Arbeit sagte sie in einem Interview einmal: »Informationen glaubwürdig und topaktuell zu liefern, das ist jedes Mal eine Herausforderung. Es ist immer wieder toll, so eine geballte Teamleistung präsentieren zu dürfen.«
Die Selbstverständlichkeit und das Selbstbewusstsein, mit dem Gerster vor der Kamera steht, hat sich die ZDF-Anchorwoman über Jahre hinweg erarbeiten müssen – einen Teil des Weges hat die Studienstiftung sie dabei begleitet: »Die Aufnahme in die Studienstiftung ist für mein berufliches Leben von immenser Bedeutung: Wie viele Frauen meiner Generation war ich nicht mit besonders großem Selbstbewusstsein gesegnet, hielt mich für eher durchschnittlich. Dazu hatte sicher auch die Schule beigetragen, ein konservatives altsprachliches Gymnasium mit nur wenigen Mädchen, die eher gelitten als geschätzt waren. Meine Leistungen waren auch nur in Deutsch überzeugend, in Griechisch und Mathematik deutlich weniger«, erzählt Petra Gerster, die 1955 in Worms geboren wurde und 1973 ihr Abitur besteht.
Förderung auch ohne Einser-Abitur
Zum Wintersemester 1973 / 74 fängt Gerster an der Universität Konstanz an zu studieren: Endlich darf sie sich auf das konzentrieren, was sie interessiert: Literaturwissenschaft, Germanistik und Slawistik. Sie lernt Russisch, denn bereits als Schülerin verfolgt sie intensiv die Ostpolitik Willy Brandts und setzt »große Hoffnungen auf eine weltweite Entspannung«.
Sie besucht einen Russisch-Sprachkurs der Studienstiftung im österreichischen Eisenstadt und reist im Verlauf ihres Studiums dreimal in die Sowjetunion. Gerster denkt darüber nach, eines Tages vielleicht selbst in der »Zusammenarbeit beider Länder im kulturellen Bereich« mitzuwirken.
Wegweisend für sie ist die Begegnung mit Wolfgang Preisendanz, einer der sieben Gründungsprofessoren der Universität Konstanz: »Ich stieß auf einen Professor, der mein wichtigster Lehrer wurde. Bei ihm habe ich nicht nur lesen, sondern auch denken gelernt«, so Gerster.
Preisendanz ist es auch, der die Studentin der Studienstiftung vorschlägt: »Das allein empfand ich schon als Ritterschlag. Dass mich die Studienstiftung aber auch aufnahm – ohne Einser-Abitur – hat mich geradezu beflügelt. Dafür bin ich der Studienstiftung bis heute dankbar.«
Die Sommerakademie 1979 in Alpbach nutzt die Stipendiatin nicht nur, um Gleichgesinnte kennenzulernen, sondern um – eher beiläufig – auch auf ein Thema für die angestrebte Promotion zu stoßen: »Das Motiv der Reise, das in der Arbeitsgruppe hauptsächlich in der romantischen Literatur untersucht wurde, möchte ich als bestimmendes Motiv auch der neuesten Gegenwartsliteratur weiter verfolgen. Genauer gesagt, fasse ich die spezifische Bedeutung der Italienreise für die Deutschen als mögliches Promotionsthema ins Auge.«
Paris als Wegweiser
Kurz vor Abschluss ihres Staatsexamens und Magisters entscheidet sie sich erneut fürs Ausland – dieses Mal orientiert sie sich gen Westen und studiert von 1981 bis 1982 mit Unterstützung der Studienstiftung am Institut Catholique de Paris: »Die neun Monate in Paris waren zweifellos der Höhepunkt meines Studiums. Ein ganz besonderes Privileg und die Chance, dort auch für meinen späteren Beruf als Journalistin wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Vor allem aber lernte ich dort auch meinen Mann kennen, die wichtigste Erfahrung von allen«, resümiert die Journalistin und zweifache Mutter.
Eigentlich hatte sie sich für das Auslandsstudium entschieden, um die Promotion vorzubereiten: »Unbewusst erschien mir dieses Jahr doch als Entscheidungsspielraum essenziell zu sein, als Perspektivenwechsel, der eine vielleicht objektivere Prüfung der wirklichen Wünsche meiner Zukunft herbeiführen würde.«
Tatsächlich gibt die Stipendiatin die Promotionspläne auf und begründet diesen Schritt gegenüber der Studienstiftung: »Je intensiver ich ins Französische hineinkomme und mich mit Franzosen und anderen Ausländern umgebe, desto mehr interessiere ich mich automatisch wieder für Politik und Geschichte; und je faszinierter ich mich dem Kino und jetzt auch verstärkt dem Theater zuwende, desto geringer wird meine Motivation, mich mit einem rein literaturtheoretischen Thema zu befassen, dessen Relevanz mir plötzlich, mitten in diesem ganz intensiven Leben und Erleben hier, ganz fragwürdig geworden ist. Ich habe Lust zu schreiben, aber nicht wissenschaftlich, für eine Unibibliothek, sondern direkt am Geschehen teilnehmend und unmittelbaren Einfluss ausübend.«
Und sie behält recht: Gerster volontiert 1983 beim »Kölner Stadtanzeiger«, arbeitet ab 1985 in der WDR-Nachrichtenredaktion und moderiert dort ab 1987 die »Aktuelle Stunde«. 1989 wechselt sie zum ZDF. In »ML Mona Lisa«, dem weltweit ersten TV-Frauenjournal, greift sie zehn Jahre lang als Redakteurin und Moderatorin Tabu-Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Gewalt gegen Frauen und Mütterfeindlichkeit auf.
Und sie behält recht: Gerster volontiert 1983 beim »Kölner Stadtanzeiger«, arbeitet ab 1985 in der WDR-Nachrichtenredaktion und moderiert dort ab 1987 die »Aktuelle Stunde«. 1989 wechselt sie zum ZDF. In »ML Mona Lisa«, dem weltweit ersten TV-Frauenjournal, greift sie zehn Jahre lang als Redakteurin und Moderatorin Tabu-Themen wie Schwangerschaftsabbruch, Gewalt gegen Frauen und Mütterfeindlichkeit auf.
1998 wird sie schließlich das Gesicht der »heute«-Sendung. Für ihre Arbeit erhält die Journalistin zahlreiche Preise und Auszeichnungen. So wird sie 1996 mit ihrer Kollegin Maria von Welser für »ML Mona Lisa« mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus geehrt. 1998 folgt die Goldene Kamera für Glaubwürdigkeit im TV, 1999 wird die Nachrichtenmoderatorin für ihre »heute«-Präsentation mit dem Burda-Medienpreis, dem Bambi, ausgezeichnet.
Studienstiftung als Wegbegleiter
»Die Studienstiftung hat meinen Berufsweg insofern mit zu ›verantworten‹, als dass ich ohne sie nicht das Selbstbewusstsein gehabt hätte, mich im Männerberuf Journalismus – damals lag der Frauenanteil bei zehn Prozent – und dann auch noch bei den ›harten‹ Nachrichten auf Dauer durchzusetzen«, sagt die ZDF-Moderatorin.
Der Journalistin war und ist es bis heute wichtig, dass sie von den Möglichkeiten, die sie erhalten hat, etwas an die Gesellschaft zurückgibt: »Begabung verpflichtet, und die Förderung durch eine Stiftung verpflichtet ebenso. Mir war immer klar, dass ich aus all den Chancen, die ich bekommen habe, etwas machen musste. Vor allem wollte ich daran mitwirken, dass es Mädchen und Frauen mal leichter haben sollten, nach oben zu kommen. Das ist mir in der Kombination von Journalismus und Feminismus vielleicht ein wenig gelungen – beispielsweise in den zehn Jahren beim ZDF- Frauenmagazin »Mona Lisa«. Und in den 18 Jahren, die ich seitdem als Frontfrau bei den »heute«-Nachrichten arbeite, habe ich den ›Frauen-Themen‹ sicher auch ein wenig voranhelfen können.«
Stand: 2018
- Name
- Peter Scholze
- Jahrgang
- 1987
- Förderzeitraum
- 2007-2010
- Beruf
- Mathematiker, Direktor am Max-Planck Institut für Mathematik
- Aus dem Lebenslauf
- Im Alter von 30 Jahren erhält Scholze als zweiter Deutscher die Fields-Medaille
Wer Peter Scholze im Hausdorff Center for Mathematics in Bonn trifft, ist vielleicht erstaunt: Der 31-Jährige in T-Shirt und Jeans ist kein Student, sondern wurde mit 24 Jahren Deutschlands jüngster Professor, ein in seinem Fachgebiet weltweit führender und bereits vielfach mit Preisen ausgezeichneter Mathematiker – zuletzt mit der Fields-Medaille, die als höchste Auszeichnung gilt, die ein Mathematiker erhalten kann.
Ein Taschenrechner als Spielzeug
Geboren 1987 in Dresden, wächst Peter Scholze in Berlin auf. Von Beginn an ist klar, dass er für Zahlen brennt: »Ich spielte leidenschaftlich gerne mit dem Taschenrechner, den mir meine Schwester geschenkt hat, und lernte so bereits vor der Schule das Rechnen«, schreibt er in seinem Lebenslauf für die Studienstiftung. Diese Leidenschaft verdankt Peter Scholze auch seinen Eltern. Der Vater ist Physiker, die Mutter Informatikerin. Schon in der Grundschule nimmt er an seinem ersten Mathematik-Wettbewerb teil. Die Aufgaben lösen in ihm eine Begeisterung aus, die ihn seitdem nicht mehr loslässt.
Seine Schule gilt als Kaderschmiede
Peter Scholze besucht die Heinrich-Hertz-Oberschule in Friedrichshain, die in der DDR als Kaderschmiede für Mathematik und Naturwissenschaften galt. Schon sein Vater ging hierhin. Und auch er ist glücklich an dieser Schule: Hier trifft er auf Gleichgesinnte, die sich wie er für Mathematik begeistern. Neben dem Unterricht besucht Peter Scholze die Mathematik-AG und die Mathematische Schülergesellschaft an der Humboldt-Universität. Als 13-Jähriger gewinnt er seinen ersten Wettbewerb: die Berliner Runde der Mathematik-Olympiade.
Von da an gewinnt Peter Scholze alle nationalen Meisterschaften vom Schul- bis zum Bundeswettbewerb. Es folgen drei Gold- und eine Silbermedaille bei der Internationalen Mathematik-Olympiade. Schon jetzt ist er sich sicher: »Ich will Mathematik studieren und Professor werden.«
Eine Welt der Zahlen
Sein ganzes Leben dreht sich jetzt um Mathematik. Er liest Fachbücher und wissenschaftliche Artikel, täglich und mehrere Stunden lang. Selbst wenn er in der U-Bahn sitzt, denkt er über Problemstellungen und Lösungswege nach.
Peter Scholze will Zusammenhänge verstehen und Probleme lösen. »Die Mathematik ist bereits da, es geht darum, sie zu entdecken«, sagt er. Peter Scholze ist so gut, dass er in der 11. Klasse vom Mathematikunterricht freigestellt wird. Stattdessen besucht er Seminare und Vorlesungen an der FU Berlin. Die Schule beendet er quasi nebenbei – mit einem Abitur-Schnitt von 1,0. Nebenher spielt er Gitarre in einer Band – und er bereitet Mitschüler auf deren Teilnahme an Mathematik-Wettbewerben mit vor. Dabei will er vermitteln, wie viel Spaß Mathematik macht. Peter Scholze strahlt diese Leichtigkeit aus.
Studium und Promotion auf der Überholspur
Nach seinem Abitur 2007 geht er zum Mathematikstudium an die Universität Bonn. Seine Zusage für ein Stipendium der Studienstiftung hat er da schon längst in der Tasche: Mit dem Gewinn des Bundeswettbewerbs Mathematik im Alter von 16 Jahren erhielt er die Förderzusage. In Bonn werden seine Studienleistungen aus Berlin angerechnet, so dass er nach drei Semestern »regulären« Studiums seinen Bachelorabschluss erhält, nach weiteren zwei Semestern den Masterabschluss.
2012 promoviert Peter Scholze zum Thema Perfectoid Spaces bei Michael Rapoport. Ein schwieriges, ein sehr anspruchsvolles Thema: Peter Scholze ist auf der Suche nach einer Theorie, einem Zusammenhang, den andere nicht sehen. Es gelingt ihm. Er stellt eine neue Theorie zur Beschreibung von p-adischen Räumen auf. Mit Hilfe dieses neuen Ansatzes kann er unter anderem ein wichtiges Theorem seines Bonner Kollegen Gerd Faltings, dem ersten deutschen Träger der Fields-Medaille und ebenfalls Alumnus der Studienstiftung, verallgemeinern und neue geometrische Interpretationen für Räume liefern, die sein Doktorvater Michael Rapoport erstmals beschrieben hatte. Er erweitert damit das Methodenspektrum der Mathematik ganz wesentlich und unerwartet. Seine Doktorarbeit ist noch nicht abgeschlossen, da werden seine Ideen bereits an den besten Hochschulen der Welt diskutiert. Es ist der erste Fortschritt auf diesem Gebiet seit über 30 Jahren.
Jüngster Professor Deutschlands
Im gleichen Jahr beruft ihn die Bonner Universität auf einen Lehrstuhl am Hausdorff Center for Mathematics. Damit wird Peter Scholze, ohne formale Habilitation, mit nur 24 Jahren zum jüngsten Professor in Deutschland berufen. Bereits ein Jahr zuvor war er in das renommierte Clay-Fellowship-Programm aufgenommen worden, das es jungen Mathematikern ermöglicht, Forschungsvorhaben an einem beliebigen Ort der Welt zu verfolgen.
Peter Scholze nutzt diese Freiräume, um seine Forschung wesentlich weiterzuführen – und die Universität Bonn ermöglicht ihm einen schrittweisen Einstieg in die Lehrverpflichtungen. Er kann tun, was er am liebsten tut: über den Zusammenhang zwischen Zahlen und Geometrie nachdenken. »Gute Mathematik«, sagt er, »beschreibt Dinge, die im Nachhinein betrachtet unausweichlich waren.« Sein Traum ist – früh – in Erfüllung gegangen.
Seine Arbeiten zu den Langlands-Vermutungen sorgen für Aufsehen in der Fachwelt. Robert P. Langlands postulierte 1967, dass es zwischen verschiedenen Gebieten der Mathematik Verbindungen geben müsse, die es ermöglichen würden, viele bisher ungelöste Probleme aus einem Teilgebiet in ein anderes zu »übersetzen«, um diese dort dann vielleicht lösen zu können. Daraus ergaben sich zahlreiche Vermutungen über diese hypothetischen Verbindungen, die als »Langlands-Programm« bekannt wurden und an deren Beweis seitdem Mathematiker auf der ganzen Welt arbeiten. Scholze beweist Teile dieser Vermutungen mit geometrischen Methoden.
Fields-Medaille als vorläufiger Höhepunkt
Seitdem hat Peter Scholze zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen gewonnen, darunter: Ostrowski-Preis, Fermat-Preis, Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis, Akademiepreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, EMS-Preis – und, im Alter von 30 Jahren, die wohl höchste Auszeichnung der Mathematik, die Fields-Medaille.
Der Kontakt zu Schülern und Studenten ist ihm ein wichtiges Anliegen. »Ich möchte etwas von der Förderung, die ich erfahren habe, zurückgeben. Deshalb halte ich – wann immer mein Terminkalender es mir erlaubt – zum Beispiel öffentliche Vorträge für Schüler oder treffe mich bei uns am Hausdorff Center mit Praktikanten, um junge Menschen für die Welt der mathematischen Forschung zu begeistern, die man so in der Schule nicht kennt«.
Stand: 2018
- Name
- Ivan Nagel
- Lebensdaten
- 1931-2012
- Förderzeitraum
- 1953-1957
- Beruf
- Intendant, Dramaturg, Publizist
- Aus dem Lebenslauf
- Erster staatenloser Stipendiat der Studienstiftung
Als die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Ivan Nagel im Jahr 1988 mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay auszeichnet, steht in der Verleihungsurkunde der bemerkenswerte Satz: »Ivan Nagels Passion für ästhetische Fragen wird getragen von einem Engagement, das immer wieder klarmacht: Wer nur von ästhetischen Fragen etwas versteht, versteht auch von diesen nichts.«
Der 1931 in Budapest als Sohn eines Textilfabrikanten geborene Nagel war über Jahre der führende Theatermacher Deutschlands, Intendant, Dramaturg, außerdem Kritiker und Autor kluger Essays über Literatur, Theater oder Musik. Unter anderem hat er eine brillante Studie über Mozart verfasst.
Nagels prägende Grunderfahrung war die eines existenziell Verfolgten und Ausgegrenzten. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Nagel selbst fasste es in nüchternen Worten so zusammen: »Ich gehörte zu drei Minderheiten: als Jude, als Staatenloser, als Homosexueller.«
Adorno und Carlo Schmid als Fürsprecher
Nach dem Einmarsch der Nazis in Ungarn muss die jüdische Familie 1944 untertauchen. Dem Holocaust entgeht Ivan Nagel unter falschem Namen in einem Kinderheim. Vier Jahre später entzieht er sich dem Stalinismus durch Flucht in die Schweiz, da ihm als »Kapitalistenkind« ein Studium verweigert wurde.
»In vielen Sprachen zuhause, in keiner daheim«, wie es 2012 in einem Nachruf auf den Theatermacher heißt, absolviert Nagelzunächst in Zürich das Gymnasium. Als Staatenloser studiert er anschließend in Paris und Heidelberg Germanistik und Soziologie. 1954 wechselt er an die Universität in Frankfurt am Main. Schon im Jahr zuvor nimmt die Studienstiftung den begabten jungen Mann in die Förderung auf.
Über die Umstände berichtet Nagel: »Der Philosoph Löwith, der Soziologe Rüstow aus Heidelberg hatten mich empfohlen, vor allem aber Adorno. Ihm hatte ich gleich nach dem Abitur mit weichem, verschmiertem Bleistift einen zwölf Seiten langen Brief über William Blakes Eschatologie geschrieben – er empfahl mich wahrscheinlich, um den Brief nicht ganz durchlesen zu müssen.«
In Frankfurt bleibt er dann, wie er weiter schreibt, »dank der unerschöpflichen Geduld der Studienstiftung« sechs Jahre. Mit der Aufnahme Nagels setzt die Studienstiftung ein deutliches Zeichen, denn das erste Mal überhaupt gilt die Förderung einem Staatenlosen. Allerdings drohen nun die deutschen Behörden damit, den »unerwünschten Asylanten« abzuschieben.
Erst die Intervention von Nagels Hochschullehrer und Mentor Theodor W. Adorno sowie die Fürsprache des Staatsrechtlers und SPD-Politikers Carlo Schmid wehren diese Gefahr 1955 ab. Drei Jahre später erhält Nagel die deutsche Staatsbürgerschaft.
Der Sog des Theaters
Ende der 1950er-Jahre erscheinen die ersten Literatur- und Theaterkritiken von Ivan Nagel. 1962 wechselt Nagel als Chefdramaturg an die Münchner Kammerspiele, wo er durch die Zusammenarbeit mit Fritz Kortner und durch die Verpflichtung von Peter Stein für Aufsehen sorgt.
Insbesondere Kortner wird sein Lehrmeister: »Wie ich beim Studium Adorno in Frankfurt zuhören, so wollte ich im TheaterKortner in München zuschauen.« Nach einem zweijährigen Intermezzo bei der »Süddeutschen Zeitung« übernimmt Nagel 1972 selbst eine Bühne: Für sieben Jahre wirkt er als Intendant am Hamburger Schauspielhaus. Zielstrebig verleiht er dem größten deutschen Sprechtheater ein unverwechselbares Profil.
Spielplan ohne künstlerische Kompromisse
Er engagiert Darsteller wie Barbara Sukowa, Will Quadflieg und Ulrich Wildgruber und arbeitet mit Regisseuren wie Luc Bondy, Rudolf Noelte und Claus Peymann zusammen. Auch die Inszenierungen Peter Zadeks sind längst legendär.
Da Nagels »schärfstmöglicher« Spielplan mit Uraufführungen von Autoren wie Franz Xaver Kroetz oder Botho Strauß sowie aufsehenerregende Klassikeraufführungen immer wieder in das Kreuzfeuer der konservativen Kulturkritik gerät, bittet er 1978 um vorzeitige Vertragsauflösung.
Zum Abschied veranstaltet er ein »Theater der Nationen«, aus dem 1981 das Festival »Theater der Welt« hervorgeht, dessen Gründungsdirektor Nagel wird. 1981 wechselt Ivan Nagel nochmals die Seiten und geht für zwei Jahre als Kulturkorrespondent der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« nach New York.
1985 übernimmt er noch einmal die Leitung eines großen Theaterhauses; bis 1988 führt er das Stuttgarter Schauspielhaus. Danach verlegt sich verstärkt auf die Ausbildung kommender Theaterschaffender von 1989 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 hat er den neu gegründeten Lehrstuhl für Ästhetik und Geschichte der darstellenden Künste in Berlin inne. Nach längerer Krankheit verstirbt Nagel, der 2003 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet wird, 2012 in Berlin.
Stand: 2018
- Name
- Walter Homolka
- Jahrgang
- 1964
- Förderzeitraum
- 1983-1989
- Beruf
- Rabbiner, Rektor des Abraham Geiger Kollegs und Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Universität Potsdam, Direktor des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks
- Aus dem Lebenslauf
- Hat die erste Ausbildungsstätte für Rabbiner in Deutschland seit der Shoa gegründet
»Wir sind im Unterwegs zuhause«, der Aphorismus, mit dem Walter Homolka seinen Semesterbericht im Frühjahr 1985 unterschrieb, könnte als Leitmotiv über den nur als Plural zu greifenden Lebensläufen des Rabbiners und unermüdlichen Streiters für den interreligiösen Dialog stehen.
Den »nötigen Mut zu Non-Konformismus in meinem persönlichen Lebensweg«, schreibt der 1964 in Landau an der Isar geborene Homolka in seinem Abschlussbericht im September 1989, verdanke er der Studienstiftung. Zu diesem Zeitpunkt hat Homolka bereits einen bemerkenswerten Weg hinter sich: In Jugendjahren tritt der im katholischen Landau Aufgewachsene ins Judentum ein und entscheidet sich für die Vorbereitung auf das Rabbinat, das damals nur im Ausland absolviert werden kann. Den für eine Einschreibung in London erforderlichen Bachelor erwirbt er in München mit Zustimmung des Berliner Rabbinats – in evangelischer Theologie.
Einsatz für interreligiösen Dialog
Eine ungewöhnliche Fachwahl für einen angehenden Rabbiner, die Homolka in seinem Lebenslauf an die Studienstiftung damit begründet, dass es ihm darum gehe, »das geistliche Amt im Bemühen um verständnisvollen Ausgleich und Toleranz der Religionen ausüben zu können«.
Dieses Bemühen steckt unter anderem auch hinter der von ihm in München gegründeten »Theologischen Arbeitsgemeinschaft für interkonfessionellen Dialog« oder ermutigt ihn, bei der Sommerakademie der Studienstiftung in La Villa 1985 einen evangelisch-katholisch- jüdischen Abschlussgottesdienst auf die Beine zu stellen. »Kennzeichnend für sein ganzes Leben« nennt Homolka die Begegnungen, die er bei den insgesamt fünf von ihm besuchten Akademien macht.
»Die Studienstiftung war für viele von uns eben mehr als nur ein Stipendienwerk, sie bot eine geistige Familie. Mit Verbindungen und menschlichen Beziehungen, die oft ein Leben lang hielten, in jedem Fall aber sofort eine gemeinsame Sprachebene boten, wenn man sich begegnete«, erinnert sich Homolka.
Im Unterwegs zuhause – Stationen bei Greenpeace, Deutsche Bank und Bertelsmann
Auch die zuständigen Referenten in der Geschäftsstelle der Studienstiftung schätzen die Begegnungen, die »monumentale Dichte« der Studienberichte. Und so steht mit der Verabschiedung aus der aktiven Förderung 1989 die Hoffnung im Raum, auch weiterhin voneinander zu hören: Schließlich sei man, so heißt es im Abschiedsbrief an Homolka, »gemeinsam durch so viele geistige Räume gereist«.
Dem Wunsch, von sich hören zu lassen, kommt Walter Homolka mit regelmäßigen Publikationen sowie eineröffentlich nachvollziehbaren Karriere leicht nach: Nach dem »Baccalaureus theologiae seu divinitatis« in München folgen das Rabbinerstudium in London, 1992 die theologische Promotion dort am King’s College sowie der Master of Philosophy in Judaistik 1993 am St. David’s University College Lampeter.
Dazwischen liegt eine Karriere als Investmentbanker mit Zuständigkeit für ethisch-ökologische Investmentfonds, im Management bei der Bertelsmann Buch, als Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und bei der Deutschen Bank als Leiter der Kultur-Stiftung und Alfred Herrhausen Gesellschaft.
Aufbauarbeit: Abraham Geiger Kolleg und Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk
1999 gründet er an der Universität Potsdam das Abraham Geiger Kolleg, die erste Ausbildungsstätte von Rabbinern und Kantoren in Deutschland seit dem Holocaust. 2007 wird er Honorarprofessor für Judaistik,2013 schließlich gelingt ihm die Gründung der School of Jewish Theology in Potsdam als erster jüdisch-theologischer Einrichtung mit Fakultätscharakter an einer europäischen Universität.
2014 folgt die Berufung auf den Lehrstuhl für jüdischeReligionsphilosophie der Neuzeit mit Schwerpunkt Denominationen und interreligiöser Dialog, 2015 seine philosophische Promotion an der University of Wales Trinity Saint David.
Aktuell ist Homolka – auch hier: unter anderem – geschäftsführender Direktor an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam. In zahlreichen Gremien, wie dem Direktorium des von ihm mitinitiierten Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg oder dem Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken wirkt Homolka als Mittler zwischen den Religionen.
Bei der Gründung des Ernst Ludwig Ehrlich Studien- werks als einem von 13 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Begabtenförderungswerken in Deutschland steht Homolka nicht zuletzt auch die eigene Fördererfahrung vor Augen: »Für mich war die Förderung der Studienstiftung ein wirklicher Glücksfall und zentral für meine ganze Entwicklung. Begabung als Verantwortung für die Allgemeinheit zu begreifen, ist keine Selbstverständlichkeit. Diesem hohen Anspruch im eigenen Leben gerecht zu werden, hat mir immer wieder viel Kraft und manches Opfer abgefordert. Einige Kämpfe waren nötig, um den eigenen Prinzipien treu zu bleiben und das als richtig Erkannte nicht aus den Augen zu verlieren. Ohne die Erfahrung der Studienstiftung hätte ich vielleicht mein Lebensziel nicht erreicht. Deshalb habe ich 2009 das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk gegründet: um für Hochbegabte der jüdischen Gemeinschaft einen ähnlichen Raum der geistigen Entfaltung und Förderung zu schaffen. Kann es eine schönere Liebeserklärung an die Studienstiftung geben?«
Stand: 2018
- Name
- Zoë Beck
- Jahrgang
- 1975
- Förderzeitraum
- 1994 - 2000
- Beruf
- Schriftstellerin, Verlegerin, Übersetzerin
- Aus dem Lebenslauf
- 2010 Friedrich-Glauser-Preis „Bester Kurzkrimi“, 2014 Krimipreis von Radio Bremen, 2016 Deutscher Krimipreis
Sie hat ein Motiv, Gelegenheit und die passende Waffe: Dutzende Personen haben durch sie schon den Tod gefunden – und es werden immer mehr. Zoë Beck ist Autorin von Büchern, die in Buchhandlungen vorrangig unter »Krimis« zu finden sind, die sie selbst zuallererst aber als Geschichten (mit Krimielementen) gelesen sehen will.
»Schriftstellerin als Beruf hatte ich eigentlich nie auf dem Plan. Bis ich es dann zufällig wurde«, sagt Zoë Beck, die zu Deutschlands erfolgreichsten Bestsellerautorinnen gehört. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und stehen regelmäßig auf der »Krimi-Bestenliste«, darunter ihre bekanntesten Werke »Das alte Kind«, »Brixton Hill« sowie »Schwarzblende«.
Tatsächlich sieht es anfangs so aus, als würde die gebürtige Mittelhessin einen ganz anderen Lebensweg einschlagen: Bereits als Dreijährige beginnt sie Klavier zu spielen – damals noch als Henrike Heiland. Sie nimmt an Wettbewerben teil, gewinnt Preise, erhält Auszeichnungen und gibt Konzerte.
Bücher sind für sie allerdings in der Kindheit schon genauso wichtig wie das tägliche üben am Klavier. In einem Interview sagt sie: »Mit drei warf ich mich ans Klavier, mit fünf wäre ich am liebsten ausgewandert, und irgendwann bin ich dort auch weg, allerdings im Zickzack und ohne festes Ziel. Ich habe Literatur studiert, am Theater, beim Film, in Verlagen, beim Radio und für Zeitungen gearbeitet, und jetzt schreibe ich eben Bücher.«
Und die sind immer ein Stück weit politisch orientiert: Sie schreibt über Kinderarmut, Zwangsprostitution, soziale Missstände, über Gentrifizierung, die Folgen des Thatcherismus und in »Schwarzblende« über den allgegenwärtigen Schrecken islamistischer Gewalt.
Mit ihrem 2017 erschienenen Buch »Die Lieferantin« geht sie etwas in die Zukunft und beschreibt ein Post-Brexit-London. Was nahezu alle Geschichten verbindet: Sie spielen in Großbritannien, denn Zoë Beck hat ein enges Verhältnis zum englischsprachigen Raum: Sie wächst zweisprachig auf und verbringt einen Teil ihrer Schulzeit auf der Insel.
Später studiert sie in Durham und lebt zeitweise in Newcastle, Edinburgh und London. »Es ist das Land, das mich politisiert hat. Die sozialen Unterschiede und Ungerechtigkeiten sind sehr viel deutlicher als in Deutschland. Viele der Charaktere, über die ich schreibe, passen für mich nicht nach Deutschland. Es wären sofort andere Geschichten. Deutsche Krimis hätten für mich andere Themen«, sagt Zoë Beck in einem Interview.
Mit Neugierde zum Auswahlseminar
Nach dem Abitur 1994 beginnt sie, deutsche und englische Literaturwissenschaften zu studieren und wird Stipendiatin der Studienstiftung. An das Auswahlverfahren erinnert sich die Autorin noch sehr lebhaft: Die Abiturientin erkundigt sich zunächst bei ihrem Schulleiter über die Studienstiftung. Der nimmt ihr sofort jeden Mut und empfiehlt ihr, sich gar nicht erst zu bewerben.
Doch Zoë Beck, von Natur aus ein neugieriger Mensch, lässt sich nicht beirren: »Ich fuhr ohne Hoffnung, aber mit der Absicht, ein interessantes Wochenende zu verbringen.« Die Atmosphäre unter den Teilnehmenden empfindet die junge Frau als angespannt. Und als ihr jemand erzählt, dass die Studienstiftung angeblich nur selten Anglistinnen fördere, sieht sie ihre Chancen noch tiefer sinken. »Umso größer war im Anschluss die Freude, aufgenommen worden zu sein«, erinnert sie sich.
Gesamte Persönlichkeit akzeptiert
Von Beginn an fühlt sich Zoë Beck in der Studienstiftung gut aufgehoben und betreut: »Mit meinem Vertrauensdozenten konnte ich tatsächlich über alles reden und ihn bei wichtigen Entscheidungen um Rat fragen. Mich hat vor allem überrascht, mit welchem Selbstverständnis ich mit meiner gesamten Persönlichkeit akzeptiert wurde. Ein Gefühl, das ich aus Schulzeiten und aus dem familiären Umfeld so nicht kannte und das mir sehr gut tat. Ich bin ja kein sehr einfacher Mensch und hatte schon immer etwas andere Interessen als Gleichaltrige.«
Die sechs Studienjahre führen Beck von Marburg über Bonn und Gießen nach Durham. Ihre Stipendienzeit erlebt sie sehr intensiv und als große Bereicherung: »Ich lernte viele andere Stipendiatinnen und Stipendiaten kennen, die ähnlich vielseitig interessiert waren, ähnliche Erfahrungen gemacht hatten wie ich, sich ähnliche Fragen stellten, die meinen Horizont erweiterten und mir neue Impulse gaben. Letztlich habe ich es der Studienstiftung zu verdanken, dass ich meinen doch recht eigenwilligen Weg eingeschlagen und verfolgt habe.«
Im Zickzackkurs zum Erfolg
Sie besucht ein Journalistik-Seminar in Bonn, zwei Sommerakademien in La Villa und Marienau und nimmt an einem Oxford-Treffen der im Ausland studierenden Stipendiaten teil: »Jedes Mal viel gelernt, viele gute Erinnerungen, viele tolle Leute«, resümiert sie. Während der Sommerakademie in La Villa lernt Zoë Beck den inzwischen verstorbenen Schauspieler Ulrich Wildgruber kennen. Er macht ihr in persönlichen Gesprächen Mut, sich an Theatern zu bewerben und ihre Möglichkeiten hier auszuloten.
»Ich traf ihn einige Jahre später zufällig am Theater Basel wieder, wo ich bei einer Produktion als Regieassistentin mitarbeitete, und er freute sich, dass ich offensichtlich auf ihn gehört hatte«, erzählt Beck. Ihr »Zickzackkurs« führt sie auch zum Rundfunk und zur Tagespresse, sie sammelt weitere Theater— erfahrung als Schauspieldramaturgin und Opernregieassistentin.
1999 beendet sie ihr Magisterstudium mit einer Arbeit über die US-amerikanische Krimiautorin Elizabeth George, die – ähnlich wie Beck – ihr Detektivteam in Großbritannien ermitteln lässt.
Im Anschluss arbeitet sie als freie Lektorin für KirchMedia, Bavaria Film und Columbia TriStar und betreut als Producerin internationale TV-Produktionen für KirchMedia. Bis heute hat Beck weit über 100 Drehbücher für diverse Kinder- und Jugendsitcoms geschrieben, darunter fürs ZDF und den Disney Channel. 2006 erscheint mit »Späte Rache« ihr erster Kriminalroman – damals noch unter ihrem Geburtsnamen.
Der Krebs verändert ihr Leben
Eine überstandene Krebserkrankung verändert 2007 ihr Leben. In jener Zeit wird aus Henrike Heiland Zoë Beck: »Ich habe damals einen anderen Namen angenommen, weil ich beispielsweise den ursprünglichen noch nie wirklich mochte und mich irgendwie auch mit diesem Namen in einem Kontext sah, in dem künstlerisches Schaffen weder gewünscht noch gewürdigt wurde. Außerdem wollte ich etwas anderes als zuvor schreiben, da brauchte ich einen Neustart. Auf vielen Gebieten. Hinzu kam, dass die Entscheidung in einen Zeitraum fiel, in dem ich sehr krank war und nicht wusste, wie es weitergehen würde. Zoë heißt übrigens Leben. Das passte dann irgendwie alles«, erzählt Zoë Beck in einem Interview des Blogs »Denkzeiten«.
Der Studienstiftung fühlt sich die Schriftstellerin bis heute verbunden: »Sie hat sehr viel Gutes in meinem Leben bewirkt. Ich habe ihr viel zu verdanken, also möchte ich etwas zurückgeben.« Gründe genug für die 43-Jährige, um sich in der Auswahlkommission zu engagieren, eine Arbeit, die ihr immer wieder die Begegnung mit jungen interessanten Menschen ermöglicht. »Und ich freue mich, dass der Anteil an Frauen deutlich gestiegen ist, ebenso der Anteil an Studierenden mit Migrationshintergrund und aus nicht-akademischen Elternhäusern.«
Künftigen Stipendiaten rät sie, offen für Neues zu bleiben, mit Menschen aus anderen Fachgebieten in Kontakt zu bleiben und die Angebote der ideellen Förderung wahrzunehmen: »Das Studium ist wichtig, aber sich zu öffnen für Neues, das nicht auf dem Lehrplan steht, ist mindestens genauso wichtig.«
Heute lebt Zoë Beck als Autorin, Synchronregisseurin und übersetzerin in Berlin, nutzt aber weiterhin jede Gelegenheit, um nach Großbritannien zu reisen. Sie engagiert sich darüber hinaus sehr für Frauen in der Buchbranche, sei es auf Podien, in ihren Online-Artikeln oder Blogs. Seit 2013 führt sie außerdem zusammen mit Jan Karsten einen eigenen Verlag: CulturBooks. Das so simple wie geradlinige Konzept: Veröffentlicht werden nur Bücher, die den beiden Verlegern gefallen.
Stand: 2018
- Name
- Katharina Grosse
- Jahrgang
- 1961
- Förderzeitraum
- 1981-1983 Studienförderung
- 1993-1996 Karl Schmidt-Rottluff Stipendium
- Beruf
- Künstlerin, Professorin für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf
Was an Katharina Grosses Werken als Erstes auffällt, ist die Energie der Farben. Diese Farben werden von der international renommierten Künstlerin nicht nur mit einem Pinsel, sondern auch mittels einer druckbetriebenen Sprühpistole kompromisslos auf unterschiedlichste Materialien aufgetragen.
Katharina Grosse erschafft Welten, die über den traditionellen Leinwandrahmen der Malerei weit hinaus in den Raum greifen. Welche Magie diesen Möglichkeitsräumen innewohnt, konnte unter anderem auf der 56. Biennale 2015 in Venedig erlebt werden: In der raumfüllenden Installation vibrieren die Farbpigmente, und Grosse inszeniert ihre Malerei so, dass es wirkt, als entlade sich die Farbe selbst auf den Erdaufschüttungen und Stoffbahnen.
Ein Jahr zuvor, bei der Einzelausstellung »Inside the Speaker« im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, kommen auch hiesige Interessierte in den Genuss dieser besonderen Raumerfahrungen, die Grosse mit ihren Kunstwerken erschafft. Die Bewohner Philadelphias wiederum müssen für diese Erfahrung nicht einmal ins Museum gehen, sondern lediglich ein Zugticket lösen. Die Künstlerin bemalte komplette Landschaftszüge, Warenhäuser, Zugunterführungen entlang des Bahnkorridors. Die Pendler können heute Spuren dieser Malerei sehen, die vielerorts nur aus dem Zug wahrzunehmen ist.
Für die Impulse, die Katharina Grosse mit ihren Werken auf die Gegenwartskunst ausübt, wird sie vielfach ausgezeichnet, 2014 etwa mit dem Oskar-Schlemmer-Preis, dem Großen Staatspreis für Bildende Kunst des Landes Baden-Württemberg.
Frühe Förderung
Die Energie, die die Werke Katharina Grosses prägt, lässt sich schon im Beginn ihres Werdegangs erkennen. Die 1961 in Freiburg im Breisgau geborene Künstlerin entscheidet sich zunächst für das Studium der Anglistik und Kunstgeschichte. Bereits während dieses wissenschaftlichen Studiums an der Universität in Bochum ist sie Stipendiatin der Studienstiftung. Auf die Theorie folgt der Weg in die Praxis. Sie studiert zuerst in Münster, dann in Düsseldorf bei Johannes Brus, Norbert Tadeusz und Gotthard Graubner freie Malerei.
Katharina Grosses Arbeiten fallen bereits kurz nach dem Studium durch ihre Frische, Radikalität und Energie auf, so dass sie gleich von zwei Stellen für das postgraduale Karl Schmidt-Rottluff Stipendium vorgeschlagen wird. Höhepunkt ihrer aktiven Stipendiatenzeit, die von 1993 bis 1996 dauert, ist die 1995 in der Kunsthalle Düsseldorf präsentierte Gruppenausstellung.
Die Kunst erobert den Raum
In dieser Zeit wachsen ihre Arbeiten ins Installative und erobern die sie umgebenden Räume. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Die Künstlerin verknüpft in ihren Arbeiten unterschiedlichste Texturen und räumliche Gegebenheiten. Leinwand, Steine, Erde werden genauso einbezogen wie Alltagsgegenstände, skulpturale Elemente oder die als Leinwand genutzte Wand – mit ihrer Sprühpistole entgrenzt und erweitert sie konventionelle Zuschreibungen von Oberflächen und Raum. Diese Explorationen benötigen Platz – das passende Atelier ist für die Künstlerin also eine Notwendigkeit, die sie sich während ihrer Förderzeit dank des Schmidt-Rottluff Stipendiums leisten kann, wie sie in einem ihrer Semesterberichte bemerkt.
Ihre Auseinandersetzung mit dem Medium gibt sie zunächst von 2000 bis 2010 als Professorin der Kunsthochschule Weißensee und seitdem als Professorin für Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie weiter. Gleichzeitig gibt sie die eigene Fördererfahrung auf vielfältige Weise zurück – wie in ihrem intensiven Engagement für die Künstlerförderung der Studienstiftung und das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, für die sie schon mehrfach als Jurymitglied tätig war.
Stand: 2018
- Name
- Friederike Fless
- Jahrgang
- 1964
- Förderzeitraum
- 1990-1992
- Beruf
- Archäologin, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts
- Aus dem Lebenslauf
- Erste Frau an der Spitze des Deutschen Archäologischen Instituts
Wissenschaftlerin, Managerin, Diplomatin: Für Friederike Fless »keine getrennten Rollen«, sondern einander bedingende: »Wo Archäologen auftauchen und graben, verändern sie den Raum«, sagt Fless, die 2011 zur Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) gewählt wurde.
Die 1829 gegründete wissenschaftliche Einrichtung zielt auf die Erschließung, Vermittlung und Bewahrung des kulturellen Erbes der Menschheit und unterhält weltweit Kooperationen – auch da, wo die politischen Bedingungen oder Beziehungen schwierig geworden sind. Das DAI, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird, übernimmt so auch eine wichtige kultur- und außenpolitische Vermittlerrolle.
Den Raum mit Bedeutung aufladen
»Da die Gegenstände keine ‚neutralen Gegenstände‘ sind, wie z.B. chemische Verbindungen, sondern das kulturelle Erbe in den Gastländern und das Weltkulturerbe betreffen, besitzt die Kooperation eine ganz spezifische Qualität. Und sie bekommt in dem Moment, in dem der Raum mit Bedeutung aufgeladen wird, eine kulturelle und eben auch politische Dimension. Archäologen forschen in ihren Gast- und Partnerländern nicht in abstrakten sterilen Laborsituationen, sondern in komplexen politischen und gesellschaftlichen Kontexten«, erläutert Fless im Gespräch mit der Universität Trier.
Genau hier nimmt die 1964 in Unna geborene Friederike Fless 1983 ein Studium der Kunstgeschichte auf, in den Nebenfächern: Klassische Archäologie und Geschichte. In den ersten drei Semestern verlagert sich der Schwerpunkt ihrer Interessen jedoch: Ab 1985 tauscht sie Haupt- und Nebenfach und setzt ihr Studium in Würzburg und später Mainz fort, wo sie 1992 mit der Direktpromotion abschließt.
Ihre Dissertation beschäftigt sich mit Opferdarstellungen römischer Reliefs und vereint die kunsthistorische und archäologische Perspektive. Im Fokus steht für Fless weniger die formale Darstellungsweise, sondern die historischen Aussagen und politischen Absichten hinter den Bildern.
Während des letzten Jahres ihrer Promotion wird Fless von der Studienstiftung unterstützt. Stärker prägend als die nur knapp einjährige Förderzeit, in der sie rege am Stipendiatenleben in Mainz teilnimmt, betrachtet sie rückblickend jedoch die Zeit als aktive Ehemalige: Für die Promotionsförderung der Studienstiftung führt sie zahlreiche Auswahlgespräche, in denen sie viele innovative archäologische Forschungsthemen neu kennenlernt. Besonders in Erinnerung ist ihr auch eine Sommerakademie in Olang geblieben, wo sie als Dozentin eine Arbeitsgruppe zu römischen historischen Reliefs sowie die Macht der Bilder und ihre ideologische und auch politische Nutzung leitet.
Auch als Vertrauensdozentin bringt sich Fless ein und betreut eine Gruppe von Stipendiatinnen und Stipendiaten – ein Engagement, das erst durch ihre Arbeit im Exzellenzcluster »Topoi - The Formation and Transformation of Space and Knowlegde in Ancient Civilizations« zeitlich unmöglich wird.
Forschung über Fach- und Landesgrenzen hinweg
Fless ist da, nach Jahren in Köln und Leipzig, bereits drei Jahre lang Professorin für Klassische Archäologie an der FU Berlin und wird dann Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts. Die erste Frau, die dieses Amt innehat. Von 2006 bis zu ihrer Wahl an die Spitze des DAI 2011 leitet Fless den Exzellenzcluster »Topoi« – und vertritt bereits hier über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen.
Die Fähigkeit, Fachkulturen zusammenzudenken und zu bringen, sieht Fless selbst als Grundlage für die Zukunftsfähigkeit des DAI, das gut 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit beschäftigt, unter anderem an den Standorten Rom, Teheran und Peking.
Ging es in den großen Grabungen des 19. Jahrhunderts noch darum, »antike Objekte und Architekturen zu bergen und zu sichern«, so stellen sich der Archäologie heute deutlich komplexere »Fragestellungen zur Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen in antiken Kulturen«, so Fless in einem Interview mit der ZEIT.
Um zu verstehen, wie sich etwa Siedlungsstrukturen entwickelt haben, Macht ausgeprägt oder Landschaft genutzt wurde, bedient sich die Archäologie seit jeher geistes- und naturwissenschaftlicher Methoden. »Und genau diese Überwindung der Disziplinengrenzen brauchen wir«, erläutert Fless. »Die Archäologie ist daher eine der Wissenschaften, die geeignet ist, an der Lösung der derzeit drängenden Probleme mit ihrem langen Blick in die Vergangenheit mitzuarbeiten.«
Stand: 2018
- Name
- Seedje Katharina Fink
- Jahrgang
- 1974
- Förderzeitraum
- 1996-1999
- Beruf
- Kapitänin
- Aus dem Lebenslauf
- Erste Kapitänin in der Geschichte der Traditionsreederei Hamburg Süd
Ganze 135 Jahre dauerte es, bis die Traditionsreederei Hamburg Süd eine Frau hinters Steuerrad beruft: 2006 steht mit Seedje Katharina Fink erstmals eine Kapitänin auf der Kommandobrücke und lenkt das Containerschiff die Elbe hinab.
Noch immer sind Frauen als Führungskräfte in der Schifffahrt die Ausnahme. Fink hatte jedoch lediglich zu Beginn ihrer Laufbahn das Gefühl, sie müsse die Arbeiten besser erledigen als ihre männlichen Kollegen: »Inzwischen sind die Herausforderungen eher berufsspezifisch als geschlechtsspezifisch. Der Beruf erfordert einfach immer aufs Neue viel Flexibilität«, erzählt die 44-Jährige.
Als Kapitänin muss sie sich ständig auf neue Situationen und Menschen einstellen und zügig Entscheidungen treffen: »Sei es, weil ein Lotse plötzlich mitten während eines Anlegemanövers einen Wutausbruch bekommt und die Arbeit einstellt, ein tropischer Wirbelsturm die Reiseroute behindert oder das Anlaufen eines Hafens unsicher macht, beim Be- oder Entladen des Schiffes ein Schaden entsteht oder weil es Schwierigkeiten mit Hafenbehörden gibt, die diplomatisch gelöst werden müssen.«
An Bord ist sie dabei die letzte Instanz, weit weg vom Festland kann sie die Entscheidungen nicht einfach an eine nächsthöhere Instanz abgeben. »Eine nachträgliche Korrektur ist oft nicht möglich. In solchen Situationen ist ein gutes Team an Bord eine große Unterstützung«, sagt Fink, die zurzeit das Ausbildungsschiff der Reederei Hamburg Süd führt.
Vier Monate ist sie am Stück auf See, fort von Freundeskreis und Familie. Heimweh allerdings war für sie noch nie ein großes Thema: »Ich fühle mich sowohl auf dem Schiff als auch daheim wohl und habe sozusagen ein stationäres und ein mobiles Zuhause.« Aber auch Fernweh treibt sie nicht um: »Selbstverständlich interessiert es mich, besondere Flecken unserer Erde kennenzulernen und zu genießen, was es alles Wunderbares zu entdecken gibt, aber das Gefühl, anderswo etwas zu verpassen, die Unruhe und Rastlosigkeit, von einem Ort wegzustreben, die so typisch für Fernweh sind, kenne ich nicht. Ich finde das ›Hiersein‹ und das Erleben dessen, was um mich herum geschieht, viel wichtiger als den Ort, an dem es sich abspielt.«
Mit 16 auf einen russischen Großsegler
Aufgewachsen im niedersächsischen Steinau bei Cuxhaven, liebt sie schon als Kind das Wasser. Mit ihrer Familie segelt sie in den Sommerferien auf dem elterlichen Boot durch die schwedischen Schären – traumhafte Kindheitserinnerungen und der Grundstein für ihre Leidenschaft und den späteren Beruf.
Als 16-Jährige fährt Seedje Katharina Fink für zwei Wochen an Bord des russischen Segelschulschiffes »Mir« mit und klettert bis in die Spitze des höchstenMastes. Angst hat sie keine. Ihr Berufswunsch nimmt indes immer konkretere Formen an. Die Sommerferien zwischen der 12. und 13. Klasse nutzt die Schülerin, um auf dem Küstenmotorschiff »Wega« der Reederei Wegener in die Schifffahrt hineinzuschnuppern. In der Reederei lässt sie sich nach dem Abitur zur Schiffsmechanikerin ausbilden – und ist dabei fast immer die einzige Frau an Bord.
Im Anschluss studiert sie drei Jahre in Elsfleth an der Unterweser Nautik, um Kapitänin zu werden: »Die sehr abwechslungsreiche, aber auch anspruchsvolle Kombination aus den technischen, aber dabei immer dem Einfluss von Natur und Umwelt unterworfenen Aufgaben des ›Schiff-Fahrens‹, der Menschenführung und der Leitung eines weitgehend autarken und dabei überschaubaren Betriebes haben mich sehr gereizt.«
1996 zählt Fink zu den ersten Jahrgängen in der Förderung von Fachhochschulstudierenden der Studienstiftung und nimmt hier an einer Reihe von FH-Treffen, Sprachkursen und Akademien teil. »Da ich an einem kleinen Hochschulstandort mit nur einem Fachbereich ein durch den hohen Vorlesungsumfang eher verschultes, sehr berufsorientiertes Studium absolviert habe, hat mir die ideelle Förderung Zugang zu interdisziplinären Veranstaltungen, die Auseinandersetzung mit weit über mein Fachgebiet hinausreichenden Themen und den Kontakt mit Kommilitoninnen und Kommilitonen der verschiedensten Fachrichtungen ermöglicht«, sagt sie.
Besonders gern erinnert sich Seedje Katharina Fink an ein Erlebnis während der Sommerakademie der Studienstiftung in La Villa 1998: »Wichtiger als jegliche Individualleistung war der Teamgeist, der sich beispielsweise bei einerkleinen Feierabend-Bergwanderung äußerte. Als Flachländerin wusste ich, dass ich mit dem Tempo zweier gut trainierter Kommilitonen nicht hätte mithalten können und wollte daher auf die Tour verzichten, um ihnen nicht den Spaß an einer zügigen Wanderung zu verderben. Ich wurde sehr nachdrücklich überredet, doch mitzukommen, und mit großer Rücksicht auf mein Tempo auf den Berg ›gelotst‹. Und dennoch kamen alle auf ihre Kosten, weil reihum einer der beiden langsam mit mir ging und der andere schon mal den Weg erkundete oder kleine Extratouren lief.«
Engagiert in der Auswahlarbeit der Studienstiftung
In ihrer Förderzeit sind intensive Freundschaften entstanden, die bis heute andauern. »Durch die zunehmende Aktivität der Alumni und die Verschiedenartigkeit der in diesem Rahmen angebotenen Veranstaltungen ergeben sich auch immer wieder neue Anregungen, so dass das Stipendium bis heute fortwirkt und sicherlich einen deutlichen Einfluss auf meine persönliche Entwicklung hatte und weiterhin hat«, fügt die Nautikerin hinzu.
»Dabei begann die Förderung eigentlich bereits mit dem ersten Einzelgespräch während meines Auswahlseminars: Mein Gegenüber kam aus einer völlig anderen Fachrichtung, ließ sich aber von meiner Begeisterung für mein Berufsziel und mein Studium mitnehmen. Ich erinnere mich, wie wir intensiv über die Gestaltungsmöglichkeiten und Herausforderungen in meinem zukünftigen Beruf diskutierten. Das Gespräch war ein echter Austausch und hatte so gar nichts von einer Prüfung. Die Verabschiedung gab mir viel Mut, meinen Weg weiterzugehen und unabhängig von möglichen äußeren Hindernissen meine Ideen in die Tat umzusetzen. Das Gespräch hat viel in mir bewegt und mich auf meinem weiteren Werdegang begleitet.«
Seedje Katharina Fink engagiert sich heute selbst in der Auswahlarbeit der Studienstiftung. Wann immer sie Landurlaub hat, nimmt sie an einem der Seminare teil: »Jedes Auswahlseminar ist eine einzigartige, spannende Erfahrung, die viel innere Flexibilität und Energie verlangt, mich dafür aber auch immer mit neuen Ideen und Anregungen nach Hause gehen lässt und damit weit über das Wochenende hinaus wirkt – dazu trägt sowohl die Vielfalt der Kandidatinnen und Kandidaten als auch die jeweils unterschiedliche Zusammensetzung der Kommission bei. Auch die Entscheidungsfindung ist immer wieder ein fordernder Prozess, obwohl mein Beruf oft von mir verlangt, Menschen innerhalb kurzer Zeit möglichst präzise einzuschätzen.«
Routine im Arbeitsalltag ist für die Kapitänin ohnehin ein Fremdwort. Fast jeden Morgen wacht sie an einem anderen Ort auf. Ihr Tagesablauf richtet sich danach, wo sich ihr Arbeitsplatz gerade befindet und was sich rund ums Schiff abspielt. Ist der Frachter beispielsweise an der Küste unterwegs, bestimmen der Hafenfahrplan und der Schiffsverkehr den Rhythmus.
»Die übrigen Arbeiten werden auf ein Minimum reduziert, weil die enge Abfolge der Ein- und Auslaufmanöver, der Reiseabschnitte in dicht befahrenen Gewässern und der in den Häfen anstehenden Beschäftigung mit Behörden und Dienstleistungen von Land oft wenig Ruhepausen erlauben und geregelte Arbeitszeiten verhindern«, erklärt die Kapitänin.
Pazifik und Westküste als Lieblingsorte
Sie hat viel von der Welt gesehen, zu ihren »Hotspots« gehören der Pazifik und die Westküste Südamerikas: »Lange Seetörns, ein Ozean, der auch zu Zeiten der Satellitennavigation noch navigatorisches Denken und Routenplanung mit den Elementen Wasser und Wind erfordert, die Westküste mit ihrem reichen Tierleben und vielen eher kleinen und interessanten Häfen, dazu verschiedene Klimazonen und nicht nur die Tropen«, begründet sie ihre Vorliebe.
Gern würde die »Berufs-Globetrotterin« eines Tages mit ihrem Containerschiff rund um Kap Hoorn oder durch die Magellanstraße fahren. Auch der Panamakanal reizt sie, der jedoch bis zur Fertigstellung des Kanalausbaus zu schmal für ihr Schiff war. Als Passagierin ein Schiff zu betreten, ist für Seedje Katharina Fink kaum vorstellbar: »Allenfalls eine Hurtigruten-Tour oder Fahrten in Richtung Antarktis oder Arktis sind denkbar.« Und wenn sie irgendwann einmal wieder mehr Zeit hat, will sie wieder segeln: »Die Schären stehen da ganz oben, mit ihnen verknüpfe ich viele wunderbare Kindheitserinnerungen.«
Stand: 2018
- Name
- Gesine Schwan
- Jahrgang
- 1943
- Förderzeitraum
- 1966-1969
- Beruf
- Politologin, Politikerin, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina (1999-2008)
- Aus dem Lebenslauf
- Von 1999 bis 2008 Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder
Als Kind übernimmt sie in ihrer Familie oft die Rolle der Versöhnerin: »Wir hatten ein Boot, und sonnabends segelten wir manchmal auf dem Tegeler See, sangen viel, auch mehrstimmig, das machte mir Freude. Aber wenn vier temperamentvolle Familienmitglieder ein Wochenende auf einem Boot verbringen, führt das fast immer zu Krach. Also habe ich, wenn es mulmig wurde, das Liederbuch auf den Schoß genommen und gesungen, alle sollten einstimmen und aufhören zu streiten, weil ich darunter sehr gelitten habe«, erzählt Gesine Schwan in einem Interview mit der »Zeit«.
Das Glück ihrer Familie ist der zweifachen Mutter bis heute wichtiger als jede Auszeichnung – und von denen werden der engagierten Demokratin und überzeugten Europäerin im Laufe ihres Lebens viele zugesprochen: 2002 erhält sie das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, 2012 den polnischen Orden Bene Merito sowie die Auszeichnung als Großoffizier der französischen Ehrenlegion. Neben der intensiven Beziehung zur Familie ist das ständige Werben für Demokratie eine Konstante in Schwans Leben.
Auf ihrem Lebensweg musste die gläubige Katholikin herbe Enttäuschungen einstecken und große Verluste hinnehmen – darunter den Tod ihres ersten Mannes, des Politikwissenschaftlers Alexander Schwan, der 1989 nach langjährigem Krebsleiden starb. Doch alle Tiefen und Höhen haben die Wissenschaftlerin und Politikerin mit der charakteristischen Hochsteckfrisur nie verbittert. Im Gegenteil: Bis heute strahlt sie Stärke, Zuversicht und Vertrauen aus und übernimmt mit Leidenschaft Verantwortung: »Ohne Verantwortungsengagement für die gesamte Gesellschaft verschleudert man seine Begabung.«
Lebensfrohes Umfeld
1943 in Berlin geboren, wächst Gesine Schwan in einer lebensfrohen Familie auf, die sich sozial engagiert und im Nationalsozialismus protestantischen und sozialistischen Widerstandskreisen angehört. So verstecken ihre Eltern im letzten Kriegsjahr ein jüdisches Mädchen vor den Nationalsozialisten.
Nach Kriegsende setzen sich Schwans Eltern für die Freundschaft mit Frankreich und Polen und für die europäische Verständigung ein – ein Engagement, das Gesine Schwan bis heute prägt. Sie besucht das Französische Gymnasium in Westberlin und lernt damit nicht nur die Sprache des einstigen »Erzfeindes«, sondern begreift, dass sich mit der Sprache eine neue Welt auftut. Einer ihrer damaligen Klassenkameraden, der Musiker Reinhard Mey, erinnert sich an die junge Gesine Schwan: »Sie war schon damals superschlau, sehr gerecht, sehr redlich.«
1962 besteht Gesine Schwan das Abitur und immatrikuliert sich in Berlin für das Studium der Romanistik und Geschichte. Später wechselt sie nach Freiburg im Breisgau und studiert Politik, Philosophie, Theologie. In jener Zeit lernt sie Alexander Schwan kennen und heiratet ihn 1969.
Die Studienstiftung nimmt die junge Frau bereits 1966 auf und fördert sie bis 1969: »Die Förderung war für mich eine große ideelle Hilfe«, resümiert die Politikwissenschaftlerin. Besonders positive Erinnerungen hat sie an die Stipendiatentreffen, die sie genutzt hat, um mit anderen Studienstiftlern rege zu diskutieren. Viele Jahre später kehrt sie als Professorin auf eine der Sommerakademien der Studienstiftung zurück und unterrichtet in St. Johann: »Eine intensive Zeit mit anregenden Begegnungen.«
In ihrer Promotion, die sie 1970 abschließt, setzt sie sich mit dem polnischen Philosophen und Stalinismuskritiker Leszek Kołakowski auseinander: Für ihre Recherchen reist sie nach Warschau und Krakau. Sie selbst betrachtet diese Arbeit als Weichenstellung für ihren weiteren Lebensweg. Die Auseinandersetzung und Verständigung mit Polen wird sie ab da suchen – und prägen. Sieben Jahre später, 1977, hält die 34-Jährige auf Kołakowski die Laudatio zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. 1975 habilitiert sie sich über die philosophischen und politökonomischen Voraussetzungen der Gesellschaftskritik von Karl Marx.
Europäische Brückenbauerin
Nach einigen Jahren als Assistenzprofessorin an der FU Berlin beruft die Hochschule Gesine Schwan 1977 als Professorin für Politikwissenschaft. Es folgen Forschungsaufenthalte in Washington D. C., Cambridge und New York. Von 1992 bis 1995 ist sie Dekanin am Otto-Suhr-Institut. 1999 wird sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder: »Eine europäische Brückenbauerin will ich sein«, sagt sie bei ihrem Amtsantritt.
An der 1991 wieder errichteten östlichsten deutschen Universität studieren zu jenem Zeitpunkt etwa 5.500 junge Menschen aus über 70 Ländern, rund ein Drittel der Studierenden kommt aus Polen. »Die Viadrina war mein Praxisprojekt. Ich hatte mir vorgenommen, hier meine demokratietheoretischen Vorstellungen umzusetzen«, schreibt sie in ihrem Buch »Woraus wir leben. Das Persönliche und das Politische«.
Neun Jahre lang leitet sie erfolgreich die Geschicke der Hochschule und setzt auf Interkulturalität und Mehrsprachigkeit von Studiengängen, die zu jenem Zeitpunkt in Deutschland noch Ausnahme sind. Gesine Schwan selbst spricht nicht nur perfekt Französisch, sondern ebenso fließend Englisch und Polnisch. Auch nach dieser Zeit bleibt Schwan der Viadrina verbunden. Sie gründet im März 2009 gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern in Berlin die Humboldt-Viadrina School of Governance, die sie von Juni 2010 bis Juni 2014 als Präsidentin leitet.
Ihre politische Karriere beginnt 1972 mit dem Eintritt in die SPD unter dem Eindruck von Willy Brandts Ostpolitik. Sie engagiert sich im Seeheimer Kreis, der in den 1970er-Jahren neomarxistischen Positionen in der Partei entgegentritt. Die Intellektuelle bleibt der Partei auch treu, als ihr Mann Alexander die SPD 1978 verlässt und in die CDU eintritt.
Die Antikommunistin und Querdenkerin arbeitet in vielen politischen Gremien mit. 1977 wird sie in die Grundwertekommission der SPD berufen. Nachdem sie öffentlich Kritik an der Politik Willy Brandts äußert, scheidet die Wissenschaftlerin 1984 aus dem Gremium aus: »Als ich hörte, dass der SPD-Vorstand mich aus der Grundwertekommission rausgeworfen hat, habe ich, offen gestanden, geheult. Aber die Frage, ob ich deshalb meine kritische Position gegen Willy Brandts späte, eingleisig gewordene Ostpolitik aufgeben sollte, hat sich mir überhaupt nicht gestellt. Es ging mir um die polnischen Dissidenten. Es gibt bestimmte Positionen, da muss man sich selbst treu bleiben und absolut loyal sowohl der Sache als auch den Menschen gegenüber«, sagt sie in einem »Spiegel«-Interview. 1996 wird sie erneut in die Grundwertekommission berufen, heute ist sie deren Vorsitzende.
Medialer Höhepunkt ihrer politischen Laufbahn ist die zweimalige Kandidatur für das Amt der Bundespräsidentin. Sowohl 2004 als auch 2009 unterliegt sie ihrem Gegenkandidaten Horst Köhler. Doch auch von diesen öffentlichen Niederlagen lässt sich die Politikerin nicht unterkriegen: Sie kämpft weiterhin für ihre Werte und blickt nach vorn: »Meine Loyalität gilt der Demokratie, nicht nur einer Partei«, sagt die Sozialdemokratin, die seit 2004 in zweiter Ehe mit dem Gründer der Antikorruptionsorganisation Transparency International, Peter Eigen, verheiratet ist.
Stand: 2018
- Name
- Helmut Schwarz
- Jahrgang
- 1943
- Förderzeitraum
- 1967 - 1971
- Beruf
- Chemiker, Professor für Organische Chemie an der TU Berlin, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung (2008-2017)
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 1989 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft
»Wissenschaft ist mein tägliches Mantra, das Brot, von dem ich lebe«, sagt Helmut Schwarz im Jahr 2008 anlässlich seiner Ernennung zum Präsidenten der Alexander von Humboldt-Stiftung. Das spiegelt sich in seinem Lebenslauf wider: Auf Promotion und Habilitation in der Organischen Chemie an der TU Berlin folgen zahllose Forschungsaufenthalte, unter anderem in den USA, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Australien, Neuseeland und Japan.
Zusätzlich arbeitet er für Wissenschaftsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, gibt wissenschaftlicheJournals heraus und engagiert sich in forschungsbezogenen Kuratorien, Gremien und Akademien. Sein Enthusiasmus, mit dem er sowohl Forschung als auch Forschungspolitik betreibt, bleibt nicht unbemerkt: Der Chemiker wird mit zahlreichen (Forschungs-) Preisen und nicht weniger als neun Ehrendoktorwürden ausgezeichnet.
(Um-)Wege zum Ziel
Sein Weg in die Wissenschaft war dabei alles andere als selbstverständlich. Geboren und aufgewachsen in der Eifel, schlägt Schwarz nach der Mittleren Reife zunächst den Pfad der Praxis ein und schließt eine Lehre zum Chemielaboranten ab. Das Abitur holt er 1966 auf dem zweiten Bildungsweg nach und nimmt im selben Jahr das Chemiestudium an der TU Berlin auf. Es folgt eine rasante Hochschulkarriere: Nur acht Jahre nach dem Abitur ist er bereits habilitiert, erhält 1978 den Ruf an die TU Berlin und forscht an den verschiedensten Institutionen weltweit.
In seinen Arbeiten untersucht er Schritt für Schritt, wie chemische Reaktionen wie Oxidation oder Reduktion genau ablaufen und kombiniert theoretische Ansätze etwa mit massenspektrometrischen Verfahren, die es erlauben, die Reaktionen unabhängig von Umwelteinflüssen zu beobachten. Für die physikalisch-organische Chemie leistet er so einen entscheidenden Beitrag – der 1990 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis und 2011 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt wird.
Besonders ausschlaggebend für die Auszeichnung mit dem Verdienstkreuz sind Schwarz’ Bemühungen um die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland. 1983 wird er als Gastprofessor an die Hebräische Universität Jerusalem berufen, es folgen Lehr- und Forschungsaufträge bei der Lady-Davis-Stiftung in Jerusalem und an der Technischen Universität in Haifa.
»Nach Israel zu kommen, ist für mich jedes Mal ein Nachhausekommen«, sagt er 2008 bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde des Weizmann Institute of Science in Haifa. »Uns verbindet ein jahrelanger wissenschaftlicher und inzwischen auch freundschaftlicher Austausch.«
Ein Geben und Nehmen
Dieser Austausch ist ein zentrales Thema für Helmut Schwarz. »Diskussionen mit Mitarbeitern und Doktoranden sind das Spannendste für mich – und ein Jungbrunnen.« Das war schon zu seiner Zeit als Stipendiat der Studienstiftung so. Besonders sind ihm die Gespräche bei den Sommerakademien in Erinnerung geblieben.
Die Arbeitsgruppen in Alpbach 1967 und Völs 1971 erweitern seinen Horizont über sein, wie er sagt, kleinkariertes Studium hinaus und zeigen ihm, »dass Bildung nichts Abstraktes ist, sondern hilft, sich Teile der Welt anzueignen«. Auf manche Unterstützung der Studienstiftung hätte er schweren Herzens verzichten können, sagt Schwarz – nicht aber auf die Sommerakademien.
Diese Erfahrung will der Wissenschaftler weitergeben. 20 Jahre lang engagiert sich Helmut Schwarz als Vertrauensdozent für die Studienstiftung und gestaltet deren Programm von 1992 bis 1999 im Kuratorium der Studienstiftung mit, ab 1995 als dessen Vorsitzender. Als Dozent kehrt er zudem zu den Sommerakademien zurück, die er als ebenso lohnend erlebt wie zu seiner Stipendiatenzeit.
»Die Stipendiaten wurden zu meinen Lehrern«, sagt er, »und damit zu meinen kritischen Gesprächspartnern.« Empfangen und Zurückgeben sind für ihn zwei Seiten derselben Medaille. »Was ich heute als Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung ehrenamtlich tue«, betont Schwarz, »ist die natürliche Antwort auf die Förderung, die ich selbst genossen habe.«
Stand: 2018
- Name
- Thea Dorn
- Jahrgang
- 1970
- Förderzeitraum
- 1989-1994
- Beruf
- Schriftstellerin, Dramaturgin, Fernsehmoderatorin
- Aus dem Lebenslauf
- Mitglied des »Literarischen Quartetts«
»Ich bin überzeugt, dass wir als Menschheit an einem Scheideweg stehen«, sagt Thea Dorn. Die Publizistin und Autorin des Bestsellers »Die deutsche Seele« sieht im rasanten technischen Fortschritt in den Naturwissenschaften ein maßgebendes Thema für die Entwicklung der Gesellschaft.
»Embryonen, die nicht mehr im Mutterleib heranwachsen, gezielte Eingriffe ins menschliche Erbgut, ja vielleicht sogar die Unsterblichkeit – was spricht dagegen, dass in naher Zukunft Dinge möglich sein werden, die wir heute noch als reine Science-Fiction abtun?«, fragt Thea Dorn.
Mit den dramatischen Umwälzungen, die dieser Fortschritt bringen könnte, beschäftigt sich auch ihr Anfang 2016 erschienener neuer Roman. In »Die Unglückseligen« geht es um nichts weniger als die Überwindung des Todes zwischen den Grenzen von Molekularbiologie und Philosophie.
Die Liebe zum Wort
Grenzen zu überschreiten und ihren eigenen Weg zu gehen, das lernt Thea Dorn schon während ihres Studiums der Philosophie und Theaterwissenschaften, welches sie über Frankfurt und Wien nach Berlin führt. Die Kraft, sich Fach- und Studienortszweifeln zu stellen und dabei treu zu bleiben, zieht sie auch aus der Aufnahme durch die Studienstiftung: »Meinem damals durchaus erschütterbaren Selbstbewusstsein hat es äußerst gut getan zu wissen: Da ist diese sehr ehrwürdige Institution, die an dich glaubt.«
1990 fährt Thea Dorn zu einer Akademie nach Budapest und besucht ein Jahr später eine von Ivan Nagel geleitete Arbeitsgruppe auf der Sommerakademie in Völs. Den größten Gewinn der Akademien sieht sie in den Gesprächen »abseits des hektischen Theateralltags« und in der experimentellen Arbeit ohne »Produktzwang«, wie sie in ihren Semesterberichten schreibt.
Ab 1991, da ist die gerade 21 Jahre alt, schreibt sie für die FAZ, drei Jahre später veröffentlicht sie ihr erstes Buch. Inzwischen hat sie etliche erfolgreiche Theaterstücke, Drehbücher und Romane veröffentlicht, darunter auch die Bestseller »Die Hirnkönigin« und »Die deutsche Seele«. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhält sie 2015 den Grimme-Preis für das Drehbuch zum ARD-Film »Männertreu«.
Die Werke von Thea Dorn sind akribisch recherchiert, historische und fachliche Richtigkeit sind für die Autorin essenziell: Für »Die Unglückseligen« hat sie sich an die moderne Gentechnik gewagt, obwohl sie Biologie und Chemie in der Schule als Fächer abwählte.
Neben dieser wissenschaftlichen Akribie ist es ihr ein besonderes Anliegen, die deutsche Sprache in ihrer Vielfalt abzubilden und »ihre verschwindende Schönheit noch einmal zum Klingen zu bringen, bevor wir uns demnächst alle bloß noch mit dem globalen Kauderwelsch von »lol« bis »cul« verständigen.«
Auch wenn Thea Dorn in manchem Interview ihrem Unmut über das deutsche Bildungsbürgertum – oder vielmehr dessen Abwesenheit – Ausdruck verleiht, so glaubt sie doch an die Liebe der Deutschen zur Sprache: »Bei meinen zahlreichen Lesungen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es beim Publikum, bei den Veranstaltern, bei den Buchhändlern eine große Sehnsucht nach Texten gibt, die aus dem immer flacher werdenden Sound der Gegenwart ausbrechen.«
Dem inneren Selbst folgen
Neben ihrer Autorentätigkeit moderierte Thea Dorn bis 2013 die TV-Sendung »Literatur im Foyer«, für die sie Interviews mit zahlreichen Kollegen führte. Seit März 2017 ist sie festes Mitglied im »Literarischen Quartett«. Heute lebt und schreibt die Autorin in Berlin, wo sie von 1995 bis 2000 auch als Dozentin für Philosophie an der Freien Universität gearbeitet hat.
Wie damals schon ihren Studenten, so rät sie auch den aktuellen Stipendiaten der Studienstiftung, sich nicht verrückt machen zu lassen von Arbeitsmarkt und Rentenvorsorge. »Wenn man dauerhaft Außergewöhnliches leisten will, gibt es nur einen Weg: Man muss das machen, was, pathetisch gesagt, dem innersten Selbst entspringt«, sagt Thea Dorn. »Wer sich für eine Laufbahn entscheidet, mit der er sich nicht vollkommen identifizieren kann, diese aber trotzdem mit größtem Ehrgeiz verfolgt, muss sich nicht wundern, wenn in spätestens 20 Jahren das Burnout zuschlägt.«
Stand: 2018
- Name
- Jürgen Zimmer
- Jahrgang
- 1938
- Förderzeitraum
- 1959- 1965
- Beruf
- Pädagoge, Professor Emeritus für Erziehungswissenschaften an der FU Berlin, Gründer und Präsident (1996-2017) der Internationalen Akademie Berlin für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie
- Aus dem Lebenslauf
- Begründer des sozialpädagogischen Situationsansatzes
Querdenker, Weltenwanderer und Pädagoge: Jürgen Zimmer setzt sich für die Menschen am Rande der Gesellschaft ein und begleitet sie dabei, neue Wege nicht nur zu denken, sondern auch zu gehen. Eines seiner Themen: »The best for the poorest«. Das meint für Zimmer: Armut durch eine möglichst erstklassige Bildung und intelligentes Entrepreneurship bekämpfen. Dafür macht er sich in vielzähligen Bildungsprojekten weltweit stark.
Auch in der bildungspolitischen Landschaft in Deutsch- land hat er seine Spuren hinterlassen. Sein Name ist mit dem Situationsansatz verbunden, den er in den 1970er-Jahren begründete – damals als Leiter des Arbeitsbereichs Vorschulerziehung im Deutschen Jugendinstitut. Das Konzept trägt bis heute zur Qualitätsentwicklung und Qualifizierung in der Kindergarten- und Vorschullandschaft bei.
»Der Situationsansatz ist eine Einladung, sich mit Kindern auf das Leben einzulassen«, sagt Zimmer. Der Ansatz verbreitete sich in den 1970er-Jahren in nahezu allen westdeutschen und in den 1990er-Jahrenin den ostdeutschen Bundesländern. Eine Erfolgsgeschichte, die längst auch auf internationaler Ebene wurzelt: In Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas wurde das Konzept den Lebensumständen der Menschen vor Ort angepasst und bildet die pädagogische Basis für verschiedene Einrichtungen wie die Schools for Life, die Zimmer in Thailand zusammen mit Partnern gegründet hat.
Bewegte Kindheit
1938 in Bielefeld geboren, ist Zimmers Kindheit von einem steten Wechsel geprägt: 28 Mal zieht seine Mutter um, mehrfach mit ihrem Sohn: So gelangt er 1944 über Norddeutschland, Innsbruck, Kassel und Sonthofen nach Wasserburg am Bodensee. Dort baut sein Großvater ein Haus für die gesamte Familie. Es kehrt vorerst Ruhe in das Leben des Jungen ein, das Wort »Heimat« nimmt Gestalt an.
Zimmer knüpft Freundschaften, verbringt endlose Tage mit dem Faltboot auf dem Bodensee und besucht das Gymnasium auf der Lindauer Insel. In die Idylle bricht die »Strafversetzung« – vielleicht nimmt an diesem Punkt bereits der Wunsch seinen Anfang, einmal eine Schule zu gründen, die er selbst gern besucht hätte.
»Und wenn mich mein Deutschlehrer nicht aus pädagogischen Gründen (Deutsch: 1; Geschichte: 5) hätte durchfallen lassen, wäre ich am See geblieben und hätte die Welt anders erlebt. So aber wurde ich strafversetzt – nach Salem – und musste mich zwischen Jugendlichen zurechtfinden, deren Eltern – 1918 nie gewesen? – immer noch so taten, als gehörten sie zum Adel; oder deren Eltern ihren Reichtum auf die dritte und vierte Generation losließen, auf Jugendliche, die nur noch das Geld, aber nicht mehr den unternehmerischen Biss erbten.«
Trotz dieser Umstände besteht Zimmer nicht nur sein Abitur, sondern gewinnt auch noch zwei Preise für den besten Abituraufsatz in Baden-Württemberg und wird von seiner Schule für ein Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen – und genommen.
Die Verbindung zur Studienstiftung
Zimmers Verbindung zur Studienstiftung liegt quasi in der Familie: Sein Großvater, Wolfgang Paeckelmann, ist einer der Gründerväter des ältesten Begabtenförderwerkes in Deutschland. Paeckelmann, 1882 geboren, erlebte als Direktor eines Wuppertaler Gymnasiums, wie die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg vielen seiner Abiturienten den Boden unter den Füßen wegzog: 1922 ging Paeckelmann gemeinsam mit seinen Schülern zur Werkarbeit in den Kohlebau – der erzielte Lohn war kurz darauf wertlos. Ein Schlüsselerlebnis, das Paeckelmann in die Gründung der Studienstiftung, als einem auf Begabung und Bedürftigkeit gleichermaßen ausgerichteten Förderwerk, mitnahm.
Paeckelmann, der von 1926 bis 1928 die Studienstiftung leitete, wird oft als prägende Gestalt der »alten« Studienstiftung beschrieben. So auch von Heinz Haerten, der nach der Neugründung 1948 die Studienstiftung bis 1972 führte und auf Paeckelmanns Rat baute: »Paeckelmann, der Mathematik studiert hatte, war ein vielseitig interessierter Mann. Von einem Studienstiftler, der bei Heidegger hörte, ließ er sich die Kolleghefte schicken, um sich mit dieser neuen Philosophie vertraut zu machen. Er wollte wissen, was seine Studienstiftler bewegte.«
Das Interesse und Gespür für die individuelle Begabung bemerkt auch Jürgen Zimmer, wenn er sich an seinen Großvater erinnert: »Bei der Auswahl von Stipendiaten suchte er nach intelligenten und kreativen Querdenkern und Querköpfen, ›Längsgestreifte‹, also ›Nieten in Nadelstreifen‹ interessierten ihn nicht. Eine ›Eins‹ im Abitur war kein Freifahrschein Richtung Aufnahme. Er wollte Persönlichkeiten mit sozialer Verantwortung und moralischen Standards, die sie zuallererst zur eigenen Richtschnur machen.«
„Das Netz auswerfen“: die akademische Karriere
Für Zimmer selbst bedeutete die Förderung durch die Studienstiftung die Motivation, »das Netz weiter auszuwerfen, Forschung und Entwicklung, Theorie und Praxis, Reflexion und Aktion miteinander zu verbinden. Durch die Studienstiftung wurde für mich selbstverständlicher, in interdisziplinären Teams zu arbeiten und Fachgrenzen nicht als verdinglicht wahrzunehmen.«
Diese Grenzgänge zwischen den Disziplinen starten in Zimmers Studium der Psychologie, Erziehungswissenschaft und Jura. Parallel dazu schreibt er für »Die Zeit« und löst mit seinen Berichten bisweilen heftige öffentliche Diskussionen aus, beispielsweise im April 1962, als er sich unter dem Titel »Wer sind hier die Außenseiter?« kritisch mit den deutschen Jugendherbergen auseinandersetzt. Zwei Jahrzehnte später übernimmt Zimmer für zwei Jahre sogar die Leitung des Bildungsressorts der Hamburger Wochenzeitung.
Nach Promotion, Jahren als Forschungsassistent im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung bei Hellmut Becker – für Zimmer Wegbereiter und Ziehvater – und einigen Lehraufträgen und Lehrstuhlvertretungen unter anderem in Tübingen und São Paulo, wird er 1978 Wissenschaftlicher Rat und Professor an der Universität Münster. 1979 folgt eine ordentliche Professur für Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Berlin. Von 1980 bis zur Emeritierung 2004 arbeitet er als Professor am Fach- bereich Erziehungswissenschaft und Psycho- logie an der FU Berlin.
Lernen im Leben statt im Klassenzimmer
Zimmers Lebensweg lässt sich jedoch weniger anhand der zahlreichen akademischen Stationen und Ehrungen erzählen, als vielmehr anhand von Projekten, Ideen und Kampagnen. So gehört die Bildungsberatung und Projektentwicklung in Lateinamerika, Afrika und Asien bereits seit Jahrzehnten zu seinem Alltag: »Meine Arbeit in den Favelas von São Paulo, den Slums von Manila, den Barrios von Nicaragua oder in abgelegenen Landstrichen Nigerias begann Ende der siebziger Jahre. Ich traf auf Kinder, die das tägliche Risiko aushielten, morgens aufzuwachen, ohne genau zu wissen, wie sie tagsüber satt werden könnten. Ich traf auf gebeutelte, starke, verletzte, widerstandsfähige Kinder, Kinder, die von klein auf an daran gewöhnt sind, ihr überleben zu sichern.«
Seine Idee: Die Kinder der Armen zu Unternehmern machen, ihnen das nötige Knowhow zu vermitteln und »Wege aus dem informellen ökonomischen Sektor in den regulären Markt zu zeigen«. Bisweilen nimmt er seine Studierenden mit in die Slums. Auch hier wieder sein Motto: »Lernen im Leben«.
Auch wenn Jürgen Zimmer sich seit mehr als einem Jahrzehnt offiziell im Ruhestand befindet, bleibt er unterwegs und vielerorts aktiv: Aktuell beschäftigt ihn zum einen die Vergrößerung des Netzes von United Schools for Life vor allem an Armutsstandorten, »und zweitens die Weiterverfolgung einer Hochschul- Gründungsinitiative in Berlin Spandau; die ›University for Life - Eine Hochschule der Vielfalt‹, die sich im weitesten Sinn um das Thema ›Integration der neuen Deutschen‹ drehen soll, und deren Gründung noch ungewiss ist«, sagt Zimmer.
Untrennbar: Verantwortung und Begabung
Begabung und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gehören für ihn untrennbar zusammen. »Wenn wir Studienstiftler, in Ansätzen, gelernt haben, im Sinne von Ernst Bloch – im ›Prinzip Hoffnung‹ – das schärfste Fernrohr zu gebrauchen, das des geschliffenen utopischen Bewusstseins, um die nächste Nähe zu durchdringen, dann sucht man sich ›sein‹ Feld aus und versucht, sich im Denken und Handeln an realen Utopien zu orientieren; Erfolge und Bruchlandungen eingeschlossen.«
Stand: 2018
- Name
- Susanna Krüger
- Jahrgang
- 1974
- Förderzeitraum
- 2000-2002 (McCloy-Stipendium)
- Beruf
- Geschäftsführerin und Vorstandsvorstitzende von Save the Children Deutschland
Cornel West, Philosoph und Intellektueller, der in einem Hörsaal der Harvard University, unterlegt von Rap-Musik, die sozialen Ungleichheitenin den USA und auf der ganzen Welt anprangert – das ist eine der Erfahrungen von Susanna Krüger aus ihrer amerikanischen Studienzeit, die nachwirkt. »Diese Rede leitet mich bis heute«, sagt die jetzigeGeschäftsführerin von Save the Children Deutschland, der weltweit größten unabhängigen Kinderrechtsorganisation.
Bevor Krüger 2000 für zwei Jahre nach Harvard aufbricht, studiert sie Geschichte, Philosophie und öffentliches Recht an den Universitäten Göttingen und Krakau sowie der Freien Universität Berlin. Dann kommt der Wechsel nach Harvard – im prestigeträchtigen McCloy Academic Scholarship Program, das künftigen Führungskräften ein Masterstudium an der Ivy-League-Universität ermöglicht und den transatlantischen Dialog stärken soll.
Dort belegt sie Seminarezu Organisationsentwicklung und Public Management, die ihr Einblicke in Möglichkeiten der Organisationsveränderung im gemeinnützigen Sektor gewähren. Das Studium stößt einen Veränderungsprozess an: »Die neuen Kenntnisse relativierten viele politischen Einschätzungen, die ich bis dahin als universelle Wahrheiten angesehen hatte.«
Kontakte knüpfen, Netzwerke schaffen
Auch persönlich bedeutet Harvard für Susanna Krüger einen großen Schritt: »Das Stipendium gab mir das Gefühl, dass man an mich glaubt.« Das Vertrauen, dass alles möglich ist, zieht sich wie ein roter Faden durch den zweijährigen Master. »Man hatte eine Idee und hat sie einfach ausprobiert.« Während an deutschen Hochschulen Studierende der Geisteswissenschaften oft vor der schwierigen Stellensuche gewarnt würden, so Krüger, habe es in Harvard keine Schranken gegeben.
Insbesondere knüpft die Studentin interessante Kontakte. »Eine Palästinenserin schilderte mir die Probleme in den besetzten Gebieten ihres Heimatlandes«, erinnert sie sich. »Wenig später sprach ich mit dem israelischen Knesset-Abgeordneten über dasselbe Problem.« Meinungen zu hören, die nicht der eigenen entsprechen, sensibel werden für andere Kulturen, Einstellungen und Wertmaßstäbe – das sind Lehren, die Susanna Krüger aus ihrem Auslandsaufenthalt zieht.
Zu den bereichernden Verbindungen zählt auch die zu Transparency International, einer Initiative gegen Korruption, bei der Susanna Krüger im Sommer 2001 ein Praktikum absolviert. »Bei der Arbeit wurde mir bewusst, dass ich mit privatwirtschaftlichen Mitteln im öffentlichen Sektor arbeiten möchte«, sagt sie. »Diese Erkenntnis war sehr wichtig für meine weitere Laufbahn.«
So gründet sie 2008 nach Stellen beim Deutschen Entwicklungsdienst und der Weltbank in den Palästinensischen Gebieten ihre eigene Beratungsfirma GoodRoots, die die Entwicklung gemeinnütziger Organisationen unterstützt. 2016 folgt sie dem Angebot, den geschäftsführenden Vorstand bei Save the Children Deutschland zu übernehmen und übergibt GoodRoots an einen Nachfolger.
Begabung verpflichtet
Die Verantwortung, sich für andere einzusetzen, ist für Susanna Krüger selbstverständlich. »Begabung und gesellschaftliches Engagement gehören unausweichlich zusammen«, sagt sie. »Insbesondere als Stipendiat sollte man sein Leistungsvermögen in den Dienst der Gesellschaft stellen.«
Sie selbst engagiert sich als Akademiedozentin, in der Auswahl und Evaluation einzelner Förderprogramme sowie als Laudatorin des Engagementpreises für die Studienstiftung – und will so die einst erfahrene Unterstützung »zurückgeben«, wie sie sagt. Außerdem interessiert sie, wer aufgenommen wird und wie diese Studierenden über sich selbst und ihre soziale Rolle denken. »Ich möchte kritisches Denken fördern und gegen reine Karrieremotive wirken«, sagt sie. »Es geht um die Gestaltung unserer demokratischen Gesellschaft: Das ist keine Selbstverständlichkeit.«
Stand: 2018
- Name
- Andreas von Bechtolsheim
- Jahrgang
- 1955
- Förderzeitraum
- 1975-1979
- Beruf
- Informatiker, Unternehmer
- Aus dem Lebenslauf
- Gründete 1982 sein erstes IT-Unternehmen
»Jugend forscht« hat sein Leben verändert: Insgesamt dreimal nimmt Andreas von Bechtolsheim an dem wissenschaftlichen Nachwuchswettbewerb teil, 1974 gewinnt er den Bundesentscheid im Fachbereich Physik. Mit einem Projekt zur Messung von Strömungen per Ultraschall überzeugt er die Jury. »So viel Spaß wie bei ›Jugend forscht‹ hatte ich in meiner ganzen Schulzeit nicht«, resümiert der Forscher, Entwickler und Unternehmer 2015 in einem Interview mit der »Welt«.
Ein kreativer Bastler ist von Bechtolsheim schon als Kind: Als Sechsjähriger baut er Radios zusammen, als Zwölfjähriger beschäftigt er sich mit Amateurfunk und digitaler Elektronik, und mit 16 baut er sein erstes Mikroprozessor-System für die Steuerung von industriellen Werkzeugmaschinen.
Die Faszination für Mikroprozessoren begleitet ihn sein ganzes Leben. Sie führt zum Studium in die USA, von der Carnegie Mellon University zur Stanford University im Silicon Valley, und danach zur Gründung von Sun Microsystems im Jahr 1982, einem der ersten Großkonzerne des Mikroprozessor-Zeitalters.
In den folgenden Jahrzehnten gründet »Andy«, wie ihn die Amerikaner nennen, drei weitere erfolgreiche IT-Unternehmen und investiert in zahlreiche Start-ups mit Wagniskapital, darunter auch Google. An Einfallsreichtum, Ehrgeiz und glasklarer Logik hat es dem kreativen Genius, der gern Jeans und Birkenstock-Sandalen trägt, nie gefehlt.
Doch es ist nie das Geld, das ihn antreibt: »Meine Motivation ist, Probleme zu lösen, die interessant und auch wirtschaftlich bedeutend sind. Auf mich trifft der Spruch zu: ›The best meaning of life is a life of meaning‹«, erzählt Andreas von Bechtolsheim dem »Handelsblatt«.
USA als Perspektive
Nach dem Abitur studiert er ab 1974 zunächst an der TU München Elektrotechnik, ein Jahr später wird er in die Studienstiftung aufgenommen. Doch die deutsche Informatikszene bietet ihm keine Perspektive. Mit Hilfe eines Fulbright-Stipendiums wechselt er an die Carnegie Mellon University in Pittsburgh, wo er 1976 im Alter von 20 Jahren den Master in Computer Engineering erwirbt.
»Das Studium in Amerika war so, wie ich es mir immer gewünscht hatte: angewandte Projekte, weniger Theorie, ausgezeichnete Einrichtungen und motivierte und fähige Studienkollegen«, schreibt er in seinem Semesterbericht an die Studienstiftung.
Allmählich reift in ihm der Gedanke, langfristig in den USA leben zu wollen. 1977 wechselt er als Promotionsstudent zu einer der forschungsstärksten Universitäten weltweit: »Stanford ist in vielerlei Hinsicht eine außergewöhnliche Universität. Alle Gebiete, die mich interessieren – Computer Science, Elektronik, Physik und Medizin –, sind durch ausgezeichnete Departments vertreten «, schreibt er.
In den Semesterferien 1978 nutzt er nochmals das Angebot der Studienstiftung und nimmt an einer Sommerakademie im österreichischen Alpbach teil: »Das Erleben dieser zwei Wochen – Arbeitsgruppen am Morgen, Vorträge am Abend, Chorsingen, Bergtouren, Herbststimmung, Neuschnee und Freundschaften – füllt viele Seiten meines Tagebuchs und wird mir eine bleibende Erinnerung sein. Ich habe mich in Alpbach sehr glücklich gefühlt.«
Firmengründung statt Promotion
In Stanford entwickelt er als Doktorand die SUN (Stanford University Network) Workstation, einen vernetzten Hochleistungscomputer mit 32-Bit-Mikroprozessor und Megapixel-Bildschirm, der aufwendige Programme ausführen kann. Das Interesse an dieser Entwicklung ist hoch: »Ich hatte jede Woche mehrere Besucher, die vorbeikamen und es sehen wollten, viele wollten so etwas kaufen.« Von da ist es nicht mehr weit zu dem Gedanken, das Studium an den Nagel zu hängen und eine Firma zu gründen.
Im Talentpool der Universität trifft er auf Billy Joy, Vinod Khosla und Scott McNealy und gründet mit ihnen zusammen 1982 seine erste Firma: Sun Microsystems. Die Firma erreicht schon im Jahr 1987 einen Umsatz von über einer Milliarde Dollar. »Silicon Valley erlebt ein neues Hightech-Märchen«, schreibt der »Spiegel« und vergleicht von Bechtolsheim mit den Apple-Gründern Steve Wozniak und Steve Jobs.p>
»Sun war der erste Anbieter von einem 32-Bit-vernetzten Arbeitsplatzcomputer mit dem Berkeley Unix Betriebssystem und offenen Schnittstellen. Sun revolutionierte das Computer-Geschäft und wurde zu einem Riesenerfolg«, sagt von Bechtolsheim.
Bis 1995 bleibt er bei Sun Microsystems Technologiechef, doch längst beschäftigt ihn eine neue Idee: Das damalige Netzwerk ist noch zu langsam für das digitale Zeitalter und muss schneller werden. Von Bechtolsheim gründet 1995 mit Granite Systems seine zweite Firma, die Gigabit-Ethernet-Netzwerkschalter entwickelt, mit denen sich riesige Datenmengen schnell austauschen und vermitteln lassen.
Nur ein Jahr später verkauft er das Unternehmen für 220 Millionen Dollar an Cisco, wo er bis 2003 die Gigabit Business Unit leitet. Im Jahr 2004 gründet er die Firma Arista Networks, die Netzwerke für die Cloud herstellt und in diesem Bereich der Hauptkonkurrent der Firma Cisco geworden ist – und inzwischen auch über eine Milliarde Umsatz einfährt.
„Richtiger Riecher“ als Erfolgsrezept
Als Unternehmer vereint von Bechtolsheim grundlegendes und augenblickliches Verständnis vom Potenzial und Nutzen einer Technik. So auch 1998, als die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin ihm ihre Idee präsentierten: »Es war die beste Idee, die ich jemals gesehen hatte, und ich wollte mich unbedingt daran beteiligen. Deswegen stellte ich auf der Stelle einen Scheck auf die Firma Google aus – obwohl diese offiziell noch gar nicht gegründet war. Damit wollte ich Larry und Sergey motivieren, mit der Firma anzufangen.«
Der »richtige Riecher« hat dem Valley-Visionär in den vergangenen Jahrzehnten ein großes Vermögen beschert, welches von Bechtolsheim eher philosophisch betrachtet: »Meine Lebensmotivation war immer, Probleme besser zu lösen, und das ist bei mir bis heute so geblieben, egal wie groß die Summe auf meinem Bankkonto war. Ich habe versucht, meinen Lebensstil so wenig wie möglich zu verändern und bin ein glücklicher Unternehmer und Forscher geblieben, der nach wie vor daran arbeitet, die Welt der Informationstechnologie zu verbessern und zu verändern.«
Stand: 2018
- Name
- Navid Kermani
- Jahrgang
- 1967
- Förderzeitraum
- 1995-1998
- Beruf
- Orientalist, Schriftsteller, Publizist
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 2015 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
»Ich war etwas fanatisch, was meine Arbeit betraf«, sagt der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani über die Zeit seiner Promotion. »Für Stammtische der Studienstiftung hatte ich da keine Zeit.« Diese kompromisslose Hingabe an seine Arbeit habe er weder vorher noch nachher jemals wieder so erlebt, sagt er heute. Und doch: Wer Kermanis Bücher in die Hand nimmt, »Ungläubiges Staunen – über das Christentum« oder »Dein Name« etwa, der erahnt genau diese Gabe zur kompletten Versenkung – und zur Langmut, schier unbezwingbare Ströme an Eindrücken, Informationen, Erlebtem zu kanalisieren.
Geboren wird Kermani 1967 als vierter Sohn iranischer Einwanderer. Er wächst im protestantisch geprägten Siegen auf. Schon während der Schulzeit beginnt er für die Regionalzeitung zu schreiben. Statt wie die drei älteren Brüder Medizin zu studieren, geht Kermani nach Köln und schreibt sich dort für Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften ein.
Während des Studiums beginnt Kermani sich intensiv mit Glaubensfragen, Mystik und Religionsästhetik, gleichermaßen im Islam wie im Christentum, auseinanderzusetzen. In der Rede, die er 2015 zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels halten wird, bringt er die Faszination, die für ihn von den Texten der islamischen Mystiker, Philosophen und Theologen – und des Koran – ausgeht, auf den Punkt: Es sind »die Originalität, die geistige Weite, die ästhetische Kraft und auch humane Größe«. Die Zeugnisse dessen, was »einmal denkmöglich oder sogar selbstverständlich« war, fesseln Kermani und lassen ihn mit Blick auf die religiöse Kultur des modernen Islams »hoffnungslos sentimental« zurück.
Aufreibende Zeiten
An der Universität Bonn beginnt Kermani nach Studienabschluss bei dem OrientalistenStefan Wild mit einem Dissertationsprojekt, mit dem er »Neuland« betrete, wie es in einem Gutachten für die Bewerbung bei der Studienstiftung heißt. Kermani wird 1995 in die Studienstiftung aufgenommen und reist mit einem Stipendium für Recherchearbeiten in den Libanon.
Nach dem sechsmonatigen Aufenthalt in Beirut kommt es zu einer denkwürdigen Episode: Wegen des langen Auslandsaufenthaltes droht ihm, der immer nur in Deutschland gelebt hat, ein Einreiseverbot. Durch die Zeit im Nahen Osten hat er seine Aufenthaltsgenehmigung verwirkt. Es folgt eine nervenaufreibende Zeit in der Schwebe: »Das waren Wochen voller Aufregung, denn obwohl ich in Deutschland geboren bin, hatte ich damals allein die iranische Staatsbürgerschaft. Plötzlich sollte meine deutsche Existenz einfach vorbei sein, mir drohte eine Art Staatenlosigkeit oder nach Iran abgeschoben zu werden«, sagt Navid Kermani.
Am Ende überzeugt auch das Stipendium: »Die Tatsache, dass ich von einer deutschen Institution gefördert, von dieser sogar ins Ausland geschickt werde, und dann nicht zurückdarf, hat alle, vor allem die deutsche Botschaft, derart umgetrieben, dass es dann irgendwie doch gelang, dass ich entgegen dem Paragrafen nach Deutschland zurückkehren konnte.«
Mittler zwischen den Kulturen
Schon parallel zu seiner Doktorarbeit mit dem Titel »Gott ist schön« arbeitet er für das Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, nach der Promotion wird er fester Mitarbeiter. Während es zunächst jedoch so aussieht, als ob Kermani der aka- demischen Laufbahn folge – von 2000 bis 2003 ist er als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg, 2005 folgt die Habilitation in Orientalistik, danach Gastprofessuren –, etabliert er sich mit seinen schriftstellerischen Arbeiten, seinen Reportagen aus den Krisengebieten dieser Welt sowie Auseinandersetzungen mit interreligiösen Themen als »öffentlicher« Intellektueller, der weit über die eigenen Fachgrenzen wirkt.
Schon parallel zu seiner Doktorarbeit mit dem Titel »Gott ist schön« arbeitet er für das Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, nach der Promotion wird er fester Mitarbeiter. Während es zunächst jedoch so aussieht, als ob Kermani der aka- demischen Laufbahn folge – von 2000 bis 2003 ist er als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg, 2005 folgt die Habilitation in Orientalistik, danach Gastprofessuren –, etabliert er sich mit seinen schriftstellerischen Arbeiten, seinen Reportagen aus den Krisengebieten dieser Welt sowie Auseinandersetzungen mit interreligiösen Themen als »öffentlicher« Intellektueller, der weit über die eigenen Fachgrenzen wirkt.
Es sind bewegende Momente wie dieser, die »Interventionen zu den brennenden Gesellschaftsproblemen«, die Kermani für den Münchner Professor für Jüdische Geschichte und Kultur, Michael Brenner, zur »interessantesten Stimme Deutschlands« machen – und ihn 2016 ins Gespräch für das Amt des Bundespräsidenten bringen. »Ich möchte nicht auf Fragen antworten, die sich nicht stellen«, hält Kermani in einem »Zeit«-Interview der Spekulation über eine Kandidatur entgegen. Lieber lädt er zusammen mit dem Schriftstellerkollegen Guy Helminger Autoren, für die sie sich begeistern, zum »Literarischen Salon« nach Köln oder er organisiert eine »Theaterreise«, auf der er morgens in Schulen und abends mit Philosophen, Politikern und Schriftstellern wie Axel Honneth, Joschka Fischer oder Olaf Scholz über die Zukunft der europäischen Demokratien diskutiert.
Der Wille, etwas zu bewegen
Bereits in seinem Lebenslauf an die Studienstiftung nimmt sich Kermani 1995 vor: »Ich bemühe mich, aus meinem Leben ein sinnvolles zu machen.« Ein großer Satz, der viel mit Kermanis Haltung zu tun hat, das »ernst zu nehmen, was man tut, weil das Leben ein Geschenk ist«, wie der Autor heute erläutert.
Dieses Verständnis findet sich für Kermani auch im Kleinen: Beim Bäcker, der für ein gutes Brot alles gibt, oder eben beim Autor, der »nächtelang über irgendwelchen Formulierungen grübelt, die mit Sicherheit keinem Leser auffallen«. Für ihn ist das Entscheidende nicht der »Spaß oder die Selbstverwirklichung, sondern das, was man tut, so gut zu machen und so ernst zu nehmen, dass sich dieser Ernst und diese Leidenschaft auch auf andere Menschen übertragen.«
Stand: 2018
- Name
- Marcel Odenbach
- Jahrgang
- 1953
- Förderzeitraum
- 1983-1985 (Karl Schmidt-Rottluff-Stipendium)
- Beruf
- Videokünstler, Professor für Film und Video an der Kunstakademie Düsseldorf
- Aus dem Lebenslauf
- 1976 Mitgründer von Kölns erstem Piratensender
Fällt der Name Marcel Odenbach, fällt meistens auch der Begriff des Pioniers. Marcel Odenbach gilt als einer der ersten und bis heute international bedeutendsten Künstler, der sich mit dem – seinerzeit noch wenig bekannten – Format Video auseinandergesetzt hat.
Es ist eine Auffälligkeit des 1953 geborenen Künstlers, den Zeitgeist in großen Schritten vorwegzunehmen: nicht nur im Gebrauch eines neuen Mediums, sondern vielmehr auch im Erkennen dessen, was genau dieses neue Medium auszudrücken vermag.
Schon als 17-Jähriger arbeitet Marcel Odenbach in Kölner Galerien – unter anderem bei dem Galeristen und Kunstsammler Rolf Ricke, einem wichtigen Vermittler zeitgenössischer Kunst. Hier lernt er erstmals Videoinstallationen als Kunstform kennen: »Da wusste ich, so etwas will ich auch machen«, erinnert sich Odenbach
Video als Kunstform
Nach seiner Schulzeit führt ihn sein Weg zunächst nicht an eine Kunstakademie, sondern an die Technische Hochschule in Aachen, wo er 1974 ein Studium der Architektur, Kunstgeschichte und Semiotik aufnimmt. Ausgerechnet im Architekturstudium trifft er wieder auf das Format Video – hier nicht als Kunstform, sondern als Arbeitsmittel, um Städte zu planen: »Orte spielen möglicherweise auch deshalb immer eine wichtige Rolle in meinen Arbeiten«, sagt Odenbach in einem Interview.
Zu dieser Zeit steht noch der Berufswunsch »Kunstvermittler« im Raum, wie er später in seiner Bewerbung um das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium schreibt. Dann hätten die eigenen Arbeiten aber doch überhandgenommen.
Freischaffender Künstler wird er gewissermaßen nebenbei: »Meine mehr oder weniger autodidaktische Ausbildung – bezogen auf die übliche Laufbahn eines Künstlers – war und ist für meine Arbeiten ausschlaggebend gewesen. Ich habe während meines Studiums Video-Gruppen mit Studenten gemacht, diese Auseinandersetzung innerhalb einer Gruppe und die Umsetzung wissenschaftlicher Themen und Problematiken anhand eines visuellen Darstellungsmittels fließen noch heute in meine Arbeit ein. Aus diesem Grund habe ich auch – obwohl ich schon lange während meines Studiums wusste, dass ich später als freischaffender Künstler arbeiten wollte – die angefangene Ausbildung beendet.«
Stipendium im zweiten Anlauf
1983 bewirbt sich Odenbach um das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium der Studienstiftung, für das ihn der Kunsthistoriker und führende Experte für Videokunst und Videoinstallationen, Wulf Herzogenrath, vorschlägt.
Seine Videoarbeit kann der Jury allerdings zunächst nicht gezeigt werden, da es an der Kunsthochschule Braunschweig noch keine Möglichkeit gibt, die Videobänder vorzuspielen. Im zweiten Anlauf in Kassel ist man für Odenbachs Installation gut aufgestellt: Er wird als erster Videokünstler in die Förderung aufgenommen.
Die Anekdote macht deutlich, wie hartnäckig Marcel Odenbach den Weg des Videos als anerkanntes Kunstmedium gebahnt hat. Mit der Förderentscheidung bekennt sich die Jury des Karl Schmidt-Rottluff Stipendiums darüber hinaus zu ungewöhnlichen Formaten sowie neuen Medien im Sinne eines erweiterten und erweiterbaren Kunstbegriffs.
Inzwischen sitzt Odenbach selbst öfter in der Jury für die Künstlerförderung oder das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium und lehrt als Dozent auf Künstlertagungen der Studienstiftung. Seit 1989 hält Odenbach verschiedene (Gast-)Professuren, etwa an der Hochschule der Künste Berlin, der Rijksakademie Amsterdam, der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und der University of California in Los Angeles. Im Jahr 2000 wird er Professor für Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien in Köln, 2010 wechselt er an die Kunstakademie Düsseldorf.
Gründete Kölns ersten Piratensender
Als er in den 1970er-Jahren anfängt, sich stärker mit dem Medium Video auseinanderzusetzen, fasziniert ihn daran vor allem die Unabhängigkeit von kommerziellen Märkten. Anfangs hat Odenbach noch die Vorstellung, mit Videoproduktionen einen kritischen Kontrapunkt zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu setzen.
So gründet er 1976 gemeinsam mit Ulrike Rosenbach und Klaus vom Bruch Kölns ersten Piratensender: Alternativ Television (ATV) will neue, unangepasste 147 Formen des Fernsehens erproben. Programmzettel werden verteilt und Freunde zu den Videovorführungen eingeladen. Die Reichweite liegt bei wenigen Hundert Metern. Die Zielgruppe: die unmittelbare Nachbarschaft.
Videoarbeiten und Zeichnungen als komplexe Erzählungen
Odenbach kann auch analog: Dienen ihm seine Papierzeichnungen anfangs noch als Entwürfe, entwickeln diese sich parallel zu den Videoarbeiten immer weiter zu einer eigenständigen Ausdrucksform. »Wenn man sich aber beide Stränge, Video und Papier, anschaut, gibt es auffällige Parallelen, die Benutzung von Schrift und Sprache etwa, das Arbeiten mit Fremdmaterial und mit verschiedenen Bildebenen, allen voran die Idee des Collagierens. Mit dem veränderten Markt ist auch Video irgendwann sehr kommerziell geworden, was mich teilweise desillusioniert hat«, sagt Odenbach in einem Interview.
In seinen Arbeiten rückt er gesellschaftskritische, aber auch zeitgeschichtliche Themen in den Mittelpunkt. So beschäftigt er sich immer wieder mit der deutschen Nachkriegszeit und Kolonialgeschichte. Auch die Eigen- und Fremdwahrnehmung des »Ichs« thematisiert er, auf eine reine Personalisierung bestimmter Probleme wiederum verzichtet er: »Ich will kein Recht sprechen!«
Ruanda-Projektion als Chiffre für Völkermord
Zu seinen persönlich wichtigsten Videoinstallationen gehört »In stillen Teichen lauern Krokodile« (2002 / 04): »Ich glaube, ich habe noch nie so intensiv und so lang an einer Arbeit gearbeitet«, sagt Odenbach. Für einen Auftrag der Vereinten Nationen recherchiert er 1995 im Filmarchiv der Organisation. Dabei stößt er auf dokumentarisches Material über den Völkermord in Ruanda, bei dem 1994 mehr als 800.000 Tutsi in 100 Tagen starben: »Die Bilder haben mich ungeheuer beeindruckt. Unvorstellbar, dass sich Genozide noch immer wiederholen.«
Das Material wird zum Ausgangspunkt vieler weiterer Arbeiten Odenbachs. Das Thema selbst »schlummert« schon viel länger in ihm, denn Odenbachs Großmutter hatte als gebürtige Belgierin Verwandtschaft in der ehemaligen belgischen Kolonie Kongo.
Odenbach sammelt über Jahre hinweg Material und fährt Anfang 2000 mehrfach nach Ruanda, um zu drehen. Am Ende schneidet er aus 29 Stunden Filmmaterial eine halbstündige Doppelprojektion zusammen: »Eine subjektive Dokumentation über ein Drama in sieben Kapiteln«, sagt Odenbach über sein Werk, das für ihn auch ein Sinnbild ist, um – insbesondere als Deutscher – über Völkermord an sich nachzudenken.
In seinen filmischen Projektionen verschwimmen die Grenzen zwischen selbst produziertem und found-footage Material. »Odenbachs Videoarbeiten und Zeichnungen sind komplexe Erzählungen, die er anhand einer ganz eigenen Technik der Collage aus Film- und Fernsehmitschnitten, Archivmaterial und selbst produzierten Bildern entwickelt. In seiner Montage aus öffentlichen und privaten Bildern entsteht eine Narration, die das übergeordnete der Historie mit dem Empfinden des einzelnen Menschen und der Biografie des Künstlers subtil verbindet«, schreibt der Kunsthistoriker Matthias Mühling 2014 als Kurator der Ausstellung »Marcel Odenbach. Stille Bewegungen. Tranquil Motions« im Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.
Gerade durch die dynamische Verschmelzung von Historischem und Zeitgenössischem, Persönlichem und Öffentlichem zeigt Marcel Odenbach die für ihn einzig mögliche Richtung in der Kunst an: nach vorne.
Stand: 2018
- Name
- Barbara Vinken
- Jahrgang
- 1960
- Förderzeitraum
- 1979-1985
- Beruf
- Literaturwissenschaftlerin, Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU München
- Aus dem Lebenslauf
- Das Kunstmagazin »Monopol« kürte Vinken zur »glamourösesten Professorin Deutschlands«
Die Weltliteratur hatte sie bereits mit 15 Jahren verschlungen: »Lesen ist für mich das Schönste im Leben«, sagt Barbara Vinken – und hat es geschafft, ihre Neigung zum Beruf zu machen: Seit 2004 ist sie Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU München.
»Literatur habe ich studiert, weil man dort nicht nur der Wahrheit des Menschlichen am nächsten kommt, sondern auch, weil ich dieses kostbare Wissen der Literatur verstehen, erhalten und weitergeben möchte. Denn wenn man nicht immer wieder liest, wiederholt man alles nur und macht die gleichen Fehler neu«, so die Wissenschaftlerin.
Allerdings war es für die Einser-Abiturientin aus Großburgwedel bei Hannover nicht selbstverständlich, ihr Wunschstudium anzugehen: »Mir war immer klar, dass ich nicht ein prestigeträchtiges Fach wie Medizin mit Numerus clausus studieren würde, obwohl das viele erwarteten. Ich hatte mich entschlossen, das zu machen, was mich immer fasziniert hatte, nämlich Texte interpretieren, Literaturwissenschaft zu studieren. Und das obwohl Romanistik bereits ein ›Mädchenfach‹ geworden war, ohne große Karriereaussichten. Im Nachhinein hat sich dieses Festhalten an meiner Leidenschaft als glücklich herausgestellt, damals jedoch war ich schon sehr beunruhigt.«
Expertin für Kleist, Flaubert – und Mode
Barbara Vinken hat sich durchgesetzt: Als Literaturwissenschaftlerin wird sie weit über ihre Fachgrenzen hinaus gehört und stößt mit ihren Beiträgen, etwa für »Die Zeit« oder »Neue Zürcher Zeitung« immer wieder Diskussionen an. Sie gilt als Expertin für Kleist, Flaubert und Mode, veröffentlicht Bücher, die Fragestellungen aus Literatur, Feminismus und Ästhetik zusammenbringen, ist Kritikerin in der »3sat Buchzeit«-Sendung und beschäftigt sich in ihrer wöchentlichen Radiokolumne »Stilfältig« mit Mode und den dahinter stehenden Macht-, Zeit- und Kulturfragen.
Das Kunstmagazin »Monopol« bezeichnete sie einmal als »glamouröseste Professorin Deutschlands« – für Barbara Vinken ein Kompliment, denn »die Frauen denken, sie müssten für die Karriere den Preis der Weiblichkeit zahlen. Das ist ein großes Problem hierzulande«, sagt die Modetheoretikerin, die lieberKaschmir- Kleid statt Hosenanzug trägt. Die Bedeutung der Mode steht auch im Mittelpunkt ihres Buches »Angezogen. Das Geheimnis der Mode«, das 2014 für den Sachpreis der Leipziger Buchmesse nominiert war.
»Seit einigen Jahren bin ich zum einen dabei, das Nachdenken über die Mode aus der Soziologie zu lösen und zu einer Ästhetik der Mode zu gelangen. Das versuche ich in einer breiteren Medienöffentlichkeit. Zum anderen möchte ich zeigen, dass in der Literatur des 19. Jahrhunderts unter der Ideologie der Säkularisation ein religiös- theologisches Register liegt, das ich wieder lesbar machen will. Es geht mir, kurz gesagt, um das Untergraben des aufgeklärten Dogmas, das sich ungut verhärtet hat«, erklärt die Professorin.
Bekannt ist die Literaturwissenschaftlerin aber vor allem für ein anderes Werk: »Die deutsche Mutter«. In dem kontrovers diskutierten Werk analysiert sie den Mythos der deutschen Mutter von seinen Anfängen in der Reformation über Rousseau bis zu den Entwicklungen in der Bundesrepublik und der DDR. Vinken, selbst Mutter eines Sohnes, schält die politischen Hintergründe des Mythos heraus und zeigt, wie die Emanzipation der Frauen an der Vorstellung der Mutter, die sich ganz dem Kind widmet, immer wieder ihre Grenze findet.
Von Großburgwedel in die weite Welt
Sie selbst wächst mit fünf Geschwistern in Großburgwedel auf, ihre Mutter arbeitet als Textildesignerin im Strumpfsektor, ihre Tante näht Kleider, auf die die kleine Barbara stolz ist – Mode spielt also schon in der Kindheit eine Rolle.
Nach dem Abitur zieht es Vinken sofort ins Ausland. Zum Wintersemester 1978 / 79 beginnt sie an der Universität der Provence Aix-Marseille Romanistik und Germanistik zu studieren, »wo die Nachbarfakultät der Juristen nicht nur viel schönere Bibliotheken hatte, sondern auch einen Luxus der Hörsäle, der uns in der schäbigen Fakultät der modernen Sprachen mit den leeren Bibliotheksregalen, den Linoleumböden nahezu märchenhaft vorkam«, erinnert sie sich.
Während dieser Zeit wird sie auf Vorschlag ihres ehemaligen Gymnasiums zu einem Auswahlgespräch der Studienstiftung eingeladen. »In die Studienstiftung aufgenommen zu werden, bedeutete für mich nicht nur finanzielle Unabhängigkeit und das gute Gefühl, meinen Eltern mit ihren fünf Kindern nicht mehr zur Last zu fallen, sondern vor allen Dingen die Sicherheit, nicht drittklassig zu sein. Deshalb hat mir die Aufnahme in die Studienstiftung die Angst genommen, mich in jeder Hinsicht existenziell beruhigt und mir das Vertrauen geschenkt, ich würde es vielleicht doch irgendwie schaffen können«, sagt Vinken.
Insbesondere die Sommerakademien der Studienstiftung in Alpbach und Völs bleiben ihr im Gedächtnis, die Möglichkeit »ganz frei mit meist sehr klugen Gleichaltrigen fernab des Alltags zusammenzuleben und ein Thema zu erarbeiten. Es hört sich an wie ein Klischee, aber ich habe dort wirklich Freunde fürs Leben getroffen.«
Die Frage nach dem Sinn
Der Kritik an der »Nutzlosigkeit« begegnet Vinken mit dem Bestreben, »eine Synthese zwischen Kunst und Leben zu errichten, da ich glaube, dass hier eine Möglichkeit liegt, über die Eindimensionalität des Lebens, die Eingleisigkeit hinauszukommen, zu den Erfahrungsbereichen, und etwa das Wunderbare und Rätselhafte sinnlich zu erschließen. Meiner Erfahrung nach ermöglicht die Beschäftigung mit Kunst dem Menschen, nicht nur sich selbst und seinen Nächsten von der Ratio her besser zu erkennen, sondern stärkt auch eine uns immer mehr abhandenkommende Fähigkeit, die Welt durch die Sinne zu begreifen, zu erfühlen, um so zu einer wirklich schöpferischen Identität und Individualität zu kommen, zu einem reiferen, allumfassenden Menschsein zu gelangen.«
Die Suche nach einer Synthese von Kunst und Leben, einer Antwort auf die Frage nach dem »Wozu eigentlich?« hat Vinken in ihrer bisherigen Karriere an viele Orte geführt: Nach der Promotion 1989 in Konstanz und 1992 in Yale habilitiert sich die 37-Jährige in Jena. Und bevor sie 2004 schließlich nach München wechselt, begeistert sie als (Gast-)Professorin weltweit Studierende für die Kunst der Worte – in Hamburg, Bordeaux, Chicago, Baltimore, New York oder Paris.
Stand: 2018
- Name
- Christiane Heinicke
- Jahrgang
- 1985
- Förderzeitraum
- 2006-2010
- Beruf
- Geophysikerin, Astronautin
- Aus dem Lebenslauf
- Testete ein Jahr das Leben auf dem Mars – am Hang eines Vulkans auf Hawaii
Christiane Heinicke ist einer der ersten Menschen auf dem Mars. Das heißt, dem Mars am Hang des Mauna Loa auf Hawaii. Im August 2016 beendet die Geophysikerin ihren irdischen Mars-Aufenthalt in der Forschungsstation. Als Teil eines internationalen Teams testet sie, wie man unter widrigen Bedingungen auf engstem Raum zusammen lebt und arbeitet.
»Ich fand die Herausforderung faszinierend, ein Jahr mit nur fünf anderen Leuten zu leben – abgeschnitten vom Rest der Welt, ganz auf uns allein gestellt. Außerdem hatte ich so die Möglichkeit, einen Beitrag zur Weltraumforschung zu leisten«, sagt die Wissenschaftlerin aus Sachsen-Anhalt.
Ihre Eltern im heimischen Bitterfeld hingegen sind anfangs wenig begeistert von dem Plan: »Du bist verrückt« – so die erste Reaktion. Am Ende aber sind sie doch stolz, dass sich ihre Tochter für die Mission qualifiziert. »Ich habe generell einen Hang dazu, mich auf neue, auf den ersten Blick verrückte Projekte zu stürzen, beispielsweise habe ich kurz nach der Promotion für ein Weilchen in Chile als Bergführerin gearbeitet«, sagt die Geophysikerin mit einer Vorliebe für knall-lilafarbene Haare.
Mit Freude rechnen, tanzen und Klavier spielen
Bereits als Schülerin nimmt Christiane Heinicke regelmäßig an der Mathematik-Olympiade teil. Doch nicht nur Zahlen interessieren sie: Sie spielt Klavier, tanzt und tritt als Cheerleaderin auf. Ihre Tanzbegeisterung hält bis heute an: Auf der Mars-Station bringt sie ihren Kollegen in der Freizeit Salsa bei.
Nach dem Abitur 2005 am Bitterfelder Walther-Rathenau-Gymnasium entscheidet sie sich für ein Studium der Technischen Physik an der TU Ilmenau: »Rückblickend eine richtungsweisende Entscheidung«, wie sie feststellt. 2006 wird die Studentin beim Bundeswettbewerb von »Jugend forscht« mit dem Sonderpreis der Ernst A. C. Lange-Stiftung ausgezeichnet – die Eintrittskarte für das Auswahlseminar der Studienstiftung, das sie erfolgreich meistert.
Die Welt entdecken
Während ihres Studiums nutzt die Stipendiatin jede Chance, ins Ausland zu reisen: 2008 verbringt sie mit Unterstützung der Studienstiftung vier Monate am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA: »In meiner Arbeitsgruppe am MIT ist genau ein US-Amerikaner; alle anderen kommen aus verschiedenen Ländern. Mittlerweile kann ich alle anhand ihres Akzents auseinanderhalten. Allen gemeinsam ist jedoch der Arbeitswille, den ich unter meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen in Deutschland manchmal vermisst habe. Wenn die Messung noch läuft, dann kommt man eben mal erst um elf Uhr abends nach Hause. Allein diese Atmosphäre macht den Aufenthalt hier unvergesslich«, erinnert sie sich in ihrem Semesterbericht.
2009 zieht es sie erneut in die Ferne: Sie nimmt an einer Sommerakademie der Studienstiftung in Frankreich teil, im August reist sie weiter nach Spanien und frischt in einem Sprachkurs in Salamanca ihre Spanischkenntnisse auf.
Ihr anschließendes Masterstudium der Geophysik absolviert sie an der schwedischen Universität Uppsala und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). »Ich habe sicher viel Glück gehabt mit der Wahl meiner Unis. Wenn ich mir meinen Studienwerdegang so anschaue, kommt mir mein Nomadentum ziemlich stressig vor. Damals jedoch ergab sich der nächste Schritt immer logisch aus den aktuellen Gegebenheiten. Ohne die Offenheit der Uppsalenser und die aktive Unterstützung an der ETH wäre ich auch nie auf die Idee gekommen, dass ein Masterstudium so zügig und trotzdem so gehaltvoll durchzuführen wäre«, sagt sie über ihre Uni-Zeit.
Auch die Studienstiftung habe einen großen Teil zu diesem Erfolg beigetragen, denn: »Die finanzielle Belastung meines Nomadenstudiums hätte ich wohl ohne das Stipendium der Studienstiftung niemals stemmen können – auch so war das Budget manchmal schmerzhaft knapp. Doch auch die Sommerakademie in Guidel, der Sprachaufenthalt in Salamanca sowie die Organisation der Vortragsreihe ›Verantwortung‹ in Ilmenau zusammen mit anderen Ilmenauer Studienstiftlern sind Erfahrungen, die ich um keinen Preis der Welt missen möchte – genauso wenig wie die dort gewonnenen Freunde«, resümiert die Wissenschaftlerin.
Sie ist sich sicher: »Ohne die Unterstützung der Studienstiftung und meiner Universitäten hätte ich so manche Entscheidung anders treffen müssen. Rückblickend aber, wenn ich unter den gleichen Voraussetzungen noch mal wählen müsste, würde ich alles exakt genauso machen.«
Für die Promotion kehrt Heinicke 2010 zurück nach Ilmenau. Auf dem Weg zum Dr.-Ing. am Institut für Thermo- und Fluiddynamik beschäftigt sie sich mit einem elektromagnetischen Verfahren, um die Fließgeschwindigkeit in Metallschmelzen zu messen. Für einen populärwissenschaftlichen Artikel über ihre Promotion wird sie 2013 mit »KlarText« ausgezeichnet, dem Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft.
2017 erscheint ihr erstes Buch
Bevor sie im August 2015 für ein Jahr an der simulierten Mars-Mission auf Hawaii teilnimmt, forscht sie als Postdoc in Finnland am Institut für Materialmechanik der Aalto University zur Mechanik von Meereis.
Ursprünglich will sie deshalb auch an einer Mars-Simulation in der Arktis teilnehmen. Da das Projekt jedoch ins Stocken gerät, bewirbt sie sich kurzerhand für das Mars-Projekt auf Hawaii – mit Erfolg.
Kaum ist sie zurück auf der Erde, erscheint im Frühjahr 2017 ihr Buch »Leben auf dem Mars – Mein Jahr in einer außerirdischen Wohngemeinschaft«. Außerdem hat Heinicke mit der europäischen Weltraumagentur ESA und der Freien Universität Amsterdam einen Forschungsantrag zu Weltraumhabitaten und -laboren gestellt – die Zusage steht noch aus.
Die Raumfahrt lässt die Geophysikerin offensichtlich nicht mehr los. Unabhängig davon ist Christiane Heinicke offen für »neue, auf den ersten Blick verrückte Projekte«.
Stand: 2018
- Name
- Dorothea Rüland
- Jahrgang
- 1955
- Förderzeitraum
- 1980-1984
- Beruf
- Wissenschaftsmanagerin, Generalsekretärin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
Der ständige Blick über den Tellerrand charakterisiert die internationale Karriere von Dorothea Rüland: Schon während ihrer Promotion an der Albert-Ludwigs-Universität-Freiburg arbeitet sie als Lektorin an der Universität Exeter in Großbritannien.
Anfangs ist es noch die pure Abenteuerlust, die sie ins Ausland zieht. Doch schnell gelingt es der heutigen Generalsekretärin des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD), Leidenschaft und Beruf miteinander zu kombinieren: Ihr Berufsweg ist von einem steten Wechsel zwischen In- und Ausland sowie zwischen Hochschultätigkeit und Wissenschaftsmanagement geprägt.
1955 in Berlin geboren und in Aachen und Karlsruhe aufgewachsen, entscheidet sich Rüland nach dem Abitur 1973 für ein Studium der Geschichte, Germanistik und Musikwissenschaften: »Ich habe immer sehr gerne gelesen und viel Musik gemacht. Sprache, Literatur und Musik sind aber jeweils in einem historischen Kontext entstanden, insofern bot sich diese Kombination an«, sagt sie in einem Interview.
Die Zeit in Freiburg erlebt die Studentin als prägend: »Ich hatte das große Glück, in Freiburg hervorragende akademische Lehrer zu finden, insbesondere meinen Doktorvater Professor Gerhard Kaiser, der aus Freiburg auch meinen weiteren Lebensweg begleitet hat.«
Nach den beiden Staatsexamen 1978 für das Höhere Lehramt in Germanistik und Geschichte entscheidet sie sich für eine akademische Laufbahn und beginnt mit der Promotion. 1980 wird sie in die Studienstiftung aufgenommen: »Ein Stipendium der Studienstiftung ist ein großes Privileg. Mir hat es die Freiheit gegeben, meine Promotion frei von finanziellen Zwängen zu gestalten und mich meiner wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Ich konnte reisen, recherchieren, forschen, Netzwerke aufbauen, andere Fächer kennenlernen und meinen Horizont erweitern«, so die Wissenschaftsmanagerin.
Zweifel als kreativste Momente
1984 beendet sie erfolgreich ihre Promotion über »Künstler in der Gesellschaft – Die Libretti und Schriften des jungen Richard Wagner aus germanistischer Sicht« – eine Arbeit an der Schnittstelle zwischen musikhistorischen und literaturwissenschaftlichen Fragestellungen.
Heute hat Dorothea Rüland mit diesem Thema nur noch mittelbar zu tun: »Nämlich in meiner Tätigkeit im DAAD, der – was weniger bekannt ist – die größte deutsche Einrichtung ist, die jungen Künstlerinnen und Künstlern Aufenthalte im Ausland ermöglicht und umgekehrt Künstler aus dem Ausland nach Deutschland holt.«
Die Promotionsförderung der Studienstiftung empfindet sie als Stipendiatin auch auf ideeller Ebene als große Bereicherung: »Begeistert hat mich die exzellente Betreuung durch die Vertrauensdozenten der Studienstiftung, die einem immer wieder Orientierung bieten und die Möglichkeit, auch seine Zweifel zu reflektieren. Denn Zweifel sind die kreativsten Momente.«
Warum es die Stipendiatin noch während der Promotion ins Ausland zieht, begründet sie in einem Interview: »Ich wollte einmal ein anderes Hochschulsystem kennenlernen und daraus hat sich eine Leidenschaft entwickelt: Es hat mich immer wieder fasziniert im Ausland zu leben, man lernt in dieser Zeit in doppelter Hinsicht, einmal natürlich viel über das andere Land, aber gleichzeitig auch viel über sich selbst, weil eine andere Kultur dazu zwingt, vieles zu hinterfragen, was sonst als selbstverständlich wahrgenommen wird.«
Diese Erfahrungen vermittelt sie auch den DAAD-Stipendiaten: »Nutzen Sie die Freiräume für Begegnungen, die Begegnungen für neue Wege. Haben Sie den Mut, auch mal Risiken einzugehen, ungewöhnliche Fragen zu stellen und nicht nur wissenschaftliche Trampelpfade zu betreten.«
Gelungener Spagat zwischen Karriere und Familie
Mit ihrer eigenen Biographie ist Dorothea Rüland, die mit dem Politologen Jürgen Rüland verheiratet ist, der Zeit weit voraus: Nicht nur, dass sie in der Vergangenheit immer wieder jene wissenschaftlichen Trampelpfade verlassen hat, sondern es ist ihr auch gelungen, als vierfache Mutter Familie und Karriere zu vereinbaren: »Das war in der Tat, als unsere Kinder klein waren, ein schwieriges Thema. Doch waren für mich meine Jahre in Asien ein Glücksfall: Kinderbetreuung ist dort sehr unproblematisch, außerdem hatten unsere Kinder das Glück in sehr spannenden, ausgesprochen kinderfreundlichen Gesellschaften aufzuwachsen.«
Gut zehn Jahre lebt sie mit ihrer Familie in Asien: Zunächst von 1985 bis 1990 als DAAD-Lektorin an der Deutschen Abteilung der Chiang Mai Universität in Thailand und später, von 1994 bis 1999, in Jakarta, wo sie die DAAD-Außenstelle leitet. 2000 kehrt sie als Gruppenleiterin für Asien, Australien, Neuseeland, Ozeanien, Nordafrika und Nahost in die DAAD-Zentrale nach Bonn zurück. Ein Jahr später übernimmt sie die Leitung der Programmabteilung Süd des DAAD und prägt entscheidend die Entwicklung von Programmen und Maßnahmen auf der Südhalbkugel.
Begabtenförderung als Investition in die Gesellschaft
2004 wird Rüland stellvertretende Generalsekretärin und Leiterin der Abteilung für überregionale Programme. Doch 2008 zieht es die Akademikerin noch einmal in die Hochschullandschaft: Im Rahmen der Exzellenzinitiative gründet sie an der Freien Universität Berlin das »Center for International Cooperation«, dem sie für zwei Jahre als Direktorin vorsteht.
In dieser kurzen Zeit gelingt es ihr, die internationale Sichtbarkeit der Freien Universität zu steigern und zu intensivieren. 2010 kehrt Rüland zum DAAD zurück und leitet seitdem als Generalsekretärin den DAAD. Zugleich ist sie Themenpatin der Gruppe »Internationalisierung & Marketingstrategien« beim Hochschulforum Digitalisierung, das 2014 vom Centrum für Hochschulentwicklung, Hochschulrektorenkonferenz und Stifterverband initiiert und seitdem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
Als Generalsekretärin der weltweit größten Förderorganisation für den internationalen Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern ist sie rund um den Globus im Einsatz – auch um die klügsten Köpfe für Deutschland zu gewinnen: »Die Förderung von begabten, jungen Menschen ist natürlich eine Bereicherung für jeden einzelnen Geförderten, aber Begabtenförderung ist immer auch eine Investition in eine Gesellschaft. Das heißt, jeder Stipendiat geht auch eine Verpflichtung ein. Entwicklungs- und Schwellenländer aber auch reiche Länder wie Deutschland stehen gleichermaßen vor großen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Herausforderungen, die nur von Menschen gelöst werden können, die mit Intelligenz, Knowhow, einer guten Ausbildung und dem Blick über den Tellerrand gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen.«
Stand: 2018
- Name
- Eckart von Hirschhausen
- Jahrgang
- 1967
- Förderzeitraum
- 1987-1993 (Studienförderung)
- 1995-1996 (Programm Wissenschafts- und Auslandsjournalismus)
- Beruf
- Medizinischer Kabarettist, Moderator, Autor
»Vergesst nicht, wofür ihr brennt« – diesen Aufruf richtet Eckart von Hirschhausen an aktuelle Stipendiatinnen und Stipendiaten der Studienstiftung. »Wenn man für Dinge brennt ohne auszubrennen, zeigt das, dass man auf der richtigen Lebensspur ist.« Wer seine Mission gefunden habe, müsse sein Anliegen äußern, umsetzen und sich vernetzen. Ratschläge, die der als Komiker und Autor bekannte Mediziner selbst auf seinem beruflichen Werdegang beherzigt hat– und das mit Erfolg.
Medizinstudium und Wissenschaftsjournalismus
Hirschhausen studiert von 1986 bis 1993 in Berlin, Heidelberg und London Medizin. Highlights während des Studiums sind für ihn die Sommerakademien der Studienstiftung. »Besonders freue ich mich auf die Arbeitsgruppe‚ Kreatives Schreiben‘ auf der Sommerakademie in Völz, für die ich momentan eine Reportage zu Arzt-Patienten-Gesprächen recherchiere«, schreibt Hirschhausen 1988 in seinem Semesterbericht. Die Impulse jener Sommerakademie wirken nach und der Medizinstudent verfasst einen ersten Fachartikel für eine Lokalzeitung.
Noch kann er sich das Schreiben nur als Nebenberuf vorstellen: »Als Hauptberuf fehlt mir dabei wahrscheinlich der Menschenkontakt.« Neben dem Journalismus widmet sich Hirschhausen in seiner Freizeit vor allem der Zauberei. An seinem Studienort Heidelberg tritt er in der Fußgängerzone auf, wird »Deutscher Meister« des Magischen Zirkels und sammelt Bühnenerfahrungen als Conferencier.
Das Studium schließt Hirschhausen nach dem praktischen Jahr und Arzt im Praktikum in der Kinderneurologie 1994 an der Charité in Berlin ab. Parallel dazu arbeitet er weiter als Wissenschaftsjournalist. Er kritisiert, dass die meisten Zeitungen die Wissenschaft auf eine spezielle Seite oder Beilage reduzieren, als ob sie nicht integraler Bestandteil der Gesellschaft und von politischer Konsequenz wäre. Das will er ändern und entschließt sich auf Zuraten zweier Vertrauensdozenten der Studienstiftung 1995 zu einem Aufbaustudium Wissenschaftsjournalismus, das ebenfalls von der Studienstiftung gefördert wird.
Der Wissenschaftler als Entertainer
Heute blickt von Hirschhausen mit Dank auf seine Zeit als Stipendiat: »Danke, Studienstiftung, für die Sommerakademien, das Büchergeld und die Inspiration durch viele persönliche Kontakte: So konnte ich nicht nur sechs Jahre lang Medizin studieren und lernen, mich auf hohem Niveau unverständlich auszudrücken; ich durfte anschließend mit dem Wissenschaftsjournalismus lernen, gesundes Wissen zu vermitteln und habe damit meine Lebensaufgabe gefunden. Denn nur weil einen keiner versteht, heißt das ja noch nicht, dass man Experte ist.«
Von Hirschhausen gelingt es, beide Studiengänge zusammenzubringen und die Gratwanderung zwischen differenzierter Wissensvermittlung und Reichweite zu meistern. Er ist Deutschlands erfolgreichster Sachbuchautor, erreicht über Artikel, Fernsehen und Liveauftritte Millionen von Zuschauern und damit auch Bevölkerungsschichten, die sich nicht automatisch für Gesundheitsthemen interessiert hätten. »Gesundheit und Lebenserwartung folgen der Bildung. Es wird für viele Volkskrankheiten nie eine Pille geben, die besser ist als ein bewusster Lebensstil.«
Soziales Engagement
Hinter den Kulissen engagiert sich Eckart von Hirschhausen mit seiner Stiftung »Humor hilft heilen« für heilsame Stimmung in Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen. Die Interventionen von Kinderstationen bis zur Palliativmedizin werden wissenschaftlich begleitet. Darüber hinaus bietet die Stiftung Workshops für Pflegekräfte an und unterstützt das Programm »Gemeinsam leben lernen«, für soziales Lernen und positive Psychologie in der Grundschule. Von Hirschhausen ist außerdem Botschafter und Beirat für die Deutsche Krebshilfe, die Deutsche Bahn Stiftung, Stiftung Lesen, Stiftung Deutsche Depressionshilfe und moderiert den »Ort der Begegnung« für ehrenamtlich Engagierte beim jährlichen Bürgerfest des Bundespräsidenten.
Der Studienstiftung bleibt er bis heute verbunden: Als Gastautor schreibt er Beiträge für den Jahresbericht, hält Reden bei Preisverleihungen und wirkt bei Alumni-Veranstaltungen mit. Die jungen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Studienstiftung ruft er dazu auf, ihr theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen und sich einzubringen: »Wir, die wir die Möglichkeiten dazu haben, müssen einen relevanten Unterschied in der Gesellschaft machen.«
Stand: 2018
- Name
- Philipp Justus
- Jahrgang
- 1969
- Förderzeitraum
- 1990-1994 (Studienförderung)
- 1994-1996 (Haniel-Stipendium)
- Beruf
- Ökonom, Vizepräsident von Google Central Europe und Geschäftsführer von Google Deutschland
Als Philipp Justus im Jahr 2000 von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group zu eBay wechselt, steckt das 1995 gegründete Unternehmen noch in den Kinderschuhen und hat erst ein Jahr zuvor nach Deutschland expandiert.
»Anfangs gab es viele zweifelnde Fragen von Freunden und Familie, ob ein ›Flohmarkt im Internet‹ jemals funktionieren könne. Der Wunsch, unternehmerisch tätig zu werden und ein Unternehmen mit aufzubauen, überwog aber die Zweifel. Und aus einem ungewissen Abenteuer sind mittlerweile 16 Jahre in Technologieunternehmen geworden«, sagt der heutige Deutschland-Chef von Google, der in Berlin lebt. Seine Entscheidung, frühzeitig in die gerade erst entstehende Internetbranche einzusteigen, sieht er rückblickend als »wichtige Weichenstellung für meinen beruflichen Werdegang«.
Erfolg in der Technologiebranche
Zwischen 2000 und 2004 baut der Betriebswirt erfolgreich das Deutschland-Geschäft für eBay auf und übernimmt als Geschäftsführer schließlich die europaweite Verantwortung: eBay erzielt auf dem deutschen und britischen Markt höhere Umsätze pro Kopf als in den USA. 2006 wird Justus vom World Economic Forum in Davos zum »Young Global Leader« gewählt.
Vermutlich Gründe genug für die damalige eBay-Vorstandsvorsitzende Meg Whitman, den gebürtigen Hamburger in die Unternehmenszentrale ins kalifornische San José zu holen, wo er ab 2007 das eBay-Auktionsgeschäft für die USA leitet. Justus ist damit der erste Europäer, der im Stammhaus die Verantwortung für das Amerika-Geschäft übernimmt.
Drei Jahre später zieht es den Topmanager zurück nach Deutschland: Der 40-Jährige wechselt zum Axel Springer Konzern, wo er Vorstandsvorsitzender des Online-Marketing-Dienstleisters Zanox wird. Seit Juni 2013 ist Justus bei Google tätig und verantwortet inzwischen das Geschäft von Google Central Europe sowie von Google Deutschland.
Studium in Koblenz, Paris und den USA
Nach dem Abitur 1989 in Reinbek bei Hamburg zieht es Philipp Justus zunächst für ein Liberal Arts-Studienjahr ans Williams College in Massachusetts, ehe er zum Wintersemester 1990 / 91 sein Betriebswirtschaftsstudium an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar bei Koblenz aufnimmt. Kurz darauf wird er in die Förderung der Studienstiftung aufgenommen. 1992 absolviert er Auslandssemester an der École des hautes études commerciales (HEC) in Paris sowie der Kellogg School of Management der Northwestern University bei Chicago.
1994 schließt Justus das Studium an der WHU als Diplomkaufmann ab. »Besonders prägend waren für mich der Austausch mit meinem Vertrauensdozenten Horst Albach und seiner Stipendiatengruppe, die aus Koblenzer und Bonner Studierenden und Doktoranden bestand. Regelmäßig trafen wir uns zu gesellschaftspolitischen Diskussionen in Professor Albachs privatem Haus in Bonn, häufig in Anwesenheit interessanter Gäste der ›Bonner Republik‹. Ich erinnere mich lebhaft an intensive Diskussionen über die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung, über die politische Situation in Osteuropa nach dem Zerfall der Sowjetunion oder über die religiösen Konflikte im Nahen Osten.«
Als Haniel-Stipendiat wichtige Berufserfahrung gesammelt
Frisch diplomiert bewirbt sich Philipp Justus erfolgreich um einen Platz im Haniel-Stipendienprogramm. Über ein sechsmonatiges Praktikum bei der Unternehmensberatung McKinsey schreibt er der Studienstiftung: »Insgesamt war mein Arbeitseinsatz eine hochinteressante Erfahrung und eine nicht geringeHerausforderung, galt es doch, als junger Betriebswirt ein internationales Team von erfahrenen Führungskräften des Forschungs- und Entwicklungsbereichs zu betreuen. Meine Zeit betrachte ich in diesem Zusammenhang als für mich besonders wertvoll und als guten Einstieg in das Studium an der Kellogg School«. Dorthin kehrt er Ende 1995 zurück und erlangt ein Jahr später den Master of Business Administration.
Begeisterung für amerikanische Kultur und Werte
»Das Haniel-Stipendium für mein Studium in den USA spielte eine wichtige Rolle für meine spätere Arbeit in amerikanischen Unternehmen«, resümiert Justus heute. Dass er den überwiegenden Teil seines bisherigen Berufslebens in amerikanischen Unternehmen verbracht hat, begründet Justus unter anderem damit, dass die Studienstiftung ihm diese Türen geöffnet habe: »Neben der materiellen Förderung war die tatkräftige Unterstützung durch Vertrauensdozenten und Ansprechpartner bei der Studienstiftung wichtig, besonders dann, wenn es um die Planung und Umsetzung meiner Auslandsaufenthalte und Praktika ging. Meine Studienaufenthalte am Williams College und an der Northwestern University haben mich geprägt und für die amerikanische Kultur und ihre Werte begeistert«, sagt Justus.
Stand: 2018
- Name
- Igor Levit
- Jahrgang
- 1987
- Förderzeitraum
- 2003-2010
- Beruf
- Pianist
- Aus dem Lebenslauf
- Zahlreiche Auszeichnungen zuletzt der Gilmore Artist Award, mit dem alle vier Jahre ein Pianist ausgezeichnet wird
2010 hinterlässt Igor Levit bei der deutschen Musikjournalistin Elisabeth Eleonore Büning bleibenden Eindruck: Bei einer Konzertreise durch China springt er zusätzlich zu seinem eigenen Part für andere Pianisten ein, die nicht anreisen konnten – die Asche des auf Island ausgebrochenen Vulkans Eyjafjallajökull hatte den internationalen Flugverkehr lahmgelegt.
Büning, die wiederum in China festsitzt und jedes der Konzerte besucht, schreibt anschließend in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«: »Igor Levithat noch nicht einmal sein Examen, doch auch ohne diese Noten ist jetzt schon klar: Dieser junge Mann hat nicht nur das Zeug, einer der großen Pianisten dieses Jahrhunderts zu werden, er ist es schon.« Sein Examen besteht er im selben Jahr an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover – mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Instituts.
Frühes Talent
Levits Talent zeigt sich früh: Mit drei Jahren lernt er Klavierspielen bei seiner Mutter Elena Levit, einer Klavierlehrerin. Das erste Solokonzert mit dem Philharmonie-Orchester seiner Geburtsstadt Nischni Nowgorod spielt er im Alter von sechs Jahren. Zwei Jahre später siedelt seine Familie nach Hannover über.
Dort lernt Igor Levit die neue Sprache in seinem gewohnten Tempo: schnell. Der hochbegabte junge Musiker studiert für ein Jahr am Mozarteum Salzburg bei Hans Leygraf, ehe er im Jahr 2000 – da ist er gerade 13 Jahre alt – an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover aufgenommen wird und zwischen 2003 und 2010 sein Studium mit Förderung der Studienstiftung absolviert.
Über seine Zeit als Studienstiftler sagt Igor Levit: »Es war eine unglaublich spannende, aufregende und wichtige Zeit. Diese Jahre waren für mich persönlich und für meine Ausbildung von unschätzbarem Wert. Durch die Unterstützung seitens der Studienstiftung ist mir eine Art Freiheit geschenkt worden, die wunderbar war. Ich konnte reisen, mit klugen Menschen kommunizieren, mir Zeit nehmen, erleben, wachsen. All das wäre ohne die Stiftung nicht möglich gewesen. Und es sind auch sehr innige Freundschaften entstanden, wie etwa zu Jörn Weingärtner, der mich damals seitens der Studienstiftung betreut hat. Für all diese Momente und viele weitere bin und werde ich immer zutiefst dankbar sein.«
Spätestens 2004, als er als jüngster Teilnehmer den zweiten Preis beim International Maria Callas Grand Prix in Athen und den ersten Preis bei der International Hamamatsu Piano Academy Competition in Japan gewinnt, gehört er zu den internationalen Spitzen-Pianisten. Ein Jahr später folgen, ebenfalls als jüngster Teilnehmer, die Silbermedaille und weitere Preise beim Internationalen Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv.
Reisender Virtuose
Der »reisende Virtuose« gibt von nun an Konzerte in Europa, Asien und Amerika – als Solist und mit Orchester. Er spielt unter anderem mit dem WDR Sinfonieorchester Köln, dem Budapest Festival Orchestra, dem London Philharmonic Orchestra oder dem Israel Philharmonic Orchestra. Regelmäßig gastiert er bei den Salzburger Festspielen, dem Chopin-Festival in Polen, dem Klavier-Festival Ruhr, dem Rheingau Musik Festival oder beim Beethovenfest Bonn.
Was ihn auf seinen Reisen antreibt? Igor Levit spielt nicht nur vom Blatt, er bringt sein Leben mit ans Klavier: »Ich spiele meine Musik mit meiner Biografie, meinen Erlebnissen und Gedanken an eben diesem Tag. Und die Zuhörer hören die Musik genauso auf ihre Weise. Ein enorm intimer Vorgang. Wenn ich die Utopie verliere, dass das Publikum auf Augenhöhe mitinterpretiert, hänge ich den Pianisten-Beruf an den Nagel.«
Dass er nicht nur sein Publikum herausfordert, sondern auch sich selbst, zeigt auch seine Diskografie: 2013 gibt er sein CD-Debüt mit den späten Beethoven-Sonaten, ein knappes Jahr später folgt eine Aufnahme der Bach-Partiten. Auch die Einspielung von Frederic Rzewskis »The People United Will Never Be Defeated« (2015) gilt als heikel, teils unspielbar – der Pianist meistert sie mit Bravour.
Mit nur 31 Jahren blickt Igor Levit auf eine beeindruckende Karriere zurück. Befragt, was er Jüngerenfür die Karriereplanung raten würde, gibt Levit dem »Tagesspiegel« zu Protokoll: »Wir brauchen eine andere Art von Erzählung, Musiker müssen persönlicher werden, vielleicht das. Was heißt es tatsächlich, dieses Crescendo von Takt 10 bis Takt 20 im Unterschied zu dem danach? Und ich bin es, der das Crescendo spielt: Wenn das nicht vorkommt, taugt es nichts.«
Stand: 2018
- Name
- Melanie Kreis
- Jahrgang
- 1971
- Förderzeitraum
- 1991-1996
- Beruf
- Managerin, Mitglied des Vorstands der Deutschen Post
Bereits als Studentin hat Melanie Kreis klare Ideen für ihre Zukunft: Forscherin will sie werden, eine akademische Laufbahn einschlagen. An eine Karriere beim weltweit größten Post- und Logistikunternehmen denkt sie damals noch nicht.
Aufgewachsen in Bonn, entscheidet sie sich nach dem Abitur im Jahr 1990 für ein Physikstudium in Tübingen. Auf Vorschlag ihrer Schule wird sie in die Studienstiftung aufgenommen. Ihre erste intensive Begegnung mit anderen Studienstiftlern erlebt sie 1991 während einer Sommerakademie in La Villa in Südtirol: »Damals hatte ich gerade meine ersten beiden Semester Physik in Tübingen absolviert und primär Kontakt zu meinen Physik-Kommilitonen gehabt. Es war fantastisch, in der wunderschönen Berglandschaft La Villas die Gelegenheit zum Austausch mit Studierenden der unterschiedlichsten Fachrichtungen zu bekommen und Themen zu diskutieren, die in meinem Physikeralltag eher seltener vorkamen.«
Melanie Kreis sucht und genießt in den Folgejahren immer wieder den fächerübergreifenden Austausch: »Das war für mich ein wichtiges Element der Studienstiftung: die Tour durch Salzburg mit dem Mozart-Experten, der meine Studienstiftungsgruppe leitete, oder die Diskussionen über Jura in meiner späteren Gruppe in Bonn. Einige der damals geknüpften Kontakte bestehen noch heute und sind eine wirkliche Bereicherung in meinem Leben.«
Die vielen Diskussionen innerhalb ihrer Studienstiftungsgruppe über gesellschaftlich relevante und politische Themen helfen ihr oft dabei, Themen in einen breiteren Kontext zu stellen und entsprechend zu handeln.
Die Welt entdecken
Die Studienwelt in Tübingen wird der Physikerin zu überschaubar, die weite Welt lockt. Mit Unterstützung der Studienstiftung studiert sie von 1993 bis 1994 an der State University of New York at Stony Brook auf Long Island und schließt mit einem Master Degree in Physik ab.
Die Stipendiatin ist begeistert von den Universitätsstrukturen und schreibt in ihrem Bericht an die Geschäftsstelle der Studienstiftung: »Sie haben es bestimmt schon mehr als nur oft gehört, wie viel mehr Mühe sich amerikanische Universitäten mit ihren graduate students geben als deutsche. Wöchentliche Colloquien für Studenten und Professoren mit Tee und Keksen und Gelegenheit zum Gespräch; Professoren, die auch außerhalb ihrer Sprechstunden und außerhalb des Fachs mit einem reden. Natürlich gibt es solche auch in Deutschland, aber während sie dort eher die Ausnahme sind, ist das hier selbstverständlich.«
Einstieg in der Wirtschaft
Zurück in Deutschland, bereitet sie sich in Bonn auf ihr Diplom vor. In dieser Zeit muss sie oft nachts im Labor experimentieren. Cäsiumatome stehen in ihrem Forschungsfokus. Dabei verfestigt sich ein Gedanke: »Vielleicht gibt es noch andere spannende Dinge?«
Zwei Veranstaltungen der Studienstiftung öffnen ihr neue Perspektiven: Beim »Welcome Home Event« in Bonn unterhält sich Kreis mit zwei Unternehmensberatern von McKinsey. Zusätzlich besucht sie das Wochenendseminar »Studium und Beruf«, das sie als sehr aufschlussreich empfindet: »Und ich möchte an dieser Stelle einmal ausdrücklich erwähnen, für wie sinnvoll und gut ich es halte, dass Sie diese Möglichkeiten zum Dialog mit führenden Unternehmen bieten.«
Anfang Januar 1995 steht schließlich fest, dass sie in den Semesterferien als Praktikantin bei McKinseydie Luft der freien Wirtschaft schnuppern darf: »Mit meinem Einsatz bei McKinsey hatte und habe ich riesiges Glück. Es handelt sich um ein konkretes Klientenprojekt, bei dem für und mit dem Klienten ein Training entwickelt werden soll. Vieles oder sogar fast alles, mit dem ich mich beschäftigte, war für mich Neuland, und so kann ich nur sagen, dass ich in den letzten Wochen so viel Neues wie selten zuvor in einer so kurzen Zeit gelernt habe. Auch wenn das Vokabular neu und ungewohnt war, so waren doch die Denkprozesse und Analyseverfahren nicht so sehr von den im Studium erlernten verschieden. Fremd war vielleicht das Ausmaß an Zielorientierung bei jedem einzelnen Prozessschritt.«
Mit dem Physikdiplom in der Tasche, steht sie 1997 vor einer Grundsatzentscheidung: Promotion – ja oder nein? Melanie Kreis entscheidet sich gegen die Promotion und beginnt stattdessen als Beraterin bei McKinsey. »Für mich war es der optimale Umstieg von der Naturwissenschaft ins Management«, sagt sie in einem Interview.
Parallel zur Tätigkeit bei McKinsey erwirbt sie einen MBA-Abschluss an der INSEAD Business School in Fontainebleau. 2000 wechselt sie zum Private-Equity-Investor Apax, der Marken wie Karl Lagerfeld oder die Textilkette Takko besitzt. Für den amerikanischen Finanzinvestor kauft und verkauft sie aus München und London Firmen.
Karriere bei Deutsche Post DHL Group
2004 wechselt Melanie Kreis zur Deutschen Post und ist dort zunächst für die Leitung der internationalen Merger & Acquisitions-Projekte verantwortlich. Eine ihrer größten Herausforderungen ist die Integration des milliardenschweren britischen Unternehmens Exel in die Logistikdivision des Post-Konzerns.
Zum Jahresende 2006 kehrt sie als Executive Vice President Corporate Office / Corporate Organization aus England nach Bonn zurück. In dieser Funktion ist sie maßgeblich an der Planung und Durchführung des Verkaufs der Postbank an die Deutsche Bank beteiligt. Im Jahre 2010 wird ihr die Funktion des Executive Vice President Corporate Controlling übertragen, in der sie erfolgreich wichtige finanzstrategische Themen des Konzerns voranbringt.
Im April 2013 wird die Managerin schließlich Finanzchefin der Post-Tochter DHL Express, einem der wichtigsten Gewinnbringer des Post-Konzerns. 2014 beruft der Aufsichtsrat von Deutsche Post DHL Group sie als Personalchefin und Arbeitsdirektorin in den Konzernvorstand: Damit ist sie beim weltgrößten Logistikkonzern für fast eine halbe Million Mitarbeiter rund um den Globus verantwortlich. Ihren Wechsel ins Personalressort des Mutterkonzerns begründet der Vorstandsvorsitzende Frank Appel damit, dass Melanie Kreis »neben ausgeprägten unternehmerischen Fähigkeiten über das Talent verfügt, Menschen zusammenzubringen«.
Personal und Finanzen
Nur zwei Jahre später, 2016, erklimmt die zweifache Mutter ihren vorläufigen Höhepunkt auf der Karriereleiter: Im Juni gibt der Aufsichtsrat bekannt, dass er Melanie Kreis zum 1. Oktober 2016 als Finanzvorstand beruft.
»Ich werde derzeit oft gefragt, wie sich die beiden unterschiedlichen Perspektiven – Mitarbeiterfokus als Personalvorstand und Investoren / Kapitalmarktfokus als Finanzvorstand – miteinander vereinen lassen, und mich überrascht diese Frage immer etwas, weil sie einen Konflikt impliziert: Was gut für den Kapitalmarkt ist, kann nicht gut für den Mitarbeiter sein, und umgekehrt. Dies ist aus meiner Sicht eine völlig falsche Frage, die aber eine offensichtlich weitverbreitete Meinung widerspiegelt und der es entgegenzuwirken gilt.
Denn der Schlüssel für eine langfristig nachhaltige Unternehmensführung ist es, diese Aspekte nicht als Gegensätze zu sehen, sondern als gesamtheitliche Optimierungsaufgabe, wobei als drittes Element noch der Kunde zu nennen ist. Nur wenn es Unternehmen gelingt, Mitarbeiter langfristig an sich zu binden und zu motivieren, werden sie ihren Kunden großartige Produkte und Dienstleistungen bieten können. Und nur dann wird ein Unternehmen langfristigen finanziellen Erfolg und zufriedene Investoren haben.«
Stand: 2018
- Name
- Christian Jankowski
- Jahrgang
- 1968
- Förderzeitraum
- 1995 - 1998 (Studienförderung)
- 2000-2002 (Karl Schmidt-Rottluff Stipendium)
- Beruf
- Konzept- und Aktionskünstler, Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Stuttgart
Ein junger Mann, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, zieht durch einen Supermarkt und erlegt Produkte des täglichen Bedarfs: Brot, Waschmittel, Margarine, ein tiefgefrorenes Huhn … Die so zur Strecke gebrachten Lebensmittel legt er, mitsamt den Pfeilen, aufs Warenband, ganz normal werden sie nach und nach abkassiert. Der „Jäger“ ist der Performance- und Videokünstler Christian Jankowski, der Jagdgrund die 1992 entstandene Arbeit „The Hunt“.
Vom Jagen und Sammeln
Die Videoarbeit, die modernes Konsumverhalten zwar kritisch, aber trotzdem nicht ohne Humor in Frage stellt, ist eine der frühesten und bekanntesten Arbeiten des 1968 in Göttingen geborenen Künstlers. Obwohl es sich hier um eine seiner ersten Arbeiten handelt, kann sie durchaus als paradigmatisch für darauf folgende gesehen werden. Mit großer Freude und wachsendem Erfolg inszeniert der Künstler fortan übertreibungen alltäglicher Praktiken. „The Hunt“ war auch Teil seiner Bewerbung für die Künstlerförderung der Studienstiftung, in die er 1995 aufgenommen wird. Im Jahr 2000 erhält er das begehrte Karl Schmidt-Rottluff Stipendium.
Wären Stipendien, Ausstellungen und Preise, wie die Artikel im Supermarkt, Beutestücke, die man erlegen und zur Schau stellen wollte, so hätte Christian Jankowski einen gut gefüllten Jagdschrank zu präsentieren. Im Jahr 2004 ist er als Stipendiat in der Villa Aurora, 2010 in der Villa Massimo – dazu kommen zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen und seit dem Jahr 2005 eine Professur für Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. 2016 kommt noch eine weitere Rolle hinzu: Für die Manifesta 11, die in diesem Jahr in Zürich stattfindet, nimmt der Künstler Christian Jankowski die Position des Kurators ein.
Rollenspiele
Unter dem Titel „What people do for money. Some joint ventures“ führt Jankowski bei der Manifesta unterschiedlichste Positionen und Professionen zusammen. Es geht um Arbeit und Beruf – und auch um die verschiedenen Zuschreibungen, die damit verbunden sind. So treffen die eingeladenen Künstler jeweils ihren persönlichen Gastgeber in seinem beruflichen Umfeld und erleben und gestalten mit ihm Alltag – vom Opernsänger über die Flugbegleiterin bis hin zum Psychoanalytiker oder dem Leiter des Bestattungs- und Friedhofamts hat sich der Künstler Jankowski, der als Kurator auch ein Gast im anderen Beruf ist, um eine möglichst breite und repräsentative Auswahl an Berufen bemüht.
Diese Bandbreite spiegelt ein generelles Interesse Jankowskis, der sich gerne in fremde Felder und komplexe Systeme einarbeitet. Bereits in seiner Bewerbung für die Studienstiftung formuliert er seine Neugier an solchen Ordnungen – und damit auch an ihren einzelnen Bestandteilen, die er neu kontextualisiert und somit sichtbar und befragbar werden lässt. »Der ganze Komplex (Produzent, Rezipient, Werk) ist für meine eigene Kunst von Interesse. Die gewonnenen Erfahrungen fließen ein in mein künstlerisches Handeln.«
Jankowskis Kunst, unterschiedlichste Rollen und damit auch Handlungen innerhalb eines Gefüges ausfindig zu machen, unkonventionell wieder zusammenzusetzen und damit Neues zu schaffen, vollzieht sich bei ihm allerdings nicht distanziert belehrend, sondern mit Lust am Spiel und mit viel Humor.
Wie im Jahr 2008, als er unter dem Titel »Dienstbesprechung« im Stuttgarter Kunstmuseum die Berufeund Aufgaben der Angestellten im Museum neu verteilte, woraufhin der Pförtner kuratierte, während die Direktorin des Museums sich mit der Haustechnik auseinandersetzte. Gegenüber der Zeitschrift »Interview« erklärt es Christian Jankowski einmal folgendermaßen: »Der rote Faden in meinem Werk ist sicherlich, Menschen in eine ihnen unbekannte Situation zu bringen und dann die Reaktionen zu testen.«
Der Blick hinter die Kulissen
Dass es ihm dabei aber nicht darum geht, einzelne Positionen vorzuführen oder der Lächerlichkeit preiszugeben, wird spätestens dann klar, wenn man erlebt, wie behutsam Jankowski seine Protagonisten in Szene setzt. Dieses Gespür für Situationen mag vielleicht auch daher rühren, dass sich der Künstler auch immer wieder selbst objektiviert. Während der Künstler in „The Hunt“ als Jäger scheinbar alles unter Kontrolle hat, erlebt er 1996 in „Mein Leben als Taube“, wie man sich als exponierter Teil einer Performance fühlt: Drei Wochen sitzt der Künstler in einem Taubenkäfig in einer Ausstellung – inklusive Fütterung durch die Zuschauer.
In eine noch hilflosere Situation bringt sich der Künstler für die Produktion einer BBC-Serie. In „The Eye of Dubai“ reist er in die Vereinigten Arabischen Emirate, um sich dort von einer ihm bis dahin völlig unbekannten Person durch die Stadt führen zu lassen. Und „führen“ ist hier durchaus wörtlich zu verstehen, denn Christian Jankowski hat während der gesamten Reise, auf der er gefilmt wird, verbundene Augen.
So liefert er sich nicht nur dem Blick der Kamera und damit potenziert etlichen Zuschauern aus – die Erfahrung eines fremden Ortes wird so nun auch zu einem inneren Erleben. Spätestens hier wird klar, dass es dem Künstler nicht nur um die Inszenierung auf der großen Bühne geht, sondern auch um das Innen, das Unbewusste – den Teil hinter der Oberfläche. Oder um noch einmal zur Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum zurückzukehren: auch um das, was im Maschinenraum passiert und darum, wer hier die Steuerung übernimmt.
Die Dokumentation der Reise nach Dubai stellt er unter anderem auch den Stipendiatinnen und Stipendiaten bei einem von der Künstlerförderung der Studienstiftung halbjährlich ermöglichten Atelierbesuch während des Seminars »Zeigen!« vor. Der Austausch unter den Geförderten selbst und mit bereits im Markt etablierten Kunstschaffenden gibt dem künstlerischen Nachwuchs wichtige Impulse.
Role Model für den Nachwuchs zu sein – das erledigt Christian Jankowski bei diesem Atelierbesuch und innerhalb seiner Lehre an der Akademie in Stuttgart ganz nebenbei. Weiterhin ist er als Jurymitglied für die Kunstauswahl oder das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium mit dem Begabtenförderwerk verbunden und lädt auch mal ein ganzes Seminar zum Screening und zur Besprechung seiner neusten Videoarbeit ins Studio ein – was dann gerne samt Kaminfeuer und gemeinsamem Musikhören bis tief in die Nacht dauern kann.
Stand: 2018
- Name
- Heinrich August Winkler
- Jahrgang
- 1938
- Förderzeitraum
- 1957-1963
- Beruf
- Historiker, Professor für Neuerer und Neuste Geschichte an der Universität Freiburg (1972-1991) und an der HU Berlin (1991-2007)
- Aus dem Lebenslauf
- Autor mehrerer historischer Standardwerke, darunter »Der lange Weg nach Westen« und »Geschichte des Westens«
- 2005 Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für seine Aufarbeitung der neueren deutschen Geschichte
Die Geschichte als Herausbildung der Gegenwart – das ist nach meiner überzeugung die einzige moralisch verbindliche Legitimation des Interesses an der Geschichte«, schreibt Heinrich Winkler 1963 in seinem letzten Semesterbericht an die Studienstiftung. Später beruft er sich gern auf ein Wort von Dietrich Gerhard: »Die Geschichte sei die Vorgeschichte des Heute, aber auch die Nachgeschichte des Vorgestern. Zusammen ergäben sie, in der richtigen Dosierung, das Gestern.«
Der im heute russischen Kaliningrad (Königsberg) geborene Winkler gelangt im Sommer 1944 als Fünfjähriger mit seiner Mutter nach Westen und wächst in Ulm auf. Schon während der Schulzeit erwacht sein Interesse an Geschichte und Politik. Als Abiturient besucht er im Herbst 1956 den 23. Deutschen Historikertag in Ulm und ist von mehreren Vorträgen tief beeindruckt.
Im gleichen Jahr wird er vom Rektorat seinesGymnasiums für die Studienstiftung vorgeschlagen. Das Aufnahmegespräch führt Theodor Pfizer, der damalige Ulmer Oberbürgermeister und spätere Präsident der Studienstiftung. »Die Studienstiftung hat mir Eintritt in eine Gemeinschaft gewährt, der ich vielerlei geistige Anregung und bleibende Freundschaft verdanke.«
Das Studium der Geschichte, das Winkler mit Unterstützung der Studienstiftung »in aller Liberalität treiben darf«, führt ihn zunächst für ein Semester nach Münster, bevor er sich im Wintersemester 1958 in Tübingen einschreibt.
Der engagierte Schüler wird zu einem motivierten Studenten, der die deutsche Geschichte gerne praktisch und vor Ort erkundet, wie aus seinem Studienbericht 1962 deutlich wird: »Auch in diesem Semester habe ich ein neues Stück Deutschland kennengelernt. Außer den bezaubernden mittelalterlichen Städten Nördlingen, Rothenburg und Dinkelsbühl, die ich auf der Fahrt der Studienstiftler nach Burg Rothenfels besuchen durfte, lernte ich noch Ettlingen bei Karlsruhe und die Staufergründung Rottweil kennen.«
Zu diesem Zeitpunkt wohnt er bereits in Tübingen, wo er 1963, wie schon sein Vater 1931 in Königsberg vor ihm, bei Hans Rothfels promoviert. Nach der Habilitation an der FU Berlin lehrt er ab 1972 Neuere Geschichte in Freiburg – bis zur deutschen Wiedervereinigung.
Diese bringt nicht nur eine historische, sondern für Winkler auch eine persönliche Wende: die Rückkehr nach Berlin, diesmal an die Humboldt-Universität. Die Stelle als Geschäftsführender Direktor eröffnet ihm die Chance, am Neuaufbau des Instituts für Geschichtswissenschaften mitzuwirken.
Ein intensives Engagement
Außer in Forschung und Lehre ist Winkler auch stets gesellschaftlich und politisch aktiv. Nachdem er sich als Schüler in der CDU engagiert hat, wechselt er, nicht einverstanden mit deren Wahlkampf 1961, in dem Willy Brandt als Emigrant verunglimpft wird, 1962 in die SPD und bleibt.
1986 greift er in den deutschen Historikerstreit ein. In der Debatte um die Bedeutung der Ermordung der europäischen Juden für die deutsche Identität argumentiert Winkler mit Jürgen Habermas gegen den »Schlussstrich« unter die Holocaust-Erinnerung, der nur dem Erhalt eines ungebrochenen deutschen Nationalbewusstseins diene.
Die Vergangenheit im Kontext betrachten
In seinen Arbeiten nähert sich Winkler einer Bewertung von Vergangenheit immer mit Blick auf die Abhängigkeiten in den Handlungsspielräumen der Akteure. Für seinen Beitrag zur Aufarbeitung der neueren deutschen Geschichte bekommt er 2005 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und 2016 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen. Als einer der bekanntesten Historiker seiner Generation hält er ein Jahr zuvor im Bundestag die Rede zum 70. Jahres- tag des Endes des Zweiten Weltkrieges.
Er nutzt die Gelegenheit, um den bereits zurückgelegten Weg in der »Aufarbeitung« der Geschichte des Nationalsozialismus zu skizzieren und deutlich zu machen, dass die deutsche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit niemals abgeschlossen sein wird. »Jede Generation wird ihren eigenen Zugang zum Verständnis einer so widerspruchsvollen Geschichte wie der deutschen suchen.«
Stand: 2018
- Name
- Constanze Stelzenmüller
- Jahrgang
- 1962
- Förderzeitraum
- 1979-1984 (Studienförderung)
- 1986-1988 (McCloy Stipendium)
- 1988-1990 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Juristin, Politologin, Publizistin, Robert Bosch Senior Fellow bei der Brookings Institution in Washington D.C./USA
»Studienstiftler sind bekanntlich in zwei Dingen Meister: der simulierten Bescheidenheit (zu besichtigen vor allem auf Auswahlseminaren) und der Fähigkeit, die eigene Entwicklung als stringente, lineare Folge von logisch notwendigen Entscheidungen zu beschreiben. Aber in meinem Fall ist die betrübliche Wahrheit, dass ich für meinen Werdegang lang gebraucht habe, oft gestrauchelt bin, immer wieder von panischer Angst gelähmt war und über weite Strecken gewiss ein höchst dubioses Bild abgegeben habe«, sagt Constanze Stelzenmüller.
Die international anerkannte Expertin für europäische und transatlantische Außenpolitik ist trotzdem ihren Weg gegangen – auch deshalb, »weil ich wohl einen inneren Kompass, Hartnäckigkeit, und die Bereitschaft, eine Chance als solche zu erkennen und sie anzuspringen, mitgebracht habe«.
Einen Teil des kurvenreichen Weges wurde sie von ihrem Bonner Vertrauensdozenten Professor Hanns Martin Seitz und ihrer Referentin Karin Schuster begleitet: »Sie waren die beiden wichtigsten Orientierungspole in meinem Studium, ohne sie sähe mein Leben heute gewiss ganz anders aus. Ich werde ihnen ewig dankbar sein«, resümiert die Juristin, die sich seit 2014 beim amerikanischen Thinktank The Brookings Institution mit Deutschlands Rolle in Europa und der Welt beschäftigt.
Aufgewachsen in England, Deutschland, den USA und Spanien legt Constanze Stelzenmüller 1979 als 17-Jährige ihr Abitur an der Deutschen Schule in Madrid ab. Sie wird der Studienstiftung vorgeschlagen, die die junge Frau im November 1979 in die Förderung aufnimmt: »Intellektuell war ich ein bisschen weiter, aber der emotionalen Reife nach höchstens 15«, erinnert sie sich.
Die Abiturientin will Rechtswissenschaften in Bonn studieren. Doch die Rückkehr nach Deutschland, wo sie nur fünf Jahre gelebt hat, ist für sie ein Schock: »Das Wiedereintauchen in mein Heimatland, das Leben alleine im Studentenheim und das Studium, das alles hat mich gänzlich überfordert. Meinen Freunden bin ich heute dafür dankbar, dass sie bereit waren, mich zu Ende zu erziehen. Die Studienstiftung hat mir Halt in der Anonymität und Orientierungslosigkeit des Massenstudiums gegeben.«
Stelzenmüllers Geburtenjahrgang ist der zweitgrößte in der Nachkriegszeit. »Die juristische Fakultät in Bonn reagierte auf die ›Studentenschwemme‹ mit offener Ablehnung. Ich war von alledem völlig eingeschüchtert, nicht zuletzt, weil ich im Studium nicht sonderlich erfolgreich war. Ich glaube nicht, dass ich die Auswahl während des Studiums bestanden hätte«, so die Juristin.
Die Stipendiatin verbringt 1981 bis 1982 ein Auslandsjahr in Genf. Aus reiner Neugierde und überdruss an der Juristerei landet sie am Institut de Hautes Études und besucht das Seminar »Strategy and International Security«, das die beiden Politikwissenschaftler Curt Gasteyger und Shahram Chubin halten. »Ich habe damals nicht geahnt, dass das zu meinem Lebensthema werden würde. Aber irgendetwas muss durch diese Erfahrung in Bewegung gebracht worden sein«, sagt Stelzenmüller.
Revolte als Wende
Mit ihrer Rückkehr nach Bonn stellt sie ihr Jurastudium infrage und beschließt, es für ein halbes Jahr auf ein Minimum zu reduzieren. Eine Entscheidung, die die Studienstiftlerin als Wende in ihrem Leben beschreibt und als »einen umfassenden Akt der Auflehnung gegen die Erwartungen meiner Eltern, meiner Kommilitonen und nicht zuletzt der Studienstiftung« erlebt. Sie beteiligt sich an einem Völkerrechtswettbewerb und verzichtet auf weitere Jurascheine, um Geschichte und Anglistik zu studieren.
»Meine Eltern waren von dieser offenen Revolte – auf die sie nicht vorbereitet waren – entsetzt. Viele meiner Kommilitonen schrieben mich ab. Und die Studienstiftung suspendierte mich«, erinnert sie sich. Stelzenmüller indes lässt sich nicht beirren. Rückblickend sagt sie: »Es war der Beginn meiner Selbstständigkeit und damit meiner eigentlichen Erwachsenwerdung. Deshalb bin ich der Studienstiftung heute für drei Dinge aufrichtig dankbar: für ihre Geduld mit mir; für die Suspendierung; und für die rückwirkende Wiederaufnahme – inklusive Büchergeld. Vor allem letztere Entscheidung hat mir ungeheuer imponiert.« Am Ende kehrt sie also doch zum Jurastudium zurück. Und den Völkerrechtswettbewerb gewinnt ihr Team auch.
Wichtige Impulse in den USA
1985 beendet Stelzenmüller in Bonn ihr Studium mit dem erstenjuristischen Staatsexamen, absolviert von 1986 bis 1988 als McCloy-Stipendiatin den Master in Public Administration an der Kennedy School of Government der Harvard Universityund forscht anschließend mit einem Promotionsstipendium der Studienstiftung an der Harvard Law School. Mit ihrer Arbeit über »Direkte Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika « wird Constanze Stelzenmüller 1992 an der Universität Bonn promoviert.
In Bonn ist für sie noch nicht die richtige Zeit für gesellschaftliches Engagement. »Ich hatte mehr als genug damit zu tun, mich selbst durchzubringen, und da ich von meinen Bemühungen in dieser Hinsicht nicht sonderlich überzeugt war, hätte ich es vermessen gefunden, mich auch noch anderen aufzudrängen. Während des Graduiertenstudiums in Bostonlernte ich erstmals die amerikanische ›culture of philanthropy‹ und vor allem das Prinzip des ›giving back‹ kennen, das mir immer noch ein Vorbild ist. Mir ist viel gegeben worden; ich habe noch viel an ›giving back‹ vor mir.«
Nach ihrer Promotion folgt ein zweijähriges Volontariat beim »Berliner Tagesspiegel«, 1994 wechselt sie als Redakteurin zur »Zeit« und schreibt über Themen wie Menschenrechte, humanitäre Krisen und militärische Konflikte. 1998 betraut die Wochenzeitung sie als erste Redakteurin in der Geschichte des Blattes mit der Zuständigkeit für Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Nebenbei ist die Journalistin mehrfach als Fellow an verschiedenen US-amerikanischen Einrichtungen zu Gast. 2005 übernimmt sie die Leitung des Berliner Büros des German Marshall Funds (GMF), einer amerikanischen Stiftung.
Als Senior Transatlantic Fellow ist sie ab 2009 unter anderem für das Transatlantic Trends Programm verantwortlich, eine jährlich erscheinende Studie zur öffentlichen Meinung in den USA und Europa. Außerdem zeichnet sie beim GMF mitverantwortlich für ein Projekt zur deutschen Außenpolitik, dessen Abschlussbericht »Neue Macht, neue Verantwortung« im Oktober 2013 erscheint.
2014 zieht sie nach Washington, D. C., um als erster Robert Bosch Senior Fellow bei der amerikanischen Denkfabrik Brookings Institution ihre Arbeit aufzunehmen – als »deutsche Botschafterin für transatlantisches und europäisches Denken«, schreibt der »Tagesspiegel«.
Gefragte Kommentatorin
Stelzenmüller ist eine gefragte Kommentatorin im amerikanischen und europäischen Radio und Fernsehen, unter anderem im ARD-Presseclub, im NationalPublic Radio, bei der BBC, im Deutschlandfunk und in der Deutschen Welle. Ihre Einschätzungen und Kommentare erscheinen in den wichtigen internationalen Printmedien wie »Foreign Affairs«, »Internationale Politik«,» Financial Times«, »International New York Times« und »Süddeutsche Zeitung«; im Juni 2016 wird sie von der »Washington Post« als exklusive Kolumnistin verpflichtet. Ein Jahr später spricht sie auf einer Expertenanhörung des Select Committee on Intelligence des US-Senats über russische Einflussnahme auf die deutschen Wahlen.
Ihre Sorge, wie wirksam das eigene gesellschaftliche Engagement sein kann, scheint überwunden: Stelzenmüller steht von 2007 bis 2014 dem Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Stiftung Friedensforschung vor, und von 2008 bis 2013 der deutschen Sektion von Women in International Security. Mehrere Jahre ist sie zudem im Beirat der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Auch der Studienstiftung bleibt sie verbunden – durch Unterstützung bei der Auswahl neuer McCloy-Stipendiatinnen und -Stipendiaten, durch die zahlreichen Impulse und Einblicke, die sie bei Stipendiatentreffen in Deutschland und den USA teilt, sowie seit 2018 als Kuratoriumsmitglied
Stand: 2018
- Name
- Jürgen Strube
- Jahrgang
- 1939
- Förderzeitraum
- 1960-1964
- Beruf
- Manager, Vorstandsvorsitzender (1990-2003) und Aufsichtsratsvorsitzender (2003-2009) von BASF
- Aus dem Lebenslauf
- Übernimmt als erster Nicht-Naturwissenschaftler nach dem Gründer Friedrich Engelhorn den BASF-Vorstandsvorsitz
»Er ist ein sensibler Riese, mit einer seltenen Mischung aus Durchsetzungskraft, Beharrlichkeit und Gelassenheit, der sich hinter seiner bulligen Statur versteckt«, schreibt das »Manager Magazin« 2009 über Jürgen Strube anlässlich seiner Aufnahme in die »Hall of Fame« der deutschen Wirtschaft.
In den Medien ist die Rede von einem »stillen Unternehmenslenker«, von einem Strategen, Visionär und Intellektuellen, von einem feinsinnigen, humorvollen und belesenen Mann, der eine Vorliebe fürs Ballett und für John Wayne hat, der, wenn er will, höflich, zuvorkommend und gewinnend, sofort ein Klima des Vertrauens schafft
Über sich selbst hat der langjährige BASF-Vorstandschef und Aufsichtsratsvorsitzende einmal gesagt: »Ich zähle nicht zu den geduldigen Menschen, sondern zu den Beharrlichen.« Die Beschreibungen ließen sich an dieser Stelle fortführen, begleitet von Ehrungen und Auszeichnungen, sie alle verdeutlichen: Jürgen Strube passt so leicht in keine Schublade
1969 bei der BASF eingestiegen, schreibt der promovierte Jurist in den folgenden vier Jahrzehnten ein entscheidendes Kapitel der Unternehmensgeschichte federführend mit – davon 13 Jahre als Vorstandsvorsitzender und sechs Jahre als Vorsitzender des Aufsichtsrats.
Unter Strubes Führung entwickelt sich die BASF zum weltgrößten Chemiekonzern. Dabei gelingt es ihm zeitgleich, das Unternehmen sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftspolitisch zu verankern: Aus dem Chemieunternehmen ist ein ethischer Vorreiter geworden, der zu den Gründungsmitgliedern des Global Compact der Vereinten Nationen zählt.
Vollwaise, Klassenprimus und Schulsprecher
Schon als Kind musste Strube nach dem frühen Tod seiner Eltern lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Als Vollwaise wächst er mit seinen beiden Geschwistern in der Familie seiner Großmutter auf. Sie ist die bestimmende Figur seiner Kindheit und Jugend. Was Pflichtgefühl und Verantwortung bedeuten, lernt er von ihr.
Das Goethe-Gymnasium, das er seit 1950 besucht, schlägt den Abiturienten 1959 der Studienstiftung vor – mit Erfolg. »Ich weiß noch, dass im Aufnahmebrief stand, die Förderung sei sowohl eine Auszeichnung als auch Verpflichtung, in meinem Studium ernsthaft zu arbeiten, aber zugleich auf die Welt außerhalb meines Faches einzugehen.«
So interessiert sich der angehende Jurist für Fragen der Soziologie und Politikwissenschaft – und ist früh überzeugter Europäer. Während der Semesterferien 1961 arbeitet er in South Wales in einem Schachtbauunternehmen. Die Aufgaben und Probleme, denen er hier begegnet, kennt er aus dem Ruhrgebiet. »Diese Gleichartigkeit der sachlichen Probleme hat mich in der überzeugung bestärkt, dass unsere vordringliche Aufgabe ist, Vorurteile und Einstellungen, die einer Einigung Europas entgegenstehen, abzubauen und sie als gruppeninterne Stereotype, als Wissensersatz aus Informationsmangel oder -scheu zu entlarven«, schreibt er in seinem Semesterbericht 1961 an die Studienstiftung.
Das Wintersemester 1961 / 62 verbringt Strube mit Unterstützung der Studienstiftung erneut im Ausland – an der Universität Genf. Ihn leitet die »Überzeugung, dass heute jedes anspruchsvollere Studium die Notwendigkeit einer europäischen Integration berücksichtigen muss, indem es durch persönliche Kontakte und Anschauung ein Verständnis schafft, das einen analysierenden Vergleich erst persönlich verbindlich macht.«
Schließlich wechselt er nach München, wo er 1964 das erste juristische Staatsexamen ablegt, 1967 promoviert und 1968 das zweite juristische Staatsexamen besteht. 1969 steigt er in das Finanzressort der BASF ein – auch hier lockt das Ausland: Strube wird nach Antwerpen abgeordnet.
Internationales Engagement
Die Karriereleiter führt Strube von Belgien über Deutschland 1974 nach Brasilien, wo er entscheidende Aufbauarbeit leistet, und dann weiter in die USA, wo er das Nordamerikageschäft neu ordnet.
14 Jahre verbringt Strube in Süd- und Nordamerika. Der Vergleich des damaligen brasilianischen Wirtschaftssystems mit dem Deutschlands lässt ihn die Vorteile offener Märkte, des Wettbewerbs und der unternehmerischen Freiheit im Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft klarer sehen.
»Zum Verhältnis von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft habe ich gelernt, dass die Wirtschaft sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse erklären muss, sich um die Anerkennung ihres Beitrags bemühen und in Vertrauen investieren muss«, sagt Strube 2011 in seiner Dankesrede »Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut« zur Verleihung des Hanns Martin Schleyer-Preises.
1985 wird er in den Vorstand der BASF berufen, zunächst mit Sitz in New Jersey, ab 1988 in Ludwigshafen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland ist er beeindruckt davon, »wie gut alle Systeme der Versorgung, der Verwaltung, des Verkehrs, der Demokratie funktionierten. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier das in der Sozialen Marktwirtschaft erreichte hohe durchschnittliche Wohlstandsniveau ohne weitere Beachtung und Wertschätzung als gegeben hingenommen wird, hat mich stets verblüfft.«
Einflussreicher Wirtschaftslenker
1990 übernimmt Strube die Konzernleitung und gehört in den folgenden Jahren zu den einflussreichsten Wirtschaftslenkern Deutschlands, vertreten in den Aufsichtsräten wichtiger Unternehmen wie BMW, Linde und Bertelsmann. Die sich abzeichnende Globalisierung der Märkte versteht er nicht als Bedrohung, sondern als Chance.
»Balance halten« nennt Strube die Kunst der Unternehmensführung. 2003 gibt er den Vorstandsvorsitz an Jürgen Hambrecht ab und rückt auf den Chefposten im Aufsichtsrat der BASF. Seit 2009 ist er Ehrenvorsitzender des Gremiums, 2013 wird ihm für seine langjährigen Leistungen für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Bis heute vertritt Strube die überzeugung, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wechselseitig aufeinander angewiesen sind und im Dialog bleiben müssen. Diese Einstellung spiegelt sich etwa in seinem langjährigen Engagement für das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik wider, das unter anderem das »Leitbild für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft« formuliert hat. Eine Selbstverpflichtung, der sich inzwischen über 60 deutsche Unternehmen und Organisationen angeschlossen haben.
In internationalen Wirtschaftsforen übernimmt Strube gleichfalls Verantwortung: Sei es als erster europäischer Co-Chairman des Mercosur European Union Business Forum, einer Austauschplattform europäischer und südamerikanischer Unternehmen, oder als Präsident des EU-Dachverbands der Industrie- und Arbeitgeberverbände BusinessEurope (vormals: UNICE) von 2003 bis 2005.
Der Studienstiftung fühlt sich Jürgen Strube bis heute verbunden: Anfang der 1990er-Jahre baut er anlässlich des 125-jährigen Bestehens der BASF das BASF-Stipendienprogramm auf, das von der Studienstiftung zehn Jahre lang durchgeführt wird. Das Vollstipendium richtete sich an graduierte Stipendiaten der naturwissenschaftlichen, ingenieurwissenschaftlichen und medizinischen Fachrichtungen, die einen Forschungsaufenthalt in den USA anstreben. So bleibt Strube der Ermutigung treu, die er in seinem Aufnahmebrief der Studienstiftung erfahren hat: die Welt auch außerhalb seines Faches und Berufes zu gestalten.
Stand: 2018
- Name
- Hans Maier
- Jahrgang
- 1931
- Förderzeitraum
- 1953-1957
- Beruf
- Politologe, Professor Emeritus für Politische Wissenschaft an der LMU München, Bayerischer Kulturminister (1970-1986)
- Aus dem Lebenslauf
- 1962-1992 Vertrauensdozent der Studienstiftung
Ob Wissenschaft, Kultur oder Politik – mit größter Selbstverständlichkeit bewegt sich Hans Maier in und zwischen diesen Welten. Konflikten im Dialog zwischen diesen Sphären ist der Politikprofessor nie aus dem Weg gegangen. Bis heute weiß der wortmächtige Freigeist und Vater von sechs Töchtern, was er will – und was nicht. Bekannt ist der Christsoziale für seinen differenzierten, leisen und intellektuellen Ton.
1931 in Freiburg geboren, wächst Maier in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater stirbt fünf Monate nach seiner Geburt, sein Bruder verunglückt im selben Jahr. Seine Mutter zieht Hans und seine beiden Schwestern allein auf: »Ich hatte das Glück, dass meine weite, meist bäuerliche Verwandtschaft keinen einzigen Akademiker aufzuweisen hatte, aber auch keinen einzigen Nazi«, beschreibt er in einem Interview seine Kindheit. In einer Atmosphäre von kritischer Distanz erlebt er den Nationalsozialismus, den Krieg und die Trümmerjahre – prägende Jahre, die ihm nicht nur für seine spätere politische Karriere eine Grundhaltung liefern.
Unruhige Jahre
Nach dem Abitur 1951 beginnt er, in Freiburg Geschichte, Germanistik, Romanistik und Philosophie zu studieren. Die ersten Studienjahre sind von großer Unruhe charakterisiert: »Ich musste nicht nur mein Studium ganz selbst verdienen, sondern auch noch zum Unterhalt unserer Familie beitragen, die sich durch den frühen Tod meines Vaters und durch den Verlust unserer Habe im Krieg in großen Schwierigkeiten befand«, schreibt Maier 1957 in seinem Abschlussbericht für die Studienstiftung.
So verbringt der junge Mann immer mehr Zeit außerhalb der Universität, um Geld zu verdienen: zunächst als Organist, später als Mitarbeiter bei Zeitungen und beim Rundfunk. Am Ende bleibt ihm kaum noch Zeit zum Studieren.
»In diesem Zustand fiel ich 1954 der Studienstiftung in die Hände. Sie beschnitt meine ein wenig wild gewachsenen Interessen nicht, sie ließ mir Freiheit, aber sie gab mir Gelegenheit, alle Tätigkeiten auf ein gemeinsames Ziel hinzulenken. Ich konnte den Journalismus allmählich auf ein geordnetes Maß zurückführen und in Zusammenhang mit meinem Studienziel bringen, und ich lernte die Musik, der ich als Organist bis heutetreu geblieben bin, wieder als Liebhaberei schätzen, nachdem ich sie lange zum Erwerb gebrauchen musste. Ich konnte vorübergehend eine andere Universität (München) besuchen; ich konnte meine Dissertation beginnen; ich konnte schließlich mein Staatsexamen machen und mein Studium mit der Promotion abschließen. Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne die fraglose, dauernde, schließlich selbstverständliche Hilfe, die mir von der Studienstiftung zuteilgeworden ist«, sagt Maier. In jener Zeit lernt er erstmals »den bunten und üppigen Menschengarten der Wissenschaft« kennen und schätzen – mit vielen dieser Menschen ist Maier bis heute befreundet.
Drei Rufe in einem Jahr
1956 legt Maier das Staatsexamen für das höhere Lehramt in den Fächern Geschichte, Deutsch und Französisch ab, 1957 promoviert er als Schüler von Arnold Bergstraesser über die Entstehung der christlichen Demokratie in Frankreich und habilitiert 1961
Im Laufe des Jahres 1962 erhält er drei Rufe: nach Mainz, München und Berlin: »Unerwartetes Glück, heute unvorstellbar«, resümiert Maier. Der 31-Jährige entscheidet sich für die bayerische Landeshauptstadt und übernimmt eine Professur für Politische Wissenschaft an der LMU München.
Im selben Jahr wird er zudem Vertrauensdozent der Studienstiftung: »Ich wollte Studenten kennenlernen, sie begleiten, ihnen helfen, von ihnen lernen. Von Anfang an fand ich gut, dass es in der Studienstiftung neben den Fachdozenten auch Vertrauensdozenten gab, neben dem Fach- und Disziplin-Blick auch den Blick auf den ganzen Menschen«, beschreibt er seine Motivation.
Vertrauensdozenten stehen den Stipendiaten am jeweiligen Hochschulort für Fragen zur Seite und bieten regelmäßig Gelegenheit zum Austausch – wie genau sie das gestalten, bleibt ihrer Kreativität überlassen. Es ist Maiers Frau, die abendliche Treffen vorschlägt sowie eine größere Reise pro Semester. »Das wurde zur Zauberformel unserer Gruppe, zu einem Muster, das sich über Jahrzehnte bewähren sollte. Kaum glaublich, aber wahr: Noch bis heute treffen sich zahlreiche Ehemalige aus allen Himmelsrichtungen jedes Jahr gegen Weihnachten in München«, sagt Maier.
30 Jahre lang betreut er Studienstiftler und reist mit ihnen etwa nach Moskau, Israel oder Prag. Dass die Stipendiaten aus verschiedenen Fachrichtungen kamen, empfindet er als Gewinn für die Gruppe: »So entstand beim Stehen und Gehen immer schnell eine kleine Universität. Regionen und Städte, kleine Orte und ganze Länder wurden lebendig, wir wurden informiert über die Geschichte, die Wirtschaft, das kulturelle Leben«, erinnert sich Maier in seiner Autobiografie »Böse Jahre, gute Jahre«
Politischer Quereinsteiger
Als einer der einflussreichsten Politologen jener Zeit wechselt der Wissenschaftler 1970 in die aktive Politik: Als Staatsminister für Unterricht und Kultus fördert Maier 16 Jahre lang den Dialog zwischen Bildung, Kunst, Kultur und Wissenschaft – ein Amt, das er selbst als »Schleudersitz« bezeichnet.
Er reformiert das Hochschul- und Hochschullehrergesetz sowie das Lehrerbildungs- und Berufsschulgesetz. Das gute Abschneiden bayerischer Schüler bei internationalen Vergleichstests wird bis heute auch ihm angerechnet. Der Leistungsgedanke war dabei für ihn nie ein Problem, im Gegenteil: Geradlinig und unaufgeregt hat er sich immer zum Leistungsgedanken bekannt.
»Warum reagieren wir auf Dinge wie Begabung, Hochbegabung, Spitzenleistung, schöpferische Einseitigkeit, wenn es sich nicht gerade um den Sport handelt, meist mit altjüngferlichem Gruseln, mit Abscheu und Abwehr oder aber mit gleichmacherischen Ressentiments?«, fragt Maier in seiner Rede zu »Auswahl und Förderung der Hochbegabten«, die er zur 50-Jahrfeier der Studienstiftung 1975 hält.
Die Stipendiaten sieht er in der Pflicht, ihr Talent auch für andere einzusetzen: »Je begabter die Einzelnen, desto größer ihre Verantwortung für die Allgemeinheit. Daran habe ich im Normalfall auch immer wieder in Gesprächen zu erinnern versucht. Es gibt aber auch Ausnahmen: Menschen, die sich mit anderen – oder gar ganzen Gemeinschaften – schwertun: Ein- zelgänger, Schwierige, Verletzte, Irritierte. Auch ihnen muss die Studienstiftung eine Heimat, zumindest einen Rückhalt, bieten. Hochbegabte können auch sperrig sein.«
Zurück zur Wissenschaft
Bereits drei Jahre als parteiloser Kultusminister im Amt, tritt er 1973 der CSU bei. 1978, als Franz Josef Strauß bayerischer Regierungschef wird, lässt Maier sich ins Parlament wählen. Sein Verhältnis zu Strauß, anfangs positiv, verschlechtert sich im Lauf der Zeit. Es kommt zu Zusammenstößen. Ein mitternächtliches Gespräch auf der Seiser Alm gerät zu einem Fiasko. Doch hält Maier nach acht Jahren im Kabinett Goppel weitere acht Jahre im Kabinett Strauß aus – »mein Sinn für Symmetrie!«, sagt er rückblickend.
Als Strauß 1986 das Kultusministerium aufteilt und Unterricht und Kultus von Wissenschaft und Kunst trennt, widersetzt sich Maier und tritt von seinem Amt zurück. Die Wissenschaft nimmt ihn wieder auf: 1988 kehrt er an die LMU München zurück und übernimmt bis zu seiner Emeritierung 1999 den Guardini- Lehrstuhl für christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie.
Neben zahlreichen weiteren Ämtern führt Maier von 1976 bis 1988 als Präsident das Zentralkomitee der deutschen Katholiken – gewissermaßen seine dritte Karriere. In dieser Position begleitet er, durchaus kritisch, die Arbeit der Kirche. Den von Rom erzwungenenAusstieg der deutschen Bischöfe aus der Schwangerenkonfliktberatung bedauert und verurteilt Maier; er gehört zu den Mitgründern des Vereins »donum vitae«, in dem engagierte katholische Laien die Beratung fortsetzen.
Für sein Wirken und sein wissenschaftliches Werk wird der umtriebige Intellektuelle vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit sieben Ehrendoktorwürden und mehr als 25 Preisen. Maier, der 2016 seinen 85. Geburtstag gefeiert hat, bleibt vielfältig aktiv: Im selben Jahr erscheinen unter dem Titel »Christentum und Gegenwart« seine gesammelten Abhandlungen sowie die zweite, erweiterte Auflage seines Orgelbuchs.
Stand: 2018
- Name
- Erwin Neher
- Jahrgang
- 1944
- Förderzeitraum
- 1968-1970
- Beruf
- Biophysiker, Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 1991 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin
»Studienstiftler sind bekanntlich in zwei Dingen Meister: der simulierten Bescheidenheit (zu besichtigen vor allem auf Auswahlseminaren) und der Fähigkeit, die eigene Entwicklung als stringente, lineare Folge von logisch notwendigen Entscheidungen zu beschreiben. Aber in meinem Fall ist die betrübliche Wahrheit, dass ich für meinen Werdegang lang gebraucht habe, oft gestrauchelt bin, immer wieder von panischer Angst gelähmt war und über weite Strecken gewiss ein höchst dubioses Bild abgegeben habe«, sagt Constanze Stelzenmüller.
Die international anerkannte Expertin für europäische und transatlantische Außenpolitik ist trotzdem ihren Weg gegangen – auch deshalb, »weil ich wohl einen inneren Kompass, Hartnäckigkeit, und die Bereitschaft, eine Chance als solche zu erkennen und sie anzuspringen, mitgebracht habe«.
Einen Teil des kurvenreichen Weges wurde sie von ihrem Bonner Vertrauensdozenten Professor Hanns Martin Seitz und ihrer Referentin Karin Schuster begleitet: »Sie waren die beiden wichtigsten Orientierungspole in meinem Studium, ohne sie sähe mein Leben heute gewiss ganz anders aus. Ich werde ihnen ewig dankbar sein«, resümiert die Juristin, die sich seit 2014 beim amerikanischen Thinktank The Brookings Institution mit Deutschlands Rolle in Europa und der Welt beschäftigt.
Aufgewachsen in England, Deutschland, den USA und Spanien legt Constanze Stelzenmüller 1979 als 17-Jährige ihr Abitur an der Deutschen Schule in Madrid ab. Sie wird der Studienstiftung vorgeschlagen, die die junge Frau im November 1979 in die Förderung aufnimmt: »Intellektuell war ich ein bisschen weiter, aber der emotionalen Reife nach höchstens 15«, erinnert sie sich.
Die Abiturientin will Rechtswissenschaften in Bonn studieren. Doch die Rückkehr nach Deutschland, wo sie nur fünf Jahre gelebt hat, ist für sie ein Schock: »Das Wiedereintauchen in mein Heimatland, das Leben alleine im Studentenheim und das Studium, das alles hat mich gänzlich überfordert. Meinen Freunden bin ich heute dafür dankbar, dass sie bereit waren, mich zu Ende zu erziehen. Die Studienstiftung hat mir Halt in der Anonymität und Orientierungslosigkeit des Massenstudiums gegeben.«
Stelzenmüllers Geburtenjahrgang ist der zweitgrößte in der Nachkriegszeit. »Die juristische Fakultät in Bonn reagierte auf die ›Studentenschwemme‹ mit offener Ablehnung. Ich war von alledem völlig eingeschüchtert, nicht zuletzt, weil ich im Studium nicht sonderlich erfolgreich war. Ich glaube nicht, dass ich die Auswahl während des Studiums bestanden hätte«, so die Juristin.
Die Stipendiatin verbringt 1981 bis 1982 ein Auslandsjahr in Genf. Aus reiner Neugierde und überdruss an der Juristerei landet sie am Institut de Hautes Études und besucht das Seminar »Strategy and International Security«, das die beiden Politikwissenschaftler Curt Gasteyger und Shahram Chubin halten. »Ich habe damals nicht geahnt, dass das zu meinem Lebensthema werden würde. Aber irgendetwas muss durch diese Erfahrung in Bewegung gebracht worden sein«, sagt Stelzenmüller.
Revolte als Wende
Mit ihrer Rückkehr nach Bonn stellt sie ihr Jurastudium infrage und beschließt, es für ein halbes Jahr auf ein Minimum zu reduzieren. Eine Entscheidung, die die Studienstiftlerin als Wende in ihrem Leben beschreibt und als »einen umfassenden Akt der Auflehnung gegen die Erwartungen meiner Eltern, meiner Kommilitonen und nicht zuletzt der Studienstiftung« erlebt. Sie beteiligt sich an einem Völkerrechtswettbewerb und verzichtet auf weitere Jurascheine, um Geschichte und Anglistik zu studieren.
»Meine Eltern waren von dieser offenen Revolte – auf die sie nicht vorbereitet waren – entsetzt. Viele meiner Kommilitonen schrieben mich ab. Und die Studienstiftung suspendierte mich«, erinnert sie sich. Stelzenmüller indes lässt sich nicht beirren. Rückblickend sagt sie: »Es war der Beginn meiner Selbstständigkeit und damit meiner eigentlichen Erwachsenwerdung. Deshalb bin ich der Studienstiftung heute für drei Dinge aufrichtig dankbar: für ihre Geduld mit mir; für die Suspendierung; und für die rückwirkende Wiederaufnahme – inklusive Büchergeld. Vor allem letztere Entscheidung hat mir ungeheuer imponiert.« Am Ende kehrt sie also doch zum Jurastudium zurück. Und den Völkerrechtswettbewerb gewinnt ihr Team auch.
Wichtige Impulse in den USA
1985 beendet Stelzenmüller in Bonn ihr Studium mit dem erstenjuristischen Staatsexamen, absolviert von 1986 bis 1988 als McCloy-Stipendiatin den Master in Public Administration an der Kennedy School of Government der Harvard Universityund forscht anschließend mit einem Promotionsstipendium der Studienstiftung an der Harvard Law School. Mit ihrer Arbeit über »Direkte Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika« wird Constanze Stelzenmüller 1992 an der Universität Bonn promoviert.
In Bonn ist für sie noch nicht die richtige Zeit für gesellschaftliches Engagement. »Ich hatte mehr als genug damit zu tun, mich selbst durchzubringen, und da ich von meinen Bemühungen in dieser Hinsicht nicht sonderlich überzeugt war, hätte ich es vermessen gefunden, mich auch noch anderen aufzudrängen. Während des Graduiertenstudiums in Bostonlernte ich erstmals die amerikanische ›culture of philanthropy‹ und vor allem das Prinzip des ›giving back‹ kennen, das mir immer noch ein Vorbild ist. Mir ist viel gegeben worden; ich habe noch viel an ›giving back‹ vor mir.«
Nach ihrer Promotion folgt ein zweijähriges Volontariat beim »Berliner Tagesspiegel«, 1994 wechselt sie als Redakteurin zur »Zeit« und schreibt über Themen wie Menschenrechte, humanitäre Krisen und militärische Konflikte. 1998 betraut die Wochenzeitung sie als erste Redakteurin in der Geschichte des Blattes mit der Zuständigkeit für Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Nebenbei ist die Journalistin mehrfach als Fellow an verschiedenen US-amerikanischen Einrichtungen zu Gast. 2005 übernimmt sie die Leitung des Berliner Büros des German Marshall Funds (GMF), einer amerikanischen Stiftung.
Als Senior Transatlantic Fellow ist sie ab 2009 unter anderem für das Transatlantic Trends Programm verantwortlich, eine jährlich erscheinende Studie zur öffentlichen Meinung in den USA und Europa. Außerdem zeichnet sie beim GMF mitverantwortlich für ein Projekt zur deutschen Außenpolitik, dessen Abschlussbericht »Neue Macht, neue Verantwortung« im Oktober 2013 erscheint.
2014 zieht sie nach Washington, D. C., um als erster Robert Bosch Senior Fellow bei der amerikanischen Denkfabrik Brookings Institution ihre Arbeit aufzunehmen – als »deutsche Botschafterin für transatlantisches und europäisches Denken«, schreibt der »Tagesspiegel«.
Gefragte Kommentatorin
Stelzenmüller ist eine gefragte Kommentatorin im amerikanischen und europäischen Radio und Fernsehen, unter anderem im ARD-Presseclub, im NationalPublic Radio, bei der BBC, im Deutschlandfunk und in der Deutschen Welle. Ihre Einschätzungen und Kommentare erscheinen in den wichtigen internationalen Printmedien wie »Foreign Affairs«, »Internationale Politik«,» Financial Times«, »International New York Times« und »Süddeutsche Zeitung«; im Juni 2016 wird sie von der »Washington Post« als exklusive Kolumnistin verpflichtet. Ein Jahr später spricht sie auf einer Expertenanhörung des Select Committee on Intelligence des US-Senats über russische Einflussnahme auf die deutschen Wahlen.
Ihre Sorge, wie wirksam das eigene gesellschaftliche Engagement sein kann, scheint überwunden: Stelzenmüller steht von 2007 bis 2014 dem Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Stiftung Friedensforschung vor, und von 2008 bis 2013 der deutschen Sektion von Women in International Security. Mehrere Jahre ist sie zudem im Beirat der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Auch der Studienstiftung bleibt sie verbunden – durch Unterstützung bei der Auswahl neuer McCloy-Stipendiatinnen und -Stipendiaten, durch die zahlreichen Impulse und Einblicke, die sie bei Stipendiatentreffen in Deutschland und den USA teilt, sowie seit 2018 als Kuratoriumsmitglied.
Stand: 2018
- Name
- August Everding
- Lebensdaten
- 1928-1999
- Förderzeitraum
- 1951-1954
- Beruf
- Intendant, Regisseur, Kulturpolitiker
- Aus dem Lebenslauf
- Mit 35 Jahren zum Intendanten der Münchner Kammerspiele ernannt
»Die ganze Welt ist Bühne« – so lautet nicht nur der Titel eines Buches von August Everding, sondern auch sein Lebensmotto. Überall dort, wo das Theater die große Welt bedeutete, war der Theatermacher und Theaterreformer unentbehrlich. Der Schauspiel- und Opernregisseur inszenierte von Bayreuth bis Buenos Aires, von Wien bis Warschau, von München bis Melbourne und brachte mehr als 130 Aufführungen auf die Bühne.
Rastlos und dennoch ruhend, omnipräsent und doch zielstrebig – so beschreiben Weggefährten den wortgewaltigen Theatermenschen, schlagfertigen Diskutanten, eloquenten Talkmaster und pointierten Festredner, der auch unbequemen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg ging.
»Durch seine große Intelligenz, seine schnelle Auffassungsgabe, seinen spitzbübischen Charme, sein künstlerisches Gespür und sein gesundes Verhältnis zur Macht, zu den Mächtigen und zu den Medien, hat er dem Theater – gerade in Zeiten der Finanzknappheit – sehr geholfen«, schreibt Intendant Manfred Beilharz anlässlich von Everdings Tod im Januar 1999.
Aufnahme gelingt erst im zweiten Versuch
1928 in Bottrop geboren, wächst Everding als drittes Kind des Probsteiorganisten August Everding auf und lernt Klavier, Flöte und Orgel. Als 16-Jähriger wird er noch in den Krieg eingezogen, holt nach Kriegsende das Abitur nach und schließt mit Bestnoten ab. »Mein Vater hoffte immer noch, dass ich sein Amt als Kirchenmusiker fortsetzte«, schreibt der bayerische Staatsintendant und Präsident des Deutschen Bühnenvereins 1985 als Gastautor im Jahresbericht der Studienstiftung.
Die Bottroper Oberschule für Jungen erkennt das Potenzial des Abiturienten Everding und schlägt ihn der Studienstiftung vor – doch die Aufnahme gelingt dem jungen Mann erst im zweiten Anlauf im Jahr 1951. Da hat er bereits zwei Jahre in Bonn Philosophie, Theologie und Germanistik studiert und ist auf dem Sprung nach München, wo er sich neben den bisherigen Fächern auch für Theaterwissenschaften einschreibt.
Die bayerische Landeshauptstadt wird Everdings zweite Heimat, doch Bottrop und dem Ruhrpott bleibt der Westfale zeitlebens verbunden.
Keine reine Berufsausbildung
Everding ist ein vielfältig interessierter Student, besucht Seminare und Vorlesungen unterschiedlichster Fächer und Disziplinen – und dankt der Studienstiftung in seinem Rückblick 1985 für die Freiheit, sich »umschauen zu können«, und dafür, dass er »nicht gleich ein Ziel anpeilen musste. Ich hatte ja keines. Allen, die zum Theater wollen, empfehle ich ein Grundstudium – nicht aus ›Sicherheit‹, wie unsere Väter es wollten – sondern aus der Erkenntnis, dass es gut ist, das Denken zu lernen.«
Über eine Studentengruppe, zu der auch Kabarettist Dieter Hildebrandt gehört, gelangt Everding schließlich ans Theaterspielen. Es folgen Gastspiele in Erlangen und anderen bayerischen Städten. Im Jahr 1953 beginnt Everding mit seiner Promotion »über die Personifikation des Todes im Drama« bei Hanns Braun. Dem fehlt ein praktisches Kapitel, wie der Tod im Theater auftritt, deshalb schickt er seinen Zögling mit einem Empfehlungsschreiben zum damaligen Intendanten der Münchner Kammerspiele.
Aus der angedachten Regieassistenz wird zwar nichts – stattdessen muss Everding Zeitungsartikel ausschneiden und für die Dramaturgie Texte vorbereiten –, doch der junge Mann nutzt die Gunst der Stunde und schleicht sich in die Vorstellungen von Hans Schweikart, Leonard Steckel und dem gefürchteten Fritz Kortner.
»Als der mal wieder alle Regieassistenten hinausgeworfen hatte, musste ich nach oben auf die Bühne, um für einen abwesenden Schauspieler zu ›markieren‹«, erinnert sich Everding. Offensichtlich so überzeugend, dass Kortner ihn behalten will und als Regieassistent unter Vertrag nimmt. Bereits nach zwei Jahren inszeniert Everding 1955 mit »Peterchens Mondfahrt« sein erstes Weihnachtsmärchen. Mit von der Partie: namhafte Schauspieler wie Mario Adorf, Siegfried Lowitz und Ernie Wilhelmi.
Blitzkarriere – auch ohne Promotion
Die Promotion hat er zu diesem Zeitpunkt längst an den Nagel gehängt, stattdessen legt er eine Blitzkarriere am Theater hin: 1959 Oberspielleiter, 1960 Schauspieldirektor und 1963 Intendant des Hauses – da ist er gerade 35 Jahre jung. »Jetzt hatten sich meineEltern damit abgefunden, dass ich kein Organist werden würde«, so Everding.
Zehn Jahre leitet er die Geschicke des traditionsreichen städtischen Theaters. Unter seiner Leitung werden Stücke von Max Frisch und Jean-Paul Sartre uraufgeführt. Nebenbei entdeckt er seine Liebe zur Oper und feiert 1965 sein Debüt als Opernregisseur mit Giuseppe Verdis »La Traviata« an der Bayerischen Staatsoper.
»Ich hatte bis dahin keine große Beziehung zur Oper. Die war uns Realisten zu unnatürlich und gestelzt«, schreibt Everding 1985 im Jahresbericht der Studienstiftung. Doch die schwierigste aller Bühnenkünste zieht ihn zunehmend in ihren Bann. Es folgen bedeutende Inszenierungen an der Wiener Staatsoper und an der Metropolitan Opera in New York.
1973 beginnt für den Theatermacher ein vierjähriges Gastspiel als Intendant in Hamburg. Kaum im Amt, verhandelt er schon über die nächste Intendanz – ab 1977 in München an der Bayerischen Staatsoper, ab 1982 die Generalintendanz aller Bayerischen Staatstheater. Als streitbarer, energischer Präsident des Deutschen Bühnenvereins ist er ab 1989 für 220 Theater zuständig. Seinem Engagement und seiner Durchsetzungsfähigkeit ist es zu verdanken, dass die DDR-Bühnen nach der Wende in ein gesamtdeutsches Theatersystem integriert werden.
Lebenstraum: Eröffnung Prinzregententheater und Theaterakademie
1996 geht ein Lebenstraum für Everding in Erfüllung: über Jahrzehnte hinweg hatte er sich unermüdlich für die Restaurierung des Münchner Prinzregententheaters eingesetzt und 1988 immerhin die Wiedereröffnung in der sogenannten kleinen Lösung, das heißt mit nur teilweise instand gesetzter Bühne, bewirkt. Mit Wagners »Tristan und Isolde« erstrahlt 1996 endlich die Hauptbühne der Spielstätte in neuem Glanz, Regie führt kein anderer als Everding.
Das Prinzregententheater beherbergt zudem die Bayerische Theaterakademie, von Bayern auf Everdings Initiative 1993 ins Leben gerufen. Das Lern- und Lehrtheater ist mit acht Studiengängen die größte Ausbildungsstätte für Bühnenberufe in Deutschland.
»Mein Geniestreich«, sagte Everding, Professor und Präsident dieser Akademie, einst über sein Modell. 1997 übernimmt Everding die künstlerische Gesamtleitung des deutschen Pavillons auf der Expo 2000 in Hannover und konzipiert das Kulturprogramm. Sein Krebsleiden behält er für sich und stirbt nur drei Monate nach seinem 70. Geburtstag 1999 in München – als einer der »letzten Giganten der europäischen Theaterszene«, wie es in einem Nachruf heißt.
Stand: 2018
- Name
- Markus Gabriel
- Jahrgang
- 1980
- Förderzeitraum
- 2002-2004 (Studienförderung)
- 2004-2005 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Philosoph, Professor für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart an der Universität Bonn
- Aus dem Lebenslauf
- Mit 29 Jahren Deutschlands jüngster Philosophieprofessor
Bereits mit 14 Jahren steht sein Berufswunsch fest: Philosoph will Markus Gabriel werden – auch wenn er noch gar nicht so genau weiß, was es mit der »Liebe zur Weisheit« auf sich hat. Nur 15 Jahre später wird Gabriel Deutschlands jüngster Philosophieprofessor und lehrt an der Universität Bonn Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit und Gegenwart.
Seine Studierenden sind oftmals nicht viel jünger als er, doch daran hat er sich längst gewöhnt. »Die Philosophie ist eine Disziplin, die oft mit dem hohen Alter in Verbindung gebracht wird. Dennoch kann man sich in jüngerem Alter durchaus Gehör verschaffen, auch wenn man mit einer originellen These riskiert, heftiger als ältere Kollegen kritisiert zu werden«, sagt Gabriel in einem Zeitungsinterview. Der unkonventionelle Professor, der neun Sprachen spricht, fordert mit Witz und Lust an Gedankenspielen zur Beschäftigung mit den ewigen Fragen der Menschheit auf; er regt Debatten an und will der Philosophie wieder zu mehr Aufmerksamkeit und Bedeutung verhelfen.
In seinem 2013 veröffentlichten »Spiegel«-Bestseller »Warum es die Welt nicht gibt« entwickelt der eloquente Intellektuelle Grundsätze seines »Neuen Realismus «. Dabei geht er etwa der Frage nach, warum eine Existenz in Gedanken weniger real sein sollte als eine Existenz im physikalisch ausgedehnten Universum: Kommen Figuren wie Einhörner, Faust oder Macbeth nur fiktiv in der Literatur, in Filmen oder Träumen vor – oder sind sie unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existent?
„Wenn verschiedene Personen von diesen Figuren eine sehr einheitliche Vorstellung haben, zum Beispiel, dass ein Einhorn einem Pferd ähnelt und das Horn immer auf der Stirn trägt, wie kann man dann meinen, dass sie nicht existieren?“, erklärt Gabriel. Demnach ist die Welt der Gedanken genauso real wie die Welt der Dinge.
Skateboard-Unfall mit philosophischen Folgen
In Sinzig am Rhein aufgewachsen, spielt Philosophie in Gabriels Kindheit zunächst keine bewusste Rolle; ein Gespür für philosophische Fragestellungen indes besitzt er vermutlich schon immer. So langweilt sich der Sohn eines Gärtners und einer Krankenschwester in der Schule und gibt Klausuren bisweilen leer ab – mit dem Hinweis: »Die Fragen sind schlecht gestellt«. Mit 14 liest er zufällig das Wort »Philosophie«. Ein Lehrer einer anderen Klasse hatte es an die Tafel geschrieben und vergessen, es wegzuwischen. Da wächst in dem Teenager der Wunsch, »so etwas mal später zu machen«.
Mit 15 bricht er sich beim Skateboardfahren auf der Kölner Domplatte den Knöchel und fällt für Wochen auf der »Rampe« aus. Ein Freund bringt ihm ein Buch vorbei, mit dem passenden Titel »Die Krankheit zum Tode« von Søren Kierkegaard. Gabriel versteht zwar nicht viel von dem, was der dänische Philosoph schreibt, aber irgendwie weckt die Lektüre in ihm den Ehrgeiz, in die Welt der Philosophie einzutauchen, bis er sie begreift.
Bereits neben seinem Zivildienst in der Altenpflege »büffelt« er Philosophie, Klassische Philologie und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Fern-Universität Hagen, bevor er zum Wintersemester 2000 / 01 nach Bonn wechselt. 2002 geht Gabriel nach Heidelberg und wird von da an von der Studienstiftung gefördert. Die Bewerbung klappt erst im zweiten Anlauf: »Nach meinem ersten Auswahlgespräch wurde ich nicht aufgenommen. Daran erinnere ich mich allzu gut.«
Besser läuft es beim zweiten Mal: »Da hatte ich ein sehr angenehmes persönliches Gespräch mit dem damaligen Präsidenten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften über die Rolle der klassischen Philologie für die Gesellschaft«, erinnert sich der Philosoph. Noch aus dem Magisterstudiengang heraus bewirbt er sich gleichfalls erfolgreich um die Promotionsförderung der Studienstiftung, die er 2004 antritt.
Promotion im Schnelldurchlauf
In kürzester Zeit schreibt der Stipendiat seine Doktorarbeit über die Spätphilosophie Schellings und wird bereits 2005 promoviert. »Ich wurde erfreulicherweise sowohl in der Grund- als auch in der Promotionsförderung von der Studienstiftung unterstützt. Dabei habe ich – nicht zuletzt bei Sprachkursen sowie auf Sommerakademien – wichtige Kontakte geknüpft, die bis heute bestehen. Die Studienstiftung hat meine Entwicklung maßgeblich dadurch geprägt, dass sie Foren zur Verfügung gestellt hat, auf denen meine eigenen philosophischen Interessen im interdisziplinären und gesellschaftlich relevanten Rahmen vorgetragen und ausgebaut werden konnten«, resümiert der Professor.
So nimmt er 2003 an einem Kongress zu »Schellings Hegelkritik« auf Ischia teil, absolviert ein Praktikum am Goethe- Institut im indischen Pune und organisiert mit anderen Stipendiaten ein »Interdisziplinäres Forum«. Sprachkurse der Studienstiftung in Amboise und Verona vertiefen seine Französisch- und Italienischkenntnisse und öffnen ihm bis heute Türen zu Gastprofessuren, die ihn neben Brasilien, Portugal, Italien und Japan auch nach Frankreich führen: »2017 bis 2019 bin ich als regelmäßiger Gastprofessor an der Sorbonne und werde gleichzeitig als Lynen-Stipendiat von der Alexander von Humboldt-Stiftung unterstützt.«
2008 folgt in Heidelberg die Habilitation über »Skeptizismus und Idealismus in der Antike«. Im Anschluss forscht er als Assistenzprofessor an der Philosophischen Fakultät der New School for Social Research in New York City und übernimmt 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie / Philosophie der Neuzeit und Gegenwart an der Universität Bonn. Seit 2012 ist er außerdem Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Geht es um die akademische Karriere seiner Studierenden, rät ihnen der intellektuelle überflieger »frühzeitig Netzwerke dadurch auszubauen, dass man neugierig ist und radikal über den Tellerrand hinausblickt. Jede Wissenschaft erhält wegweisende Impulse durch Grenzgänge, wozu auch Grenzüberschreitungen gehören.« Der Studienstiftung fühlt sich der Philosoph bis heute verbunden und engagiert sich etwa als Jurymitglied bei der Vergabe der Promotionspreise: »Die Studienstiftung fördert besonders begabten Nachwuchs und versammelt einige der besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bundesrepublik, die sich immer auch durch ein hohes Bewusstsein für gesellschaftliche Zusammenhänge der Forschung auszeichnen. Dies ist für mich als Philosoph besonders wichtig.«
Begabung und Verantwortung gehören für den Wissenschaftler insofern zusammen, als dass Verantwortung moralischer und sozio-politischer Dimension selber eine Form der Einsicht darstellt. »Philosophisch gesprochen bin ich moralischer Realist, glaube also, dass es objektiv wahre Werturteile gibt, um die man in gesellschaftlichen Debatten streitet. Es gibt eine Begabung für moralische Einsichten, die nicht von theoretischen oder formalen Begabungen abgekoppelt, sondern auf Augenhöhe ausgebildet werden sollte – eine Idee, die in das Werteportfolio der Studienstiftung gehört.«
Stand: 2018
- Name
- Hartmut Rosa
- Jahrgang
- 1965
- Förderzeitraum
- 1985-1992 (Studienförderung)
- 1993-1996 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Soziologe, Politologe, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität Jena, Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt
- Aus dem Lebenslauf
- Seit 2013 leitet Rosa das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt
Hartmut Rosa lehrt seit 2005 an der Universität Jena, wo er seit 2011 auch als Vertrauensdozent der Studienstiftung aktiv ist. Der Soziologe wurde mit seiner Habilitation zum Phänomen der sozialen Beschleunigung auch über die Fachgrenzen einem größeren Publikum bekannt und setzt sich immer wieder mit zeitsoziologischen Themen auseinander, aktuell: der Frage des menschlichen Weltverhältnisses, das er mit dem Begriff der »Resonanz« beschreibt. Während seines Studiums und seiner Promotion erhielt er ein Stipendium der Studienstiftung.
EIN INTERVIEW
Herr Rosa, rückblickend betrachtet: Welche Rolle spielte die Studienstiftung für Ihren Werdegang?
Ich kann ohne Übertreibung und Schmeichelei sagen: Ohne die Studienstiftung wäre mein Leben anders verlaufen; ohne sie wäre ich wohl nicht da gelandet, wo ich nun bin. 1985 wurde ich von meiner Schule vorgeschlagen, und dann bald nach Studienbeginn 1986 in die Studienstiftung aufgenommen. Ich hatte mich damals – halb naiv, halb mutig – dazu entschlossen, für meinen Vortrag auf dem Auswahlseminar nichts Akademisches zu wählen, sondern über Heavy Metal als Jugendkultur zu berichten und dazu mehrere Ausgaben der Zeitschrift »Metal Hammer « mitgebracht. Als ich all die hochtrabenden Themen der anderen Kandidatinnen und Kandidaten sah, rutschte mir das Herz in die Hose. Aber ich hatte Glück – die Söhne des Auswahldozenten waren beide Metal-Fans ... Ich habe dann ein Vollstipendium erhalten, mit dem ich mein Studium finanziert habe – und später mit einem Promotionsstipendium auch meine Dissertation.
Während Ihrer Studienförderung haben Sie auch am Bildungsprogramm der Studienstiftung teilgenommen – sind Ihnen hier besondere Erfahrungen in Erinnerung geblieben?
1987 habe ich meine erste, prägende Sommerakademie besucht: La Villa in den Dolomiten. Einer der Stipendiaten hatte ein Teleskop dabei und zeigte mir den Andromedanebel – vor allem erklärte er mir, was ich da sah: 200 Milliarden Sterne, deren Licht 2,5 Millionen Jahre zu uns gebraucht hatte. Von Stund’ an wurde ich Hobbyastronom, ich besitze zwei großeTeleskope, diesen Sommer baue ich mit meinem Patenkind ein Observatorium in meinem Garten im Schwarzwald.
1988 gingen Sie dann an die London School of Economics: Wie hat Sie dieser Aufenthalt – auch akademisch – geprägt?
In London begegneten mir die Schriften Charles Taylors in einem Proseminar. Das war der Startpunkt für mein eigenständiges intellektuelles Leben, von da an wurde alles anders: Ich schrieb über Taylor, Skinner und Pocock, die ich an der LSE kennengelernt hatte, meine Magisterarbeit und promovierte dann über Taylor. Der Kontakt hält bis heute: Erst Ende Mai habe ich ihn in Prag getroffen, und er kommt regelmäßig zu mir nach Jena und Erfurt: Wir sind Freunde geworden.
In London habe ich überhaupt erst zu leben begonnen. Heute würde ich sagen: Erst dort habe ich meine eigene Stimme entdeckt. Akademisch, aber auch als Mensch. Ich hätte mich ohne die Studienstiftung nie getraut, mich dort zu bewerben, und selbst wenn ich das getan hätte, wäre ich ohne sie vielleicht nicht aufgenommen worden. Und mit dem Geld der Studienstiftung flog ich auch das erste Mal nach Amerika – an die Johns Hopkins University. Vielleicht ist da jetzt ein ordentlicher Schuss Selbststilisierung dabei, aber ich habe das Gefühl, ich war der komplette Naivling aus dem Wald, aus den einfachen Verhältnissen einesSchwarzwalddorfes, dem schon Freiburg zu groß war – die ersten Wochen meines Studiums in Freiburg haben mich buchstäblich krank gemacht, weil mich die Stadt überwältigte, weil ich versuchte, allen Menschen in den Straßen in die Augen zu sehen und alle Dinge in den Kaufhäusern wirklich wahrzunehmen.
Und dann hatte ich das unverschämte Glück, mit der Studienstiftung drei Dinge zu erhalten: Erstens, und vielleicht am wichtigsten: Das Stipendium gab mir das Gefühl der Selbstwirksamkeit, auch wenn es schwierig wurde: Du hast dieses Stipendium, du darfst dir etwas zutrauen. Zweitens, es gab mir die finanziellen Mittel, in die heiligen Hallen der akademischen Welt vorzudringen. Und drittens: Über die Menschen – den Vertrauensdozenten, Professor Stärk, die Referentin der Geschäftsstelle, die Dozenten der Sommerakademie und später über die Begegnung mit Peter Graf Kielmansegg – (damaliger Vizepräsident der Studienstiftung, Anm. d. Red.) – der mich dazu ermutigt hat, wirklich die akademische Laufbahn einzuschlagen – den Kompass, diese Hallen auch zu finden. Graf Kielmansegg ist die Wissenschaftlerpersönlichkeit, die mich vielleicht am meisten und nachhaltigstenbeeindruckt hat. So sehr, dass ich viele Jahre später mit ihm einen Kurs auf einer Sommerakademie der Studienstiftung in Görlitz gemeinsam gestaltet habe – zum Thema Gemeinwohl.
Die Studienstiftung fördert junge Menschen, die neben ihrem Leistungsvermögen die Bereitschaft mitbringen, sich über ihre eigenen Belange hinaus einzusetzen – in welcher Verbindung stehen für Sie Begabung und gesellschaftliches Engagement?
Ehrlich gesagt war ich anfangs ein wenig verwundert über die enge Verbindung, die die Studienstiftung und andere Begabtenförderwerke hier ziehen, und auch ein wenig skeptisch. Aber inzwischen kann ich aus voller Überzeugung sagen: Begabung und Engagement sind für mich aufs Engste verwoben; eine Begabung ohne Verantwortung ist für mich fast gar keine mehr.
Tatsächlich leite ich jeden Sommer eine Deutsche SchülerAkademie. Das ist ein außerschulisches Programm, das qualifizierte Jugendliche in den letzten beiden Jahrgangsstufen der Gymnasien fördert. SchülerAkademien sind in der Durchführung ähnlich wie die Sommerakademien der Studienstiftung, aber noch ein bisschen intensiver. Was mich dort beeindruckt, ist nicht das Wissen oder die Intelligenz der Jugendlichen, sondern erstens ihre Begeisterungsfähigkeit, ihr intrinsisches Interesse an den Dingen – und zweitens ihre soziale Kompetenz, ihre Fähigkeit und ihr Wille, sich um andere zu kümmern, wirklich Anteil am anderen zu nehmen, gerade auch, wenn er »komisch« ist, ihn einzubeziehen, zu integrieren, sich auf ihn einzulassen.
Diese beiden Dinge gehören meines Erachtens insofern zusammen, als es sich dabei um zwei Dimensionen von Resonanzfähigkeit handelt: Resonanz ist die Bereitschaft, die Stimme eines anderen zu hörenund ihr zu antworten: Dieses andere kann eine unbekannte Sache sein, es können aber auch fremde Menschen sein. Soziale und materiale Resonanzfähigkeit ist deshalb für mich das geworden, was Begabung im Kern ausmacht. Begabtenförderung aber ist meines Erachtens überhaupt erst und überhaupt nur dann gerechtfertigt, wenn man sie nicht so versteht, als helfe sie den Begabten, noch mehr »aus der Gesellschaft herauszuschlagen«, sondern so, dass man Begabung als Verantwortung begreift: Wer begabt ist, hat die Pflicht, sich um den Erhalt und die Entwicklung des Gemeinwesens zu kümmern und sich für die einzusetzen, die auf den Schattenseiten des Lebens stehen. Ohne diesen Gedanken könnte und wollte ich mich nicht in der Begabtenförderung engagieren: Sie dient dem Gemeinwohl, nicht dem Eigeninteresse.
Ich glaube aber, dass die Gesellschaft Orte und Institutionen braucht, in denen in diesem Sinne Begabte zusammenfinden können, damit sie die unschätzbare Erfahrung machen können zu sehen, was entstehen kann (sozial, material, vertikal), wenn es zu einer gemeinsamen Resonanz- und Kreativexplosion kommt…
Ich träume davon, dass an solchen Orten auch das dringend benötigte Andere, das Bild einer neuen, besseren Gesellschaft entstehen kann. Wo die Studienstiftung allerdings einfach dazu herhalten muss oder soll, Elitenetzwerke zu deren Eigennutz zu fördern, wird sie mir suspekt.
Sie sind inzwischen ehrenamtlich für die Studienstiftung aktiv – seit 2011 als Vertrauensdozent, immer wieder als Akademiedozent und für die Promotionsauswahl. Inwieweit war Ihre eigene Stipendiatenzeit prägend oder wichtig hierfür?
Ich hatte in der Tat lange den Wunsch, mich für die Studienstiftung zu engagieren –einfach deshalb, weil ich wenigstens ein bisschen von dem zurückgeben wollte, was ich selbst erhalten und erfahren hatte, und auch, weil ich unbedingt mithelfen wollte zu erhalten, was mir so wertvoll erschien. Aus eben diesem Grund habe ich angefangen, mich für die SchülerAkademie zu engagieren: Ich wollte schon als Doktorand mit einem Kommilitonen einen Sommerakademiekurs anbieten, aber man hat mir aus der Mirbachstraße (langjährige Adresse der Studienstiftung in Bonn, Anm. der Red.) beschieden, das gehe erst, wenn einer von uns promoviert sei, aber wir könnten es ja mal bei der Deutschen SchülerAkademie versuchen. Was wir taten. Auch heute versuche ich, meine Stipendiatengruppe und meine Stipendiaten (ebenso wie die Kandidaten, wenn ich begutachten muss) so zu sehen und zu behandeln, wie ich behandelt wurde. Allerdings habe ich festgestellt, dass darin auch eine Gefahr liegen kann, jedenfalls für den Auswahlprozess: Man neigt dann dazu, Leute zu fördern, die einem wie ‚man selbst vor vielen Jahren‘ vorkommen – aber Lebensläufe und Begabungen sind natürlich sehr vielfältig.
Stand: 2018
- Name
- Gert Scobel
- Jahrgang
- 1959
- Förderzeitraum
- 1980 bis 1986
- Beruf
- Philosoph, Journalist, Fernsehmoderator, Professor für Philosophie und Interdisziplinarität an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
- Aus dem Lebenslauf
- 1998 Deutscher Fernsehpreis, 2005 Adolf-Grimme-Preis
Ob Cannabis-Konsum, Hirnforschung, Verrohung der Gesellschaft oder Irrtum im Immunsystem: Gert Scobel ist ein Mann für viele Themen. Seit 2008 beleuchtet der Journalist, Theologe und Philosoph wöchentlich in der 3sat-Sendung »scobel« ein anderes Thema und bringt komplizierte Sachverhalte auf den Punkt. Die Bandbreite reicht von wissenschaftlicher Forschung, ihren ethisch-moralischen Implikationen und Auswirkungen auf andere Fach- und Lebensbereiche über Literatur und Musik bis hin zur Gesellschaftstheorie und Religionskritik.
»Ich begreife Fernsehen als ein Medium der Bildung, das auch dazu da ist, Erkenntnis zu vermitteln und Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt zu bieten«, sagt der Journalist. Er versteht sich als Moderator zwischen den Experten und dem Publikum: »Wenn man mit einem Fachmann für Biochemie spricht und ihn nach Funktionsweisen der Zelle fragt, versteht man in der Regel nur Bahnhof. Meine Rolle ist es, den Bahnhof zumindest begehbar zu machen, so dass man die Ansagen auf dem Gleis versteht, ehe der Wissenszug weiterrauscht. Insofern bin ich Anwalt des Publikums. Ich bin aber auch Anwalt derer, die etwas zu sagen haben und dabei befürchten, dass das, was sie sagen wollen, bei einer allzu verständlichen Vermittlung zu falschen Aussagen führt.«
Ein Spagat, der Scobel wie kaum einem zweiten deutschen Moderator gelingt und der ihm bereits viele Preise und Auszeichnungen beschert hat: 2005 etwa erhält er den begehrten Grimme-Preis in der Kategorie» spezial« für die Moderation der »Kulturzeit« und die Redaktion und Moderation von »delta«. In ihrer Begründung hebt die Jury Scobels unaufdringliche Lehrer- rolle hervor, die ihre Authentizität daraus beziehe, dass Scobel selbst »immer noch mehr wissen will«.
Als stetig Lernender hat der vielseitig interessierte Intellektuelle bereits zweimal, 1997 und 2006, das renommierte Europäische EICOS-Stipendium für Wissenschaftsjournalisten erhalten – verbunden mit Laboraufenthalten am Max-Planck-Institut für Neuroforschung in Martinsried bei München sowie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und am Weizmann Institute of Science in Rehovot in Israel.
Kindheit zwischen Wald und „Was ist Was“-Büchern
Die große Neugier, die Freude an der Erkenntnis zeigt sich bereits in Scobels Kindheit: So liebt er es, mit seinem Chemielabor zu experimentieren, streift aber genauso gern stundenlang mit Freunden durch die Wälder oder verschlingt »Was ist Was«-Bücher. Sein Wissensdurst ist nur schwer zu stillen. Sein Vater weckt schließlich Scobels philosophisches Interesse, als er ihm mit 13 die »Kleine Weltgeschichte der Philosophie » schenkt. Sein Lehrer konfrontiert ihn später mit Martin Heidegger und Karl Rahner. Nach dem Abitur beginnt Scobel 1977 Philosophie und katholische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main zu studieren, Berufsziel: Priester
Sein damaliger Professor, der katholische Religionsphilosoph und Anthropologe Jörg Splett, schlägt ihn der Studienstiftung vor, im März 1980 folgt die Aufnahme. Zu jenem Zeitpunkt studiert Scobel bereits an der University of California in Berkeley. »Durch die Studienstiftung habe ich die Möglichkeit erhalten, weiter in den USA zu studieren. Ich hatte bereits ein Stipendium für Berkeley, das aber nach einem halben Jahr auslief. Ich hätte also nach Deutschland ohne Abschluss zurückkehren müssen. Diese Zeit von zwei Jahren war entscheidend für meine gesamte weitere Entwicklung bis heute, nicht nur in akademischer Hinsicht«, sagt Scobel, der das Studium in Berkeley mit einem Master abschließt.
Allerdings sei es zu jener Zeit weder »cool« noch »in« gewesen, in den USA Geisteswissenschaften zu studieren und dort einen Abschluss zu machen – der wurde zu jenem Zeitpunkt in Deutschland nicht anerkannt. Deshalb muss der junge Mann nach seiner Rückkehr 1981 drei weitere Jahre studieren, um 1983 sein Theologie-Diplom zu erhalten.
11982 teilt er der Studienstiftung in einemSemesterbericht mit, sich gegen das »Pries- tertum als Lebensform« entschieden und vom Priesteramt abgemeldet zu haben. Einerder Gründe: Scobel will »tiefer im Leben stehen« und sieht sein Verständnis der Theologie und Philosophie als »eine Weiseder Lebensbewältigung, die ihren Sinn nicht zuletzt darin findet, dass eine solche Tätigkeit eine stellvertretende Funktion hat, indem sie anderen Menschen bei ihrer Lebensbewältigung hilft«. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis, die er mit seinem Studium überwinden wollte, sucht er nun an anderer Stelle zu überbrücken.
Sommerakademie als Fortbildungsmaßnahme
Etwa bei den Sommerakademien der Studienstiftung in Alpbach, die zu Scobels prägendsten Erfahrungen gehören: »Die Studienstiftung hat mir durch die Akademien die größte Fortbildungsmaßnahme meines Lebens ermöglicht. So viele unterschiedliche Leute mit so vielen unterschiedlichen Hintergründen! Die zwei Wochen in Alpbach, die ich mehrfach genossen habe, waren einfach unübertroffen – falls es je ein flächendeckendes Studium generale geben sollte, dann hoffe ich, wird es so wie Alpbach!«
Die vielen politischen Diskussionen empfindet er – »bei aller Härte und Intensität der geführten Auseinandersetzungen « – als große Bereicherung, eröffnen sie doch viele unterschiedliche Perspektiven. So erinnert sich Scobel an einen hitzigen Abend zum Thema Atomenergie, an dem der Nobelpreisträger und damalige Präsident der Studienstiftung, Manfred Eigen, teilnimmt: »Die Art und Weise, wie Eigen reagierte, Argumente aufnahm und in eine andere, bislang nicht bedachte Richtung brachte – dieser Abend war eine der interessantesten Begegnungen im Zusammenhang mit der Studienstiftung «, erinnert sich Scobel, der den Chemie-Nobelpreisträger Jahre später selbst mehrfach interviewt hat.
Die Unterstützung der Studienstiftung bedeutet für Scobel aber eine enorme Anerkennung und Unterstützung: »Immer dann, wenn man nicht den direkten, geraden Weg geht, tut es gut, Rat zu erhalten und Unterstützung zu bekommen. Beides war durch die Studienstiftung gegeben«, resümiert Scobel. Die teilweise noch handschriftlich verfassten Studienberichte hätten ihm dabei geholfen, seine eigene Position zu klären.
Moderator mit Bildungsauftrag
Nach Studium und einer kurzen Lehrtätigkeit an der University of San Francisco zieht es Scobel immer mehr in den Journalismus: Er schreibt fürs FAZ-Magazin, verfasst Radio-Essays und absolviert 1988 beim Hessischen Rundfunk schließlich ein Volontariat mit Schwerpunkt »Kultur und Wissenschaft«. Anschließend moderiert Scobel regelmäßig Kultursendungen in Hörfunk und Fernsehen, unter anderem das ARD-Magazin »Kultur Plus«.
Von 1995 bis 2007 moderiert der Journalist die 3sat-Sendung »Kulturzeit«. Von 2001 bis 2003 ist er Anchorman des ARD-Morgenmagazins. Seit 2003 moderiert er die ZDFSendung »Sonntags – TV fürs Leben« und leitet seit 2008 »scobel«. Außerdem ist er verantwortlicher Autor und Regisseur von Dokumentationen und Features für die ARD. Er veröffentlicht bis heute Kommentare, Satiren, Buch- und Musikkritiken und wissenschaftliche Artikel für verschiedene Bücher und Fachzeitschriften. Das »medium magazin für journalisten« kürt ihn 2006 zum Kulturjournalisten des Jahres. Ab dem Wintersemester 2016 / 17 ist Scobel zudem als Professor für Philosophie und Interdisziplinarität an der Hochschule Bonn-Rhein- Sieg aktiv.
Begabungen zu fördern, hält Scobel für wichtig, die Aufgabe der Studienstiftung sieht er darin, keine reine »Nerdfabrik« zu sein. »Die Förderung durch die Allgemeinheit dient auch, aber nicht nur, dem Ego. Es geht darum, sich selbst mit dem, was man an Begabungen glücklicherweise erhalten hat, auch zum Wohle anderer einzusetzen.«
Stand: 2018
- Name
- Katrin Suder
- Jahrgang
- 1971
- Förderzeitraum
- 1991-1996
- Beruf
- Unternehmensberaterin, Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung (2014-2018)
Katrin Suder, seit August 2018 Vorsitzende des Digitalrats der Bundesregierung, war von 2014 bis 2018 Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung – die erste Frau auf diesem Posten. Der Start der Quereinsteigerin war von großer medialer Aufmerksamkeit begleitet, auch weil sie mit dem Rüstungswesen eines der dringlichsten Reformthemen auf dem Tisch hatte. Zuvor war Suder 15 Jahre lang als Unternehmensberaterin aktiv. Während ihres Studiums der Physik an der RWTH Aachen erhielt sie ein Stipendium der Studienstiftung.
Welche Rolle spielte die Studienstiftung für Ihren Werdegang?
Eine ganz zentrale! Über die Studienstiftung haben sich mir neue Wege geöffnet. Ich habe nicht nur wichtige Mentoren und Freunde kennengelernt, die mir immer mit Rat und Tat zur Seite standen, auch meinen späteren Arbeitgeber McKinsey habe ich durch die Studienstiftung kennengelernt. Darüber hinaus war der Austausch mit anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten für mich persönlich bereichernd und hat mir viele Aspekte der Wissenschaft und des persönlichen Umgangs mit Wissenschaft erschlossen.Was war Ihre prägendste Erfahrung als Stipendiatin?
Das Treffen von interessanten, dabei sehr unterschiedlichen Menschen mit einem breiten Wissensschatz – insbesondere meinem Vertrauensdozenten, der mir neben vielem anderen immer wieder Gelegenheit zur Selbstreflexion gegeben hat. Inzwischen coache ich selbst junge Menschen, um diese positive Erfahrung weiterzugeben.Es gab jedenfalls ganz viele Veranstaltungen, die mir wichtige Impulse für meinen Lebensweg gegeben haben. Noch immer gut erinnere ich mich an das Auswahlseminar ganz zu Beginn, ich traf hier auf einen quirligen »Haufen« junger Leute, die Visionen, Ideen und jede Menge Redebedarf hatten.
Haben Sie noch Kontakt zu Mitstipendiaten?
Ja! Die gemeinsame Zeit bei der Stiftung schweißt zusammen. Über all‘ die Jahre sind wir in Kontakt geblieben und haben uns ausgetauscht.Die Studienstiftung fördert junge Menschen, die Leistung, Initiative und Verantwortung zusammendenken – in welcher Verbindung stehen für Sie Begabung und Verantwortung?
Etwas verkürzt ausgedrückt: Begabung ohne Verantwortung ist schade – Verantwortung ohne Begabung ist schädlich!Sie haben Physik studiert und in theoretischer Physik promoviert und sind danach in die Unternehmensberatung gewechselt. Ähnlich »unvorhersehbar« war dann 2014 Ihr Wechsel in die politische Welt. Was gab jeweils den Ausschlag?
Ich habe das Physikstudium und insbesondere die Promotion geliebt, das Privileg zu haben, mich mit Grundlagen zu beschäftigen, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, aber dann war die Wissenschaft für mich in vielerlei Hinsicht zu abstrakt und zu einsam.Ich wollte einen verantwortungsvollen Job, bei dem ich etwas verändern und gestalten kann. Genau diese Chance hat mir McKinsey gegeben – ich durfte dort sehr schnell viel Verantwortung übernehmen und gemeinsam mit gleichgesinnten Menschen schwierige Probleme lösen.
Mein Wechsel in den Staatsdienst nach fast 15 Jahren bei McKinsey hatte wiederum verschiedene Gründe: Ich empfand und empfinde es noch immer als große Ehre und auch große Chance, die sehr verantwortungsvolle Aufgabe der beamteten Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung anzunehmen. Sie gibt mir in vielerlei Hinsicht die Möglichkeit, etwas zurückzugeben – und ebenso spannend wie herausfordernd ist es allemal!
Stand: 2018
- Name
- Christoph Johannes Wolff
- Jahrgang
- 1940
- Förderzeitraum
- 1965-1966
- Beruf
- Musikwissenschaftler, Professor Emeritus für Musik an der Harvard University, Cambridge/USA
- Aus dem Lebenslauf
- 2006 erster Preisträger des neu gestifteten Bach-Preises der Royal Academy of Music in London
- Entdeckt 1999 in der Ukraine die verloren geglaubten Archive der Sing-Akademie zu Berlin
Musik sei für ihn fast nie Entspannung, meistens intellektuelles Engagement – guter Jazz als Hintergrundmusik sei allerdings okay. So urteilt Christoph Wolff 2002 bei einer Podiumsdiskussion zur historischen Aufführungspraxis während des Bachfestes in Leipzig.
Leipzig, die Stadt, in der Johann Sebastian Bach die letzten 27 Jahre seines Lebens verbrachte, ist nur einer der Lebensmittelpunkte des Musikwissenschaftlers. Von 2001 bis 2013 wirkt er dort als Direktor des Bach-Archivs und damit Mitorganisator des jährlichen, zehntägigen Konzertfestes zu Ehren des Komponisten. Für diesen Job pendelt er zwischen Deutschland und Cambridge, Massachusetts, wo der heute emeritierte Professor seit 1976 als Musikwissenschaftler an der Universität Harvard lehrt und lebt.
Wolff ist Mehrfachbelastungen seit jungen Jahren gewöhnt. Aufgewachsen in Wuppertal als erstes von sieben Kindern einer musikaffinen Familie, zieht es ihn nach dem Abitur zum Studium der Kirchenmusik nach Berlin. Parallel zu seiner Ausbildung an der Hochschule für Musik studiert er von 1960 bis 1963 auch Kunstgeschichte, Musik- und Liturgiewissenschaft an der FU Berlin.
Nach Ablegen des Staatsexamens an der Berliner Musikhochschule übernimmt er eine Assistentenstelle am Institut für Kirchenmusik der Universität Erlangen-Nürnberg. In Erlangen setzt Wolff sein Universitätsstudium fort und promoviert dort 1966. Im letzten Jahr seiner Promotion wird er von der Studienstiftung gefördert – ein »kurzes Gastspiel«, wie es bedauernd in deren offiziellem Abschiedsbrief heißt, in dem ihm auch zu dem »summa«-Ergebnis gratuliert wird, das damals auch innerhalb der Studienstiftung eine Rarität darstellt.
Durchaus häufiger hingegen ist die in der Akte notierte Sonderbeihilfe der Studienstiftung, die Wolff beispielsweise für »den Kauf eines Anzuges und eines Paares winterfester Schuhe« zusätzlich zu seinem Stipendium beantragt, von dem er Frau und Tochter mitfinanzieren muss.
Ein Leben für Bach
Schon früh begeistert sich Wolff für die (Kirchen-)Musik – sowohl praktisch als Organist als auch theoretisch. Mit 16 Jahren reist Wolff auf den Spuren des Barockorgelbauers Arp Schnitger nach Norddeutschland, untersucht Bau und Pfeifenmensuren und nähert sich erstmals Fragen der Aufführungspraxis alter Musik
Eine der prägendsten Begegnungen macht Wolff noch in seinem Elternhaus: Ein Freund seines Vaters, der berühmte Bach-Forscher Friedrich Smend, trifft sich über Jahre wöchentlich mit ihm und führt Wolff an sein Forschungsgebiet heran.
Heute hat Wolff zahlreiche Werke über Musik, Leben und Zeit des Komponisten veröffentlicht und gilt als einer der führenden Bach-Experten der Welt. Ein Ruf, der sich nicht zuletzt durch Wolffs maßgebliche Beteiligung an der Wiederentdeckung des Notenarchivs der Sing-Akademie zu Berlin gefestigt hat.
Diese Notenbestände der 1791 gegründeten ersten gemischten Chorvereinigung der Welt wurden während des Zweiten Weltkrieges aus dem Berliner Stammhaus des Chors nach Schlesien ausgelagert und galten seit 1945 als verschollen. Wolff folgt der Spur der Manuskripte seit 1960. Als eine Kollegin aus Harvard 1999 Aufzeichnungen findet, die bestätigen, dass 1947 über 5.000 Musikalien in die staatlichen Kunst- und Kulturarchive der Ukraine überführt wurden, folgt Wolff diesem Fingerzeig sofort. Nach schwierigen diplomatischen Verhandlungen gelingt es ihm schließlich, das Archiv der Sing-Akademie sicherzustellen und seine Rückführung nach Berlin anzuregen.
Die 5.200 Stücke fassende Sammlung enthält unteranderem das »Altbachische Archiv«, die Musikaliensammlung der Familie Bach, Originalhandschriften von Johann Sebastian Bach und bis dato verschollene Stücke seines Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach. Die seit 2001 in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrte Sammlung ist das bedeutendste Kulturgut, das seit der Auflösung der Sowjetunion an Deutschland zurückgegeben wurde.
Für diesen Fund und seine wissenschaftliche Arbeit erhielt Wolff zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem 2015 den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. Der 78-jährige Wissenschaftler denkt noch lange nicht an den Ruhestand. Ab der Saison 2017/18 arbeitet er als musikalischer Kurator für die Allianz des Boston Symphony Orchestra und des Gewandhausorchesters Leipzig. So kann er auch wieder einem seiner Lieblingsorte in Leipzig den ein oder anderen Besuch abstatten: dem Bach-Denkmal. »Es liegt in einem kleinen Park, von wo man einen schönen Blick auf die Westfassade der Thomaskirche hat«, sagt Wolff. »Dort sah schon der alte Bach aus dem Fenster, komponierte, hörte das Rauschen der Bäume und der Thomasmühle mit der Pleiße.«
Stand: 2018
- Name
- Jürgen Wellenkamp
- Lebensdaten
- 1930-1956
- Förderzeitraum
- 1951-1954
- Berufung
- Bergsteiger
- Aus dem Lebenslauf
- Zahlreiche Erstbesteigungen, darunter Ausangate, Peru (6384 m) und Annapurna IV, Nepal (7524 m). 1956 im Bergell abgestürzt und verstorben.
Jürgen Wellenkamp wird 1930 in Bad Reichenhall geboren. Kindheit und Jugend sind geprägt von zahlreichen Ortswechseln. So folgt die Familie dem Vater, dem Schriftsteller und Dramaturg Bruno Wellenkamp, nach Berlin, Pommern und Hamburg.
Wellenkamp sehnt sich dabei immer, so schreibt er in seinem Lebenslauf an die Studienstiftung, zurück nach Bad Reichenhall: »Der Wald dort vor dem Hause meiner Großmutter, das Bergrund um Reichenhall, dies beeindruckte mich stärker und reizte mich mehr als die Weite der norddeutschen Tiefebene.« 1940 zieht die Familie, nach der Zerstörung der Hamburger Wohnung bei einem Bombenangriff, wieder »nach Hause«, wo er zum leidenschaftlichen Bergsteiger und Kletterer wird.
Erste Seillängen
Mit 13 Jahren »geht« er allein auf den Glockner, mit 14 Jahren erklimmt er die Watzmann-Ostwand, »von da an auch die schwereren Touren bis zu den extremen Felsfahrten«. Seine Wanderungen dokumentiert er knapp in einem Bergtagebuch, das in Teilen im Deutschen Alpinarchiv erhalten ist. Hier notiert er auch einen »Nachruf auf einen Felspfeiler«, in dem er sich geradezu liebevoll von einer abgebrochenen Felsformation des Blaueisspitze- Nordgrats verabschiedet. Die hatte er 1945 in der »durch das Kriegsende erzwungenen Haltlosigkeit« an den Wochenenden erklettert.
»Wir sind gewohnt, in den Bergen etwas Dauerhaftes zu sehen, etwas, das fast ewig ist im Vergleich zum Leben der Menschen. Und nun klafft da die Wunde – es betrübt uns im Herzen. Es ist ja nicht irgendein Stück Berg, das da hinabgesunken ist, es ist ein Stück Erschließungsgeschichte, es sind ein paar Seillängen, voll von persönlichen Erinnerungen für viele Bergsteiger.«
In seiner Bewerbung bei der Studienstiftung gesteht er 1950 eher fröhlich ein, dass er trotz der häufigen Touren ein guter Schüler gewesen sei, »mit mehr Fleiß wäre es allerdings viel besser noch geworden. Aber dazu war die Gegend um Reichenhall zu schön«. 1948 macht er von 30 Schülern trotzdem das beste Abitur.
Ein Jahr zuvor kehrt sein Vater aus französischer Gefangenschaft zurück. Die finanzielle Situation der Familie macht die Aufnahme eines Studiums schwer. Durch Vermittlung eines Bergkameraden, Fritz Kasch, Hilfsassistent des Mathematikers Friedrich Karl Schmidt in Münster, gelingt ihm jedoch der Einstieg ins Studium.
Studium in München
Bevor er sich 1949 offiziell immatrikulieren kann, leistet Wellenkamp zunächst noch einen Arbeitseinsatz an der Universität Münster ab und nutzt die Zeit, um erste Vorlesungen zu hören. Sein Studium finanziert er über Nachhilfestunden und Gelegenheitsarbeiten als Bergführer und als Gärtner, bis er 1950 selbst Hilfsassistent bei Schmidt wird. Dieser schlägt ihn, gemeinsam mit seinem Kollegen Heinrich Behnke, für die Studienstiftung vor; die Aufnahme erfolgt im April 1951, zunächst für ein Jahr, den damals üblichen »Vorsemestern«.
Nicht nur finanziell ist das Stipendium für Jürgen Wellenkamp wichtig, wie aus einem Brief an die Geschäftsstelle deutlich wird: »In meinem Alter traue ich mir noch kein sehr sicheres Urteil über den Wert eines Menschen, auch nicht über den eigenen, zu; mit meiner Aufnahme in die Studienstiftung haben nun andere Menschen ein Werturteil abgegeben, und neben der ungeheuren finanziellen Hilfe, die diese Aufnahme bedeutet, macht mich vor allem diese Anerkennung recht glücklich.«
Im Herbst 1951 wechselt Jürgen Wellenkamp nach München – die Nähe zu seinen Bergen mag dabei eine Rolle gespielt haben. Sein Studium legt er breit an, neben Mathematik und Physik hört er Italienisch, Geografie, Geologie und Vermessungskunde. Das Vordiplom absolviert er 1952 und beantragt damit die endgültige Aufnahme in die Förderung der Studienstiftung.
Sein ihm sehr gewogener Vertrauensdozent, der Physiker Walther Gerlach, weist auf das »äußerst merkwürdige« Prüfungsergebnis hin: In den rein theoretischen Fächern in Mathematik und Physik erhält Wellenkamp die Note »Ausgezeichnet«, in angewandter Mathematik und Experimentalphysik (hier war Gerlach selbst der Prüfer) jedoch nur ein knappes »Gut«; die Kenntnisse seien lückenhaft gewesen. Mit seinen Kollegen ist Gerlach sich jedoch einig, dass Wellenkamp, auch wenn dieser die eher handwerklichen Dinge vernachlässigt habe, eine ausgesprochene Fähigkeit zum abstrakten Denken zu attestieren sei – und empfiehlt der Geschäftsstelle, dem Stipendiaten die kleine Panne nicht weiter zu verargen.
Die großen Expeditionen: Anden und Himalaya
1953 beantragt Jürgen Wellenkamp, offensichtlich nach einem persönlichen Gespräch mit dem damaligen Generalsekretär Heinz Haerten, eine Verlängerung der Förderung, verbunden mit einer Stipendiumspause, um an einer »Kundfahrt in den Himalaja unter Leitung des von Tibet her bekannten Heinrich Harrer« teilnehmen zu können.
Vorgesehen für die Expedition sei er aufgrund »meiner bergsteigerischen Erfahrungen in Fels und Eis (Eigernordwand usw.), meiner Sprachkenntnisse und meiner Kenntnisse in der Vermessungskunde, die ich als Mathematiker habe«. Die Himalaja-Expedition kommt aus Finanzierungsgründen jedoch zunächst nicht zustande; wohl, da die Deutsche Himalaja-Stiftung schon eine weitere deutsche Expedition zum Nanga Parbat finanziert.
Wenig später, im Juni 1953, teilt Wellenkamp der Studienstiftung mit, er sei nun für die »Deutsche Cordilleren-Kundfahrt 1953«, geleitet durch Heinrich Harrer, vorgesehen. Die Studienstiftung beurlaubt ihn, wünscht ihm viel Erfolg und eine heile Rückkehr. Aus Peru schickt Wellenkamp einen kurzen Bericht sowie eine Zeitungsnotiz über die Erstbesteigung des 6.384 Meter hohen Ausangate. Seinem Vertrauensdozenten Gerlach schreibt er im August begeistert: »Sehr geehrter Herr Professor, seit bald vier Wochen treiben wir uns nun (aber mit System!) in einer der schönsten unerforschten Gebirgsgegenden der Welt herum.«
Zurück in München findet Wellenkamp wieder ins Studium und bereitet sich auf sein Examen vor; von der Studienstiftung bekommt er die Zusage einer erneuten Verlängerung der Förderung, um sein Studium im Sommer 1954 abschließen zu können. Die Förderung endet im August 1954. Vermutlich verschiebt Wellenkamp den Studienabschluss erneut, da er sich nun schon auf das ursprünglich geplante Abenteuer, die Himalaja-Kundfahrt, vorbereitet.
Neun Monate lang ist er mit Heinz Steinmetz (Expeditionsleitung), Fritz Lobbichler und Harald Biller in Nepal unterwegs. Ihm gelingen sieben Erstbesteigungen, darunter die beiden Siebentausender Annapurna IV und Kang Guru.
Tod in den Bergen
Jürgen Wellenkamp verunglückt am 22. Juli 1956 tragisch im Bergell. Beim Abstieg von der Zocca-Kante gleitet er auf einem steilen Grashang aus und fällt über eine 60 Meter hohe Wand. Als Familie und Freunde nach seiner Bergrettung und Behandlung im Hospital in Morbegno schon eine Besserung erhoffen, verstirbt er am 29. Juli an den Folgen einer Embolie.
Die Eltern, zwei Schwestern, seine Braut sowie die Gemeinschaft der Bergsteiger betrauern den Tod des nur 25 Jahre alten Wellenkamp. In die Trauer über den viel zu frühen Tod des noch so jungen Kletterers mischt sich jedoch auch Dankbarkeit: »Ist es nicht wunderbar, daß solch ein Leben gelebt wurde?«, schließt die Schwester ihren Nachruf auf den Bruder.
Sein Freund und Bergsteiger Heinz Steinmetz erinnert sich an Jürgen Wellenkamp als einen Menschen, der »überhaupt alles intensiv tat«: Der auf der Reise nach Peru mit einer kleinen Grammatik und der spanischen Ausgabe von »Anna Karenina« Spanisch lernte, nachdem er zuvor schon in der Enge des italienischen Auswanderungsschiffs, das die Andenexpedition nutzte, Italienisch paukte. In seinem Nachruf schreibt Steinmetz über Wellenkamp: »Ihn, der Schwerstes unternommen hatte, ereilte das Schicksal an einem verhältnismäßig leichten Weg.«
Stand: 2018
- Name
- Gertrude Lübbe-Wolff
- Jahrgang
- 1953
- Förderzeitraum
- 1970-1975 (Studienförderung)
- 1978-1979 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Juristin, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, Richterin des Bundesverfassungsgerichts (2002-2014)
- Aus dem Lebenslauf
- 2000 Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis
Gertrude Lübbe-Wolff ist ihre Karriere mit einer eigentümlichen Kombination aus Beharrlichkeit und gelassenem Vertrauen in die Tragfähigkeit der eigenen Interessenfelder angegangen. So schreibt schon die 16-Jährige in ihrem Lebenslauf an die Studienstiftung, sie sei schlicht nicht in der Lage, etwas zu tun, nur weil es von ihr gefordert werde – eine Einstellung, die zunächst den (Selbst-)Zweifel nährt, ob das Jurastudium denn das passende sie.
Die Aussicht, mit der Rechtswissenschaft ein Studium des disziplinierten und zunächst praxisfernen Paukens zu wählen, wird gemildert durch das klare Berufsziel: »Als Schülerin wollte ich am liebsten Professorin werden – wahrscheinlich weil ich dafür ein Vorbild in Gestalt meines Vaters hatte«, erzählt Gertrude Lübbe- Wolff, die älteste Tochter des Philosophen Hermann Lübbe.
Einschneidendes Bildungserlebnis
Das Auslandsjahr 1974 / 75 in den USA an der HarvardLaw School war die wichtigste Chance, die der angehenden Juristin von der Studienstiftung eröffnet wurde, erzählt sie. »Die Konfrontation damit, dass so vieles von dem, was man für selbstverständlich zu halten gewohnt ist, auch ganz anders sein und beurteilt werden kann, war für mich ein einschneidenderes oder zumindest ein bewusster wahrgenommenes Bildungserlebnis als alle früheren.« Juristisch beschäftigt sie sich in Harvard zudem erstmals mit dem Völkerrecht, das an deutschen Universitäten zu dem Zeitpunkt noch keine große Rolle spielt.
Anderen Perspektiven begegnet Lübbe-Wolff auch im Haus des Juristen Werner von Simson in Freiburg. Fast jeden Tag empfängt er Gäste, auch Studierende gehören dazu. Es ist eine Art akademischer Salon, nur mit persönlicher Einladung. Das intellektuelle Zentrum ist der Hausherr. »Von ihm habe ich meine ersten Lektionen über die Bedeutung des Wettbewerbs und die Bedeutung der öffentlichen Gewalt für seine Fähigkeit, gemeinwohlverträglich und gemeinwohlförderlich zu funktionieren, gelernt. Nicht in Vorlesungen oder Seminaren, sondern in den geselligen Runden, die er mit seinem unerschöpflichen Schatz an Erfahrungen und geistreichen Anekdoten unterhielt«, sagt Lübbe-Wolff.
Mit 21 Jahren hat sie bereits den ersten Abschluss in der Tasche. 1977 folgt das Zweite Staatsexamen, 1980 die Promotion, sieben Jahre später die Habilitation für die Fächer Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Verfassungsgeschichte der Neuzeit.
Theorie und Praxis
Wissenschaft und Lebenswelt, theoretisches Erkenntnisinteresse und praktische Erfahrung, kurz Theorie und Praxis – Gertrude Lübbe-Wolff verbindet beide Sphären in ihrer Forschung und Arbeit. »Nachdem ich mit der Habilitation die Voraussetzungen für die Ausführung meines beruflichen Plans geschaffen hatte, wechselte ich erst einmal in die Verwaltung.« Eine »Pendelexistenz«, wie sie die weitere akademische Karriere verlangt hätte, kommt auch wegen der Kinder nicht infrage, um die sich Lübbe-Wolff und ihr Mann »gleichberechtigt und gleichverpflichtet« kümmern. Von 1988 bis 1992 leitet sie das Umweltamt der Stadt Bielefeld. »Etwas so vielfältig Lehrreiches wie die praktische Verwaltungstätigkeit in einer Kommunalbehörde hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.«
1992 klappt es dann mit einer Professur direkt an der Universität Bielefeld. »Diesen Sechser im Lotto – eine Stelle an der Universität, an der auch mein Mann tätig war – konnte ich nicht ungenutzt lassen. Später wieder etwas anderes, Praktisches machen, konnte ich ja immer noch.« So kam es dann auch. Zehn Jahre später kann sie das Angebot – nicht das erste – annehmen, für die Wahl zur Verfassungsrichterin zu kandidieren.
Davor erhält sie im Jahr 2000 allerdings noch den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis für ihre Beiträge zum Verhältnis von Recht und Moral, zur Analyse rechtlicher Steuerungsinstrumente im Umweltschutz und zur Umsetzung von Recht als Normbefehl in die Praxis.
2002 wählt der Bundestag Gertrude Lübbe-Wolff zur Bundesverfassungsrichterin. »Heute, nach dem Ende der zwölfjährigen Richteramtszeit, glaube ich, in Rechtsfragen urteilssicherer zu sein – auch hinsichtlich der Grenzen der Möglichkeit sicheren Urteilens – als ich es ohne die Jahre der Praxis in Verwaltung und Justiz gewesen wäre«, sagt sie.
In ihrer Forschung widmet sie sich derzeit unter anderem dem Vergleich der Beratungskulturen in nationalen und internationalen Höchstgerichten. In ihrem Kopf »rumoren« viele weitere europarechtliche, verfassungsrechtliche, rechtsvergleichende, rechtshistorische und rechtsphilosophische Arbeitsprojekte – in der Vielfalt der Projektideen zeigt sich erneut die Fähigkeit Lübbe-Wolffs als Brückenbauerin zwischen Theorie und Anwendung, Rechtspraxis und Rechtswissenschaft.
Stand: 2018
- Name
- Clemens Fuest
- Jahrgang
- 1968
- Förderzeitraum
- 1988-1991
- Beruf
- Ökonom, Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München, Präsident des IFO Instituts für Wirtschaftsforschung
Liebe auf den ersten Blick war es nicht: Es dauerte einige Jahre, bis Clemens Fuest seine Leidenschaft für die Wirtschaftswissenschaften entdeckt. Heute vergisst er schon mal die Zeit, wenn er sich in Modellrechnungen oder mathematische Ableitungen vertieft: »Das hat fast therapeutische Wirkung«, sagt der Ökonom.
In seiner Schulzeit fasziniert ihn vor allem das Fach Geschichte. Und noch immer besucht er gern geschichtsträchtige Orte und hat ein Faible für britische Landhäuser. Doch für derartige Ausflüge bleibt ihm nunmehr kaum Zeit: Seit April 2016 leitet Fuest das renommierte ifo Institut für Wirtschaftsforschung und tritt damit in die Fußstapfen des prominenten, streitbaren wie umstrittenen Ökonomen Hans-Werner Sinn.
Der 50-jährige Fuest betrachtet dieses Erbe nüchtern und gelassen: »Die Schuhgröße beschäftigt mich nicht«, sagt er in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«, sonst hätte er die Aufgabe gar nicht erst übernommen.
Unter seinem Vorgänger erlangt das einst kriselnde Institut der Leibniz-Gemeinschaft wieder internationales Ansehen: Das ifo-Institut zählt zu den einflussreichsten Wirtschaftsforschungsanstalten der Bundesrepublik und beschäftigt rund 200 Mitarbeitende. Der monatlich veröffentlichte ifo-Geschäftsklimaindex gilt als wichtigster Frühindikator für die deutsche Wirtschaft.
Prägende Jahre in München
Fuest und Sinn kennen sich aus den 1990er-Jahren, als Fuest in München habilitiert und Sinn dort lehrt: »Die Begeisterung, die Sinn für das Fach Ökonomie hatte, hat viele angesteckt, mich auch«, erzählt Fuest. Die beiden Wirtschaftsforscher schätzen einander, vertreten bisweilen aber auch unterschiedliche Standpunkte: So steht Fuest während der Eurokrise beispielsweise als Sachverständiger vor dem Bundesverfassungsgericht und befürwortet die Einrichtung des Euro-Rettungsfonds ESM. Sinn wiederum steht auf der Seite der ESM-Kläger und warnt vor einer dauerhaften Haftung Deutschlands.
Auf internationalem Parkett gilt Fuest als exzellenter und bestens vernetzter Finanzwissenschaftler und wirtschaftspolitischer Vordenker.
Börsenspiel weckt Neugierde
Seine Wurzeln hat Fuest im ostwestfälischen Geseke in der Nähe von Münster. Beide Elternteile arbeiten als Lehrer. Es ist sein Onkel Winfried Fuest, Finanzwissenschaftler am Kölner Institut der deutschen Wirtschaft, der den »ökonomischen Grundstein« legt und Fuest erstmals vermittelt, was Ökonominnen und Ökonomen überhaupt tun. Ein Börsenspiel an der Schule trägt dazu bei, dass Fuest sich mehr und mehr für die Wirtschaft begeistert: »Ich habe ziemlich gut abgeschnitten und das fälschlicherweise auf gute Entscheidungen zurückgeführt, dabei war es vor allem Glück, wie ich heute weiß«, erzählt Fuest in einem Zeitungsinterview.
1987 besteht er sein Abitur. Berufswunsch: Manager im Finanzsektor. Noch während der Schulzeit wird Fuest der Studienstiftung als Stipendiat vorgeschlagen und im September 1988 aufgenommen. Zu jenem Zeitpunkt studiert er bereits Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bochum: »Die Studienstiftung war für meine persönliche und berufliche Entwicklung wichtig. Die Sommerakademie in Salem mit einem Seminar über französische Literatur, mit vielen Gesprächen und gemeinsamen Ausflügen habe ich als eine sehr beglückende und einzigartige Erfahrung in Erinnerung.«
1989 wechselt Fuest nach Mannheim und studiert Volkswirtschaftslehre und Romanistik. Im März 1990 nimmt der Stipendiat an einem vierwöchigen Sprachkurs der Studienstiftung in Rom teil – eine intensive Zeit, in der er die italienische Metropole gut kennenlernt. Doch die Liebe durchkreuzt am Ende seine Pläne, sich weiterhin der italienischen Sprache zu widmen: Auf einer Studentenfeier in Mannheim lernt er seine heutige Frau kennen, eine Kolumbianerin: »Sie hat mich natürlich inspiriert, Spanisch zu lernen, darunter hat mein Italienisch gelitten«, erzählt der Vater von drei Söhnen. Dankbar sei er der Studienstiftung auch für ein Praktikum bei der Deutschen Bundesbank, das die Studienstiftung vermittelt hat: »Das war zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung, sehr spannende Zeiten in der Notenbank.«
In seinem Abschlussbericht als Stipendiat dankt der Experte für internationale Steuerpolitik und Staatsfinanzen »besonders für die Freiheit, die die Studienstiftung mir gelassen hat«. Den weiter formulierten Vorsatz, die Arbeit der Studienstiftung in Zukunft ein wenig zu unterstützen, löst Fuest regelmäßig ein: durch Vorträge bei Auslands- und Stipendiatentreffen in Großbritannien oder innerhalb der Auswahlarbeit der Promotionsförderung.
Rasante Karriere
Nach seinem Diplom 1991 in Mannheim überlegt der Volkswirt kurz, in die freie Wirtschaft zu gehen, doch am Ende entscheidet er sich für die akademische Laufbahn und promoviert 1994 in Köln mit einem immer noch aktuellen Thema: »Eine Fiskalverfassung für die Europäische Union«. 2000 folgt die Habilitation über Steuerpolitik und Arbeitslosigkeit, mit Anfang 30 tritt er seine erste Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in Köln an.
2003 wird Fuest in den Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums berufen, 2007 wählen sie ihn zum Vorsitzenden. 2008 erhält er einen Ruf aus Oxford und kann dem Angebot nicht widerstehen: Er übernimmt eine Professur für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford und wird dort zugleich Forschungsdirektor des Centre for Business Taxation. Das Umfeld in Oxford empfindet Fuest als äußerst inspirierend: »Oxford ist ein unglaublich globalisierter Ort, fast wie eine Gesellschaft der Zukunft.«
Deutschland bleibt der Wissenschaftler weiterhin verbunden und kehrt 2013 aus Großbritannien zurück, um in Mannheim Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Professor an der Universität Mannheim zu werden. Das ZEW zählt zu den größten ökonomischen Denkfabriken Deutschlands. Eigentlich wäre Fuest dort bis 2018 geblieben, doch dann kam ihm München und das ifo-Institut dazwischen – eine schwere, aber letztlich mit überzeugung gefällte Entscheidung zugunsten der neuen Herausforderung, die Fuest seit dem 1. April 2016 annimmt.
Stand: 2018
- Name
- Cornelia Quennet-Thielen
- Jahrgang
- 1957
- Förderzeitraum
- 1976-1983
- Beruf
- Juristin, Staatssekretärin im Bundesministeriums für Bildung und Forschung (2008-2018)
»Habt keine Scheu vor großer Leistung und vor Exzellenz, nehmt auch unerwartete Herausforderungen an.«
Ihren Rat an heutige Stipendiatinnen und Stipendiaten, etwas zu wagen, Ungewohntes anzupacken, hat die ehemalige Staatssekretärin im Bundesministeriumfür Bildung und Forschung, Cornelia Quennet-Thielen, früh selbst befolgt.
Anfangs ist sie unsicher, ob sie mit Jura den richtigen Studiengang gewählt hat. Im Austausch mit ihren Ansprechpartnern in der Studienstiftung gelingt es ihr, die Unsicherheit in der Fächerwahl zu überwinden, und sie studiert höchst erfolgreich ab 1976 in Freiburg und später in Trier. »Die Studienstiftung hat meine Zuversicht und mein Selbstvertrauen gestärkt«, sagt die Juristin. »So konnte ich meinen eigenen Weg gehen.«
Talente fördern
Dieser Weg führt sie vom Richteramt im Landesdienst Rheinland- Pfalz über das rheinland-pfälzische Ministerium für Umwelt und Gesundheit, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und das Bundespräsidialamt bis ins Bundesministerium für Bildung und Forschung, wo sie von November 2008 bis Juli 2018 als Staatssekretärin und Amtschefin tätig war.
Die bestmögliche Entfaltung individueller Begabung ist ihr ein Anliegen, mit Nachdruck setzt sie sich für Talentförderung ein. »Begabung zu vernachlässigen heißt, Ressourcen zu verschenken, die allen zugutekommen«, sagt Quennet-Thielen. Nur durch gezielte Förderung, sagt sie, können besondere Talente besondere Leistungen erbringen.
Doch Förderung ist für sie keine Einbahnstraße: Neben Voraussetzungen für Spitzenleistungen müsse das Bildungssystem auch umfassende Partizipationsmöglichkeiten schaffen. »Für das Bundesbildungsministerium sind das zwei Seiten ein und derselben Medaille«, betont Quennet-Thielen.
Den gleichen Einsatz erwartet sie von Förderorganisationen wie der Studienstiftung und deren Stipendiatinnen und Stipendiaten: »Ich möchte die Studienstiftung darin bestärken, offen auf die Vielfalt und den Wandel der Gesellschaft zu reagieren, so wie sie es in den vergangenen Jahren zunehmend getan hat. Wir müssen die Besten nicht nur finden, wir müssen ihnen die Chance geben, die Besten zu werden.«
Exzellenz und Engagement
Der oder die Beste zu sein, umfasst für Cornelia Quennet-Thielen auch den gesellschaftlichen Einsatz. Das Bild des Stipendiaten im Elfenbeinturm will sie als »Fehlwahrnehmung« nicht gelten lassen, und hat es selbst auch ganz anders erlebt: etwa bei den Sommerakademien in La Villa, wo sie den unkomplizierten fachübergreifenden Austausch genießt und das Klettern für sich entdeckt. Aber auch bei ihrem Auswahlseminar 1975, als ihr von den Mitbewerbenden statt des erwarteten Konkurrenzgebarens Kollegialität und Fairness entgegengebracht werden.
»Verantwortungsvolles, bürgerschaftliches Engagement ist für die meisten Stipendiatinnen und Stipendiaten der Studienstiftung selbstverständlich«, betont sie 2014 etwa in ihrer Festrede zur Preisverleihung der Engagement- und Promotionspreise, mit denen die Studienstiftung den vielfältigen gesellschaftlichen Einsatz sowie die wissenschaftliche Exzellenz ihrer Geförderten würdigt.
Um diese akademischen, gesellschaftlichen oder auch politischen Leistungen voll zu entfalten, müsse man sich, so Quennet-Thielen, auf unbekanntes Terrain vorwagen. »Die Grenzüberschreitung erfordert mehr Mut und birgt die Gefahr unerwarteter Hindernisse oder Sackgassen«, sagt sie. »Aber es sind oft die verschlungenen, unwahrscheinlichen Wege, die zu neuen Erkenntnissen führen.«
Stand: 2018
- Name
- Ute Frevert
- Jahrgang
- 1954
- Förderzeitraum
- 1972-1978 (Studienförderung)
- 1979-1981 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Historikerin, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung
- Aus dem Lebenslauf
- Hat Gefühle als anerkanntes Objekt wissenschaftlicher Forschung in Deutschland etabliert
Ute Frevert ist die erste in ihrer Familie, die das Gymnasium besucht, mit 16 das Abi absolviert und studiert. Obwohl die Eltern dem Studienwunsch anfangs skeptisch gegenüberstehen, schlägt die Tochter den akademischen Weg ein, der sie für ihr Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften nach Münster, Bielefeld sowie, unterstützt von der Studienstiftung, für ein Jahr nach London führt.
Dass sie in den Förderkreis der Studienstiftung aufgenommen wird, löst bei der jungen Studentin damals eher ambivalente Gefühle aus. Die materielle Unterstützung macht sie unabhängig von ihren Eltern und bewahrt sie vor dem Gefühl, ihnen »auf der Tasche zu liegen«.
Gleichzeitig fühlt sie sich intellektuell ernst genommen, was ihr Selbstbewusstsein stärkt und sie zusätzlich anspornt, ihre akademischen Ziele zu verfolgen. Doch zum »Eliteclub« der Geförderten zu gehören, bringt auch Selbstzweifel mit sich: »Ich habe mich in den Sommerakademien oft fehl am Platze gefühlt, weil mir alle anderen Stipendiaten als klüger erschienen.«
Dennoch, das positive Gefühl überwiegt. Die Sommerakademien, an denen Ute Frevert viermal teilnimmt, zählen im Rückblick zu ihren schönsten und prägendsten Erfahrungen als Stipendiatin: »Bei den Bergwanderungen in Alpbach oder den Diskussionen mit Kommilitonen verschiedener Fachrichtungen habe ich Freunde fürs Leben kennengelernt.« Die Mischung von intensiver interdisziplinärer Arbeit und Freizeit empfindet Ute Frevert als besonders wertvoll. Deshalb rät sie aktuellen Stipendiatinnen und Stipendiaten, an den Akademien und selbstorganisierten Workshops teilzunehmen.
Geschichte der Gefühle
Ausschlaggebend für Ute Freverts Berufswahl ist ihr brennendes Interesse für Geschichte; einerseits als das Fremde, Unvertraute, andererseits als das, was jeden Menschen prägt und begleitet. Anfang der 1980er- Jahre wird sie an der Universität Bielefeld promoviert, wo sie sich 1989 auch habilitiert. Ihr Thema: »Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft«.
Als Professorin für Neuere Geschichte lehrt sie an der FU Berlin und an der Universität Konstanz. Nach Bielefeld kehrt sie 1997 als Professorin für Allgemeine Geschichte zurück. 2003 lockt ein Angebot der Yale University Ute Frevert nach Amerika, wo sie fast fünf Jahre lehrt. Zurück in Deutschland, ist sie seit 2008 Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin.
Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Emotionsgeschichte. Die Expertin für Sozial- und Geschlechtergeschichte untersucht, ob und wie sich Gefühle verändern, wie sie geschichtlich geprägt sind und wie sie Ereignisse und Entwicklungen beeinflussen. Keine leichte Aufgabe für die Geschichtswissenschaft, so flüchtige Gefühle wie Angst, Scham, Mitleid zu fassen zu kriegen.
Denn Empfindungen drücken sich zwar in Texten, Gemälden, Tönen oder Gebäuden aus, zugleich verstecken oder verschlüsseln sie sich aber auch darin. Erst wenn man die sozialen Normen und Institutionen der Zeit hinzunimmt, lässt sich der Bedeutungswandel einzelner Gefühle erkennen, lassen sich Gefühlsmoden, »emotionale Konjunkturen« entdecken, wie sie beispielsweise das Ehrgefühl in der Moderne durchläuft.
Zur Geschichte der Gefühle gehören für Frevert, die Dutzende Beiträge zur Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts veröffentlicht hat, nicht zuletzt Empathie und Mitgefühl, die zentral für den Umgang mit der Flüchtlingskrise seien. Mit Blick auf das Potenzial kultureller Diversität wünscht sie sich auch von der Studienstiftung, »offen zu sein für die Vielfalt an Herkunft und Orientierung, die unsere Studierenden mitbringen, und diese Vielfalt zu fördern – das kann sich nur positiv auf die Gesellschaft auswirken.«
Stand: 2018
- Name
- Wolfhart Pannenberg
- Lebensdaten
- 1928-2014
- Förderzeitraum
- 1949-1954
- Beruf
- Theologe, Professor für systematische Theologie an der LMU München (1968-1994)
Als junger Mensch wollte er Dirigent werden: »A conductor like Herbert von Karajan«, antwortet Wolfhart Pannenberg 2005 der »American Society of Religion«, der weltweit größten Vereinigung von Religionswissenschaftlern, die den evangelischen Theologen um autobiografische Notizen bittet. Talent und Interesse waren offensichtlich ausreichend vorhanden, fürchtete Pannenbergs Vater doch, sein Sohn könnte über die Liebe zur Musik die Schule vernachlässigen.
Doch mit dem Theologiestudium 1947 entscheidet sich Wolfhart Pannenberg für eine akademische Laufbahn. »Einer der auslösenden Momente war dabei die Erfahrung, dass sich das von Nietzsche vermittelte Bild des Christentums nicht mit den eigenen Erfahrungen deckte«, erklärt Professor Klaus Koschorke, Dekan der Evangelisch-theologischen Fakultät der LMU München zu Pannenbergs 75. Geburtstag.
Die Liebe zur Musik und insbesondere zu den Werken Chopins, Mozarts und Vivaldis begleitet den Vordenker der Ökumene jedoch ein Leben lang.
Bedeutender Theologe und Religionsphilosoph
Pannenberg zählt zu den bedeutendsten Theologen und Religionsphilosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei spielten Christentum und Glaube in seiner Kindheit keine große Rolle: Am 2. Oktober 1928 in Stettin geboren, wird er zwar getauft, doch seine Eltern haben sich bereits so weit von der Kirche entfernt, dass sie aus der Institution ausgetreten sind.
Der Vater arbeitet als Zollbeamter, die Familie zieht in Folge häufig um – 1942 nach Berlin. Dort erlebt Pannenberg als Gymnasiast die Schrecken des Zweiten Weltkrieges: 1944 wird das elterliche Haus ausgebombt. Kurz vor Kriegsende wird der 16-Jährige im Februar 1945 noch eingezogen und gerät in britische Gefangenschaft, aus der er im Oktober 1945 entlassen wird.
1947 beginnt der junge Mann in Berlin an der Humboldt-Universität Theologie zu studieren. Sein Studium finanziert er zunächst mit Hilfe eines Stipendiums der Pommerschen Landeskirche, das jedoch nach seinem Wechsel zum Wintersemester 1947 / 48 nach Göttingen nicht mehr ausreicht.
Pannenberg bewirbt sich erfolgreich um ein Stipendium der Studienstiftung. Mit deren Unterstützung verbringt er ein Jahr in der Schweiz: In Basel besucht er Lehrveranstaltungen von Karl Jaspers und Karl Barth – zwei Lehrende, die Pannenberg in seinem theologischen und philosophischen Denken sehr prägen.
In jener Zeit beginnt er – parallel zu seiner Examensvorbereitung – mit der Dissertation und schreibt über das Verhältnis zwischen Willensfreiheit und Prädestination bei Duns Scotus, einem schottischen Theologen und Philosophen. 1950 zieht der Stipendiat nach Heidelberg. Seine Dissertation ist als Kooperation zwischen der Kirchlichen Hochschule Berlin und Heidelberg angelegt, da die Hochschule in Berlin kein Promotionsrecht besitzt.
Pannenbergs Doktorvater in Berlin bemüht sich intensiv um den Umzug Pannenbergs in die DDR – doch vergebens. Die von Pannenberg als Grundsicherung nötige Nachwuchsstelle wird abgelehnt, da er nicht im Osten wohnt. Der Wissenschaftler muss nun in Heidelberg nach Badischer Kirchenordnung promovieren, was ihn zwei zusätzliche Semester kostet, die die Studienstiftung als Härtefall unterstützt.
1953 promoviert er schließlich bei Edmund Schlink, 1955 folgt die Habilitation mit einer Arbeit über die Geschichte des Analogiebegriffs. Von 1958 bis 1961 lehrt Pannenberg als Professor für systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal. 1961 nimmt er einen Ruf an die Universität Mainz an, wo er bis 1967 lehrt. In jener Zeit engagiert er sich für die Studienstiftung als Vertrauensdozent.
1967 wechselt er noch einmal die Stadt und folgt einem Ruf nach München: Er zählt zu den Gründungsprofessoren der Evangelisch- theologischen Fakultät der LMU und lehrt dort bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1994. Im Laufe seiner akademischen Karriere erhält er viele Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und korrespondierendes Mitglied der British Academy. Gastprofessuren führen ihn in die USA, so nach Chicago, Harvard und Claremont in Kalifornien. Die Bibliografie Pannenbergs umfasst über 750 Titel, seine Werke werden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Englisch, Spanisch, Italienisch, Dänisch, Polnisch, Rumänisch und Chinesisch.
Einsatz für die Ökumene
Pannenbergs dreibändige große »Systematische Theologie« prägt bis heute die evangelische Theologie und begründet eine neue wissenschaftliche Richtung: Danach begrenze sich der christliche Glaube nicht allein auf das individuelle Bekenntnis, sondern habe auch einen allgemeingültigen, »universalen« Wahrheitsanspruch, der in Wissenschaft und Gesellschaft wirksam und offenbar sei.
Mit diesem Neuansatz rückt Pannenberg unter anderem von seinem ehemaligen Lehrer Karl Barth und der von ihm vertretenen theologischen Richtung ab, nach der die Gotteserkenntnis, die nicht direkt von Gott, sondern vom Menschen ausgehe, unmöglich sei.
Ganze Generationen von Pastoren und Pastorinnen beschäftigen sich während ihres Theologiestudiums mit Pannenbergs Systematik. Auch Katholiken besuchen die Vorlesungen des evangelischen Dogmatikprofessors, dem die Ökumene immer ein großes Anliegen war.
So hält er als einer der ersten Theologen überhaupt bereits 1969 ein ökumenisches Seminar zur »Lehre vom geistlichen Amt in katholischer und evangelischer Perspektive« und gründet schließlich an der LMU das Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene. Pannenberg sucht zeitlebens den Brückenschlag zwischen der katholischen und evangelischen Kirche.
Zugleich vertritt er Überzeugungen, für die er auch zum Preis von Auseinandersetzung und Konflikten nicht abrückt: So gibt der Theologe 1997 das nur ein Jahr zuvor verliehene Bundesverdienstkreuz zurück und begründet seine Entscheidung damit, dass auch »Vorkämpfer der Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit der Ehe« diese Auszeichnung erhalten hätten.
Nach seiner Emeritierung 1994 hält er noch Gastvorlesungen in den USA und in Berlin, zieht sich in den Folgejahren aber immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück und spielt – wie er es selbst einmal formuliert – den »Hilfsarbeiter« im Garten seiner Frau Hilke, der er viele seiner Werke gewidmet hat. Wolfhart Pannenberg verstirbt am 4. September 2014 in München im Alter von 85 Jahren.
Stand: 2018
- Name
- Markus Hilgert
- Jahrgang
- 1969
- Förderzeitraum
- 1990-1995 (Studienförderung)
- 1996-1999 (Promotionsförderung )
- Beruf
- Altorientalist, Direktor des Vorderasiatischen Museums (2014–2018), Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder
- Aus dem Lebenslauf
- Seit 2015 Mitglied des UNESCO-Expertenteams »Emergency Safeguarding of the Syrian Cultural Heritage Project«
Markus Hilgert leitete zum Zeitpunkt des Interviews das Vorderasiatische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Während seines Studiums der Altorientalistik, Semitistik, Vergleichenden Religionswissenschaft und Vorderasiatischen Archäologie in Marburg, München und Chicago erhielt er ein Stipendium der Studienstiftung, für die er sich heute noch engagiert – zuletzt als Dozent auf der Kulturakademie 2015. Ein Interview.
Herr Hilgert, welche Rolle spielte die Studienstiftung für Ihren Werdegang?
Wenn ich heute darüber nachdenke, dann möchte ich behaupten, dass keine andere Institution, kein anderes Netzwerk meinen persönlichen und beruflichen Werdegang stärker geprägt hat als die Studienstiftung. Dabei ist es vor allem eine bestimmte Haltung gewesen, die ich bei anderen Studienstiftlern stets bewundert und mir zum Vorbild genommen habe: Neugier, Scharfsinn, Weltoffenheit, Lebensfreude, intellektuelles Interesse auch jenseits der eigenen Disziplin, Wachsamkeit für soziale Fragen und die Bereitschaft, die eigenen Grenzen im persönlichen Austausch auszudehnen. Ich habe nie wieder ein Umfeld gefunden, in dem so lebendig, so anregend, so humorvoll, so tiefgehend und so klug diskutiert wurde. Und ich habe selten eine Institution erlebt, die weltanschaulich so offen war, ohne ethisch indifferent zu sein.
Bei der Studienstiftung habe ich viel über disziplinübergreifenden Austausch gelernt und verstanden, wie wichtig es ist, die Inhalte, Fragestellungen und Methoden des eigenen Faches auch für Fachfremde nachvollziehbar zu vermitteln, weil sonst weder ein multidisziplinärer Austausch noch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit entstehen können. In meinen Jahren an der Universität Heidelberg, die wesentlich von der Konzeption und dem Aufbau des Sonderforschungsbereichs «Materiale Textkulturen» geprägt waren, haben mir dieses Wissen und diese Erfahrung sehr geholfen. Und für meine Arbeit auf der Berliner Museumsinsel ist die Freude an der Vermittlung, am Überschreiten der Grenzen, von entscheidender Bedeutung.
Mut zum Risiko
Und noch eines: Dass meine Vertrauensdozenten sowie meine Ansprechpartner bei der Studienstiftung mich stets mit Wohlwollen begleitet und auch die für einen Studenten eher ungewöhnlichen Forschungsvorhaben an der University of Chicago mit Enthusiasmus gefördert haben, hat mir nicht nur Selbstvertrauen gegeben, sondern mich auch früh mit den Chancen einer Wissenschafts- und Forschungsförderung vertraut gemacht, die nicht nur auf akademische Exzellenz, sondern auch auf Kreativität, Mut zum Risiko und unkonventionelle Zugänge setzt. Meine ersten Anträge auf Forschungsförderung habe ich – in bescheidenem Umfang – bei der Studienstiftung gestellt.
Was war Ihre prägendste Erfahrung als Stipendiat?
Gerade in diesen Tagen, in denen ich sehr viel im Ausland bin und versuche, die großen Herausforderungen bei der internationalen Zusammenarbeit für den Schutz bedrohter Kulturgüter besser zu verstehen, merke ich, wie zentral meine Zeit am Oriental Institute der University of Chicago gewesen ist. Finanziert durch ein Auslandsstipendium der Studienstiftung konnte ich zunächst ein Jahr am Oriental Institute studieren.
Dieses Jahr war nicht nur in fachlicher Hinsicht für mich entscheidend, denn an keinem anderen Ort der Welt konnte man am Beginn der 1990er Jahre Altorientalistik fundierter und breiter studieren. Vielleicht noch wichtiger war im Rückblick die Begegnung mit einer anderen Gesellschaft – eine Gesellschaft, die eine transkulturelle, tolerante, fortschrittliche war –, mit einem anderen Hochschul- und Forschungssystem, mit einem Kultursektor, der ohne zivilgesellschaftliches Engagement schon längst zusammengebrochen wäre, und mit einer anderen politischen Kultur.
Chicago als Schlüsselerfahrung
In den USA habe ich gelernt, die eigenen kulturellen Muster und Prägungen zu relativieren, kulturelle Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Chance und Bereicherung zu sehen und das vielfältige soziale Engagement der Zivilgesellschaft als ein hohes gesellschaftliches Gut zu schätzen, das auch die Solidarität und den sozialen Zusammenhalt fördert. Dass mir in dieser Zeit das Englische so vertraut wie meine Muttersprache wurde, kommt mir heute jeden Tag aufs Neue zugute.
In beruflicher Hinsicht war die Zeit in Chicago eine Schlüsselerfahrung: Meine ersten beiden Bücher sind dort entstanden, ich habe Kontakte geknüpft, die bis heute prägend für meine Arbeit sind, ich konnte am Oriental Institute als Gastprofessor unterrichten und habe immer wieder die Gelegenheit genutzt, mit der Keilschriftsammlung des Oriental Institute zu arbeiten.
Der Umgang mit Originalobjekten aus dem antiken Mesopotamien, zu dem ich in Chicago erstmals in meinem Leben Gelegenheit hatte, hat für mich buchstäblich alles verändert: Obwohl ich Philologe bin, haben mich die »Dinge« nie wieder losgelassen. Wahrscheinlich ist es nicht zuletzt diese Erfahrung gewesen, die dafür verantwortlich ist, dass ich heute ein Museum leite.
Warum haben Sie sich für das Studienfach der Altorientalistik entschieden?
Was mich zu der Altorientalistik gebracht hat: Vielfalt der Inhalte und Methoden, die Keilschrift, die Faszination menschlichen Kulturschaffens in der Vergangenheit. Später bin ich dann von der Universität an das Museum gewechselt, um das Fach von einer anderen Seite kennenzulernen, um mitten in der Gesellschaft über den kulturellen Reichtum und die kulturelle Vielfalt der Vergangenheit zu sprechen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass uns diese Vielfalt erhalten bleibt.
Welche Projekte beschäftigen Sie augenblicklich ganz besonders? Welche Fragen stehen im Fokus Ihrer Arbeit?
Was mich derzeit besonders beschäftigt, sind Projekte, die mit dem Schutz bedrohter Kulturgüter vor allem im Irak und in Syrien in Verbindung stehen: ein Projekt zur Dunkelfeldforschung im Bereich des illegalen Handels mit Kulturgütern, verschiedene Projekte zum capacity building im Bereich des Kulturgutschutzes, ein neues, von mir gegründetes Forschungs- und Infrastrukturzentrum für die 3D-Digitalisierung von archäologischen Kulturgütern sowie die enge Kooperation mit dem Internationalen Museumsrat ICOM und der UNESCO.
Die Faszination der Dinge vermitteln und bewahren
Außerdem treibt mich die Frage um, wie Museen, die im Kontext machtpolitischer Asymmetrien entstanden sind, mit dieser kolonialen oder imperialen Hypothek umgehen und welche gesellschaftliche Funktion diese Museen heute haben können. Wie muss sich das Leitbild von Museen entwickeln, damit sie aktiv zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen können?
Und natürlich beschäftigt mich als stellvertretender Vorsitzender des «Zukunftsrats für die Kleinen Fächer in Baden-Württemberg», den die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer eingesetzt hat, nach wie vor die Frage, wie unsere Gesellschaft dafür sorgen kann, dass die Kompetenzen, die in sogenannten «Kleinen Fächern» angesiedelt sind, erhalten und weiterentwickelt werden können. Denn ohne die «Kleinen Fächer» sind auch viele Museen, Archive und Bibliotheken nicht mehr handlungsfähig.
Die Studienstiftung fördert junge Menschen, die neben ihrem Leistungsvermögen die Bereitschaft mitbringen, sich über ihre eigenen Belange hinaus einzusetzen – in welcher Verbindung stehen für Sie Begabung und gesellschaftliches Engagement?
Für mich ist Wissenschaft ohne Gesellschaft, ohne die Frage, wie die Gesellschaft von dem, was ich tue, profitieren kann, undenkbar. Im Studium war mir immer klar, dass es ein Privileg war, Altorientalistik mit gesellschaftlicher Förderung studieren zu dürfen. Und auch heute ist mir stets bewusst, dass das, was ich tue, durch Steuergelder finanziert ist.
Es ist also selbstverständlich für mich, dass ich Antworten auf die Frage suche, wie ich mein Wissen und meine Erfahrung auch für die Gesellschaft einsetzen kann. Dies bedeutet für mich auch, dass ich in Kauf nehme, weniger zu forschen, um etwa mein Fach in der Öffentlichkeit zu vertreten, als Experte zu fungieren oder Projekte zu initiieren, die primär für unsere Gesellschaft oder die Gesellschaften anderer Staaten relevant sind.
Das heißt aber nicht, dass ich aus Begabung eine moralische Verpflichtung für gesellschaftliches Engagement ableiten würde. Vielmehr verstehe ich eine hohe, umfassende Begabung so, dass sie die gesellschaftliche und politische Dimension dessen, was etwa in Wissenschaft, Kunst oder Wirtschaft geschieht, immer mitdenkt und gar nicht ausblenden kann. Hochbegabung ist für mich die Fähigkeit, das Ganze auch im Detail sehen zu können, die Komplexität der Wirklichkeit intellektuell «auszuhalten». Insofern glaube ich, dass Menschen, die im Sinne der Studienstiftung über Begabung verfügen, gar nicht anders können, als sich «einzumischen», als unsere Gesellschaft aktiv mitzugestalten.
Stand: 2018
- Name
- Antje Vollmer
- Jahrgang
- 1943
- Förderzeitraum
- 1963-1968
- Beruf
- Pastorin, Politikerin, Publizistin, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages (1994-2005)
- Aus dem Lebenslauf
- 1994-2005 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Es war eine Premiere: Im November 1994 wird AntjeVollmer mit den Stimmen der CDU als erste Grünen-Politikerin in das Amt der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages gewählt. Manch einer sieht darin bereits den Grundstein für künftige schwarz-grüne Koalitionen. Überhaupt hat die streitbare Intellektuelle in ihrem Leben viele Brücken gebaut, Denkverbote ignoriert und festgefahrene Diskussionen aufgebrochen. Sie hat geschlichtet, vermittelt und sich engagiert – unter anderem für die deutsch-tschechische Aussöhnung und die Entschädigung von NS-Opfern.
Stipendium verschafft neue Freiheit
Dabei hatte Antje Vollmer nie beabsichtigt, in die Politik zu gehen. »Allerdings war ich von Kindheit an ein politisch sensibilisierter Mensch – und zufälligerweise war ich immer gerade an den Orten, an denen politisch etwas Neues begann«, erzählt Antje Vollmer in einem Interview mit ihrer ehemaligen Universität Heidelberg.
1962 beginnt die Kaufmannstochter aus der westfälischen Kleinstadt Lübbecke evangelische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf zu studieren – nicht vorrangig aus christlicher überzeugung, sondern vor allem, weil das Fach ihre vielen unterschiedlichen Interessen vereint: Literatur, Kunstgeschichte, Psychologie, Psychoanalyse, Philosophie, Archäologie und Politik.
Zum Wintersemester 1963 / 64 wechselt sie an die Universität Heidelberg. In jenem Jahr wird Antje Vollmer Stipendiatin der Studienstiftung. »Mir persönlich war meine gesellschaftspolitische Sensibilität immer wichtiger als meine wissenschaftliche Begabung. Deswegen bin ich auch jenen Menschen in den Auswahlgremien besonders dankbar, die das früh erkannt haben und mir so eine große Lebenschance eröffneten«, sagt sie. Die angespannte finanzielle Situation im Elternhaus hätte zudem vermutlich verhindert, dass sie überhaupt hätte studieren können. »Die Studienstiftung verschaffte mir zunächst einmal vor allem die Freiheit, mich auf das Studium konzentrieren zu können«, resümiert Vollmer
Luft der weiten Welt
Von Heidelberg geht es nach Tübingen und weiter ins Ausland, wo sie 1965 / 66 die Luft der großen weiten Welt schnuppert: »Das Studiensemester in Paris war meine erste längere Auslandserfahrung und deswegen eine äußerst intensive Begegnung mit der französischen und europäischen Kultur. Ich stand viele Nächte schon ab Mitternacht mit Freunden für Opern- und Theaterkarten an. Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez war damals ein ganz junger rebellischer Star am Opernhimmel. Aber selbst in Paris bekamen ›die Deutschen‹ immer wieder die Vorbehalte zu spüren, die aus zwei Weltkriegen stammten. Ein Anreiz, möglichst bald möglichst akzentfrei Französisch zu lernen!«, erinnert sich die langjährige Bündnis 90 / Grünen-Bundestagsabgeordnete.
In jene Zeit fallen zwei weitere Studienreisen, die auch von der Studienstiftung gefördert werden und die sie als besonders prägend empfindet – 1964 nach Polen und im April 1965 nach Israel, »Beide Länder standen noch erheblich unter dem Druck der belasteten deutschen Geschichte mit diesen Völkern. In Israel waren aber auch bereits die Vorschattendes Sieben-Tage-Krieges zu merken«, sagt die Politikerin.
Im Anschluss an den Auslandsaufenthalt in Paris kehrt die Stipendiatin nochmals für ein Semester nach Heidelberg zurück. Der Grund für die häufigen Studienortswechsel sind vor allem die Professoren, denen sie quasi hinterherzieht: Gerhard von Rad in Heidelberg etwa, Ernst Bloch und Ernst Käsemann in Tübingen.
Nach Vorlesungsende diskutiert die junge Frau manchmal noch nächtelang mit ihren Kommilitonen – ein aktives politisches Engagement allerdings liegt noch in weiter Ferne. Als Antje Vollmer 1967 nach Berlinzieht, um ihr Examen zu machen, erlebt sie eine Studentenszene, die extrem politisch engagiert ist. Im Radio hört sie von Benno Ohnesorgs Tod. Neugier und ein moralischer Impuls treiben sie auf die Straße. 1968 macht sie ihr erstes theologisches Staatsexamen, 1971 das zweite und 1973 folgt die Dissertation. Es sind die Jahre, in denen die Theologin ihre politische Haltung entwickelt.
Biografischer Glücksfall
Als Mittzwanzigerin beginnt sie 1971 als Pastorin in dem sozialen Brennpunktviertel Berlin-Wedding – und empfindet die Arbeit in dem Abrissgebiet direkt an der Mauer als »einen ganz schönen Praxisschock«. Unter den Jugendlichen gibt es Drogenprobleme, manche ihrer Konfirmanden trifft sie am Berliner Bahnhof Zoo wieder. Ihre Gemeinde ist zugleich stark überaltert, sodass die junge Geistliche bisweilen vier bis fünf Menschen am Tag beerdigen muss. Der Wunsch nach einer alternativen Lebensperspektive wächst.
Antje Vollmer beginnt ein Zweitstudium der Erwachsenenpädagogik und beendet es 1975. Mit dem Diplom in der Tasche kehrt sie der Großstadt den Rücken, zieht aufs Land und arbeitet in der Erwachsenenbildung – von 1976 bis 1982 als Dozentin in der ländlichen Bildungsarbeit an der Evangelischen Heimvolkshochschule in Bielefeld.
»Dort habe ich quasi die 1968er-Bewegung auf dem Land erlebt, die das Rückgrat der Anti-Atom-Bewegung und der späteren Ökologiebewegung bildete. Viele der jungen Bauern, mit denen ich dort arbeitete, diskutierten über einen Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft hin zum Ökolandbau. Diese Bauern waren der entscheidende Faktor dafür, dass der Widerstand gegen die Atomkraft eine andere Qualität bekam als die sehr intellektuelle städtische Studentenbewegung und dass es auch gelang, ganz andere Bevölkerungsgruppen dafür zu motivieren.«
Die Parteigründung der Grünen im Januar 1980 geht an der inzwischen alleinerziehenden Mutter zunächst vorbei, zu sehr ist sie mit der Arbeit der oppositionellen Bauernkreise beschäftigt. Als aber die Grünen 1983 schließlich für den Bundestag kandidieren, braucht die Partei jemanden, der die Bauernopposition vertritt, sich mit Agrarpolitik auskennt. »Da die Grünen den Bauern zu suspekt, manchmal auch zu verrückt und zu radikal waren, haben wir gesagt, ich könnte es ja versuchen – und sechs Wochen später saß ich dann im Bundestag. Das war sturzgeburtartig, aber ich sehe es als biografischen Glücksfall!«, sagt sie. Damit startet Vollmers politische Laufbahn, zunächst noch als parteilose Abgeordnete für die Grünen im Bundestag, erst ab 1985 als Parteimitglied.
Als Fraktionsvorsitzende muss sie sich immer wieder scharfer Kritik aussetzen, beispielsweise als sie die inhaftierten RAF-Terroristen brieflich zum Dialog einlädt. Der folgende Sturm der Entrüstung treibt sie noch Jahre später um. Unterstützung erfährt sie von intellektuellen Größen wie Heinrich Böll, Helmut Gollwitzer, Kurt Scharf, Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger, auch ehemaliger Stipendiat der Studienstiftung.
Nach 22 Jahren Abschied von der großen „Politikbühne“
2005 verlässt sie nach 22 Jahren die große Politikbühne. Zum einen will sie den Zeitpunkt selbst bestimmen und sich nicht abwählen lassen, zum anderen ist es kein Geheimnis, dass ihr Verhältnis zu JoschkaFischer konfliktbeladen ist, insbesondere mit Blick auf die Frage, inwieweit Deutschland sich mit militärischen Interventionen, etwa in Afghanistan, bei der internationalen Terrorbekämpfung einbringen soll.
Vollmer wird klar, dass sie mehr bewegen und freier reden kann, wenn sie die Politik verlässt. Seitdem engagiert sie sich in Stiftungen, Initiativen und Kuratorien, ist als Publizistin für namhafte deutsche Zeitungen aktiv, setzt sich für die Aufarbeitung der schwierigen Verhältnisse in der Heimerziehung der 1950er und 1960er ein.
Die Grünen-Politikerin und ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages wird für ihre politischen Impulse und Engagements vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hannah-Arendt-Preis und dem Masaryk-Orden der Tschechischen Republik.
Als Interviewpartnerin zu großen politischen Themen ist Antje Vollmer bis heute gefragt. Ihr Interesse an den Menschen und damit letztlich an der Politik ist unangefochten groß: »Momentan bemühe ich mich unter anderem mit einem Aufruf um eine Deeskalation unseres Verhältnisses zu Russland und versuche, die aktuelle griechische Regierung zu unterstützen, die faktisch zu einem Protektorat der Euro-Zone unter der Ägide der Troika geworden ist.«
Stand: 2018
- Name
- Hans Mommsen
- Lebensdaten
- 1930-2015
- Förderzeitraum
- 1956 - 1959
- Beruf
- Historiker, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bochum (1968-1996)
»Die Zahl der Bücher über das Dritte Reich ist nahezu endlos«, sagte Ulrich Herbert, Professor für Neuere und Neueste Geschichte in Freiburg, anlässlich des Todes von Hans Mommsen. »Aber ohne Mommsens scharfe, zuweilen lakonisch anmutende Strukturanalysen versteht man gar nichts.«
Klar formulieren und theoretisch fundieren – das waren die Grundsätze, die der Ende 2015 Verstorbene seinen Forschungen zugrunde legte und die ihn zu einem der bedeutendsten deutschen Zeithistoriker machten. Dem Zeitzeugenbericht als authentische Quellestand er dabei kritisch gegenüber: »Im Unterschied zur schriftlichen Quelle wird die mündliche zerstört, wenn man sie benutzt.« Deshalb betonte er stets die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, private Erinnerungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Zwischen Tradition und Innovation
Die Geschichtswissenschaft war Hans Mommsen, dem Enkel des Althistorikers Theodor Mommsen und Sohn des Geschichtsprofessors Wilhelm Mommsen, in die Wiege gelegt. Trotzdem hätten er und sein Zwillingsbruder Wolfgang fast einen Weg abseits der Familientradition eingeschlagen. »Wir wollten ursprünglich unter keinen Umständen Geschichte studieren«, sagte Mommsen über seinen Werdegang. »Vielleicht bin ich dann von meiner Studienwahl der Germanistik abgekommen, weil ich meinen Vater über die Jahre bei seiner Arbeit – wohlgemerkt im einzigen beheizten Zimmer des Hauses – unterstützt habe.«
Nach der anfänglichen Unentschlossenheit verfolgen die beiden Brüder ihre Karrieren umso zielgerichteter, teilen sich gar die Erforschung der neueren Geschichte vor und nach 1918 untereinander auf. Seine Promotion, für die Hans Mommsen ab 1956 von der Studienstiftung gefördert wird, legt er 1959 bei Hans Rothfels in Tübingen ab, von 1960 bis 1963 ist er Referent am Institut für Zeitgeschichte in München, es folgen Assistenz und anschließende Habilitation bei Werner Conze in Heidelberg.
Neben seiner Professur an der Universität Bochum setzt er international Akzente, lehrt und forscht unter anderem in Princeton, Harvard und Jerusalem. Diese Zeit bleibt Mommsen als prägend in Erinnerung: »Die Erfahrungen im Ausland halfen, gegenüber der älteren Generation der Fachvertreter eine eigen- ständige Position zu entwickeln.«
Argumentativ und leidenschaftlich
Im Zuge der Abgrenzung von seinen Vorläufern schließt Mommsen sich den Funktionalisten an, die die Intentionalität der Entwicklungen im Dritten Reich infrage stellen und den allgemeinen gesellschaftlichen sowie politischen Strukturen und Einstellungen der Zeit eine höhere Bedeutsamkeit zumessen als der Person Adolf Hitlers.
Aus Mommsens Ansicht, dass man von den Ergebnissen des Handelns nicht auf die Ziele der Handelnden schließen dürfe, entwickelt er den Begriff der kumulativen Radikalisierung. Ein Terminus, der den Prozess des wechselseitigen Aufwiegelns gegnerischer Lager beschreibt, der nach Mommsen zum Mord an den Juden geführt habe.
Als der amerikanische Politologe Daniel Goldhagen 1996 die Ursache des Holocausts an einem angeborenen Antisemitismus der Deutschen festmachen will, widerspricht Mommsen entschieden. Auch gegen die wiederholte Beschwörung von Hitlers.
Charisma spricht er sich aus und betont, man könne die Zerstörung von Millionen Menschenleben nicht aus dem Charakter einer Person heraus erklären.
Analytische Schärfe, darstellerische Klarheit und Konfliktbereitschaft: Diese Eigenschaften schätzen die Weggefährten an Mommsen, der nie die Leidenschaft an seinem Fach verlor – was bisweilen dazu führt, dass er seine klare Linie streitbar und streng durchzusetzen versucht. »Er konnte sich zornentbrannt in Rage reden«, erinnert sich Ulrich Herbert in seinem Nachruf auf Hans Mommsen in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. »Gleichzeitig war er einer der höflichsten, liebenswürdigsten Gesprächspartner unter den Geistesgrößen in diesem Lande.«
Stand: 2018
- Name
- Gerd Faltings
- Jahrgang
- 1954
- Förderzeitraum
- 1971-1978
- Beruf
- Mathematiker, Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik
- Auszeichnungen
- Erhielt 1986 im Alter von 32 Jahren als erster Deutscher die Fields-Medaille
Seine Neigung zur Mathematik entwickelte sich schon zu Beginn der Gymnasialzeit: 1954 in Gelsenkirchen in ein naturwissenschaftlich ausgerichtetes Elternhaus geboren, beschäftigt sich Gerd Faltings bereits ab dem zehnten Lebensjahr mit den Grundlagen höherer Mathematik – alte Lehrbücher aus dem Physikstudium seines Vaters liefern den willkommenen Anreiz.
Auszeichnungen für mathematische Spitzenleistungen lassen auch in diesen frühen Jahren nicht lange auf sich warten: 1971 und 1972 ist Faltings unter den Bundessiegern des soeben erst ins Leben gerufenen Bundeswettbewerbs Mathematik. Auf diesem Wege wird er – zu dem Zeitpunkt noch Zwölftklässler am Gymnasium – in die Studienstiftung aufgenommen, durch die er während der anschließenden Studienjahre auf Sommerakademien in La Villa und Alpbach »erste alpinistische Erfahrungen« sammelt und deren Büchergeld ihm die Lektüre einer »riesigen Menge von Literatur« für die eigene Forschung ermöglicht.
Nachdem er 1978 das Mathematik- und Physikstudium in Münster abgeschlossen hat und nur vier Monate später im Alter von 23 Jahren promoviert wird, verbringt Faltings ein Jahr als Gastforscher an der Harvard University. Während dieser Zeit kann er nicht nur ein weitläufiges Netzwerk von Kontakten mit anderen außergewöhnlichen jungen Wissenschaftlern knüpfen, welches ihn noch über viele Jahre hinweg bereichern soll, sondern er erkennt auch, dass »viele der Sitten, Ansichten und Gebräuche in Deutschland keineswegs überall geteilt werden«.
Frühe Berufung und erste Beweise
Nach seiner Habilitation in Münster erhält Faltings im Jahr 1982 einen Ruf an die Universität Wuppertal und wird mit 27 Jahren der damals republikweit jüngste ordentliche Professor für Mathematik – von seiner Bewerbung hatte er sich eigentlich nur wenig Hoffnung auf Erfolg versprochen. Die unerwartete Berufung markiert jedenfalls den nun auch äußerlich stimmigen Abschluss seiner »Gesellenzeit«, welche für ihn im selben Jahr mit dem Beweis zweier fundamentaler Ergebnisse in der Geometrie arithmetischer Flächen zu Ende geht: des sogenannten Faltings’schen Indexsatzes und des Faltings-Riemann-Roch-Theorems. Diese Beweise bilden den ersten großen Durchbruch in seinen Forschungen. Es ist das erste Mal, dass er mit seinen Ergebnissen »voll zufrieden« ist.
Weit über die wissenschaftliche Gemeinschaft hinaus berühmt wird Faltings 1983 durch seinen Beweis der sogenannten Mordell- Vermutung, der weltweit für Schlagzeilen sorgt und ihn quasi über Nacht (und nicht immer zu seiner Begeisterung) zum Medienstar werden lässt. Die prominente Vermutung von Mordell, welche die Endlichkeit rationaler Lösungen für einen wichtigen Typus von Gleichungssystemen behauptet und deren Gültigkeit Faltings in einer nur 17-seitigen Arbeit über »Endlichkeitssätze für abelsche Varietäten über Zahlkörpern« nachweist, hatte sich bereits über 60 Jahre allen Beweisversuchen der Mathematiker widersetzt.
Erster deutscher Träger der Fields-Medaille
Für dieses zentrale Resultat in der Arithmetischen Geometrie wird ihm wenige Jahre später im Alter von 32 Jahren die Fields-Medaille verliehen, die die höchste Auszeichnung in der Mathematik darstellt. Er ist der erste deutsche Mathematiker, dem diese Ehrung zuteil wird – und bleibt weitere 32 Jahre lang, bis zur Auszeichnung von Peter Scholze 2018 (siehe Porträt 69, Seite 175), auch der einzige.
1985 folgt Faltings dem Ruf auf eine Professur an der Princeton University. Dort forscht und lehrt er bis 1994 und kehrt anschließend nach Deutschland zurück, wo er seither als Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn tätig ist.
Bis in die Gegenwart hinein leistet er entscheidende Beiträge in den vielfältigsten Bereichen der Arithmetischen Algebraischen Geometrie, so etwa auf dem Gebiet abelscher Varietäten, diophantischer Approximation, p-adischer Hodge-Theorie oder der Vektorbündel auf algebraischen Kurven, und interessiert sich momentan besonders für Normen von Weierstraß-Divisoren.
Die besondere Faszination der Mathematik
Nach seiner besonderen Faszination für die Mathematik befragt, erfährt man, diese liege für ihn darin, »dass einmal die Frage von Richtig oder Falsch nicht von menschlichen Entscheidungen abhängt und dass auch die mathematischen Probleme ›von selber‹ da sind, so dass Erfolg oder Misserfolg objektiv sind und nicht (wie etwa bei Prüfungen) jemand anders den Schwierigkeitsgrad einstellt«.
Neben seiner Forschung geht er mit großer Freude der Gärtnerei nach, genießt Opernbesuche und interessiert sich für Bücher zu historischen Themen.
Die besondere Förderung, welche er auf vielen Stationen seines Werdegangs von verschiedenen Seiten erfahren hat, hat Gerd Faltings nie vergessen. Auch der Studienstiftung fühlt er sich dabei über seine eigene Stipendiatenzeit hinaus verbunden und unterstützte deren Arbeit über viele Jahre hinweg als Dozent auf ihren Sommerakademien.
Stand: 2018
- Name
- Christiane Möbus
- Jahrgang
- 1947
- Förderzeitraum
- 1977-1979 (Karl Schmidt-Rottluff Stipendium)
- Beruf
- Bildhauerin, Objektkünstlerin, Professorin für Bildhauerei zuletzt an der Universität der Künste Berlin (1990-2014)
»Baumwollseil, Landkarten, Bananenblätter, Klebeband, Kakaobohnen, Nessel, Laken, Handtücher, Stroh, Fliederzweige, Federn, Wachs, Schiefer, Schmetterlinge, Nägel, Strandgut, Hüte, Stöcke, Strohblumen, Bindfaden, Fische, Holz, Fallschirme, Türen, Rabenkrähen, Perlen, Seidengarn, Glas, Farbe, Kreide ...«
Diese Liste – von Christiane Möbus 1976 verfasst – lässt sich noch spektakulärer und magischer anmutend ergänzen, etwa um »Eisbären, Flamingos, Giraffen (als Platzhalter für Tierpräparate), Kutschen, das schwarzlackierte Fahrerhaus eines Lastwagens, Kränze aus Islandmoos, immer wieder Tische, Sockel und Podeste ...«.
Sehgewohnheiten herausfordern
Aus den unverbundenen Gegenständen und Lebewesen erwachsen kontrastreiche Skulpturen, eine »Verblüffungsästhetik«, wie es 2007 in einer Kritik der »Frankfurter Allgemeine Zeitung« zu Möbus’ Ausstellung »Auswanderer« im Neuen Museum Nürnberg heißt.
Die erste Liste steht am Anfang der künstlerischen Tätigkeit von Christiane Möbus. In ihrer Bewerbung für ein Stipendium der Studienstiftung wagt sie so einen Ausblick auf Rohmaterialien, aus denen in den Folgejahren Installationen entstehen, die die Sehgewohnheiten herausfordern.
In der Zusammenführung paradoxer Gegenstände und Fragmente weist Möbus diesen »neue Funktionen« zu und erschafft dabei so sinnliche wie präzise Bilder, wie es etwa in der Begründung der Jury heißt, die Möbus 2010 den Gabriele Münter Preis zuspricht.
Die 1947 in Celle geborene Künstlerin wird nach ihrem Studium der Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig von 1966 bis 1970, davon seit 1967 bei Emil Cimiotti, für ein postgraduales Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen. Parallel zu ihrem Studium schließt sie eine Ausbildung zur Kunsterzieherin ab. Noch während sie Vollzeit an einer Schule arbeitet, fällt Möbus durch ihre Produktivität und Originalität auf.
Die Kunst des Vermittelns
1977 gehört sie zum ersten Jahrgang des Karl Schmidt-Rottluff Stipendiums, das sie für hervorragende künstlerische Leistungen erhält. Es gibt ihr den nötigen Freiraum zum künstlerischen Arbeiten, jenseits ihrer Beschäftigung als Kunsterzieherin. Sie selber sagt über diese Zeit: »Das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium hat mir in einer wichtigen Zeit die Freiheit gegeben, mich ganz meiner Kunst zu widmen.«
Das Vermitteln und Erschließen von Zusammenhängen prägt nicht nur das Bildkonzept von Christiane Möbus, sondern auch ihre unermüdliche Lehrtätigkeit: Ab 1982 unterrichtet sie als Professorin – zuerst an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und von 1990 bis 2014 an der Universität der Künste in Berlin.
Die erwähnten magisch-poetischen Materialien, Dinge und Objekte sind das Augenscheinlichste an den Installationen von Christiane Möbus. Doch es sind nicht nur die Dinge selbst, es ist eben der Dialog zwischen den zusammengefügten Dingen, der die besondere Faszination ihrer Objekte ausmacht. Wie beispielsweise bei der schwarz lackierten massiven Fahrerkabine eines Lastwagens, der kein Anhänger folgt, sondern eine filigrane, schwarze Wolke aus Tüll, die sich über ein Edelstahlgeflecht spannt. Die Installation trägt den Titel: »Schneewittchen«. Gerade diese – oft auch zarten – Zwischentöne, die sich in den Werken von Christiane Möbus finden, sind es, die die Fantasie anregen.
Im November 2015 wird in Göttingen ein öffentliches Kunstwerk von Christiane Möbus eingeweiht, bei dem sich durch die Verbindung von Objekt und Text genau solche Bedeutungsüberlagerungen auftun. Das Denkmal, ein Granitsockel, trägt den Titel: »Dem Landesvater seine Göttinger Sieben«. Der Sockel entspricht dem des Denkmals, das in Hannover den »Landesvater« Ernst August ehrt. In Göttingen bleibt der Sockel jedoch leer und erinnert so an die, die eben nicht konform gegangen sind – und gehen.
Dass kein Ross und kein Reiter dieses Denkmal zieren, kann durchaus so verstanden werden, dass es einen metaphorischen Platz für jeden errichtet, der seiner Umgebung mit kritischem und wachem Blick begegnet – und damit diesen Platzhalter füllen könnte. Die Namen der berühmten »Göttinger Sieben« sind auf den Sockel eingemeißelt. Ein achter ist hinzugefügt. Christiane Möbus ergänzt diese Aufzählung um sich selbst – und erweitert die Auseinandersetzung mit den »Göttinger Sieben« damit nicht nur um eine Frau, sondern holt sie auch in die Gegenwart.
Stand: 2018
- Name
- Helmut Lachenmann
- Jahrgang
- 1935
- Förderzeitraum
- 1956-1962
- Beruf
- Komponist
- Aus dem Lebenslauf
- Vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ernst von Siemens Musikpreis 1997 und dem Berliner Kunstpreis 2007
»Die Arbeit der vergangenen sechs Monate war für mich das Schwerste, was ich mir je zugemutet habe“, so Helmut Lachenmann im Februar 1959 über die erste Hälfte seines Musikstudiums in Venedig. Zwei Jahre lang nimmt er Privatunterricht beim venezianischen Komponisten Luigi Nono. An diese Zeit der künstlerischen Entwicklung erinnert sich der ehemalige Stipendiat der Studienstiftung mit großer Begeisterung – und Dankbarkeit
Raum für neue Erfahrungen
Aufgewachsen in einer mittellosen schwäbischen Pfarrersfamilie, die seinem Berufswunsch höchst skeptisch gegenübersteht, ist der musikalisch-künstlerische Lebensweg Lachenmanns keinesfalls vorgezeichnet. Nach dem Abitur nimmt er an der Musikhochschule Stuttgart das Studium der Musiktheorie und des Kontrapunkts bei Johann Nepomuk David sowie das Klavierstudium bei Jürgen Uhde auf. 1959 geht Lachenmann nach Venedig und wird Schüler Luigi Nonos.
»Fast jede Aufgabe führte dazu, dass ich alles infrage stellte, was mir bisher selbstverständlich vorkam«, erinnert sich Lachenmann. An die Stelle des im Studium »gesicherten« Wissens treten Material- und Strukturanalysen von Musik, serielle Experimente und Erkundungen des Verhältnisses von Konstruktion und Ausdruck. Nonos Kritik an Lachenmanns Kompositionsskizzen – deren »melodischen Fortschreitungen« und »figurativen Gestalten« – führt Ende 1958 sogar fast zum Abbruch des Studiums.
»Kompositionsunterricht ist kein Kaffeekränzchen«, sagt Lachenmann. Die oft harsche Kritik seines Lehrers treibt ihn voran, inspiriert. In Venedig entsteht unter anderem eine Orchesterkomposition für bis zu sechsfach – bei den Bläsern – besetzte Instrumentengruppen. Lachenmann setzt sich mit den Werken von Arnold Schönberg, Anton Webern, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen auseinander und spielt als Pianist in einer kleinen Band.
Sein Wohnquartier auf der Insel Giudecca bringt ihn mit Werft- und Fabrikarbeitern, Obsthändlern und Fischern zusammen. Auch der künstlerische und kulturelle Reichtum der Stadt stimuliert den Komponisten.
Den eigenen Weg gehen
So wird Lachenmanns »schwerste Zeit« auch zu einer seiner schönsten: Trotz oder vielleicht gerade wegen der anfänglichen Schwierigkeiten prägen Nonos Ansichten und Praktiken die Arbeit des jungen Komponisten. Zunächst überzeugt vom seriellen Verfahren und der Notwendigkeit, die musikalischen Mittel von Zwängen und expressiven Klischees zu befreien, emanzipiert sich Lachenmann später und lässt gerade die tabuisierten Elemente wieder in seine Kompositionen einfließen. Zwischen Anlehnung und Loslösung vom Lehrer, zwischen ererbter Traditionsverbundenheit und neuem Traditionsverständnis als Verpflichtung, niemals stehen zu bleiben, findet Lachenmann seinen eigenen Weg, der ihm das ermöglicht, was er von Schönberg gelernt hat: sich auszudrücken.
Auch die »Krisen« seines Studiums tragen zu dieser Entwicklung bei, führen sie dem Komponisten doch vor Augen, dass es sich zu kämpfen lohnt. »Erkennt und verfolgt euren Traum ohne Rücksicht darauf, wie quer er zu den gesellschaftlichen Strömungen steht«, rät er deshalb dem Nachwuchs, den er von 1966 bis zu seiner Emeritierung 2002 an den Musikhochschulen in Basel, Hannover und Stuttgart unterrichtet. »Nichts ist törichter, als sich gesellschaftlichen Erfolg versprechend zu verhalten.«
Stand: 2018
- Name
- Carolin Emcke
- Jahrgang
- 1967
- Förderzeitraum
- 1989-1993
- Beruf
- Publizistin
- Aus dem Lebenslauf
- 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet
Die gelbblaue Murmel begleitet Carolin Emcke seit dem Tag ihres Abiturs. Das Geschenk ihres Lieblingsdeutschlehrers ist ihr Talisman, den sie seitdem auf ihren Reportage-Reisen durch die Krisengebiete dieser Welt bei sich trägt. Reisen, auf denen die Publizistin unglaublich viel Leid gesehen und eindringlich über die Opfer von Gewalterfahrungen berichtet hat. Dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb fällt das Resümee der promovierten Philosophin über ihr bisheriges Leben durchweg positiv aus: »Ich bin so viel glücklicher, als ich es mir jemals hätte vorstellen können.«
Kriegsreporterin und Philosophin: kein Widerspruch
Der Journalismus hat die wortgewandte Publizistin schon früh in seinen Bann gezogen. Anfangs ist das Fernsehen ihr Medium: Gleich nach dem Abitur entscheidet sie sich für ein viermonatiges Sprach- und Kulturstudium für Ausländer in Spanien.
Der Drang, in die Ferne zu reisen, wird sie nie mehr loslassen. Doch ihre Studienwahl hat auf den ersten Blick nur wenig mit dem späteren Beruf zu tun: Sie beginnt zum Wintersemester 1987 / 88 in Berlin Philosophie, Geschichte und Politik zu studieren.
Journalismus und Theorie empfindet Carolin Emcke jedoch bis heute nicht als Widerspruch: »Ich bin in der Tradition der Kritischen Theorie und der Frankfurter Schule ausgebildet, und sie formt nach wie vor die Struktur meines Denkens. Mit diesem theoretischen Gerüst wollte ich Phänomene in der Welt befragen, wollte im öffentlichen Raum intervenieren – und dafür bin ich Publizistin geworden: um Zeugenschaft abzulegen, um Kritik zu formulieren, um aufzuklären«, sagt sie in einem Interview.
International arbeiten und leben
Bereits in ihrem ersten Studienjahr wird sie für ein Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen, 1989 aufgenommen: »Zunächst einmal bedeutete die Studienstiftung Anerkennung. Das mag banal erscheinen. Aber ganz gleich wie nüchtern und reflektiert man auch einzuschätzen wusste, dass eine solche Aufnahme immer auch ein wenig kontingent und glücklich daherkommt und es andere Förderungswürdigere gab, die weniger glücklich waren – es war zunächst einmal ein äußerst willkommener Zuspruch.«
Gleich das erste Jahr als Studienstiftlerin verbringt sie im Ausland an der renommierten London School of Economics – ein wegweisender Aufenthalt: »Die Studienstiftung hat mir das Auslandsjahr ermöglicht – und damit der vielleicht einzigen inneren Gewissheit, die ich damals hatte: international arbeiten und leben zu wollen, ein Fundament gegeben, das nie mehr wegzudenken war«, sagt die Autorin.
Ihr großes politisches Interesse gilt der arabischen Welt – in den Studien- berichten der Studienstiftung reflektiert sie neben der Semesterrückschau die aktuelle Weltlage. Ihr Büchergeld investiert die junge Frau in einen Flug von London nach Berlin, um das Wochenende des Mauerfalls mitzuerleben.
Die Studienberichte, die sie anfangs als »eine regelmäßig angemahnte Pflichterfüllung« empfindet, entwickeln sich für sie immer mehr zu einem Moment des Innehaltens: »Aus dem bloßen Ritual, der Form der Studienberichte ist längst mehr als pure Auflagenerfüllung geworden. Vielmehr erweist es sich – auch im Nachhinein – als ein Innehalten, ein Überdenken, als ein Nach-Denken im eigentlichen Sinne. Das Sich-Hinsetzen, um den Bericht zu schreiben, hat auch ein Moment des Aus-Setzens, der Zeitbrechung und darin liegt auch die Reflexivität, die im alltäglichen Studium und Arbeiten schon oft abhandengekommen war.
Man stellt sich selbst noch einmal Fragen, die einem in dem ›Reisen nach Vorwärts‹ (manchmal auch rückwärts) nurmehr bestärken. Aber nicht das Schreiben der Berichte allein, auch das Lesen der alten birgt ein konstruktives Staunen über die eigene Reiseform des Wissens und Lernens. Fügen sich doch scheinbar lose Puzzle-Teile im Rückblick zusammen, finden sich nun Kontinuitäten, die man selber nie gewahrte und bleiben doch auch noch Fesselreste, die man nie zersprengt.«
Journalistin, Autorin, Moderation und Dozentin
Im November 1989 rückt das politische Geschehen ganz nah, bricht der Terror in Emckes Leben: Ihr Patenonkel und Freund Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, fällt einem Anschlag der RAF zum Opfer.
Wie sie vom Flughafen nach Bad Homburg gekommen ist, weiß sie nicht mehr. Die Erinnerung ist nur bruchstückhaft. Es braucht weitere 18 Jahre, bis sie es schafft, dieses traumatische Erlebnis in einem inzwischen preisgekrönten Artikel im »Zeit-Magazin« zu reflektieren. In dem nachfolgenden Buch »Stumme Gewalt – Nachdenken über die RAF« plädiert Carolin Emcke für eine Wahrheits-Kommission, ein Forum für Aufklärung, das den Tätern von damals Straffreiheit zusichert und die Wahrheit über die noch ungeklärten Morde der RAF zutage fördert.
Die Frage, wie sich Widerstand und Ungehorsam begründen lassen, beschäftigt sie auch wissenschaftlich. Ihre Abschlussarbeit, die sie 1993 bei Jürgen Habermas ablegt, kreist um das Thema des Widerstands im Kontext sich wandelnder Begründungen legitimer Herrschaft bei Immanuel Kant, Hannah Arendt und John Rawls. 1998 folgt die Promotion über den Begriff »Kollektive Identitäten« bei Axel Honneth in Frankfurt und Seyla Benhabib von der Harvard University – eine akademische Karriere scheint nur einen Schritt weit entfernt.
Emcke entscheidet sich anders. 1998 beginnt sie als Redakteurin beim »Spiegel«, zunächst im Inland mit dem Fokus Einwanderungspolitik und Asylrecht, dann mit dem Beginn des Kosovokrieges 1999 als Auslandsreporterin. Sie berichtet aus dem Libanon, Afghanistan, Pakistan, dem Irak und dem Gazastreifen. Ihre Reportagen handeln immer von den zivilen Opfern des Krieges, nicht von militärischen oder politischen Apparaten. In ihrem Buch »Von den Kriegen: Briefe an Freunde« plädiert sie 2004 für die ethische Aufgabe der »Zeugenschaft«.
Zuhören, immer wieder zuhören und hinschauen, und aufklärerisch Verantwortung übernehmen für das, was andere erfahren und erlitten haben: Carolin Emckes Texte zeugen von dieser empathischen Zuhörerrolle, die sie einnimmt, suchen die Unmittelbarkeit ohne Sentimentalität – für diese Art der »unhöflichen« Konfrontation mit den Geschichten, die wir manchmal besser nicht hören wollen, wurde ihr 2014 der Johann-Heinrich-Merck- Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zugesprochen.
Dass sie eine furchtlose Autorin ist, beweist sie aber nicht nur als Kriegsreporterin, sondern auch als Publizistin, die seit 2014 ihren Schwerpunkt nach Berlin verlagert hat und mit ihren Vorträgen, Essays und Büchern regelmäßig gesellschaftliche Debatten anstößt oder weiterführt. Etwa mit ihrem Buch »Wie wir begehren«, in dem sie ihre eigene Homosexualität reflektiert oder ihrem jüngsten Werk »Gegen den Hass«, das sich mit den Ursachen von Ressentiments gegen Andersdenkende, -glaubendeoder -lebende auseinandersetzt.
Für diese unbequemen, immer aber die Verständigung in den Blick nehmenden Beiträge erhält sie 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Emcke sei ein »Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen«, heißt es in der Begründung. Ihre Werke seien auch als Appell zu lesen, das Gespräch wieder aufzunehmen.
Stand: 2018
- Name
- Franka Hörnschemeyer
- Jahrgang
- 1958
- Förderzeitraum
- 1986-1989 (Studienförderung )
- 1992-1996 (Karl Schmidt-Rottluff Stipendium)
- Beruf
- Installationskünstlerin, Bildhauerin, Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf
Gitterstrukturen aus groben Verschalungselementen, die sich an scheinbar willkürlich gesetzten Linien aufziehen. Einblicke und Zugänge, die sich je nach Blickachse eröffnen. Eine veränderliche Installation, bei deren Begehung sich immer neue Durchgänge, Transitzonen, Fluchten ergeben oder – vice versa – unauflösliche Überlagerungen, die die Durchsicht versperren.
»BFD – bündig, fluchtend, dicht« ist der Name dieser Skulptur, die in einem Innenhof des Paul-Löbe-Hauses im Deutschen Bundestag steht und trotz robuster Anmutung auf filigrane Art mit den Attributen »offen« und »geschlossen« spielt. Ihre Schöpferin: Franka Hörnschemeyer. Die Arbeit spiegelt exemplarisch die Themen, die das Werk der in Osnabrück geborenen und in Berlin lebenden Künstlerin prägen. Das Gespür für Materialität und Struktur, das Aushandeln von innen und außen stehen genauso im Zentrum von Franka Hörnschemeyers Arbeit wie die Sensibilität für Orte und Räume und ihrer Geschichte.
Raum als Skulptur
Die ersten Materialexperimente mit Erde, Sand und Stein stellt Franka Hörnschemeyer bereits während ihres Studiums der Visuellen Kommunikation an der Fachhochschule Hannover an. 1981 nimmt sie das Studium der freien Kunst auf und lernt bei Stanley Brouwn und Franz Erhard Walther an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. 1986 wird sie als Stipendiatin für die Studienstiftung des deutschen Volkes vorgeschlagen.
1987 geht sie für ein Jahr an die School of Visual Arts nach New York. »Gehen« ist überhaupt der Modus, mit dem sich Franka Hörnschemeyer ihre Umgebung erschließt. Die Eindrücke, die sie auf diesen räumlichen Erkundungen, auch in New York, sammelt, verarbeitet sie in ihrer Kunst. Auf die Frage nach besonderen Eindrücken aus ihrer Zeit in der Studienstiftung antwortet die Künstlerin ebenfalls mit einer räumlichenMetapher: »Reisen, Bücher, Kontakte: die Studienstiftung hat mir ein Netz an Wegen geboten, auf denen ich mich eher intuitiv als gezielt bewegt habe. Gerade diese Menge an Möglichkeiten war toll.«
Die Arbeiten der Künstlerin sind so nicht nur von einem besonderen Materialwissen, sondern auch von einem besonderen Raumverständnis geprägt. Franka Hörnschemeyer sensibilisiert mit ihren Werken für die Geschichte und die Aura von Räumen – die oft auch politisch aufgeladen sein können. So sind die Schalelemente in BFD entlang des nun nicht mehr vorhandenen östlichen Mauerstreifens angeordnet. Durch diese Anordnung wird politische Geschichte auch in der Gegenwart sichtbar.
Ausstellungen und Vermittlung
1992 erhält Hörnschemeyer das postgraduale Karl Schmidt-Rottluff Stipendium für besondere künstlerische Leistung. Acht Jahre später feiert das Stipendium 25-jähriges Jubiläum – mit einer besonderen Doppelausstellung in Dresden und Düsseldorf, bei der auch Franka Hörnschemeyer dabei ist. Ihre Verbundenheit gegenüber der Studienstiftung zeigt sich aber nicht nur an der Teilnahme bei dieser Ausstellung – auch als Mitglied von Auswahlkommissionen oder als Dozentin auf einer Sommerakademie gibt sie ihre künstlerische Expertise weiter.
Inzwischen hat sich Franka Hörnschemeyer als Künstlerin längst etabliert. Von 2009 bis 2015 ist sie Professorin an der Hochschule für Künste in Bremen, seitdem lehrt sie an der Kunstakademie Düsseldorf. Neben zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Museen und Galerien sind es auch die Arbeiten im öffentlichen Raum, die ihren künstlerischen Ansatz, ihr besonderes Können nah- und erlebbar machen.
Diese Werke schärfen bei Betrachtenden die Sinne für die spezielle Beschaffenheit eines Ortes und die Themen, die der Raum in sich trägt. So wie Hörnschemeyers Werk im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages, das die Hundezwingeranlage im ehemaligen angrenzenden Mauer-Todesstreifen skulptural aufnimmt.
Stand: 2018
- Name
- Gertrud Simmerding
- Lebensdaten
- 1919-2004
- Förderzeitraum
- 1950-1951
- Beruf
- Psychologin, Leiterin des Schulfernsehen beim Bayerischen Rundfunk (1964-1984)
In den 1950er-Jahren, einer Zeit, in der das höchste Lob für eine berufstätige Frau war, dass sie ihren »Mann stehe«, startet Gertrud Simmerdings beispiellose Karriere beim Fernsehen. Beim Bayerischen Rundfunk baut sie das Kinder-, Jugend- und Schulfernsehen auf und gilt heute als Pionierin des Bildungsfernsehens. Auf internationaler Ebene vertritt sie bei diesen Themen die westdeutschen Fernsehanstalten, reist zu Konferenzen von Tokio bis Budapest, von London bis Paris.
33 Jahre prägt Gertrud Simmerding das deutsche Bildungsfernsehen und ist doch nie eine Person des öffentlichen Lebens. So muss, wer etwas über den Menschen Gertrud Simmerding erfahren will, schon tief ins Archiv des Bayerischen Rundfunks eintauchen. Dort lagert ihr umfänglicher Nachlass, der gleichzeitig so etwas wie ein Archiv des Familienfernsehens in der Bundesrepublik ist: In selbst geklebten Alben hat Simmerding hier minutiös die Sendungen ihrer Programmsparte dokumentiert, Autogramme, handschriftliche Notizen und Zeitungsausschnitte gesammelt, die gleichzeitig von der Leidenschaft und Ernsthaftigkeit erzählen, mit der sie ihre Sendungen entwickelt.
Von der Uni zum Fernsehen
In Wien geboren, verbringt Gertrud Simmerding ihre Kindheit und Jugend in der österreichischen Hauptstadt. Nach Ende der Schulzeit unternimmt sie Reisen ins Ausland und besteht ihre Prüfung als Kindergärtnerin und Säuglingspflegerin. Jahrzehnte später, 1958, heißt es in einem Simmerding-Porträt, dass eben dieses Fundament an Praxiswissen – neben ihrer enormen Gestaltungskraft – notwendig sei, um den Posten der Abteilungsleiterin des Familienprogramms auszufüllen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Simmerding zunächst in einem bayerischen Lager für Displaced Persons. »Ungeordnete Erkenntnisse und der Wunsch, nach dieser Praxis auch die Theorie kennenzulernen, veranlassten mich zum Studium an der Münchner Universität«, schreibt sie 1963 in einem Beitrag für den »Regenbogen, Zeitschrift für die Frau«. So beginnt die Wienerin 1947 mit 28 Jahren in München Psychologie, Philosophie und Moraltheologie zu studieren.
Von 1950 bis 1951 erhält sie ein Stipendium der Studienstiftung, für die sie sich Anfang der 1980er-Jahre in die Auswahlarbeit einbringt. »Das Stipendium gab mir die Möglichkeit, mich zu einem philosophisch-psychologisch-pädagogischen Bücherwurm zu entwickeln. Es war eine herrliche Zeit«, resümiert Simmerding im »Regenbogen«.
Als diplomierte und promovierte Psychologin verlässt sie 1951 die Universität und startet direkt beim Bayerischen Rundfunk, wo sie zunächst für den Hörfunk arbeitet.
Bescheidene Frau mit Humor
Im selben Jahr heiratet sie den Geodäten Franz Simmerding, drei Jahre später kommt Tochter Renate zur Welt und Gertrud Simmerding wechselt zum Fernsehen: »Im April 1956 habe ich die erste Nachmittagssendung des Familienprogramms im Studio Freimann durch gezittert. Etliche hundert Sendungen sind es inzwischen geworden, versteht sich, dass ich nicht nur fürs Fernsehen ›Familienprogramm‹ mache, sondern auch für Mann und Tochter sorge«, erzählt sie. Die Sendungen für Eltern und Erzieher, die »Minute der Besinnung«, das »Bayerische Notizbüchl« gehören unter anderem zu ihrem Ressort.
Weggefährten beschreiben Gertrud Simmerding als lebendige, freundliche und zugleich bescheidene Frau, die einen ausgesprochenen Sinn für Situationskomik hatte. Als der Journalist Josef Mühlbauer sie 1962 für ein Interview anfragt, antwortet Simmerding ihm: »Mein Leben bewegt sich in uninteressanten, aber sehr glücklichen altmodischen Bahnen. Ich kann also weder mit einer Serie von Scheidungsurteilen noch mit anderen amüsanten Ereignissen aufwarten. Ob Sie unter diesen Umständen nicht vielleicht jemanden finden, der für Ihre Reportage weniger prinzipiell, programmatisch, pedantisch und altmodisch ist?«
Der kritische Blick: Der Bildungsauftrag des Fernsehens
1962 beginnt Simmerding mit den umfangreichen Vorbereitungen eines Schulfernseh-Programms für die bayerischen Schulen, zwei Jahre später ist schließlich Sendestart. Die Reaktionen: Lehrer, Professoren, Jugenderzieher und die Jugendlichen selbst sind begeistert. Zu dem Erfolg trägt auch bei, dass das Bayerische Fernsehen vielen Schulen Fernsehgeräte zur Verfügung stellt, über die das Studienfernsehen des Dritten Programms auch vormittags im Ersten Programm als Schulfernsehen empfangen werden kann.
Trotz der Erfolgsgeschichte des Fernsehens mahnt Simmerding die Zuschauer in vielen Vorträgen – darunter für den Katholischen Frauenbund, Eltern- und Lehrverbände und Volkshochschulen –, sich kritisch mit dem Fernsehprogramm auseinanderzusetzen. Die Programmleiterin ist zwar vom Bildungsauftrag des Fernsehens überzeugt, sieht aber zugleich dessen realitätsverzerrende Gefahren: »Wer ein Kind allein am Fernsehgerät lässt, könnte es ebenso gut ohne Aufsicht eine verkehrsreiche Straße überqueren lassen«, sagt sie 1967 in einem Interview mit einer tschechischen Zeitung. Ein anderes Mal betont sie: »Fernsehen ist keine Garage für Kinder.«
Entsprechend genau geht Simmerding bei der Sendeplanung vor: Bevor sie sich für die Ausstrahlung einer Kindersendung entscheidet, muss sie die Inhalte genau kennen. Daher spricht sie sich 1973 gegen die Einführung der „Sesamstraße“ aus: Sie habe nur sechs der 260 Sendungen der „Sesame Street“ gezeigt bekommen, eine Entscheidung sei ihr aufgrund dieser „schmalen Informationsbasis“ nicht möglich, wehrt sie sich gegen die Kritik, als sie das US-Serienimport zunächst ablehnt. Sie zweifelt, ob das Format, das unter „anderen pädagogischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen“ konzipiert und produziert wurde, überzeugend für deutsche Kinder sei.
Entsprechend genau geht Simmerding bei der Sendeplanung vor: Bevor sie sich für die Ausstrahlung einer Kindersendung entscheidet, muss sie die Inhalte genau kennen. Daher spricht sie sich 1973 gegen die Einführung der »Sesamstraße« aus: Sie habe nur sechs der 260 Sendungen der »Sesame Street« gezeigt bekommen, eine Entscheidung sei ihr aufgrund dieser »schmalen Informationsbasis« nicht möglich, wehrt sie sich gegen die Kritik, als sie das US-Serienimport zunächst ablehnt. Sie zweifelt, ob das Format, das unter »anderen pädagogischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen« konzipiert und produziert wurde, überzeugend für deutsche Kinder sei.
Mut zum Zweifeln, zum Hinterfragen erwartet sie auch von den fernsehenden Frauen: Sie sollen »am Bildschirm mitdenken und versuchen, ›hinter die Sendungen‹ zu sehen und dabei [...] prüfen, ob der Programmgestalter seine eigene Meinung vertritt und vielleicht unter ideologischen Gesichtspunkten an eine Sendung herangeht«. In der Familie und mit anderen, etwa im Mütterkreis, solle dann über das Gesehene gesprochen werden. »Haben Sie Mut, das eigene, schüchterne Ich zu überspringen und an den Rundfunk zu schreiben«, ermuntert Gertrud Simmerding ihre Zuschauerinnen.
1984 geht »Simmi«, wie Freunde und Kollegen sie nennen, nach 33 Jahren in den Ruhestand. In einer der zahlreichen Gratulationen heißt es: »Der Begriff Schulfernsehen ist mit dem Namen Simmerding eng verbunden. Sie waren die erste von uns, die das Schulfernsehen verwirklicht hat. Das deutsche Schulfernsehen ist Ihr Kind. Sie waren sein guter Geist. Sie gaben ihm Gefühl und Temperament.« Gertrud Simmerding stirbt am 30. Mai 2004.
Stand: 2018
- Name
- Katrin Kinzelbach
- Jahrgang
- 1977
- Förderzeitraum
- 1995-2000 (Studienförderung)
- 2000-2001 (Haniel Stipendium)
- Beruf
- Politologin, Stellvertretende Direktorin des Global Public Policy Institute
»Wenn Menschen, ob in Europa oder weltweit, für ihre Rechte einstehen, dann sollten wir sie nach Kräften unterstützen.« Diese Überzeugung prägt nicht nur die Forschung, sondern auch den Lebenslauf von Katrin Kinzelbach. Parallel zu ihrem Studium in Bonn, Florenz und London arbeitet sie bereits als Wahlbeobachterin bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien, später für das UN-Flüchtlingswerk in Genf.
Das Aushandeln, Durchsetzen und Sichern von Menschenrechten bleibt auch nach dem Studienende 2001 das bestimmende Thema in Kinzelbachs Arbeit: Von 2001 bis 2007 ist sie für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen tätig, arbeitet in der New Yorker Zentrale und in einem Regionalbüro in Osteuropa, außerdem wird sie in den Krisenländern Afghanistan und Somalia eingesetzt. »Ich kam herum und lernte viel«, sagt Katrin Kinzelbach in der Rückschau, »aber je mehr Einblicke ich bekam, desto mehr Fragen häuften sich in meinem Kopf, allein, es fehlte die Zeit, ihnen nachzugehen«.
Menschenrechtspolitik im Fokus
Um diesem Zeitmangel für »Denkarbeit« entgegenzuwirken, entscheidet sich Kinzelbach für eine Promotion in Wien bei Manfred Nowak, dem damaligen UN-Sonderberichterstatter über Folter. »Ich habe mir bewusst einen Betreuer gesucht, der akademische Exzellenz mit praktischem Engagement verknüpft und außerdem international arbeitet«, erklärt Kinzelbach.
In ihrer Doktorarbeit erforscht sie den vertraulichen Menschenrechtsdialog der Europäischen Union mit China und legt offen, warum die seit 1995 geführte »stille Diplomatie« der EU keine nennenswerten Erfolge in der Menschenrechtspolitik in China verzeichnet. Für diese Arbeit erhält sie 2011 den Studienpreis für die wichtigsten Dissertationen 2011 der Körber-Stiftung.
Wichtiger aber noch: Mit den Ergebnissen verschafft sie sich auch in der breiten Öffentlichkeit Gehör und meldet sich in zahlreichen Interviews und Zeitungsberichten zu Wort. Ein Baustein für die Promotion stammt dabei aus ihrer Zeit als Stipendiatin. »Meinen ersten Chinesischkurs habe ich im Rahmen der Sprachförderung der Studienstiftung belegt, dieser war für meinen Wedergang von zentraler Bedeutung.« Als Postdoc-Stipendiatin der Thyssen-Stiftungzieht Kinzelbach dann nach China. »Mittlerweile sprechen meine Kinder natürlich besser Chinesisch als ich«, erzählt die zweifache Mutter.
An der Schnittstelle von Forschung und Politik
Ihr derzeitiges Forschungsinteresse gilt der Frage, warum internationale Bemühungen zugunsten von politischen Gefangenen in manchen Fällen zu einer frühzeitigen Freilassung führen, während andere Gefangene trotz internationaler Unterstützung nicht freikommen. Unter welchen Umständen und wie genau können externe Akteure hier helfen?
Für dieses Vorhaben erhält sie 2012 ein mit 620.000 Euro dotiertes Schumpeter-Fellowship der VolkswagenStiftung. Die stellvertretende Direktorin des Berliner Global Public Policy Institute (GPPi) erhebt mit ihrem Team systematisch Fälle und wertet eine Auswahl hiervon qualitativ aus.
Kinzelbachs Arbeit geht dabei über den rein akademischen Erkenntnisgewinn hinaus. Zum Beispiel versammelt sie im April 2015 Vertreter aus Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen, dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskanzleramt und dem Deutschen Bundestag und entwickelt gemeinsame Empfehlungen, wie Deutschlands Engagement für politische Häftlinge gestärkt werden kann.*
»Für mich steht außer Frage, dass sich Wissenschaftler mit ihren Erkenntnissen auch außerhalb der Forschung ganz praktisch einbringen sollten. Das gilt insbesondere für diejenigen von uns, die während ihrer Lehrjahre so viel Unterstützung bekommen haben wie ich«, sagt Kinzelbach. Seit Juli 2015 ist sie Mitglied des ehrenamtlichen Beirats »Zivile Krisenprävention«, der die Bundesregierung zur zivilen Friedenssicherung berät.
Universitäre Menschenrechtsbildung
Um auch die kommende Generation in den Dialog miteinzubeziehen, übernimmt Kinzel- bach regelmäßig Lehraufträge, etwa als Gastprofessorin an der School of Public Policy der Central European University in Budapest.
Vom besonderen Wert der universitären Menschenrechtsbildung ist sie überzeugt: »Ich habe bereits als Jugendliche in Flüchtlingslagern gearbeitet und damals von den geflohenen, oft traumatisierten Kindern gelernt, wie wichtig menschliche Sicherheit und Würde sind. Aber letztlich habe ich das Thema Menschenrechte in der theoretischen Auseinandersetzung während meines Studiums am King’s College London für mich entdeckt. Ich hoffe daher, dass ich durch meine Lehre auch andere anstiften kann, sich in Forschung und Praxis diesem Thema zu widmen.«
*Der Bericht »Politische Gefangene befreien. Empfehlungen zur Einzelfallarbeit für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland« steht auf der Website des GPPi zum Download bereit.
Stand: 2018
- Name
- Leonie Freifrau von Braun
- Jahrgang
- 1978
- Förderzeitraum
- 2003-2004 (Stiftungskolleg für internationale Aufgaben)
- 2005-2006 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Juristin, Staatsanwältin
Leonie von Brauns Werdegang steht ganz im Zeichen der Menschenrechte. Seit Januar 2013 betreut sie den von ihr aufgebauten Schwerpunkt »Strafverfolgung von Menschenhandel« bei der Staatsanwaltschaft Berlin – in Deutschland bisher einzigartig. Sie ermittelt vor allem zu Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, wobei ihre Fälle neben deutschen Opfern auch junge Frauen aus Bulgarien und Rumänien betreffen. »Die Zerschlagung krimineller Netzwerke, die Frauen und Kinder ausbeuten, ist das erklärte Ziel der Spezialabteilung«, erklärt die Juristin. »Für mich ist damit auch ein effektiverer Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Ausbeutung verbunden.«
Zusätzlich zu ihrer Arbeit als Ermittlerin engagiert sie sich bei der Staatsanwaltschaft Berlin als Beauftragte für die Bekämpfung des Menschenhandels; eine Aufgabe, die unter anderem die Neuformulierung der Straftatbestände des Menschenhandels im Strafgesetzbuch und die Umsetzung aktueller EU-Richtlinien beinhaltet.
Internationaler Lebensweg
Von Braun wächst in den Vereinigten Staaten auf. Erst als Jugendliche kehrt sie mit der Familie nach Deutschland zurück. Aufgerührt durch die Verbrechen an der Zivilbevölkerung während des Bosnienkrieges, nimmt sie 1998 das Jurastudium auf und legt ihren Fokus früh auf Völkerrecht. Dieses Interesse, das sich im Laufe ihres Studiums auf Menschenrechte und internationale Strafjustiz ausdehnt, stößt außerdem von Brauns Bewerbung für das Stiftungskolleg für internationale Aufgaben im Jahr 2003 an. Das Stipendienprogramm, das die Studienstiftung inzwischen gemeinsam mit der Stiftung Mercator unter dem Namen »Mercator Kolleg für internationale Aufgaben« anbietet, fördert engagierte Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen, die eine internationale Karriere anstreben. »Neben der Möglichkeit, endlich den Weg einzuschlagen, von dem ich träumte, hatte ich auf einen Schlag völlig unerwartet 19 neue Freunde in meinem Leben«, erinnert sich die Staatsanwältin.
Das Stiftungskolleg bringt die Nachwuchsjuristin unter anderem nach Den Haag an den Internationalen Strafgerichtshof, nach Osttimor zu den Vereinten Nationen und nach New York zu Human Rights Watch. Diese beeindruckenden Stationen unterstützen von Braun gleich doppelt in ihrem Werdegang: »Das Programm half mir, das berufliche Netzwerk zu knüpfen, das ich benötigte, um im Bereich der internationalen Strafverfolgung Fuß zu fassen. Und viel wichtiger: Es half mir, meinen inneren Kompass für die Zukunft zu finden.«
Menschenrechte in Theorie und Praxis
Dazu zählt der Entschluss zu promovieren. Diese Entscheidung reift auch im Zuge vieler Gespräche mit Kollegen am Internationalen Strafgerichtshof. Von Braun will sich mit Fragen der Entwicklung der internationalen Strafjustiz und ihrer praktischen Wirksamkeit auseinandersetzen. »Die Promotionsförderung der Studienstiftung bot mir die Möglichkeit, mich ausschließlich auf mein Forschungsthema zu konzentrieren«, betont die Staatsanwältin. Besonders in Erinnerung ist ihr ein zweiwöchiger Aufenthalt in Sarajevo am Tribunal für Kriegsverbrechen geblieben. Die Recherchen und Interviews mit Menschen, die in verschiedensten Funktionen am oder um das Tribunal arbeiteten, bilden die Basis ihrer Dissertation – die sie 2007 mit Bestnote abschließt.
Nach diesem Einblick in die Arbeitspraxis am Tribunal liegt der Abschied aus der Wissenschaft nahe, ebenso wie die Verknüpfung von Strafverfolgung und internationaler Zusammenarbeit: »Mir war klar, dass ich nur dann ernsthaft zur internationalen Strafverfolgung würde beitragen können, wenn ich Erfahrung in der Justiz, speziell als Staatsanwältin sammele«, resümiert von Braun. »Ich bereue meine Entscheidung keinen Tag. Es gibt noch viel zu tun, und ich freue mich darauf.«
Stand: 2018
- Name
- Ulrich Beck
- Lebensdaten
- 1944-2015
- Förderzeitraum
- 1970-1972
- Beruf
- Soziologe, Professor für Soziologie an der LMU München (1992-2009)
- Aus dem Lebenslauf
- Viel beachtete Werke zur »Risikogesellschaft«
Seinen wissenschaftlichen Durchbruch erlangt Ulrich Beck 1986 mit der Publikation »Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne «. In dem Buch, das in über 35 Sprachen übersetzt wurde, untersucht er den Wandel von Gesellschaften und Nationen.
Mit dem technisch-industriellen Fortschritt wird laut Beck die Natur in ein Industriesystem eingepasst und somit ausgebeutet. Die Folgen sind ökologische, gentechnische und chemische Gefahren weltweit.
Die Moderne im Blick
Kurz nach Veröffentlichung des Buches ereignet sich die Atom-Katastrophe von Tschernobyl. Dieser Unfall bestätigt Becks Thesen exemplarisch und verschafft ihnen große öffentliche Aufmerksamkeit. Seine Analysen zu Natur und Technologie führt der Soziologe in dem 2007 erschienenen Werk »Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit« fort.
Becks wissenschaftliches Interesse gilt auch der sich verändernden Wahrnehmung des Nationalstaates. Er forscht zum Wandel von Beruf, Familie, Bildungswegen oder sozialen Klassen und zeigt, dass das Denken in klar voneinander abgegrenzten Nationalitäten in der globalen Welt nicht mehr funktioniert: So sei das Bestehen von Familien oder Liebesbeziehungen beispielsweise nicht mehr davon abhängig, dass sich die Menschen an einem Ort befinden oder dieselbe Muttersprache sprechen.
Zusammen mit seiner Frau und Kollegin Elisabeth Beck-Gernsheim, die er während des Studiums in München kennenlernte, beschreibt er in dem Buch »Fernliebe – Lebensformen im globalen Zeitalter« eben jenes Auflösen traditioneller national geprägter Bindungen und die Folgen der Individualisierung.
Engagiert für Europa
Ulrich Beck ist ein überaus produktiver Wissenschaftler. Er hält unzählige Vorträge und gibt mehr als 50 Bücher heraus, die sich oft zu Bestsellern entwickeln und in viele Sprachen übersetzt werden. Von 1999 bis 2009 ist er zudem Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereichs »Reflexive Modernisierung« an der LMU München. 2012 bewilligt der Europäische Forschungsrat Becks Projekt zum Thema »Methodologischer Kosmopolitismus am Beispiel des Klimawandels« mit fünfjähriger Laufzeit.
Politisch setzt sich der bekennende Europäer mit viel Energie für die Entwicklung der EU zu einem »Europa der Bürgerbeteiligung« ein. Für seine Überzeugung, die europäischen Institutionen gegenüber den Nationalstaaten zu stärken, tritt er in einer Vielzahl von Gastbeiträgen und Interviews ein und veröffentlicht gemeinsam mit dem deutsch-französischen Politiker Daniel Cohn-Bendit den Aufruf »Wir sind Europa! Manifest zur Neugründung Europas von unten«.
Außer an seiner Heimatuniversität in München lehrt Beck in Harvard sowie an der London School of Economics. Der angesehene Soziologe wird für seine wissenschaftlichen Arbeiten und Impulse vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit acht Ehrendoktorwürden, dem Schader-Preis 2005 und 2014 auf dem Weltkongress für Soziologie für sein Lebenswerk. Im Alter von 70 Jahren verstirbt Ulrich Beck im Januar 2015.
Stand: 2018
- Name
- Jürgen Baumert
- Jahrgang
- 1941
- Förderzeitraum
- 1963-1968
- Beruf
- Bildungsforscher, Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
- Aus dem Lebenslauf
- Leitete den deutschen Teil der „PISA 2000“-Studie und wurde 1998 zum Sprecher des PISA-Konsortiums gewählt
Eigentlich wollte Jürgen Baumert Gymnasiallehrer für die Fächer Griechisch, Latein und Sport werden. Tatsächlich führt ihn sein Berufsweg auch in den Bildungssektor, allerdings anders als geplant. Als Bildungsforscher und Professor für Erziehungswissenschaft wendet er sich nicht Schülerinnen und Schülern, Lehrplänen und Klausuren zu, sondern bildungstheoretischen Themen – und das mit durchschlagender Wirkung.
1998 übernimmt er als Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung die Leitung des deutschen Teils der ersten PISA-Studie. Die internationale Schulleistungsuntersuchung förderte unliebsame Wahrheiten zutage. »Bis in die 1990er-Jahre waren Politik und Öffentlichkeit davon überzeugt, dass Deutschland eines der besten und gerechtesten Schulsysteme der Welt besitze«, erinnert sich der Forscher. »Die Daten der ersten Vergleiche bescheinigten Deutschland aber nicht einmal Mittelklasse im Leistungsbereich.«
Früh übt sich
Um diesen Zustand zu verbessern, müssen aus Baumerts Sicht Schulen, Politik und Familie früh ansetzen. Obwohl das Leben heute in vielen Bereichen freier und flexibler ist als beispielsweise noch vor 50 Jahren, ist der Bildungswissenschaftler überzeugt, dass diese Offenheit nicht auf die Bildungschancen zutrifft.
So entscheidet sich oft schon im jungen Alter, welche weiterführende Schule ein Kind besuchen und wie sich seine schulische und berufliche Biografie entwickeln wird. Zentrale Schlüsselqualifikationen wie sprachliche Fähigkeiten und Leseverständnis, so Baumert, müssen deshalb von Kindesbeinen an aufgebaut werden. »Je früher man mit der Förderung beginnt, desto wirkungsvoller sind die Maßnahmen«, betont er.
Doch sein eigentlicher Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule, insbesondere im Vergleich von vier- und sechsjährigen Grundschultypen. Baumerts Forschung zeigt zwar, dass Frühwechsler und gleichaltrige Grundschulkinder keine Diskrepanz bezüglich Lesekompetenz und mathematischer Fähigkeiten aufweisen. Trotzdem kann eine frühe Trennung bereits bestehende soziale Ungleichheiten verstärken.
Inklusion und Integration
Einen Lösungsansatz für die Herausforderung der Ungleichheiten im Bildungssektor sieht Baumert im Austausch – und das im weitesten Sinne. Ein Ansatz: unterschiedlich begabte Schülerinnen und Schüler stärker zusammenbringen. Gemeinsame Haupt- und Realschulzweige unter einem Dach, mehr Durchlässigkeit zwischen den Schulformen und der gemeinsame Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderung können zur besseren Verteilung der Bildungschancen beitragen.
Aber auch die Offenheit der Lehrenden muss laut Baumert gefördert werden. »Vom Können der Lehrkräfte hängt alles ab«, betont er. Deshalb befürwortet er die bessere und vielseitigere Vorbereitung von Lehramtsstudierenden. Diese soll gewährleisten, dass Lehrerinnen und Lehrer für jede Schulform auf gleichem Niveau ausgebildet werden, um der Institutionalisierung von Bildungsunterschieden entgegenzuwirken.
In der Annahme, dass Austausch Wirkung zeigt, sieht sich Baumert nicht nur mit Blick auf die PISA-Studie bestätigt, die in den letzten Jahren eine Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit und der Schülerleistungen in den Naturwissenschaften gezeigt hat.
Auch auf Baumerts eigenem Bildungsweg spielte die Vernetzung eine wichtige Rolle. Bereits bei einer Tagung der Studienstiftung auf der unterfränkischen Burg Rieneck 1965 lernt er den Austausch mit anderen Jungwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern schätzen: »Trotz beiderseitiger ›Sprachschwierigkeiten‹ ist eine Verständigung gelungen, für die andernorts gar nicht erst der Raum besteht.«
Stand: 2018
- Name
- Ole von Uexküll
- Jahrgang
- 1978
- Förderzeitraum
- 2003-2004 (Stiftungskolleg für internationale Aufgaben)
- Beruf
- Aktivist, Geschäftsführer der Right Livelihood Award Stiftung, Stockholm/Schweden
- Aus dem Lebenslauf
- War 2015 Teil einer schwedischen Delegation, die zu Gesprächen mit Edward Snowden nach Moskau reiste
Ole von Uexküll kommt aus einer Familie, in der Sensibilität für drängende Zeitfragen gepaart mit dem Gespür für vielversprechende Lösungsansätze und Beharrlichkeit in verschiedensten Disziplinen und Generationen zu beobachten ist.
Sein Urgroßvater Jakob Johann von Uexküll führt Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff der Umwelt in die Biologie ein und gilt als Wegbereiter der Ökologie, sein Vater Thure von Uexküll begründet die psychosomatische Medizin und sein Onkel Carl Wolmar Jakob von Uexküll schafft mit der 1980 gegründeten Right Livelihood Award Stiftung eine weltweit bekannte Institution, die bis heute die vielfältigen Engagements von Menschen sichtbar macht, die sich aktiv für die Überwindung dringender globaler Probleme einsetzen, beispielsweise im Bereich Klimaschutz, Bildung, Ernährung und Armutsbekämpfung.
Seit 2005 leitet Ole von Uexküll die Stiftung, die jährlich in Stockholm die Right Livelihood Awards vergibt, besser bekannt als »Alternativer Nobelpreis«, die Menschen ehrt, die sich aktiv für die Überwindung dringender globaler Herausforderungen einsetzen.
Zu den Ausgezeichneten gehört beispielsweise die Biologin Wangari Maathai, die 1984 den Right Livelihood Award für ihre Aufforstungsprojekte in Kenia erhält. 20 Jahre später wird ihr der Friedensnobelpreis verliehen. 2014 wird der NSA-Whistleblower Edward Snowden geehrt. »Unsere Preisträger zeichnet aus, dass sie nicht einfach irgendwann die Inspiration hatten, sich zu engagieren, sondern dass sie über Jahre an ihrem Engagement festgehalten haben. Der Preis ehrt das im Prozess bisher Geleistete«, erklärt Ole von Uexküll in einem Zeitungsinterview.
Von Uexkülls Hauptaugenmerk gilt – neben der Suche nach potenziellen Preisträgern – dem Aufbau des Unterstützerkreises und dem Management der Stiftung. »Ich fing 2004 mit zwei Mitarbeitern an. Inzwischen sind wir über zehn und das Budget hat sich verdreifacht. So können wir die Laureaten besser unterstützen und schützen«, sagt der Stiftungsdirektor. Immerhin sei für etwa jeden fünften Preisträger der Schutz sehr wichtig, da sie in den Heimatländern für ihr Engagement bedroht werden.
Der Kontakt zu den Preisträgern rund um den Globus und die Besuche vor Ort haben den Geschäftsführer in seinem Denken und Handeln stark beeinflusst: »In anderen Teilen der Welt haben die Menschen sehr viel weniger, und selbst das machen wir ihnen streitig.« Da ist es für von Uexküll nur logisch, entsprechende Konsequenzen zu ziehen und auch privat nachhaltig zu leben.
Zwei Herzen schlagen in seiner Brust
Aufgewachsen ist der heutige Wahl-Stockholmer in Hamburg in einer deutsch-schwedischen Familie. 1997 macht Ole von Uexküll in der Hansestadt sein Abitur. Zu jenem Zeitpunkt steht für ihn schon fest, dass er nach Schweden will.
»Ich hatte das Gefühl, dass Schweden ein Teil meiner Identität ist, den ich nicht ausgelebt habe. Ein Heimatland, das ich nicht als Heimat empfand«, begründet er seine Entscheidung. So beginnt er 1998 im südschwedischen Lund Umweltwissenschaften zu studieren, schließt im Jahr 2002 mit einem Master ab, studiert im Anschluss Internationale Beziehungen in Berlin und beendet das Studium ebenfalls mit einem Master.
2003 bewirbt er sich um ein Stipendium im damaligen Stiftungskolleg für internationale Aufgaben. Das 13-monatige Programm, das die Studienstiftung inzwischen in Kooperation mit der Stiftung Mercator unter dem Namen Mercator Kolleg für internationale Aufgaben anbietet, fördert jährlich 20 engagierte Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen, die eine internationale Karriere anstreben.
Um aufgenommen zu werden, müssen die Bewerber eine praktische Fragestellung skizzieren, die dann die Wahl der bis zu drei internationalen Arbeitsstationen bestimmt. Von Uexküll richtet den Fokus seines Projekts auf Erneuerbare Energien und überzeugt das Auswahlgremium.
Stiftungskolleg als Sprungbrett für internationale Karriere
»Viele von uns hatten schon vorher andere Stipendien gehabt und waren auch aus ihrem Studium an Erfolg gewöhnt. Trotzdem war das Stiftungskolleg anders, denn hier wurde nicht mehr jede Leistung abgeprüft, mussten wir nicht mehr über jeden unserer Schritte Rechenschaft ablegen. Die Projektleiterinnen vertrauten darauf, dass wir, einmal ausgewählt, unseren Weg in eigener Verantwortung erfolgreich gehen würden. Diese Bestärkung, dass wir auch mit unseren ›Gutmenschenthemen‹ wie Völkerstrafrecht, failed states oder Meeresschutz das Zeug zu einer internationalen Karriere hatten, war die wichtigste Unterstützung«, resümiert von Uexküll.
In den 13 Monaten ist der junge Mann viel unterwegs: Er arbeitet im Büro des Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer, der bereits 1999 für sein Umweltengagement mit dem »Alternativen Nobelpreis« ausgezeichnet worden war. Von Berlin geht es weiter nach Hyderabad. Dort verschafft sich der Kollegiat in einem Beratungsinstitut für ländliche Entwicklung ein Bild über den Markt für Erneuerbare Energien in Indien. Seine letzte Station innerhalb des Förderprogramms führt den Querdenker schließlich nach Paris, wo er Einblicke ins Umweltprogramm der UNO erhält.
Drei Stationen in drei Ländern in einem Jahr – dazwischen immer wieder intensive Seminarphasen mit den Mitstipendiaten. »Auch wenn wir uns nur einige Male zwischendurch in Konferenzhotels getroffen haben, entstand in der Gruppe ein sehr enger persönlicher und fachlicher Austausch. Viele der Freundschaften halten bis heute. Wenn ich heute beispielsweise mit Menschenrechtsthemen zu tun habe, die in meiner eigenen Ausbildung keine Rolle spielten, kann ich noch immer auf einige Grundlagen bauen, die ich damals von meinen Mitstipendiaten in der Gruppe gelernt habe«, erzählt er.
Geprägt habe ihn vor allem die Begegnung mit dem damaligen Rektor des Stiftungskollegs, Professor Tono Eitel, der als Botschafter unter anderem in Beirut und als Ständiger Vertreter bei der UNO in New York gewirkt hat: »Bei den Kollegiatentreffen in Berlin, Peking oder Tirana lehrte er uns nicht nur korrektes Auftreten und einige Lebensweisheiten, die mich bis heute begleiten. Er versöhnte uns – Kinder der 68er-Generation, Söhne und Töchter der Kohl-Ära – mit einem liberalen Konservativismus, der an unserer Sicht der Welt interessiert war, anstatt sie ideologisch abzulehnen.«
Seitdem sind elf Jahre vergangen, die Ole von Uexküll der Right Livelihood Award Stiftung gewidmet hat: »Ich habe in der gesamten Zeit nichts entdeckt, was sinnvoller sein könnte.«
Stand: 2018
- Name
- Heinrich Detering
- Jahrgang
- 1959
- Förderzeitraum
- 1987-1988
- Beruf
- Literaturwissenschaftler, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt für seine Bücher, Essays und Gedichte zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2009
»Meine Zeit als Stipendiat der Studienstiftung war erstaunlich kurz – erstaunlich jedenfalls im Hinblick auf das unmittelbare Ergebnis«, sagt Heinrich Detering rückblickend. Nachdem er zwei Jahre lang für seine Dissertation geforscht hatte und gleichzeitig als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig gewesen war, konnte er die Promotion dank des Stipendiums innerhalb eines Jahres abschließen – ein Jahr, das nach eigenen Aussagen zu den intensivsten seines Lebens gehört.
Inspirierende Gemeinschaft
Während der Dissertation hat Detering jedoch kaum Gelegenheit, an den gemeinsamen Aktivitäten der Studienstiftung in Göttingen teilzunehmen: »Ich war in dieser besonderen Situation dankbar dafür, dass die Stiftung mich in Ruhe mein Buch schreiben ließ.«
Die Gemeinschaft der Studienstiftlerinnen und Studienstiftler erlebt er daher erst als Hochschullehrer und Dozent bei einer Veranstaltung der Studienstiftung im Herbst 2001, dann aber mit großem Nachhall. »Es war die eindrücklichste und prägendste Erfahrung, die ich mit der Studienstiftung gemacht habe«, erinnert er sich.
Damals hält er im Südtiroler Molveno gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Lutz Rühling ein Seminar über Friedrich Nietzsches letzte Texte. Schon vorher interessiert ihn das Thema so sehr, dass er es in einem Buch aufarbeiten will. Doch es fehlt der passende Zugang. Klarheit bringt das Seminar.
»Erst nach diesen lebendigen Begegnungen und Gesprächen mit aufgeschlossenen, klugen und mitdenkenden Studierenden aus ganz unterschiedlichen Fächern – Theologie, Philosophie, Literaturwissenschaften und Forstwirtschaft – in einer Atmosphäre völlig uneingeschränkten Austausches, wurde mir klar, wie das Buch funktionieren könnte.«
Interdisziplinär und lebensnah
Das Zusammenleben während der Akademie ist wohl sinnbildlich für Deterings Auffassung des Verhältnisses von eigenem Forschungsinteresse in den Kultur- und Geisteswissenschaften und gesellschaftlicher Verantwortung in der akademischen Praxis. Für ihn »kann und muss Forschung den Weg höchster Spezialisierung gehen, sie kann argumentativ und sprachlich anspruchsvoll bis an den Rand des Esoterischen geraten – aber sie müsste eigentlich jederzeit auch ›exoterisch‹ vermittelbar und möglichst auch produktiv werden können«.
Eine Produktivität, die sich für Detering aus der interdisziplinären Arbeit an Lebensfragen ergibt, die unabhängig von der fachlichen Herkunft gestellt werden und der Lebenswirklichkeit der Menschen verhaftet bleiben.
Dem Herzen folgen
Wortmächtig, lesernah und mit einem Gespür für originelle Fragestellungen, die über die Fachgrenzen hinaus Diskussionen anstoßen – so begründet dann auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft 2009 die Vergabe des mit 2,5 Millionen Euro dotierten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis an den Literaturwissenschaftler. Seine Forschungsinteressen sind breit gefächert: Neben Studien zu Bob Dylan und literarischen Gestaltungen von Naturzerstörung forscht Detering auch über Kunst und Religion in der Literatur und arbeitet als Übersetzer und Lyriker.
So geht aus dem Treffen in Molveno auch das Gedicht »Ecce homo« hervor, das wörtlich aus den letzten Aufzeichnungen und Lebenszeugnissen Nietzsches zitiert und drei Jahre später in dem Gedichtband »Schwebstoffe« erscheint.
Heutigen Studierenden legt er nahe, sich bei der Studienwahl unbedingt an ihren Interessen zu orientieren: »Ich rate dringend davon ab, sich auf das auszurichten, was als der leichteste oder der finanziell lukrativste Weg erscheint. Viel zielführender ist es, dem zu folgen, was einen im Leben wirklich umtreibt, neugierig macht und begeistert.«
Stand: 2018
- Name
- Wiebke Koenig
- Jahrgang
- 1968
- Förderzeitraum
- 1987-1993 (Studienförderung und China-Stipendium)
- Beruf
- Soziologin, Politologin, Leiterin der Global Leadership Academy der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
Toleranz, Völkerverständigung und Dialog – das sind Werte, die Wiebke Koenig beruflich und privat seit Langem begleiten. Bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), ehemals Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, setzt sie sich seit nunmehr 15 Jahren für internationale Entwicklung ein.
Als Leiterin des Programms Global Leadership Academy bringt sie mit ihrem Team seit 2013 Entscheidungsträger aus Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern zusammen, um sich über zentrale Herausforderungen auszutauschen, wie etwa partizipative Stadtplanung, die nachhaltige Nutzung der Ozeane oder die Vergangenheitsbewältigung in konfliktbeladenen Gesellschaften.
Ihr Ziel ist dabei, die Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit angesichts der globalen Herausforderungen der Agenda 2030 um die Gestaltung innovativer Dialogforen zu ergänzen. Vor dieser Tätigkeit ist sie innerhalb der GIZ für die Kontakte zu verschiedenen Bundesministerien, für diverse Aspekte der Unternehmenskommunikation und die projektbasierte Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China zuständig. Ihr Interesse an Süd- und Ostasien ebenso wie ihre Leidenschaft für globale Kooperation werden entscheidend durch die Studienstiftung geprägt.
Aufbruch in Fernost
Bereits als sie Ende der 1980er-Jahre das United World College of the Atlantic in Wales besucht (damals Teil der Förderung durch die Studienstiftung), lernt sie nicht nur Schülerinnen und Schüler unterschiedlichster kultureller Herkunft kennen, sondern entdeckt auch ihr Interesse an regionalen und globalen Verflechtungen der Geschichte Asiens. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland studiert sie entsprechend Japanologie und Politikwissenschaft.
1989 – das Jahr des Tiananmen-Massakers – geht Wiebke Koenig dann mit dem China-Stipendien-Programm der Studienstiftung für ein Jahr an die National Taiwan Normal University in Taipeh. Aufgrund der damaligen Ereignisse entscheidet sie sich bewusst gegen Peking. Die Volksrepublik lernt sie trotzdem kennen, zunächst auf eigene Faust mit Rucksack und einer Spiegelreflexkamera, später dann auch im Rahmen ihrer Arbeit für die GIZ.
Die gesellschaftliche Entwicklung der Volksrepublik China steht auch im Zentrum ihrer Abschlussarbeit als Magistra Artium und später ihrer Dissertation im Fach Soziologie, die sie 2000 an der Universität Marburg zum Thema »Soziologie einer Wirtschaftsethik der Volksrepublik China« verfasst. Da sich ihre wissenschaftlichen Fragen stets mit praktisch-politischem Gestaltungswillen verbinden, wechselt sie nach einer kurzen Postdoc-Phase zur GIZ: »Meine Wertvorstellungen und gesellschaftspolitischen Anliegen kann ich hier in idealer Weise umsetzen.«
Perspektivwechsel
Auslandsaufenthalte in China, Japan und Zentralasien und die dabei immer wieder gesuchten Gespräche mit Menschen unterschiedlichster kultureller, religiöser und sozialer Prägungen haben das berufliche Engagement von Wiebke Koenig stark beeinflusst.
»Im Studium und während meiner Promotion haben diese Kontakte meinen Blick für Entwicklungsfragen geweitet«, sagt Koenig. Sie hat verstanden, worauf es ankommt, wenn man gemeinsame Lösungen für komplexe Zukunftsherausforderungen finden will: »Auf den persönlichen Dialog, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und ein gegenseitiges Verständnis, selbst wenn dieses nicht immer in Konsens resultiert.«
Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ist ihr daher nicht nur im beruflichen Kontext, sondern auch als langjähriges Auswahlausschussmitglied der Studienstiftung und der Stiftung Mercator ein wichtiges Anliegen; und sie bleibt für Wiebke Koenig auch tagtägliche Herausforderung im bewegten Leben mit ihren drei Kindern.
Stand: 2018
- Name
- Ernst Messerschmid
- Jahrgang
- 1945
- Förderzeitraum
- 1970-1972
- Beruf
- Physiker, Astronaut, Direktor Emeritus des Instituts für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart
- Aus dem Lebenslauf
- 1985 Astronaut der deutschen Spacelab-Mission D1
Eigentlich schien sein Lebensweg vorgezeichnet: Klempner sollte Ernst Messerschmid werden – wie sein Vater – und eines Tages den elterlichen Betrieb in einem Dorf am Rand der Schwäbischen Alb übernehmen.
Dass er einmal als deutscher Astronaut die Erde aus dem Weltall betrachten würde, davon hätte er damals nicht zu träumen gewagt. Doch Messerschmids Berufsschullehrer erkennt das Talent des jungen Mannes und unterstützt ihn, neue Wege zu gehen: Messerschmid macht auf dem zweiten Bildungsweg Abitur, beginnt 1967 in Tübingen Physik zu studieren und wechselt 1971 nach Bonn.
Nach dem Vordiplom hört der Student erstmals von der Studienstiftung und wird nur wenige Monate später aufgenommen. »Die Abende bei meinem Vertrauensdozenten in Bad Godesberg, mit den anderen Stiftlern, mein Wechsel zum Kernforschungszentrum CERN und drei Sommerakademien waren entscheidende Auslöser für das, was folgte«, erzählt er.
Die Diskussionen auf den Sommerakademien in Völz am Schlern und in Alpbach, Wanderungen im Gebirge, die vielen Begegnungen mit Stipendiaten und Dozenten seien nicht nur großartig, sondern auch von Dauer gewesen: Bis heute hält Messerschmid Kontakt zu einigen von ihnen.
Mit Beharrlichkeit ans Ziel
Der Physiker findet sich in jener Zeit in einem interdisziplinären, internationalen und multikulturellen Umfeld wieder und lernt völlig neue Welten kennen. »Ich hätte nie gedacht, dass ich später ein weiteres Adjektiv für meine berufliche Welt hinzufügen kann: extraterrestrisch. Die Förderung durch die Studienstiftung war sicherlich die Startrampe, die Begegnungen und Diskussionen mit interessanten, fördernden Menschen zündeten die Aufstiegsstufe in mir und motivierten mich, weiter zu gehen, zu lernen und Verantwortung zu übernehmen«, resümiert der 73-Jährige.
Nach dem Studium forscht er von 1972 bis 1975 am Genfer Kernforschungszentrum CERN, 1976 folgt die Promotion an der Universität Freiburg. Gleichzeitig arbeitet er am Brookhaven National Laboratory auf Long Island im US-Bundesstaat New York am Entwurf und Bau eines Teilchenbeschleunigers mit.
In seiner Zeit als Stipendiat und später auch in den Auswahlkommissionen der Studienstiftung macht er eine prägende Erfahrung: »Bei den vielen Ausnahmetalenten lernte ich frühzeitig, dass es in jeder Disziplin immer viele gibt, die weitaus mehr Talent, Begabung, Wissen, Können, Ehrgeiz und Durchsetzungsstärke haben, als sie bei sich vermuten. Ich habe mich immer sehr gefreut, wenn ich entsprechende Menschen näher kennenlernen konnte und festgestellt, dass auf Dauer nur derjenige zu Besonderem fähig ist, der manchmal unbekümmert, meist beharrlich, aber immer mit Lust auf die Entdeckung seiner eigenen Möglichkeiten unterwegs ist.« Mit dieser Einstellung wandert Messerschmid fortan durchs Leben: Station um Station, beharrlich, ausdauernd, neugierig und erfolgreich.
Außerirdisch
Seine Beharrlichkeit und ein Zufall bahnen ihm 1976 den Weg Richtung Weltall: Im Radio hört Messerschmid, dass junge Wissenschaftler für das europäische Raumfahrtprogramm Spacelab gesucht werden. Zu jenem Zeitpunkt forscht der Physiker am Deutschen Elektronensynchrotron DESY i n Hamburg.
»Da ich ohnehin wieder in den Süden Deutschlands wechseln und einmal mehr einen vorgegebenenWeg verlassen wollte, habe ich mich aus purer Neugier gemeldet«, erinnert sich der begeisterte Bodensee-Segler. Nach unzähligen Auswahlrunden erreicht ihn die Nachricht, dass er es geschafft hat.
Doch bis zum Abflug ins All vergehen noch nahezu weitere zehn Jahre: In der ersten Bewerberrunde macht zunächst Ulf Merbold das Rennen. Geduld ist gefragt. Messerschmid wechselt ans Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen und beschäftigt sich mit Satellitenkommunikation und Navigation.
1982 erhält er schließlich die zweite Chance: »Ich wurde noch einmal physisch, psychisch und wissenschaftlich geprüft, gerüttelt und durch die Mangel gedreht mit dem Ergebnis: ,Ihr Raumflug findet in drei Jahren mit dem Space-Shuttle Challenger statt'“, erzählt der ehemalige Astronaut.
Am 30. Oktober 1985 hebt die US-amerikanische Raumfähre Challenger mit Messerschmid an Bord ab. In sieben Tagen umkreist das Raumschiff die Erde 112 Mal. D-1 heißt der Ausflug in knapp 400 Kilometer Höhe.
Doch bis zum Abflug ins All vergehen noch nahezu weitere zehn Jahre: In der ersten Bewerberrunde macht zunächst Ulf Merbold das Rennen. Geduld ist gefragt. Messerschmid wechselt ans Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt in Oberpfaffenhofen und beschäftigt sich mit Satellitenkommunikation und Navigation.
1982 erhält er schließlich die zweite Chance:»Ich wurde noch einmal physisch, psychisch und wissenschaftlich geprüft, gerüttelt und durch die Mangel gedreht mit dem Ergebnis: ›Ihr Raumflug findet in drei Jahren mit dem Space Shuttle Challenger statt‹«, erzählt der ehemalige Astronaut.
Am 30. Oktober 1985 hebt die US-amerikanische Raumfähre Challenger mit Messerschmid an Bord ab. In sieben Tagen umkreist das Raumschiff die Erde 112 Mal. D1 heißt der Ausflug in knapp 400 Kilometer Höhe.
»Eine Woche Weltraum, 70 Experimente aus den verschiedensten Disziplinen: Physik, Verfahrenstechnik, Materialforschung, Biologie, Medizin und Technikwissenschaften. Mehr als 100 Professoren mit doppelt so vielen Doktoranden aus Europa und den USA wollten wissen, wie sich das Fehlen der Schwerkraftwirkung auf Materie, Strömungen von Fluiden, Atomuhren, Pflanzenwachstum, Gleichgewichtsorgane bei Menschen und Eintagsfliegen auswirkt«, beschreibt Messerschmid die Expedition.
In jenen Tagen kümmert sich der damals 40-Jährige aber auch um so »banale« Dinge wie Lüftungen und Installationen, seine Handwerkerkenntnisse aus Jugendjahren sind gefragt. »Ein Drittel unserer Zeit haben wir repariert«, sagt der Wissenschaftler.
Die sieben Tage Schwerelosigkeit verändern seinen Blick auf den blauen Planeten: Den Amazonas kann er nicht erkennen – zu stark ist die Qualmentwicklung der Brandrodung. Weggefährten für sein künftiges Engagement für den Schutz von Natur und Erde findet er in der Association of Space Explorers.
Nur drei Monate nach der erfolgreichen D1 Spacelab-Mission explodiert im Januar 1986 die Challenger, sieben Astronauten sterben, Messerschmid kennt sie alle: »Es hätte uns genauso treffen können. Die defekten Dichtungsringe, die als Ursache für das Unglück ausgemacht wurden, sind auch bei uns weggeschmort.«
Vom Astronauten zum Professor
Nach seinem Raumflug steht für Messerschmid außer Frage: Eine Wiederholung kann es nicht geben – unabhängig von dem Challenger-Drama. »Für mich war klar: Das Leben ist zu kurz, um Dinge zu wiederholen«, sagt er in einem Zeitungsinterview.
Messerschmid erhält 1986 einen Ruf der Universität Stuttgart als Professor und wird Direktor des Instituts für Raumfahrtsysteme. »Seitdem beschäftige ich mich mit Themen wie Forschung in der Schwerelosigkeit, Entwürfe von Raumstationen, Exploration des erdnahen Weltraums, Missionen von Astronauten zurück zum Mond, zu Asteroiden und eines nicht allzu fernen Tages zum Mars«, sagt er.
Im Jahr 2000 verlässt er noch einmal Stuttgart und begibt sich auf neue Pfade: Das Europäische Astronautenzentrum bittet ihn, das Astronautenausbildungszentrum in Köln aufzubauen. Für diese Zeit von der Universität Stuttgart beurlaubt, ist er dort fünf Jahre für die Auswahl und Ausbildung der Astronauten zuständig. 2005 kehrt er an das Institut für Raumfahrtsysteme nach Stuttgart zurück.
Seit 2013 ist Messerschmid im Ruhestand, zur Ruhe kommt er aber nicht: Er ist Mitglied in mehreren Akademien, betreut am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart Doktoranden, hält Vorlesungen und begeistert Kinder für die Raumfahrt. Seine Sehnsucht nach dem Weltall hält bis heute an.
Stand: 2018
- Name
- Werner Maihofer
- Lebensdaten
- 1918-2009
- Förderzeitraum
- 1948- 1950
- Beruf
- Rechtswissenschaftler, Politiker, Bundesminister des Inneren (1974-1978)
- Aus dem Lebenslauf
- Präsident der Studienstiftung von 1980 bis 1982
- War als Eiskunstläufer im Vorbereitungskader für die Olympischen Spiele 1936
Sein Credo: »Im Zweifel für die Freiheit!«. Um sie für den Einzelnen zur Geltung zu bringen, beschwört Werner Maihofer im Sinne der gesellschaftlichen Chancengleichheit eine aktive Sozialpolitik – eine Haltung, die ihn in den 1970er Jahren zu einem führenden Vertreter des sozialen Liberalismus und Vordenker einer neuen linksliberalen Politik macht.
Zusammen mit Karl-Hermann Flach und Walter Scheel entwickelt Maihofer 1971 die »Freiburger Thesen«, die die FDP von ihrem rein nationalliberalen Zuschnitt wegführen und für das Bündnis mit der Sozialdemokratie öffnen. Die Freiheit gilt Maihofer als höchstes Gut der Demokratie und des Staates.
Erster Studienstiftler in Freiburg
Das vehemente Eintreten für die Freiheit ist in Teilen wohl auch in Maihofers Biografie begründet: Nach dem Abitur 1937 wird der in Konstanz geborene Maihofer zur Heeresnachrichtentruppe einberufen und erlebt den Schrecken des Krieges in Frankreich, Russland und Ungarn. Die Kriegserfahrung führt bei Maihofer, zuletzt im Rang eines Oberleutnants, zu einer kritischen Distanz gegenüber starren Ideologien und zur beharrlichen Verteidigung der individuellen Freiheitsrechte.
1946 nimmt Maihofer als 27-Jähriger, der, wie er in seiner Festrede zum 50-jährigen Jubiläum der Studienstiftung 1975 bemerkt, »nichts gelernt hatte als Nachrichtenverbindungen herzustellen« ein Jurastudium in Freiburg auf. Reich an Entbehrungen ist das Studium an der noch teils kriegszerstörten Universität, größer allerdings noch Maihofers Wissensdurst, wie er weiter berichtet: »Ich weiß noch wie heute, wie ich in jenem ersten Jahr meines Studiums das einzig auftreibbare Exemplar von Heideggers »Sein und Zeit«, das nicht anders zu erwerben war, Satz für Satz mit zwei Fingern abgetippt habe, buchstäblich, »um es zu besitzen«.
1948 wird der hochbegabte Jurist von dem Rechtsphilosophen Erik Wolf für die gerade neu gegründete Studienstiftung des deutschen Volkes vorgeschlagen. Der junge Familienvater, der »nun nicht mehr Nebenverdiensten nachrennen musste« zählt zu den ersten Stipendiaten der Nachkriegszeit in Freiburg.
Bald kommen weitere hinzu und der sich bildende Kreis trifft sich regelmäßig im Haus des Rechtswissenschaftlers und Vertrauensdozenten Fritz Pringsheim. Eine Runde, in der »eigenwillige Gesellen, knorrige Begabungen, versponnene Käuze« zusammenkommen, wie Maihofer später sagt und deren Mitglieder die Tatsache Studienstiftler zu sein, »wie einen heimlichen Orden trug«.
1950 wird Maihofer in Freiburg promoviert, drei Jahre später folgt die Habilitation. 1955 erhält er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Rechts- und Sozialphilosophie, Strafrecht und Strafprozessrecht in Saarbrücken, den er bis 1969 innehat.
In der Politik: Kometenhafter Aufstieg des Seiteneinsteigers
Während der Studentenbewegung fällt der Hochschullehrer Maihofer durch seine unaufgeregte Haltung gegenüber der protestierenden Jugend auf, die er dazu auffordert, sich in den politischen Parteien zu engagieren. Der FDP-Vorsitzende Walter Scheel wird so auf Maihofer aufmerksam und bemüht sich persönlich um dessen Parteieintritt in die FDP, der 1969 folgt.
Zu diesem Zeitpunkt ist Maihofer bereits über 50 Jahre alt – es folgt eine rasante Karriere in der Politik, zunächst als Vorsitzender der Programmkommission der Partei, nach der Bundestagswahl 1972 als Minister für besondere Aufgaben im Kabinett von Willy Brandt.
1974 beerbt er Hans-Dietrich Genscher im Amt des Bundesinnenministers unter Kanzler Helmut Schmidt. Wegen illegaler Abhöraktivitäten des Bundesverfassungsschutzes und einer Fahndungspanne während der Schleyer-Entführung tritt Maihofer 1978 von seinem Amt zurück.
Verbunden bleibt er allerdings der Studienstiftung, der er von 1980 bis 1982 als Präsident vorsteht. Vielleicht lag der Grund für sein außerordentliches Engagement in dem Wunsch, etwas zurückzugeben. Fast hört es sich danach an, wenn er 1975, zum 50-jährigen Gründungsjubiläum der Studienstiftung als Festredner freimütig erklärt: »So will ich hier ganz schlicht bekennen, dass in jener Zeit die Studienstiftung die größte Lebenshilfe überhaupt für mich war, die ich je erfahren habe.«
Stand: 2018
- Name
- Luise Pusch
- Jahrgang
- 1944
- Förderzeitraum
- 1966-1971
- Beruf
- Sprachwissenschaftlerin, Schriftstellerin, Publizistin
- Aus dem Lebenslauf
- War von 1979 bis 1984 Heisenberg-Stipendiatin
Sprache und die Auseinandersetzung mit linguistischen Feinheiten ziehen sich wie ein roter Faden durch den Lebenslauf von Luise Pusch. Auf das Studium der Anglistik, Latinistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft folgt ein Karriereweg, für den bereits ihr Auswahlgespräch bei der Studienstiftung programmatisch ist. »Ich erzählte dem Kommissionsmitglied, einem Hamburger Oberarzt, von Chomskys Transformationsgrammatik und von Tiefen- und Oberflächenstrukturen«, erinnert sich Pusch. »Im Anschluss daran bekundete er, kaum etwas verstanden zu haben, äußerte aber den Eindruck, dass ich etwas zu sagen hätte.« Er sollte Recht behalten. Schon bevor sie die Universität verlässt, beginnt sie ihr umfangreiches OEuvre und erarbeitet sich so in kurzer zeitlicher Abfolge den Doktor- und schließlich den Professorentitel.
Wegbereiterin und Aufgehaltene
Doch die »Substantivierung von Verben mit Satzkomplementen im Englischen und im Deutschen« sowie »kontrastive Untersuchungen zum italienischen gerundio« – respektive Puschs Dissertations- und Habilitationsgegenstände – sind nicht die einzigen Themen, die sie umtreiben. Mitte der 1970er-Jahre fängt sie an, sich für die Frauenbewegung zu engagieren: »Hier fand ich Gleichgesinnte und Unterstützung. Deshalb wollte ich mich – auch wissenschaftlich – erkenntlich zeigen«, betont die Frauenrechtlerin.
So beeinflusst ihre Überzeugung auch ihre Forschung, die sich seit dieser Dekade verstärkt feministischen Fragestellungen und der Gendertheorie widmet. Eingebettet in die feministische Linguistik, deren Begründung in Deutschland Pusch und ihrer Kollegin Senta Trömel-Plötz zugeschrieben wird, veröffentlichte sie in den vergangenen 30 Jahren zahlreiche Aufsätze, Glossen, Biografien und CDs.
Trotz ihrer Vorreiterrolle und Produktivität gestaltet sich die wissenschaftliche Karriere der Autorin durchwachsen. Einerseits drücken die Stipendien der Studienstiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft Vertrauen und Anerkennung aus. Ebenso beeindruckt Puschs Position als eine von drei weiblichen gegenüber 70 männlichen Geförderten des Heisenberg-Programms 1979. Andererseits bleiben insbesondere nach der Publikation ihres Buchs »Das Deutsche als Männersprache« bei Suhrkamp im Jahr 1984 Einladungen zum »Vorsingen« für Professuren aus.
Und so endet Puschs 20-jährige Ausbildungs- und Berufslaufbahn an der Universität — eine Zeit, die sie selbst als anstrengend bezeichnet. »Mein Studium und vor allem meine Dissertation gerieten des Öfteren ins Stocken, weil die von Männern dominierten Universitäten der Sechzigerjahre für Frauen kein ideales Lernumfeld waren«, resümiert Pusch.
Bahnbrecherin mit Biss
Umso wichtiger war für die Linguistin rückblickend die Unterstützung der Studienstiftung. Der Ablehnung der Universitäten stand und steht reges Interesse der Öffentlichkeit entgegen. Pusch hält Vorträge und Seminare im In- und Ausland, schreibt für ihren Blog, publiziert Bücher auf dem Gebiet der feministischen Linguistik und der Frauenbiografieforschung und zeichnet hauptverantwortlich für das frauenbiografische Webportal Fembio, in dem sie die Lebenswege von bis dato fast 9.000 Frauen zusammengetragen hat.
Ihre Texte erregen immer noch Aufsehen und provozieren Kritik – sowohl positive als auch negative. Doch Pusch ist stolz auf ihren Werdegang; ihre Publikationen zählen weiterhin zu den linguistischen und feministischen Standardwerken. Eine glückliche Entwicklung, findet Pusch und betont: »Diese verdanke ich auch der Studienstiftung und ihrem nachhaltigen, fördernden Vertrauen.«
Stand: 2018
- Name
- Wolf Singer
- Jahrgang
- 1943
- Förderzeitraum
- 1964-1968
- Beruf
- Arzt, Neurophysiologe, Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für Hirnforschung
- Aus dem Lebenslauf
- Ausgezeichnet unter anderem mit dem Ernst Jung-Preis für Medizin und dem Communicator-Preis
»Die Aufnahme in die Studienstiftung hat mein weiteres Leben entscheidend geprägt«, sagt Wolf Singer, einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands und emeritierter Professor für Neurophysiologie.
Mit einigen seiner Thesen hat der Studienstiftler für Diskussionen gesorgt. Ein Beispiel: Wolf Singer hält Willensfreiheit für ein soziales Konstrukt – denn Entscheidungen fälle das Gehirn und nicht eine von ihm unabhängige geistige Instanz. Da im Gehirn die Kausalgesetze gälten, sei im Augenblick einer Entscheidung nur diese und keine andere möglich. Diese Sichtweise hat Folgen für die Beurteilung von Verhaltensweisen, die von der Norm abweichen – im Guten wie im Bösen. Straftäter bleiben zwar für ihr Tun verantwortlich und müssen Sanktionen der Gesellschaft hinnehmen, aber es muss ihnen zugestanden werden, dass sie im Augenblick der Tat nicht anders konnten.
Der Weg in die Welt der Wissenschaft
Aufgewachsen ist Wolf Singer in einem kleinen Dorf in Oberbayern. Den größten Teil seiner Schulzeit verbringt er im Internat – eine weiterführende Schule gibt es im Umkreis nicht. Die Aufnahme in die Studienstiftung ist sein Eintritt in den akademischen Kosmos: »Ohne die Anregungen der Studienstiftung hätte ich den Weg aus der Geborgenheit meiner Heimat hinaus in die selbstbestimmte Freiheit einer wissenschaftlichen Laufbahn nicht oder vielleicht erst zu spät gefunden.«
Singer steht ein Vertrauensdozent zur Seite, außerdem hat er regelmäßig Kontakt zu der begleitenden Referentin aus der Geschäftsstelle und greift in Krisenmomenten auf diese Unterstützung zurück: Als er mit seiner Studienrichtung Medizin hadert, fragt er seine Referentin um Rat. Er hat das Gefühl, nichts Sinnvolles zu tun, einfach mehr bewegen zu wollen. Sie dagegen ermutigt ihn, sein Studium fortzusetzen – mit dieser Grundlage werde er danach mehr Einfluss ausüben und sich weiterentwickeln können.
Ein Auslandsstipendium der Studienstiftung führt Singer nach Cambridge und an die Sorbonne. In Cambridge lernt er seine Frau kennen. In Paris hilft ihm sein zukünftiger Doktorvater, Otto Creutzfeldt, beim Einstieg in die Neurobiologie. »Er schleuste mich über seine Fachkollegen in ein Graduiertenprogramm für Neurobiologie ein, für das ich eigentlich einen Studienabschluss gebraucht hätte.«
Anstoß zu dem späteren wissenschaftlichen Werdegang gibt eine Vorlesung des renommierten Professors über die neuronalen Grundlagen des Bewusstseins: »Dass Creutzfeldt es wagte, ein immaterielles Phänomen auf neuronale Prozesse zurückzuführen, hat mich so sehr fasziniert, dass ich auf diesem Gebiet promovieren und später forschen wollte.« Das gelingt ihm – 1968 wird er bei Creutzfeldt an der LMU München promoviert. Anschließend beginnt eine beeindruckende Karriere als Wissenschaftler. Singer wird Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main, gründet das Frankfurt Institute for Advanced Studies, das Brain Imaging Center und das Ernst Strüngmann Institut (ESI).
Preise erhält er nicht nur für seine Forschung, sondern auch für seine Kommunikationsleistung: Beispiele sind der Ernst Jung-Preis für Medizin, der Communicator-Preis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, der Zülch-Preis, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und Mitgliedschaften in zahlreichen Akademien, zu denen auch die Päpstliche Akademie der Wissenschaften gehört.
Auch als Emeritus bleibt er aktiv und leitet als Senior Fellow eine Arbeitsgruppe am ESI in Frankfurt, wo er zurzeit der Frage nachgeht, worauf der »große Wurf gegründet ist, welcher der Evolution mit der ›Erfindung‹ der Großhirnrinde gelungen ist«.
An der Entwicklung der Auswahlkriterien von Stipendiaten schätzt Singer, dass die Studienstiftung besonderen Wert auf gesellschaftliches Engagement legt. »Studienstiftler sind sich nach meiner Wahrnehmung heute mehr als damals bewusst, dass sie auf Grund ihrer Begabungen besondere Verpflichtungen haben, Verantwortung in ihrem Umfeld zu übernehmen.«
Heutigen Studierenden rät er, ihren persönlichen Neigungen zu folgen und sich von Prognosen oder Trends nicht beeinflussen zu lassen: »Studierende sollen genau die Inhalte verfolgen, für die sie Leidenschaft empfinden, und nicht davon ablassen, wenn es zwischendurch gelegentlich schwierig wird. Der Rest ergibt sich.«
Stand: 2018
- Name
- Stefan Rahmstorf
- Jahrgang
- 1960
- Förderzeitraum
- 1979-1989
- Beruf
- Klimaforscher, Ozeanograph, Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 1999 den Förderpreis der amerikanischen McDonnell-Stiftung
»Nach meinem Studium musste ich mich entscheiden: Kosmologie und Relativitätstheorie oder Ozeanografie und Klimaforschung«, erinnert sich Professor Stefan Rahmstorf. Er wählt Letztgenanntes – und gehört heute zu den bedeutendsten Klimaforschern weltweit.
Wie die Ozeane das Klima bestimmen
Heute hat der Klimaforscher sein Interessensgebiet auf die nördliche Erdhalbkugel verlagert: Er ist Experte für Meeresströmungen, vor allem für den Nordatlantikstrom, den nördlichen Ausläufer des Golfstroms. Sein wissenschaftliches Zuhause ist seit 1996 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) – ein einmaliges interdisziplinäres Institut, an dem Klimatologen, Ökonomen, Soziologen und Informatiker gemeinsam forschen.
In Rahmstorfs Fokus: die Rolle der Meere bei Klimaänderungen. Mit Modellrechnungen wies er nach, dass die Erderwärmung den warmen Nordatlantikstrom abreißen lassen könnte – mit erheblichen Auswirkungen auf das Klima in Europa.
Für seine Forschungen zur Stabilität dieser Strömung erhält der Wissenschaftler 1999 den mit einer Million Dollar dotierten Förderpreis der amerikanischen McDonnell-Stiftung. Das Preisgeld steckt er in den Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe am PIK. Erst kürzlich zeigte er mit seinem Team, dass das Meer in einer Region südlich von Island der globalen Erwärmung trotzt und sich sogar abkühlt. Der Grund: die nachlassende warme Atlantikströmung.
Die Expertise von Stefan Rahmstorf ist weltweit gefragt und geachtet. So ist er Leitautor des »4. Intergovernmental Panel on Climate Change« (IPCC)-Berichts 2007, acht Jahre lang Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, wird 2007 zum Honorary Fellow der University of Wales und 2010 zum Fellow der American Geophysical Union ernannt.
Die Krise verständlich machen
Über 100 Fachpublikationen, einige davon in den renommierten Magazinen »Nature« und »Science«, zeugen von seiner wissenschaftlichen Schaffenskraft. Rahmstorf spricht aber auch ein Publikum fernab der Fachcommunity an: Neben zahlreichen Artikeln in Tageszeitungen und populärwissenschaftlichen Zeitschriften schreibt er Bücher, die Klima und Klimawandel verständlich machen.
In der öffentlichen Diskussion zum Klimawandel wird er häufig gefragt und sensibilisiert für die Verantwortung des Menschen. »Die Klimakrise bedroht die menschliche Zivilisation, wenn wir nicht umsteuern. Dieses Thema treibt mich derzeit am meisten um«, sagt Rahmstorf. Auch für diesen Teil seiner Arbeit wird der Ozeanograf ausgezeichnet, 2007 etwa mit dem UmweltMedienpreis der Deutschen Umwelthilfe.
Stand: 2018
- Name
- Jürgen Stock
- Jahrgang
- 1959
- Förderzeitraum
- 1988-1990
- Beruf
- Jurist, Vizepräsident beim Bundeskriminalamt (2004-2014), Generalsekretär von Interpol
Ihm ist etwas gelungen, was noch kein anderer Deutsche in der 90-jährigen Interpol-Geschichte geschafft hat: Seit November 2014 steht Jürgen Stock an der Spitze der weltweit größten Polizeiorganisation.
Sein Arbeitsplatz liegt im französischen Lyon, von wo aus Stock für mindestens fünf Jahre die Arbeit von rund 850 Mitarbeitenden aus über 100 Mitgliedstaaten an zwölf Standorten auf allen Kontinenten koordiniert.
Es geht um internationalen Terrorismus, organisierte Kriminalität und Cyber-Verbrechen, aber auch um weniger medienwirksame Themen wie Viehdiebstähle in Afrika, die ganze Existenzen zerstören. »Da sind starke internationale Organisationen wie Interpol nötiger denn je«, sagt Stock. Allerdings muss er selbst keine Täter mehr jagen: Denn Interpol ermittelt nicht, sondern vernetzt und liefert Daten, koordiniert die Gangsterjagd über Grenzen hinweg – und muss dabei zwischen den Polizeibehörden der Welt Vertrauen schaffen.
Darin sieht der ehemalige Leistungssport-Ruderer und Marathonläufer eine besonders große Herausforderung: Um Vertrauen zu schaffen, muss Stock die Arbeit der Polizisten in den 190 anderen Interpol-Mitgliedsstaaten kennen und kulturelle Unterschiede begreifen.
Anfänge als Streifenpolizist
Doch geht es um Polizeiarbeit, weiß Jürgen Stock sehr genau, wovon er spricht, denn der 1,83 große Mann mit den grauen Haaren hat das kriminalistische Handwerk von der Pike auf gelernt: Nach dem Abitur 1978 beginnt der 1959 in Wetzlar geborene Hesse eine Ausbildung bei der Polizei: »Ich wollte etwas Praktisches machen, ein bisschen Action, keinen Schreibtisch-Job«, beschreibt er seine Beweggründe einmal in einem Zeitungsinterview.
1980 wird er Kriminalmeister im Einbruchsdezernat bei der Kripo Friedberg. »Eine spannende Zeit«, resümiert der 59-Jährige. Dort wird er mit der ganzen Bandbreite der Kriminalität konfrontiert: Er sichert Spuren, befragt Zeugen und nimmt Beschuldigte fest. Bis heute beschäftigt ihn der ungelöste Fall eines Großbrandes, bei dem 1986 im hessischen Bad Nauheim neun junge Menschen sterben – der Täter wurde nie gefunden. »So etwas nimmt man mit. Immer, wenn ich nach Bad Nauheim komme, denke ich daran«, sagt der Interpol-Chef.
1984 beginnt er – parallel zum Beruf – in Gießen Jura zu studieren: Tagsüber büffelt er an der Uni und besucht Vorlesungen, nachts streift er als Drogenfahnder durchs Revier. In Gießen lernt er auch Arthur Kreuzer, Professor für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug, kennen. Eine Begegnung, die für Stock wegweisend ist: Kreuzer schlägt der Studienstiftung den jungen Polizisten und Studenten als Stipendiat vor. 1988 wird er aufgenommen.
Zu jenem Zeitpunkt bereitet sich Stock schon intensiv auf sein erstes Staatsexamen vor, sodass sich sein Austausch mit anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten auf Gießen beschränkt. Dennoch: »Die Zeit als Studienstiftler war für mich inspirierend und motivierend. Sie hat meine Neugierde geweckt, Themen und Probleme unserer Zeit aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen zu betrachten, mir Neues zu erschließen, systemisch zu denken. Gelernt habe ich bei all den Begegnungen, dass die Dinge meist komplexer sind, als es auf den ersten Blick scheint, und demzufolge auch die Lösungen. Umfassende Informationssammlung und Abwägung sind Schlüssel guter Entscheidungen«, sagt Stock – eine gute Grundlage für seine verantwortungsvolle Arbeit.
Vermittler zwischen Praktikern und Welt der Wissenschaft
Vor seiner aktuellen Position als Weltpolizist Nummer eins arbeitet der Kriminologe und Jurist eine Zeit lang in Gießen als wissenschaftlicher Assistent bei Kreuzer und promoviert 1995 über polizeiliche Drogenbekämpfung. »Ich verstand mich dabei als Brückenbauer zwischen der Welt der Praktiker und der Welt der Wissenschaft«, sagt Stock. Bis heute fühlt er sich der Hochschule in Gießen verbunden: Seit 2006 bietet er als Honorarprofessor für Kriminologie pro Semester ein praxisnahes Seminar zu aktuellen kriminologischen Themen an.
Nach seiner Promotion beginnt Stock im Januar 1996 als Rechtsanwalt in einer Gießener Kanzlei. Doch die Polizeiarbeit lässt ihn nicht los – nur neun Monate später wechselt er zum Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden, wo er bis 1998 als stellvertretender Leiter des Referats für Wirtschaftskriminalität arbeitet.
1998 wird er Rektor der neuen Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt, 2000 übernimmt er das Kriminalistische Institut des BKA und wird 2004 dort Vizepräsident. Sein Schwerpunkt: die Verfolgung internationaler Aktivitäten. Er reist in nahezu alle Winkel der Erde und knüpft Kontakte zu internationalen Behörden wie Scotland Yard und dem FBI.
Im November 2014 schließlich wählt ihn die Interpol-Generalversammlung zum ersten deutschen Interpol-Generalsekretär. Zuvor hatte Stock bereits fünf Jahre dem Interpol-Exekutivkomitee als Delegierter angehört und war Vizepräsident für Europa. Daneben leitet er eine Vielzahl internationaler Arbeitsgruppen und ist damit nicht nur ein international äußerst erfahrener Polizeibeamter, sondern ein globaler Netzwerker und Weltreisender in Sachen Sicherheit.
Der Studienstiftung ist er bis heute eng verbunden: Seit 1999 wirkt er in Auswahlkommissionen des Begabtenförderungswerks mit. 2015 spricht Stock bei einer Tagung der Studienstiftung zum Thema »Organisiertes Verbrechen« über eine Phänomenologie sowie Bekämpfungskonzepte von organisierter Kriminalität.
Stand: 2018
- Name
- Christian Hackenberger
- Jahrgang
- 1976
- Förderzeitraum
- 1997-2003 (Studienförderung)
- 2001-2003 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Chemiker, Bereichsleiter am Berliner Leibniz Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie und Professor für Chemische Biologie an der HU Berlin
Längst schon hat er die Aufmerksamkeitsschwelle der scientific community überschritten und wird in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Tageszeitung »Die Welt« listete ihn 2014 unter die »40 Deutschen unter 40« aus Politik, Wirtschaft, Forschung oder Unterhaltung, die Deutschland künftig verändern werden. So findet sich der Professor für Chemische Biologie Christian Hackenberger in illustrer Runde mit beispielsweise dem Schauspieler Daniel Brühl oder der Politikerin Cemile Giousouf wieder.
Alzheimer verstehen lernen
Was die Forschung des Chemikers so zukunftsweisend macht: Hackenberger will mit seiner Arbeit Beiträge zur Bekämpfung verschiedener Krankheiten wie viralen Infektionen, Krebs oder Alzheimer leisten. An letztgenannter sind derzeit allein in Deutschland rund 1,2 Millionen Menschen erkrankt, Tendenz steigend.
Ein zentraler Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung neuer chemischer Methoden für die Herstellung von pharmazeutisch wichtigen Proteinen, um dadurch neue Medikamente zu erhalten. Hackenberger und seiner Arbeitsgruppe ist es beispielsweise gelungen, das Tau-Protein synthetisch herzustellen, dessen Ablagerungen sich bei der Alzheimer-Erkrankung zwischen den Nervenzellen festsetzen. Diese Ablagerungen können die Kommunikation zwischen den Nervenzellen beeinflussen und werden letztlich auch für ihre Zerstörung verantwortlich gemacht. Durch absichtlich herbeigeführte Veränderungen an den künstlich hergestellten Tau-Proteinen lassen sich das Eiweiß und seine Ablagerungen in ihren Funktionalitäten nunmehr analysieren – mit dem Ziel, neue Wirkstoffe und Diagnostika gegen Alzheimer zu entwickeln.
Wanderer zwischen Chemie und Biologie
Auf dem Gebiet der chemischen Methodenentwicklung ist der in Osnabrück geborene Hackenberger vielfach ausgezeichnet und international renommiert. Dabei hatte er in der Schule das Fach Chemie wegen Differenzen mit dem Lehrer noch abgewählt. Ab 1996 folgt dann aber doch ein Studium der Chemie, zunächst in Freiburg und ab 1998 an der University of Wisconsin in Madison, wo er ein Jahr später seinen Master macht.
Bereits ab 1997 wird Hackenberger von der Studienstiftung gefördert, zunächst im Grundstudium, von 2000 bis 2003 dann auch während der Promotion an der RWTH Aachen. Danach geht er als Postdoc ans Massachusetts Institute of Technology, bevor er 2005 an die FU Berlin wechselt, wo er eine Arbeitsgruppe im Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft leitet.
Beim Aufbau der Nachwuchsgruppe helfen ihm auch Erkenntnisse, die er beim Seminar »Wissenschaft als Beruf« der Studienstiftung Jahre zuvor gesammelt hatte: »Ein Vortragender referierte über die Arbeit des Wissenschaftlers, insbesondere die des Hochschullehrers, und gab eine Maxime seines Lehrers wieder: Ein Hochschullehrer sei nur dann erfolgreich, wenn er junge Menschen ausbildet, die irgendwann besser seien als er selbst. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es zu den schönsten Erlebnissen und Privilegien eines Hochschullehrers gehört, junge Menschen auszubilden, sie darin zu ermutigen, Fragen zu stellen und ihren eigenen Weg zu finden und am Ende einmal begeistert ihren Ergebnissen zuhören zu dürfen«, sagt Hackenberger.
Auf die Habilitation im Jahr 2011 folgt der Ruf auf eine Professur für Bioorganische Chemie an der FU Berlin, die er aber bereits 2012 gegen die von der Einstein Stiftung Berlin geförderte Leibniz-Humboldt-Professur für Chemische Biologie eintauscht. Seither ist er mit seiner Arbeitsgruppe am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie tätig.
Wertvolle Erfahrung: Austausch auf Augenhöhe
Wenn Hackenberger heute über die Studienstiftung spricht, die seine akademische Karriere von Anbeginn an begleitet hat, ist sein Enthusiasmus mit Händen zu greifen: »Der für mich alles entscheidende Faktor waren die Menschen, denen ich in Seminaren, Akademien, Sprachkursen, in Studiengruppen oder auch später bei Auswahlseminaren begegnet bin, sowohl aus meinem Fach als auch aus anderen Bereichen. Die Gespräche, die mich bereichert und mir wertvolle Impulse für meine Ausbildung gegeben haben, waren immer ein Austausch auf Augenhöhe, obwohl ich noch ein unerfahrener Student war. Diese Mischung aus Offenheit, Interesse und Erfahrungsaustausch habe ich sehr häufig in der Studienstiftung gefunden und versucht, sie auch in meinem eigenen Wirken weiterzugeben.«
Akademischer Brückenbauer
Und tatsächlich: Mit großem Engagement bringt sich der vielseitige Kommunikator bis heute ehrenamtlich in die Arbeit der Studienstiftung ein. Er ist Vertrauensdozent der Studienstiftung in Berlin und kümmert sich als solcher um die Geförderten vor Ort. Außerdem fährt er als Dozent zu Sommerakademien und ist bei der Auswahlarbeit der Studienstiftung aktiv.
Befragt, was er sich von und für die Studienstiftung in den kommenden 90 Jahren wünsche, sagt Christian Hackenberger: »Baue weiterhin Brücken, fördere das Engagement und das Interesse junger Studierender und führe auch weiterhin Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammen!«
Stand: 2018
- Name
- Hannah Schmidt-Friderichs
- Jahrgang
- 1985
- Förderzeitraum
- 2005 -2009
- Beruf
- Psychologin, Gründerin und Gesellschafterin von CLIMB
Der Bildungsweg hängt in Deutschland noch immer maßgeblich von der Herkunft ab. Hannah Schmidt-Friderichs findet das nicht gerecht: Gemeinsam mit zwei jungen Frauen entwickelt sie ein Ferienkonzept für benachteiligte Kinder und junge Erwachsene, das Unterricht mit Ausflügen und kreativen Angeboten verbindet.
Ihre Förderung durch die Studienstiftung hat zu der Auseinandersetzung mit Themen der Bildungsförderung und -gerechtigkeit beigetragen: »Das Stipendium hat mir gezeigt, wie privilegiert meine Bildungssituation ist. Das hat mich dankbar, aber auch nachdenklich gemacht – und vielleicht sogar den Anstoß gegeben, dass Chancengerechtigkeit in der Bildung zu einem Herzensthema für mich geworden ist.«
Von der Idee zur Selbstständigkeit
Hannah Schmidt-Friderichs ist von Beginn ihres Studiums an Stipendiatin. An der Universität Heidelberg studiert sie Psychologie mit dem Nebenfach Religionswissenschaften und macht parallel zu ihrem Abschluss zunächst eine Ausbildung zur Systemischen Juniorberaterin. Danach ist sie bei Teach First Deutschland aktiv: An einer Grundschule in Hamburg unterstützt sie Kinder mit schwierigem Sozialverhalten, fördert das Lesen und trainiert soziale Kompetenzen. »Am wichtigsten ist, dass die Kinder selbstsicherer werden, ihre Stärken kennen und motiviert ihren Weg gehen, das habe ich aus meiner Arbeit an der Schule mitgenommen. «
Hier entsteht auch ihre Idee, Grundschulkinder außerhalb des Schulunterrichts zu unterstützen. Hannah Schmidt-Friderichs bietet Lernferien an – mit Erfolg. Die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer bestätigen ihr, dass die Kinder motivierter und mit neuer Energie in die Schule zurückkehren.
So wagt sie 2013 gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen den Schritt in die Selbstständigkeit und ist heute Geschäftsführerin der gemeinnützigen CLIMB GmbH. Hier lernen Kinder im Grundschulalter in den Ferien Deutsch und Mathe. Seit Ostern 2015 hat CLIMB das Angebot auf Jugendliche mit Flüchtlingsgeschichte ausgeweitet. Das Nachmittagsprogramm sieht Experimentieren, Kunstprojekte oder Ausflüge in die Umgebung vor. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen, auch die Lehrenden profitieren von dem Konzept: Bei den Betreuenden handelt es sich um angehende Lehramtsstudierende, die Praxiserfahrung sammeln. Erwachsenenbildung ist ein wichtiger Pfeiler für die Gründerin: »Auch Erwachsene, die mit Kindern arbeiten, müssen an sich und ihre Fähigkeiten glauben. Deshalb setzen wir früh an und geben angehenden Pädagogen die Chance, theoretisches Wissen praktisch umzusetzen, an sich zu arbeiten und von und mit den Kindern zu lernen.«
Weiter bei der Studienstiftung aktiv
Als Stipendiatin hat Hannah Schmidt-Friderichs vor allem vom Kontakt zu Studierenden aus anderen Fachbereichen profitiert. »Die Treffen der Studienstiftung waren für mich eine Möglichkeit, neue Perspektiven zu bekommen. Das Bewusstsein dafür, wie sehr das eigene Umfeld den Blick auf die Welt prägt, bildet auch heute noch eine gute Grundlage für meine Arbeit, in der ich immer wieder ganz unterschiedlichen Menschen begegne.«
Heute schätzt sie besonders, dass die Studienstiftung um die Bedeutung des Lehrerberufs weiß und ein spezielles Angebot für Lehramtsstudierende hat. Bei der Lehrertagung 2015 stellte sie ihr Konzept für Lernferien in einem Workshop vor. »Es war inspirierend, so viele engagierte Lehramtsstudierende aus ganz Deutschland kennenzulernen. Bei den angeregten Gesprächen traf ich auf viele gute Ideen und Begeisterung für das Lehrer-Sein.« Die Tagung bietet seit 2005 Lehramtsstudierenden eine Plattform, um aktuelle Fragen des Lehramtsstudiums, des Schulalltags und des Lehrberufs zu diskutieren.
Hannah Schmidt-Friderichs ist für die Chancen und Begegnungen als Studienstiftlerin dankbar. »Ich versuche, aus meinen Möglichkeiten nicht nur das Beste für mich, sondern auch für andere zu machen und gleichzeitig das Bewusstsein für gerechte Bildungschancen zu fördern.«
Dass sie mit CLIMB damit auf einem guten Weg ist, zeigt die Auszeichnung mit dem startsocial Sonderpreis der Bundeskanzlerin im Juni 2015.
Stand: 2018
- Name
- Eugen Gerstenmaier
- Lebensdaten
- 1906-1986
- Förderzeitraum
- 1931-?
- Beruf
- Theologe, Politiker, Präsident des deutschen Bundestages (1954-1969)
- Aus dem Lebenslauf
- Namensgeber des »Langer Eugen« genannten ehemaligen Abgeordnetenhochhauses in Bonn, heute Sitz von UN-Organisationen
- Gerstenmeier wurde 1945 von US-Truppen aus dem Gefängnis in Bayreuth befreit
Er zählte zu den auffälligen, einprägsamen Erscheinungen der noch jungen Bundesrepublik: 15 Jahre lang, von 1954 bis 1968, ist der evangelische Theologe als Bundestagspräsident der zweite Mann im Staat. In dieser Funktion trägt der in Kirchheim / Teck geborene Schwabe entscheidend dazu bei, die Bedeutung des Deutschen Bundestags im Bewusstsein der Bürger zu verankern.
Seine besondere Glaubwürdigkeit und moralische Integrität bezieht er aus seiner Haltung während des Dritten Reichs: Als Mitglied des Kreisauer Kreises ist er einer der Mitverschwörer des 20. Juli 1944 gegen Adolf Hitler. Der Publizist Paul Sethe hat ihn einmal als »Gewissen der Nation« bezeichnet.
Zweiter Bildungsweg
Der Handwerkersohn wird 1906 als ältestes von acht Geschwistern geboren. Da der Familie die Finanzierung eines Studiums nicht möglich ist, absolviert Gerstenmaier ab 1921 zunächst eine kaufmännische Ausbildung. Bis 1929 arbeitet er als Textilkaufmann und beschreitet anschließend den heute sogenannten zweiten Bildungsweg.
1931 holt der Hochbegabte, der sich in der christlichen Jugendbewegung engagiert, das Abitur nach. Gefördert von der Studienstiftung nimmt er das Studium der Philosophie, Germanistik und evangelischen Theologie in Tübingen, Rostock, Zürich und wieder Rostock auf. Damit zählt Gerstenmaier zu dem Personenkreis, der noch vor der Auflösung der Studienstiftung im Jahr 1934 gefördert wird.
Wann genau sein Stipendium endet, lässt sich nicht mehr datieren. Überliefert ist jedoch, wie Gerstenmaier sich im Winter 1933 schriftlich über Intrigen zur Ablösung seines Vertrauensdozenten und Doktorvaters Professor Friedrich Brunstäd beklagt.
Kirchenkampf und Widerstand im Nationalsozialismus
Brunstäd, wie Gerstenmaier auch, unterstützt die Bekennende Kirche, die sich im sogenannten Kirchenkampf gegen die nationalsozialistisch orientierten Deutschen Christen stellt. Kurzzeitig wird Gerstenmaier sogar von der Gestapo inhaftiert.
Gerstenmaier promoviert 1935 in Rostock über »Schöpfung und Offenbarung. Systematische Untersuchung zu einer Theologie des ersten Artikels«. Zwei Jahre später habilitiert er, die staatliche Lehrerlaubnis und die Ernennung zum Professor werden dem Mitglied der Bekennenden Kirche aber aufgrund seiner offenkundigen Distanz zum Nationalsozialismus verwehrt. Da ihm der Weg in eine wissenschaftliche Karriere abgeschnitten ist, wechselt er bereits 1936 als Mitarbeiter für internationale Kontaktpflege in den Dienst des kirchlichen Außenamts.
In Berührung zu Widerstandskreisen kommt Gerstenmaier ab Herbst 1939, später stößt er zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke. Seine Verbindungen zu kirchlichen Repräsentanten im In- und Ausland machen Gerstenmaier zu einer wichtigen Kontaktperson für die Widerstandsgruppe. In die Pläne der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 ist Gerstenmaier nicht nur eingeweiht, er ist am Abend des 20. Juli 1944 sogar im Bendlerblock anwesend – das Neue Testament in der einen, die Pistole in der anderen Rocktasche – und wird dort verhaftet.
Beim anschließenden Prozess vor dem Volksgerichtshof kommt Gerstenmaier mit einer siebenjährigen Zuchthausstrafe davon, indem er sich als weltfremder Theologe ausgibt. US-Truppen befreien ihn am 14. April1945 aus dem Zuchthaus in Bayreuth.
Die politische Karriere nach 1945
Nach Kriegsende baut er das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland auf, dessen Leiter er bis 1951 ist. Seit 1949 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Als Bundestagspräsident setzt er sich beispielsweise für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Abgeordneten ein und wird zum Mentor des Umbaus des Bonner Regierungsviertels.
Die politische Karriere Gerstenmaiers endet jedoch mit einem Missklang. Aufgrund der 7. Novelle des Wiedergutmachungsgesetzes für Angehörige des öffentlichen Dienstes erhält Gerstenmaier für die entgangene wissenschaftliche Karriere eine Entschädigungszahlung, die in ihrer Höhe Anstoß erregt. Dass es ihm um eine symbolische Wiedergutmachung geht und er die Geldsumme spendet, kann die öffentliche Stimmung nicht beruhigen. Am 23. Januar 1969 tritt Eugen Gerstenmaier deshalb tief verletzt zurück.
Heute erinnert vor allem das ehemalige Abgeordnetenhochhaus in Bonn, heute Sitz von UN-Organisationen, an Gerstenmaier. Es trägt noch immer – in Anspielung auf die geringe Körpergröße Gerstenmaiers – den Namen »Langer Eugen«.
Stand: 2018
- Name
- Melanie Wald-Fuhrmann
- Jahrgang
- 1979
- Förderzeitraum
- 1998-2002
- Beruf
- Musikwissenschaftlerin, Direktorin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik
- Aus dem Lebenslauf
- 2015 Auszeichnung mit der Marsilius-Medaille der Universität Heidelberg für besondere Verdienste für das Gespräch zwischen den Wissenschaftskulturen
Mit ihrer Zeit als Stipendiatin der Studienstiftung verbindet Melanie Wald-Fuhrmann viel Positives – beispielsweise das Gefühl des Ansporns bei ihrer Aufnahme. Ein Erlebnis ist ihr besonders nachhaltig in Erinnerung: Während einer Sommerakademie in St. Johann wollendie Stipendiaten zusammen einen Berg erklimmen. Teambildung in Reinkultur. Der Haken: »Ich hatte den Eindruck, dass außer mir fast alle Stipendiaten Mitglied im Alpenverein sind und die Wanderleidenschaft ein fast ebenso wichtiges Auswahlkriterium wie die Beherrschung eines Musikinstruments ist.« Doch die Sorge, den fitteren Stipendiaten zur Last zu fallen, erweist sich als unbegründet. Die heutige Direktorin des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main erlebt im Gegenteil Solidarität und Zusammenhalt. Diese Erfahrung beeindruckt sie bis heute.
Von der Stipendiatin zur Vertrauensdozentin
Und sie trägt wohl dazu bei, dass Wald-Fuhrmann der Studienstiftung auch nach ihrer Stipendienzeit treu geblieben ist. Sie engagiert sich sowohl als Kommissionsmitglied bei Auswahlseminaren, als Dozentin, beispielsweise bei der Musikakademie 2014, sowie, seit 2016, als Kuratoriumsmitlied der Studienstiftung. Am meisten liegt ihr jedoch die Tätigkeit als Vertrauensdozentin am Herzen, von der sie sagt, dass man dabei »mindestens so viel zurückbekommt, wie man gibt«. Der Kontakt zu jungen Studierenden unterschiedlichster Fachrichtungen ist nur eine der positiven Begleiterscheinungen – aber für Wald-Fuhrmann eine entscheidende.
Vielseitig interessiert
Imponiert habe ihr beispielsweise, wie die Juristen aus der von ihr betreuten Gruppe an Probleme herangingen und reflektiert kommunizierten. Dieses Interesse an anderen Fächern kommt nicht von ungefähr, zieht sich Interdisziplinarität doch wie ein roter Faden durch den Lebenslauf der ehemaligen Professorin für Musiksoziologie und historische Anthropologie an der HU Berlin.
Das spiegelt sich auch in ihrer Studienwahl der Altgriechischen Philologie und Musikwissenschaft wider – zwei Disziplinen, deren Kombination sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließt. Doch die Unterschiede der Fachgebiete reizen Wald-Fuhrmann ebenso wie deren Parallelen in der Verständigung und im Austausch: »Ich bin auf sehr vieles sehr neugierig.«
So ist es wenig verwunderlich, dass sie trotz der formalen Entscheidung, in der Musikwissenschaft zu dissertieren, einen Weg findet, ihre beiden Leidenschaften zu verknüpfen. Als Wald-Fuhrmann sich nach ihrem Studium an ihren ehemaligenMusikwissenschafts- Professor aus Marburg wendet, bietet dieser ihr nicht nur eine Promotionsstelle an. Er kommt ihr auch thematisch entgegen und baut mit einer Fragestellung zu Athanasius Kirchers »Musurgia universalis« eine goldene Brücke von der Altphilologie zur Musikwissenschaft – der Grundstein für Wald-Fuhrmanns interdisziplinäre Forschung, die 2015 mit der Marsilius-Medaille der Universität Heidelberg ausgezeichnet wird
Erlebnis Musik
Auch die aktuellen Projekte der Forscherin haben Berührungspunkte mit anderen Disziplinen. Im Zentrum steht zwar die Musik, Wald-Fuhrmann gelingt jedoch auch hier die Gratwanderung. So untersucht sie beispielsweise, wie sich das Erleben von Musik körperlich, seelisch, emotional und geistig auswirkt, und tangiert damit Medizin, Humanbiologie, Psychologie und Philosophie.
Dabei kommt ihr eigentlicher Forschungsbereich nicht zu kurz: Parallel arbeitet die Wissenschaftlerin an einem erweiterten Modell des Musikgeschmacks, das die bisherige Forschung um Aspekte wie Disferenzen – Musik, die man nicht mag – oder musikalische Schlüsselerlebnisse ergänzen soll. Dementsprechend ist Wald-Fuhrmanns Anspruch an ihre Arbeit und sich selbst hoch: »Als Forscherin habe ich die Freiheit, die ganz großen Fragen zu stellen, und habe gelernt, wie man sie beantwortet – oder der Beantwortung wenigstens näherkommen kann.«
Stand: 2018
- Name
- Gesche Joost
- Jahrgang
- 1974
- Förderzeitraum
- 1998-2002 (Studienförderung)
- 2002-2005 (Promotionsförderung)
- Beruf
- Designforscherin, Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin
- Aus dem Lebenslauf
- 2008 Berliner Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters von Berlin
Ihr Herz schlägt für die Verbindung von Design und Technologie: Gesche Joost, die schon Mitte der 1990er-Jahre Webseiten für eine große Parfümeriekette programmiert und heute mit dem Design Research Lab einen pulsierenden Thinktank zu Mensch-Maschine-Interaktionen leitet, gehört zu den ersten Designerinnen, die die Studienstiftung in ihr Förderprogramm aufgenommen hat. 1998 wurde sie als Studentin der Kölner International School of Design vorgeschlagen. »Das habe ich damals als hohe Auszeichnung empfunden«, sagt die Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin.
Joost absolviert mit der Studienstiftung Sprachkurse, fährt auf Sommerakademien und ins Ausland und sagt rückblickend, dass es dieses Geflecht an Menschen, Themen und Möglichkeiten war, das ihren Werdegang maßgeblich geprägt und Weichen gestellt hat. »Besonders die Sommerakademien und das Netzwerk der Studienstiftung haben mich motiviert, mich weiterzuentwickeln, meine Auslandsaufenthalte in Tokio, Kyoto, Wien und Chicago umzusetzen und letztlich eine akademische Karriere einzuschlagen.«
Spannendes Auswahlgespräch öffnet Horizonte
Richtungsweisend war für Joost insbesondere die »Offenheit und Zugänglichkeit« der Studienstiftung, die ihr beispielhaft in der Beratung ihres zuständigen Referenten bei der Studienstiftung begegnete. Er habe ihr Mut gemacht, auch ungewöhnliche Wege zu beschreiten, und motivierte sie, nach dem Fachhochschulabschluss zu promovieren: »Gemeinsam haben wir nach einer passenden Universität geschaut, und auch hier war es die Studienstiftung, die Türen öffnete«, erinnert sich die 44-Jährige. Ihr Vertrauensdozent in Tübingen, wohin Joost zum Wintersemester 2001 zum Rhetorikstudium wechselt, wird dann auch ihr Doktorvater.
2002 folgt die Aufnahme in die Promotionsförderung. An ihr Gespräch bei der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann hat Gesche Joost noch sehr lebendige Erinnerungen: »Ich war sehr aufgeregt, bei einer so exzellenten Wissenschaftlerin vorzusprechen – als Fachhochschülerin mit Design-Diplom. Ich brachte nicht nur mein Exposé, sondern meine Abschlussarbeiten aus dem Designstudiengang mit.
Sie ließ sich sofort auf meine vielleicht ungewöhnliche Herangehensweise der Visualisierung ein und öffnete mir in dem etwa einstündigen Gespräch Horizonte. Sie ermutigte mich gleichzeitig, meine eigene Herangehensweise weiterzuentwickeln, theoretisches und methodisches Neuland zu betreten und in jedem Falle meine Doktorarbeit zu schreiben. Das war eines der besten und wichtigsten Gespräche, die ich in meiner akademischen Laufbahn hatte.«
Für ihre Promotion an der Universität Tübingen erforscht Gesche Joost sozialistische Propagandafilme der 1920er-Jahre. Während ihrer Promotionsförderung nimmt Joost an Doktorandenforen der Studienstiftung teil, die sie als wichtigen Gegenpol zur manchmal »einsamen« Arbeit an ihrer Dissertation empfindet
Im Zentrum der Forschung: die Nutzer
Seit 2005 leitet Gesche Joost nun das Design ResearchLab an der Universität der Künste Berlin – »den bestenJob, den ich mir vorstellen kann«, wie es Joost formuliert. Ihr Team baut in internationalen Forschungsprojekten Brücken zwischen technologischen Innovationen und realen Bedürfnissen der Menschen. Im Zentrum der Forschung steht also der Nutzer – so entstand im Lab beispielsweise ein Handschuh mit Sensoren, der die Sprache Taubblinder in Mails übersetzt. Oder eine Strickjacke, mit deren Hilfe ältere Menschen mit einer Minibewegung Hilfe rufen können.
Es geht der gebürtigen Kielerin, die Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf 2013 als damaliger SPD-Spitzenkandidat in sein Kompetenzteam holte, um unterschiedliche Bedürfnisse: von Älteren und Teenagern, von Frauen und Männern, von Familien und Singles, von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten oder Behinderungen. Von 2014 bis 2018 hat Joost als Internetbotschafterin der Bundesregierung den digitalen Wandel auf europäischer Ebene vorangetrieben.
Bereits 2006 wird die Netzexpertin als einer der »100 Köpfe von morgen« im Rahmen der Initiative der Bundesregierung »Deutschland – Land der Ideen«ausgezeichnet, 2008 folgt der Nachwuchs-Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Seit 2008 ist sie zudem Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und Mitglied des Vorstands der Technologiestiftung Berlin. Seit Mitte Juni 2015 sitzt Joost als Nachfolgerin Hartmut Mehdorns im SAP-Aufsichtsrat.
Auswahlseminare als Bereicherung
Die Designforscherin ist also viel unterwegs – da bleibt zwar kaum noch Zeit, als Auswahlmitglied der Designförderung für die Studienstiftung aktiv zu werden. Dennoch: Die bisherigen Auswahlseminare habe sie als große Bereicherung erlebt: »Jedes Seminar war bislang ein Gewinn – intelligente, offene junge Menschen kennenzulernen, gute Gespräche zu führen, die intensive Auseinandersetzung mit den Bewerberinnen und Bewerbern im Rahmen der Jury – das alles hinterlässt Eindrücke und bereichert mich.« 2015 wird Joost zudem in den ehrenamtlichen Vorstand der Studienstiftung gewählt.
Den Geförderten könne sie nur nahelegen, die Programmangebote wie auch das Netzwerk der Studienstiftung zu nutzen und sich darüber hinaus selbst einzubringen, um die Studienstiftung, aber auch die Gesellschaft immer weiter voranzubringen. Denn: »Begabung ist ein Privileg und eine große Chance. Wir brauchen junge, offene Menschen, die sich gesellschaftlich engagieren, etwas verändern möchten, die quer denken und kritisch begleiten – und dazu möchte ich alle Stipendiaten ermuntern. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und bewegen Sie etwas!«
Stand: 2018
- Name
- Karl Holzamer
- Jahrgang
- 1906-2007
- Förderzeitraum
- 1926-1931
- Beruf
- Philosoph, Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Mainz (1946–1962), Gründungsintendant des ZDF (1962–1977)
- Aus dem Lebenslauf
- 1980 Adolf-Grimme-Preis, 1984 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband
Er prägte das Zweite Deutsche Fernsehen wie kein anderer: der Philosoph und Gründungsintendant des ZDF, Karl Holzamer. In seiner 15-jährigen Amtszeit setzt er auf eine Mischung aus Unterhaltung, Information und Bildung. Klassiker wie die Mainzelmännchen, Sendungen mit Peter Frankenfeld, Wim Thoelke und Hans Rosenthal, das »auslandsjournal« und »Das aktuelle Sportstudio« fallen ebenso in diese Zeit wie die Einführung des Vollprogramms, des Farbfernsehens sowie der »Aktion Sorgenkind«, in der erstmals Fernsehshow und Wohltätigkeitsveranstaltung verknüpft werden. Innerhalb weniger Jahre macht der Fernsehpionier das ZDF zur größten Fernsehanstalt Europas.
1906 in Frankfurt am Main geboren und 2007 in Mainz gestorben, hat Holzamer alle Etappen der wechselhaften deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts durchmessen: das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, die Teilung Deutschlands, die Gründung der Bundesrepublik und die Wiedervereinigung Deutschlands. Durch alle Zeiten trägt ihn sein Glaube, wie der bekennende Christ einmal in einem Zeitschriften-Interview festhielt.
„Die Welt steht offen!“
Im Spätherbst 1925 – dem Gründungsjahr der Studienstiftung – ermuntert ihn der Direktor seines Gymnasiums, sich für ein Stipendium zu bewerben. »Wie sich erst später herausstellte, war dies der Rettungsanker für mein Studium und für den gesamten Berufsweg«, schreibt Holzamer 1989 im Jahresbericht der Studienstiftung, »denn mein Vater, ohne dessen Einkommen ich als Ältester von vier Geschwistern nie hätte studieren können, starb in meinem zweiten Semester, im Januar 1927.« Ohne die Studienstiftung, so zeigt sich Holzamer rückblickend überzeugt, »wäre alles ganz anders gekommen«.
Mit der Losung »Die Welt steht offen!« und ohne festes Berufsziel nimmt Holzamer 1926 in München das Studium auf, das ihn nach Paris, Frankfurt und zuletzt Bonn führen wird und das er als umfassendes Studium generale begreift. So besucht Holzamer neben den Veranstaltungen der Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Romanistik und Germanistik manch »Unnötiges«, wie er in seinen 1983 veröffentlichten Lebenserinnerungen schreibt, und das ihm später doch so nützlich wird: Vorlesungen der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte etwa oder Seminare der Sprecherziehung und Zeitungswissenschaft.
Lebendige Gemeinschaft
In München, wo er anfängt, Philosophie zu studieren, ist der Kreis mit 150 Stipendiaten besonders groß. In den vielen Zusammenkünften lernt Holzamer zahlreiche Studienstiftler wie etwa Klaus Mehnert (siehe Porträt 49, Seite 125) kennen, die später die Gesellschaft mitprägen und mit denen er zeitlebens in Kontakt bleibt.
»Schon damals haben mit mir sehr viele Kommilitonen, die die gleiche Wohltat empfingen, etwas Entscheidendes erkannt und auch gewürdigt: Nicht die monatliche Zuweisung und die Befreiung von der Studiengebühr und den Hörgeldern war das A und O – so wichtig es auch war –, sondern die höchst lebendige Gemeinschaft untereinander und über die Fakultätsgrenzen hinweg«, erinnert er sich.
Mit Unterstützung der Studienstiftung geht er 1927 für ein Semester an die Sorbonne nach Paris – eine Zeit, die er als ergiebig und intensiv erlebt. 1929 promoviert er schließlich in München und legt zwei Jahre später die Staatsprüfung für das Lehramt an Volksschulen in Bonn ab.
Bildung bleibt sein Herzensthema. Bei der Programmgestaltung des ZDF wird er später auch der Überzeugung folgen, dass den Medien eine entscheidende Rolle in der Erziehung künftiger Generationen zukommt.
Kriegsberichterstatter und Philosophieprofessor
Nach dem Studium kommt Holzamer 1931 mit dem noch jungen Medium Radio in Kontakt: Er wird Assistent in der Pädagogischen Abteilung beim Westdeutschen Rundfunk, wo er bald die wöchentliche Schulfunk-Sendung leitet.
1933 verweigert Holzamer den Parteieintritt und wird prompt auf Themen aus der Landwirtschaft, aber auch auf die damals üblichen konfessionellen Morgenfeiern angesetzt, die der WDR als einziger Sender bis 1938 weitersendet.
Am 6. November 1939 wird der vierfache Familienvater zur Luftwaffe eingezogen und berichtet als Kriegsreporter über den Einsatz deutscher Flugzeuge vom Mittelmeerraum bis nach Moskau: »Nur mit meiner absolut christlichen Haltung konnte ich Front machen gegen die schrecklichen Erlebnisse im Krieg«, erzählt er Jahre später.
1945 gerät der Kriegsberichterstatter in französische Gefangenschaft, wo er ganz ohne Bücher für die Mitgefangenen Philosophievorlesungen hält. Und bereits ein Jahr später hilft Holzamer mit, die Mainzer Universität wieder aufzubauen und erhält eine Professur für Philosophie, Psychologie und Pädagogik. Parallel beteiligt er sich an der Gestaltung der neuen Radiolandschaft in der Bundesrepublik – unter anderem als Vorsitzender des Rundfunkrats des damaligen Südwestfunks.
Gründungsintendant des ZDF
Anfang 1962 wird Holzamer als Kompromisskandidat zum Intendanten der neuen Länderfernsehanstalt ZDF gewählt. Zuvor war Bundeskanzler Adenauer mit seinen Plänen gescheitert, einen regierungsnahen Fernsehsender als Gegenpol zur ARD zu gründen. Nur ein Jahr später geht das ZDF auf Sendung. Bis zu seinem 71. Lebensjahr leitet Karl Holzamer den Mainzer Sender, wo er bis zu seinem Tod, kurz nach seinem 100. Geburtstag, ein Büro besitzt.
Stand: 2018
- Name
- Regula Venske
- Jahrgang
- 1955
- Förderzeitraum
- 1982-1984
- Beruf
- Schriftstellerin, Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland
- Aus dem Lebenslauf
- 1996 Deutscher Krimipreis
Sie schreibt seit ihrer Kindheit: Bereits als Achtjährige bringt Regula Venske ihren ersten Krimi zu Papier – 38 Seiten Abenteuer in bester Enid-Blyton-»Fünf-Freunde«-Manier. »Ich habe damals nur den Fehler gemacht, meiner sieben Jahre älteren Schwester den Text zu zeigen«, erinnert sich die Generalsekretärin des deutschen PEN-Zentrums in einem Radio-Interview. Die mäkelte an den fantasievollen Ausführungen ihrer kleinen Schwester herum. »Sie hat mich ganz schön entmutigt, aber das Schreiben blieb fortan in meinem Hinterkopf«, erzählt Regula Venske. Und tatsächlich sollte es noch Jahre dauern, bis sie sich wieder an einen Krimi herantraute.
Der lange Weg zur Schriftstellerei
»Überhaupt war es ein sehr langer und mühseliger Prozess, mir zu erlauben, Schriftstellerin zu werden«, sagt die promovierte Philologin. Irgendwie sei Schriftstellerin ja kein klassisches Berufsbild, deshalb entscheidet sie sich 1974, erst einmal etwas »Ordentliches« zu studieren: Nach dem Abitur im westfälischen Münster beginnt sie, Rechtswissenschaften in Heidelberg zu studieren, entdeckt dort aber, dass ihre Liebe eher der Lektüre Shakespeares als dem Bürgerlichen Gesetzbuch gilt.
1976 folgt der Umzug nach Hamburg, um dort Germanistik und Anglistik zu studieren. Bis heute lebt die bekennende Hamburg-Liebhaberin in der Elbmetropole. Von 1982 bis 1986 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrbeauftragte und Lektorin an der Universität Hamburg, der FU Berlin und dem renommierten Queen Mary College an der University of London.
Promotionsförderung: Innere Freiheit und materielle Sicherheit
Nach ihrem ersten Staatsexamen nimmt die Studienstiftung Regula Venske 1982 in die Promotionsförderung auf: »Die Studienstiftung gab mir die ökonomische und ideelle Freiheit zu promovieren, ohne mich um Kompromisse scheren zu müssen. Genauso wichtig wie die materielle Freiheit war die innere Freiheit, die von der Studienstiftung gestärkt wurde, inklusive der Ermutigung zum Themenwechsel, als sich im Arbeitsverlauf neue Fragestellungen und Herausforderungen ergaben.«
Entsprechend definiert Venske Luxus auch als Zeit, sich hemmungslos einem Thema zu widmen, ohne ökonomische und gesellschaftliche Zwänge: »Ein solcher Luxus war die Studienstiftungszeit«, resümiert sie. 1987 promoviert die Wissenschaftlerin mit einer Arbeit zu »Mannsbilder – Männerbilder. Konstruktion und Kritik des Männlichen in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur von Frauen«.
Daraus entsteht die Idee für ihr zweites Buch: »Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks«. Doch das Glück will sich bei der Verlagssuche nicht einstellen. Und hätte ein Lektor das Manuskript nicht mit den Worten abgelehnt, »ihm fehle darin die Traurigkeit«, hätte Regula Venske vermutlich nie einen Krimi geschrieben. Mit der Trilogie »Schief gewickelt«, »Kommt ein Mann die Treppe rauf« und »Rent a Russian« begründet sie das »Windel-Krimi«-Genre.
Gefeierte (Krimi-)Autorin
Den Anstoß hierzu gibt eine Urlaubsreise nach Norwegen. Damals ist Regula Venske mit ihrer Familie in der norwegischen Weite unterwegs und sucht vergebens einen Mülleimer, um die Windel ihres Sohnes zu entsorgen. Stattdessen stehen verstreut einsame Postkästen in der Landschaft, die die junge Mutter animieren, darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn nun jemand dieses Windelpaket verschicken – und wie der Empfänger reagieren würde. So nimmt der erste »Windel-Krimi« »Schief gewickelt« an Fahrt auf, den Regula Venske noch ein bisschen aus Trotz schreibt: »Wenn Ihr mir das Glück nicht abkaufen wollt, bekommt Ihr eben eine Leiche.« Das Buch wird ein Erfolg, und die Autorin leckt im wahrsten Sinne des Wortes Blut – für die Leser ein Riesenglück.
Nach und nach schreibt sie sich in den Olymp der deutschen Krimiautorinnen. Doch es bleibt nicht allein bei Mord, Totschlag und der Glücksforschung: In den folgenden Jahren erscheinen Kinderbücher und Romane, sie arbeitet als Journalistin, Literaturwissenschaftlerin und Kritikerin, begleitet bekannte Autoren wie Mary Higgins Clark, Karin Slaughter oder Faye Kellerman auf Lesereisen und moderiert internationale Veranstaltungen. Bei dieser Bandbreite lässt sich die vielseitige Regula Venske in keine Schublade einordnen – was den einen oder anderen Literaturkritiker bisweilen zur Verzweiflung treibt.
An ihre Zeit als Stipendiatin erinnert sich die Literaturwissenschaftlerin gern zurück: »Es waren viele spannende Begegnungen mit Menschen verschiedener Fachrichtungen, die eines einte: Lust und Hartnäckigkeit, das Eigene zu verfolgen, und Neugier, über den eigenen Tellerrand zu gucken.« Für sie sei das eine wichtige Erfahrung gewesen, zumal sie sich in der Schule und auch noch später im Studium intellektuell oft unterfordert gefühlt habe: »Ein Studienfreund brachte mich einmal fast zum Weinen, als er meinte, dass es auf der ganzen Welt höchstens fünf Leute geben würde, die meinen theoretischen Gedankengang, den ich kurz vorher erläutert hatte, verstehen würden. In der Studienstiftung waren es doch deutlich mehr.«
Dass sie sich heute auch im Krimigenre tummele, empfindet die Autorin manchmal als leicht ironisch: »Als wollte ich dem Studienfreund immer noch beweisen, dass ich mit meinen Gedanken mehr als fünf Menschen erreichen kann.« Dass ihr das seit Jahrzehnten gelingt, spiegelt sich auch in den Auszeichnungen wider: Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie unter anderem mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis, dem Deutschen Krimi Preis und dem Lessing-Stipendium des Hamburger Senats ausgezeichnet, ihr Kurzgeschichtenband »Herzschlag auf Maiglöckchensauce« war 2002 für den Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden nominiert. Seit 1998 ist Regula Venske zudem Mitglied des deutschen PEN-Zentrums, wird 2013 dessen Generalsekretärin und 2017 zur Präsidentin gewählt.
Stand: 2018
- Name
- Gustav Seibt
- Jahrgang
- 1959
- Förderzeitraum
- 1980-1988
- Beruf
- Historiker, Literaturkritiker, Schriftsteller, Journalist,
- Aus dem Lebenslauf
- 1995 Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 2012 Literaturpreis der Friedrich-Schiedel-Stiftung, 2013 Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik
Schon mit etwa 13 Jahren weiß Gustav Seibt, dass er Geschichte studieren will. Und mit 15, nach der Lektüre von Arno Borsts »Lebensformen im Mittelalter«, steht für ihn fest, dass er bei eben jenem wirkungsmächtigen europäischen Historiker des 20. Jahrhunderts in Konstanz studieren will. Borst wird später auch Seibts Doktorvater. Und noch eine weitere richtungweisende Entscheidung fällt Seibt in Jugendjahren, nämlich die, eine längere Zeit in Rom zu leben.
»Für meine persönliche Entwicklung – die Ausrichtung meiner Interessen, den Gegenstand meiner Dissertation – spielte die Studienstiftung also erst einmal keine Rolle. Es wäre immer auf mittelalterliche Geschichte, auf den Lehrer Arno Borst, auf eine Zeit in Rom, auf Bücher über diese Stadt hinausgelaufen. Die Studienstiftung hat alles dafür getan, mir den Weg so glatt wie möglich zu machen«, sagt der Historiker.
Von Rom nach Bielefeld
Ein zügiger, rasanter Weg: In sechs Jahren studiert der gebürtige Münchner an vier Universitäten in Konstanz, München, Bielefeld und Rom und zieht neunmal um. »Mir war klar, dass ich nur in diesen Jahren die Freiheit haben würde, über meine Zeit zu verfügen und meine Lehrer selbst zu bestimmen«, schreibt Seibt 1987 im Jahresbericht der Studienstiftung.
Das Jahr in Rom bleibt für ihn eine der prägenden Erfahrungen in seiner Zeit als Stipendiat: »Dort hatte ich idyllisch, sehr geregelt, fast einsam gelebt und mich nahezu ausschließlich mit römischer, mittelalterlicher und italienischer Literatur beschäftigt. Daneben war ich viel gereist und hatte mir die historischen Bezirke der Stadt fast von Haus zu Haus erarbeitet.«
Für Seibt stiftet die Studienstiftung vor allem eines: Geselligkeit. So erinnert sich der Historiker: »An einem eisklaren sonnigen Januartag im Jahre 1983 machten etwa 25 römische Studienstiftler, davon über 20 im schwarzen Habit angehender katholischer Geistlicher, unter der Leitung ihres Vertrauensdozenten Professor Josef Becker von der Päpstlichen Universität, für uns damals einfach ›Pater Becker‹, einen Ausflug nach Caprarola, zum Farnese-Schloss im Norden von Latium. Eine strahlende, heitere Erinnerung! Wo immer ich mit der Studienstiftung in Berührung kam, war es die Geselligkeit, der ich am meisten verdankte. Dem erst 2015 verstorbenen Kardinal Becker bewahre ich tiefe Dankbarkeit für die liebevolle sorgende Aufmerksamkeit, die er auch mir, dem versprengten evangelischen Neu-Römer, zuwandte.«
Aus der italienischen Metropole zieht es Seibt anschließend in die deutsche Provinz nach Bielefeld. Grund ist ein Kolloquium bei einem der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, Reinhart Koselleck.
»Die beiden wichtigsten Begegnungen, neben vielen anderen, für die ich bis heute dankbar bin, bleiben die mit meinem Bielefelder KommilitonenAndreas Kuhlmann, dem von schwerer Geburtskrankheit gezeichnetenund doch so lebensmutigen Philosophen und Schriftsteller, der den Tod wählte, als der Schmerz zu groß wurde; und die mit Frank Schirrmacher, den ich 1982 bei einer Sommerakademie in Völs kennenlernte«, sagt Seibt.
Andreas Kuhlmann macht ihn mit dem Werk Helmuth Plessners vertraut und schenkt ihm den ersten Band mit Schriften des Philosophen und Soziologen. Später wird Kuhlmann einer seiner ersten Mitarbeiter in der Geisteswissenschaften-Beilage der »Frankfurter Allgemeine Zeitung«. Frank Schirrmacher, von 1994 bis zu seinem Tod im Jahre 2014 Mitherausgeber der FAZ, wiederum war es, der Seibt überredete, das Metier zu wechseln und zur Zeitung zu gehen. »Ohne ihn wäre mein Werdegang – seltsames Wort – völlig anders verlaufen; wie, das wage ich mir gar nicht vorzustellen.«
Schirrmacher stellt Weichen
»Karriere machen um jeden Preis« war nicht der Antrieb des mehrfach ausgezeichneten Autors: »Ich habe ohne bestimmtes Berufsziel studiert. Eine akademische Laufbahn schien mir wegen der defätistischen, ja depressiven Stimmung an deutschen Universitäten und wegen des sich dort ausbreitenden internen Opportunismus immer weniger verlockend.« Eine Zeitlang war sein sehnlichster Wunsch, nach Rom zurückzukehren.
1987, kurz vor dem Examen, taucht die Möglichkeit auf, als Redakteur für Geisteswissenschaften bei der FAZ anzufangen. Seibt sagt zu. Im Jahresbericht der Studienstiftung erinnert er sich: »Es war ein Risiko – ebenso für die Zeitung wie für mich – als völlig Unerfahrener, auch speziell gar nicht Ausgebildeter in einer Position zu beginnen, wo Versagen sehr schnell sichtbar, ja ›öffentlich‹ wird. Aber dafür kann ich auch jetzt im Beruf dem entgehen, was ich im Studium mied wie die Pest: der Langeweile.«
Bis 1996 bleibt er Feuilletonredakteur bei der FAZ, zuletzt als Leiter des Literaturblatts. 1997 wechselt er als Autor zur »Berliner Zeitung«, im Jahr 2000 folgt »Die Zeit«. Seit 2001 schreibt er für die »Süddeutsche Zeitung«.
Maximum der Angebote genutzt
Bis heute hält Seibt Kontakt zu anderen Ehemaligen der Studienstiftung: Mit der Direktorin des Frankfurter Goethe-Hauses, Anne Bohnenkamp-Renken, die er auf der Sommerakademie 1980 im italienischen La Villa kennenlernte, wirkt er seit 2013 bei gemeinsamen Veranstaltungen zusammen.
»Seit ich in Berlin lebe, hat sich auch der Kontakt zu Frank Heibert, meinem Vormieter in der römischen Wohnung, erneuert. Er ist zu einem der besten deutschen Übersetzer geworden, dessen Brillanz bei öffentlichen Auftritten ich ebenso bewundere wie seine sprachschöpferische Begabung«, sagt Seibt.
Seine Zeit als »Stifti« war prall gefüllt: »Ein Rom-Jahr, ein Monat in Paris, zwei Sommerakademien in den Bergen Südtirols, Zugang zum Kolloquium Reinhart Kosellecks – ich glaube, ich habe ein Maximum der Angebote der Studienstiftung genutzt. Das Gute dabei war: Es geschah vollkommen freiwillig, ohne auch nur moralischen Druck«, resümiert der 59-Jährige.
Stand: 2018
- Name
- Felix Oldenburg
- Jahrgang
- 1976
- Förderzeitraum
- 1996-2000
- Beruf
- Sozialunternehmer, Verbandsmanager, Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Stiftungen
»Jeder Einzelne kann gesellschaftliche Probleme lösen und zum Wandel der Gesellschaft beitragen«, sagt Felix Oldenburg. »Everyone a Changemaker« lautet seine Vision und die von Ashoka – jenem Non-Profit-Unternehmen, in dem der 42-Jährige als Europa- und Deutschlandchef bis 2016 für die Förderung von Social Entrepreneurs verantwortlich war. »Ashoka vereint in gleichen Teilen Unternehmertum, Philanthropie und Politik – das ist genau mein Ding«, bringt es Oldenburg auf den Punkt.
Sieben Jahre lang ist der studierte Philosoph und Politikmanager in der Organisation, die in über 80 Ländern aktiv ist und über 3.000 sogenannte Ashoka Fellows vernetzt und betreut: »Diese Menschen sind das Herz von Ashoka, um unsere Gesellschaft zum Positiven zu verändern und auf ihrem Weg viele Menschen zu inspirieren, selbst aktiv zu werden.« Ashoka Fellows ermöglichen beispielsweise Langzeitarbeitslosen Existenzgründungen, stärken die Sozialkompetenzen von Kindern, wirken dem Höfesterben entgegen oder setzen sich für mehr Transparenz in der Politik ein.
Im Unternehmen ist Oldenburg etwa für die Gründung der unabhängigen Finanzierungsagentur (FASE) sowie für Programme in Österreich, der Türkei und den Niederlanden verantwortlich und hat Regierungen bei Strategien für Social Entrepreneurship unterstützt. Als Netzwerker aus überzeugung bringt er sich als Beirat, Mentor, Publizist und Redner bei internationalen Konferenzen ein, ist unter anderem Mitglied der Baden-Badener Unternehmergespräche und der BMW Responsible Leaders sowie Träger des Deutschen PR-Preises 2007.
Er gehört zweifelsohne zu den Pionieren eines sozialen Unternehmertums, in dem Gewinne nicht rein monetär berechnet werden: »Social Entrepreneurship in Europa steckt noch immer in den Kinderschuhen. Der Sektor weist zwar eine erhebliche Wachstumsdynamik auf, die Gesellschaft verschenkt aber noch viel Potenzial, Lösungen zu verwirklichen, die das Leben von Millionen von Menschen positiv beeinflussen könnten.«
Brückenbauer zwischen Unternehmern und Social Entrepreneurs
In seiner Arbeit reißt er immer wieder Mauern zwischen Wirtschaft und Sozialsektor ein, um die besten Unternehmer-Talente für die Ideen mit der größten gesellschaftlichen Wirkung zu gewinnen. Er ist davon überzeugt, dass in etwa zehn Jahren die Menschen darum konkurrieren, bei sozialen Projekten dabei sein zu dürfen. »Jeder möchte doch eigentlich ein ›Changemaker‹ sein und die Welt verändern«, so Oldenburg. Für Unternehmen und Arbeitgeber werde das bedeuten, dass sie verstärkt sozial wirksame Jobs anbieten müssen, um die besten Talente für sich zu gewinnen. »Wir bauen jetzt schon die Brücken zwischen gestandenen Unternehmern und Social Entrepreneurs, die mit unternehmerischen Mitteln Probleme lösen wollen. Wir bringen beide Seiten zusammen: Die Boehringers, Werhahns, Boschs und Haniels auf der einen Seite, Gründer wie Till Behnke von Betterplace, Murat Vural vom Chancenwerk oder Katja Urbatsch von Arbeiterkind auf der anderen Seite«, erklärt Oldenburg.
Dieses Talent, Brücken zu bauen, innovative Ideen zu identifizieren und dann zu finanzieren, ist es wohl auch, was Oldenburg an die Spitze des Bundesverbands deutscher Stiftungen führt. Seit April 2016 steht er dem Verband als Generalsekretär vor. Befragt nach den Erfahrungen, die er aus dem Sozialunternehmertum in die Stiftungslandschaft einbringen könne, sagt Oldenburg im Interview mit der »StiftungsWelt«: »Die meisten fangen mit nichts an. Und die erfolgreichsten sind oft nicht diejenigen, die am meisten Geld auftreiben – sondern diejenigen, die Ressourcen finden, für die sie nicht bezahlen müssen. Ich hoffe, davon kann ich etwas in meine neue Rolle mitnehmen. Und von dem Mut, der erforderlich ist, um Ideen zu formulieren, deren Zeit erst noch kommt. Die Herausforderung liegt ja darin, dass man das vorher nicht weiß. Ich glaube, wir erleben gerade eine Zeit, in der es inmitten der Unsicherheit plötzlich viel Raum gibt für mutige Lösungen, für Kooperationen über alte Grenzen hinweg. Das Möglichkeitsfenster ist weit offen für Stiftungen.«
Vor seiner Zeit im gemeinnützigen Sektor ist Oldenburg zur Sozialunternehmer-Szene als Unternehmer und Berater an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aktiv, unter anderem als Mitglied der Geschäftsleitung einer europäischen Politikberatung sowie als Managementberater bei McKinsey in London.
»Ich konnte mich nie für einen Sektor entscheiden, und mein Lebensweg entspricht wahrscheinlich nicht dem, was bei der Berufsorientierung geraten wird: Als Teenager habe ich eine politische Jugendgruppegestartet und als Philosophiestudent und Computer-Geek ein Online-Start-up sowie das Netzwerk ›Daidalos‹ der Studienstiftung mitgegründet«, erzählt er.
Intranet der Studienstiftung mitgegründet
Über das Daidalosnet vernetzen sich bis heute die Stipendiaten der Studienstiftung. Das Intranet bietet alle wesentlichen Informationen zur Förderung und dem Bildungsprogramm: »Es ist vermutlich mittlerweile eines der ältesten sozialen Netzwerke der Welt«, sagt Oldenburg, der in Tübingen, Bonn und Oxford Philosophie und in Georgetown (USA) Politikwissenschaften studiert hat.
»Die Arbeit am Daidalosnet startete 1998 mit drei Mitstipendiaten. Es war eine rundherum tolle Erfahrung in Sachen Engagement, Fundraising, Teamwork, Projekt-, aber auch Konfliktmanagement.« Aus dieser Erfahrung heraus gründet der junge Mann ein kleines Unternehmen, und »das wiederum war für McKinsey interessant, als sie im Dotcom-Boom nach Talenten suchten«, sagt Oldenburg. So landet der Philosoph in London bei einer der größten Unternehmensberatungen der Welt. Dass die Studienstiftung ihn aufgenommen hat, hat Oldenburg vor allem eines gegeben: »Selbstvertrauen. Zumal es bei mir mit der Förderung erst aus dem Studium heraus geklappt hat. Mein Schuldirektor wollte mich nicht vorschlagen«, erinnert sich der Jahrgangsbeste. Sein Philosophieprofessor hingegen erkennt das Potenzial seines Zöglings.
Noch heute engagiert sich Oldenburg in der Studienstiftung – beispielsweise als Dozent einer Sommerakademie oder als Jurymitglied für den Engagementpreis, den das Begabtenförderwerk jährlich unter den Stipendiaten für besondere gesellschaftliche Initiativen und Projekte auslobt.
Für Oldenburg steht schon lange außer Frage: Gemeinnützigkeit und Karriere dürfen einander nicht ausschließen: »Im alten Denkmuster war der Sozialsektor ein staatlich und durch Almosen finanzierter Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Aber das ändert sich zum Glück. Die heutige Absolventen-Generation sieht Engagement und Job zusammen. Das greift auch die Studienstiftung immer stärker auf, indem Engagement nicht nur in der Auswahl berücksichtigt, sondern der Weg zum Social Entrepreneur mit neuen Veranstaltungen und Förderprogrammen aktiv unterstützt wird.«
Stand: 2018
- Name
- Bernhard Grzimek
- Lebensdaten
- 1909-1987
- Förderzeitraum
- 1928-?
- Beruf
- Tierarzt, Verhaltensforscher, Naturschützer, Tierfilmer
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 1960 den Oscar für seinen Dokumentarfilm „Serengeti darf nicht sterben“
»Guten Abend, meine lieben Freunde« – mit diesen Worten eröffnet Bernhard Grzimek über Jahrzehnte hinweg seine Sendung »Ein Platz für Tiere« im Hessischen Rundfunk. Immer dabei: Ein Studiogast aus dem Frankfurter Zoo – mal kuschelt ein Schimpanse mit dem Zoodirektor, mal kriecht eine Schlange durchs Kamerabild. Mit etwa 170 Folgen von 1956 bis 1987 und Einschaltquoten von über 70 Prozent gehört die Tiersendung damals zu den erfolgreichsten Dokumentarserien der Welt.
Tiere waren Bernhard Grzimeks Leben, seine große Liebe gilt Afrika. Ihm gelingt es, den Tierschutz in die Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit zu rücken – und dabei gleichfalls zu einer Berühmtheit zu werden, wie der Nachruf in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« aus dem Jahr 1987 zeigt: »Es ist schlichtweg unvorstellbar, daß irgendjemand in Deutschland den Frankfurter Professor nicht kannte. Fernsehstars kommen und gehen, doch Bernhard Grzimek war als Fixstern immer dabei.«
Der Zoologe beeinflusst wie kein anderer die Tierschutzbewegung der Nachkriegsjahre. Sein 1959 veröffentlichter Dokumentarfilm »Serengeti darf nicht sterben« erhält als bisher einziger langer Tier-Dokumentarfilm einen Oscar, macht die Serengeti in Tansania weltweit bekannt und ist Wegbereiter für den Ökotourismus in Ostafrika.
Spitzname: Igel
Als jüngstes von sechs Kindern im oberschlesischen Neiße geboren, schleppt der kleine Bernhard Tiere aus Wald und Wiese nach Hause und in den Klassenraum: Seine Mitschüler verpassen ihm den Spitznamen »Igel« – was sich deutlich leichter aussprechen lässt als »Grzimek«. Tatsächlich bleibt der stachelige Vierbeiner zeitlebens sein Wappentier: Grzimek trägt das Igel-Bild sogar bei seinen Fernsehsendungen auf seiner Krawatte. Für sein Engagement – er kämpfte beispielsweise gegen die Pelzindustrie und wetterte gegen Gourmet-Sünden wie Schildkrötensuppe und Froschschenkel – sind bisweilen Stacheln gefragt: »Und die habe ich«, gab er freimütig in Interviews zu.
Nach dem Realgymnasium in Neiße beginnt er in Leipzig Zoologie und Veterinärmedizin zu studieren. Bei der Finanzierung hilft Bernhards Oberstudiendirektor Ludwig Karst, der ihn für ein Stipendium der Studienstiftung vorschlägt – so erzählt es Claudia Sewig in der Biografie »Bernhard Grzimek – Der Mann, der die Tiere liebte«. Grzimek wird zum Aufnahmegespräch eingeladen und 1928 aufgenommen, als Veterinär ein »Exot« unter seinen Mitstipendiaten. In Berlin promoviert er schließlich zum Doktor der Tiermedizin.
Während der NS-Zeit arbeitet er zunächst im Reichsernährungsministerium und später als Veterinäroffizier. 1945 flieht der Zoologe mit seiner Familie aus Angst vor der Roten Armee von Berlin nach Frankfurt. Der Zoo in der Mainmetropole ist nahezu vollständig zerstört. Grzimek baut den Tierpark nicht nur wieder auf, sondern erweitert und modernisiert ihn.
Als Zoodirektor setzt sich Grzimek von 1945 bis 1974 für eine möglichst artgerechte Haltung der Tiere ein, der Frankfurter Zoo wird unter seiner Leitung international zum Synonym für moderne Tierhaltung. Grzimek führt unter anderem ausführliche Tierbeschreibungen, Fütterungsverbot und die Idee des Kinderzoos ein, er entwickelt Freiflug-Vogelhallen und errichtet gitterlose Freigehege für Bären und Löwen.
Aufbruch nach Afrika
Anfang der 1950er-Jahre reist er nach Afrika, um Tiere für den Zoo zu fangen und um ihre Lebensweise kennenzulernen. Die Ortserkundung soll ihm helfen, die Haltungsbedingungen im Zoo zu verbessern. Er ist entsetzt über die Notlage der Wildtiere. Es beginnt ein Engagement, das sein Leben von da an prägt.
Aus seinen Eindrücken entsteht 1956 das Buch »Kein Platz für wilde Tiere« und der gleichnamige Film, für den Grzimek 1956 mit dem Goldenen Bären bei den Filmfestspielen in Berlin ausgezeichnet wird. Die unerwartet hohen Einnahmen aus dem Film investiert er auf Vorschlag von Peter Molloy, dem Direktor der Organisation »Tanzania National Parks«, in eine großflächige Bestandsaufnahme der wandernden Tiere der Serengeti.
So kommt es, dass Grzimek im Alter von 48 Jahren zusammen mit seinem Sohn Michael fliegen lernt. Sie kaufen ein einmotoriges Flugzeug, bemalen es mit Zebrastreifen und fliegen nach Afrika, um die großen Tierzählungen zu beginnen. Dort muss Grzimek den Schicksalsschlag seines Lebens hinnehmen: Sein Sohn Michael stürzt 1959 im Alter von nur 24 Jahren mit seiner Maschine ab. Der Film »Serengeti darf nicht sterben« wird davon ungeachtet zum Welterfolg. Das gleichnamige Buch wird in 23 Sprachen übersetzt.
Gesellschaftspolitisches Gewicht erlangt Grzimek als Beauftragter der deutschen Bundesregierung für den Naturschutz (1970–73), als Mitgründer des Bunds für Umwelt und Naturschutz in Deutschland. als Präsident der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt sowie als Begründer der Nationalpark-Idee in Deutschland. Bernhard Grzimek stirbt 1987 während einer Tigerdressur im Zirkus an Herzversagen. Er wird im tansanischen Ngorongoro-Krater neben dem Grab seines Sohnes Michael beigesetzt.
Stand: 2018
- Name
- Klaus Mehnert
- Lebensdaten:
- 1906-1984
- Förderzeitraum
- 1925-1930
- Beruf
- Journalist, Autor, Publizist
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 1976 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern
18 Bücher allein in deutscher Sprache mit einer Gesamtauflage von rund zweieinhalb Millionen Exemplaren, unzählige Rundfunk und Fernsehkommentare, in denen er über Jahrzehnte ein Millionenpublikum erreicht, und öffentliche Vorträge, die Hunderte bis Tausende von Besuchern anziehen: Klaus Mehnert gehört zu den wenigen Autoren deutscher Sprache, denen es gelungen ist, aktuelle politische Themen bestsellerreif aufzubereiten. Was ihn in all den Jahren antreibt, beschreibt er in seinen Lebenserinnerungen »Ein Deutscher in der Welt, Erinnerungen 1906–1981«: »Ich wollte die Welt nicht verändern, sondern den Mitmenschen helfen, sie zu verstehen, sich in ihr zurechtzufinden; nicht für die Nachwelt wollte ich schreiben, sondern für meine Zeitgenossen.«
Ihn bewege »eine unbezähmbare Neugier, die politischen Entwicklungen an Ort und Stelle zu erkennen und in ihren Zusammenhängen zu verstehen«. Fast ebenso stark sei sein Bedürfnis gewesen, »das Beobachtete zu verarbeiten und weiterzugeben in Aufsätzen, Kommentaren und Vorträgen, in Büchern und Universitätsvorlesungen, stets in möglichst verständlichen Worten«.
Kind zweier Kulturen
Mehnert betrachtet die Welt als ein Kind zweier Kulturen: Geboren 1906 in Moskau, wächst er in einer russlanddeutschen Familie auf. Deutsch ist Mehnerts Muttersprache, zugleich aber spricht er akzentfrei russisch – wovon er Jahre später während seiner vielen Russland-Aufenthalte sehr profitiert.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges endet Mehnerts Kindheit 1914 abrupt: Sein Vater reist nach Deutschland, steht an der Front in Belgien und fällt 1917. Die Mutter und die drei Söhne verlassen das feindlich gewordene Russland und ziehen nach Stuttgart. Dort lebt eine Schwester der Mutter, die Stadt wird zur neuen Heimat der Familie.
1925 besteht Klaus Mehnert als Jahrgangsbester sein Abitur, beginnt Geschichte in Tübingen und München zu studieren – und wird als einer der ersten Stipendiaten in die neu errichtete Studienstiftung aufgenommen. Zu seinen Mitstipendiaten in München zählt auch der spätere ZDF-Gründungsintendant Karl Holzamer.
Mehnert zieht es jedoch bereits nach einem Semester nach Berlin, wo der Student sich vor allem auf die russisch-osteuropäische Geschichte konzentriert. Schon hier fällt Mehnerts journalistisches Talent auf, das er nutzt, um die noch junge Institution der Studienstiftung nach außen bekannter zu machen und in einen größeren bildungspolitischen Zusammenhang zu stellen: In einem Beitrag für die Zeitschrift »Studentenwerk« schreibt er über die Aktivitäten der Berliner Gruppe: »Im Gespräch mit verschiedenen Führern aus den verschiedenen Zweigen des öffentlichen Lebens sollte der engere Rahmen der Studienstiftung, ja auch der Hochschule gesprengt und Anschluß an allgemeine Fragen gesucht und gefunden werden.«
„Unbezähmbare Neugier“ treibt ihn in die Welt
1928 promoviert Mehnert bei dem Ost- europaexperten Otto Hoetzsch, der lebenslang sein Vorbild bleibt. Seine »unbezähmbare Neugier« treibt Mehnert immerzu in die Ferne: 16 Weltreisen und zahllose weitere Auslandsaufenthalte vermittelten ihm eine umfassendes Weltverständnis. Auf das Studium in Deutschland folgte 1928 / 29 ein Studienjahr an der University of California in Berkeley.
Es ist der Beginn einer wachsenden lebenslangen Verbundenheit mit Amerika – dort lernt er auch seine Frau Enid kennen. 1934 kehrt Mehnert zunächst zurück nach Moskau und arbeitet als Korrespondent für verschiedene deutsche Zeitungen in Russland. Da sein Name zeitweise von der Liste der Reichspressekammer gestrichen wird, wandert er mit seiner Frau in die USA aus. In den kommenden Jahren folgen unterschiedlichste Gastprofessuren und Vortragsreisen, die ihn etwa nach Berkeley, Hawaii, Boston, Harvard oder Stanford führen.
Die Aufenthalte vertiefen Mehnerts Kenntnis über die USA und machen Amerika – neben China und Russland – zum dritten Eckpunkt in dem »Großen Dreieck«, in das er die Weltpolitik wie auch sich und seinen Lebensweg gestellt sieht. In China lehrt er von 1941 bis 1945 Geschichte und Politikwissenschaft an der deutschen Medizinischen Akademie und der St. John’s University in Schanghai. Nach der Einnahme Schanghais wird er 1945 in China interniert und 1946 schließlich nach Deutschland zurückgebracht.
Aufruf zur Neugründung der Studienstiftung
1948 gehört Mehnert zu den Unterzeichnern eines Aufrufs zur Wiedergründung der Studienstiftung, in dem die Bedeutung des Begabtenförderwerkes für den eigenen Lebensweg, aber auch die Gesellschaft betont wird. So ermögliche die Studienstiftung »frei von Furcht und Not [zu studieren], jedoch mit der Verpflichtung zur Höchstleistung als Dank an das Volk, das wie der Name sagt, in seiner Gesamtheit sowohl Träger wie Nutznießer dieser großzügigen Einrichtung« ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt Mehnert wieder das Reisen auf – in den Nahen Osten, nach Afrika und Südostasien. Mitten in einer Weltreise 1959 und der Arbeit an seinem Buch »Peking und Moskau« unterbreitet ihm die RWTH Aachen ein Angebot, ein Institut für politische Wissenschaft aufzubauen. Nach einigem Zögern sagt Mehnert zu. Die Hochschule hatte einer ungewöhnlichen Regelung zugestimmt: Mehnert durfte sich jedes vierte Semester freinehmen und reisen.
Für jene Zeiten stellt der Professor auf eigene Kosten einen Ersatzmann zur Verfügung, möglichst Experte für ein Thema, das Mehnert selbst vernachlässigt hatte, so dass nicht nur er, sondern auch, wie er findet, die Studierenden daraus Nutzen ziehen können. Als Experte für Ost- und Asienpolitik berät Mehnert in jenen Jahren außerdem die Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Helmut Schmidt.
Worin die nachklingende Bedeutung von Klaus Mehnerts publizistischem Wirken liegt, umreißt der Verleger und Schriftsteller Wolfgang Altendorf im Jahr 1981 in einem Zeitungsartikel zu Mehnerts 75. Geburtstag: »Dass die Bücher weltweit zu Bestsellern wurden, ist weniger wichtig, als dass sie die Weltpolitik konsolidieren halfen «.
Stand: 2018
- Name
- Wolfgang Ketterle
- Jahrgang
- 1957
- Förderzeitraum
- 1976-1982
- Beruf
- Physiker, Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Direktor des MIT-Harvard Zentrums für Ultrakalte Atome Cambridge/USA
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 2001 den Nobelpreis für Physik
Wenn jemand mit 43 Jahren den Nobelpreis für Physik erhält, lässt sich wohl zu Recht von einer wissenschaftlichen Traumkarriere sprechen: Wolfgang t gehört zu den jüngeren Nobelpreisträgern der Geschichte. 2001 wird ihm die Auszeichnung zusammen mit den US-Amerikanern Eric Cornell und Carl Wieman für seine Arbeiten zur sogenannten Bose-Einstein-Kondensation verliehen. Unter extremen Tieftemperaturen ist dieses in der Natur nicht vorkommende Kondensat der Beweis für Einsteins Theorien der Quantenmechanik
Ketterle ist überzeugt, dass »die Quantenmechanik genauso wichtig für die Allgemeinbildung ist wie GoethesSchriften oder Beethovens Sinfonien«. Nur sehr wenige Forscher rund um den Globus kennen sich mit tiefsten Temperaturen so gut aus wie er. Ketterle möchte herausfinden, was bei diesen superniedrigen Temperaturen passiert. Er sucht nach Eigenschaften von Materie, die man zuvor noch nicht beobachtet hat.
Anziehende Physik: die Schönheit der Quantenmechanik
Schon als Kind interessiert sich der gebürtige Heidelberger für Mathematik und Physik – eine Leidenschaft, die sich selbst in der Kleiderwahl ausdrückt: Auf dem Foto seines Bewerbungsbogens für ein Stipendium der Studienstiftung blickt der damals 19-Jährige ernst aus einem mit Zahlen durchwobenen Pullunder. Ketterle entscheidet sich 1976 für ein Physikstudium in seiner Heimatstadt, wechselt aber nach dem Vordiplom an die TU München: »Dieser erste Wechsel in ein neues Umfeld und der Auszug aus dem Elternhaus waren eine prägende Erfahrung.«
Der Entschluss zum Hochschulwechsel reift auf der Sommerakademie in Völs 1977, wo Ketterle auch erstmals mit dem Gebiet der Quantenmechanik in Berührung kommt. Noch ist der junge Forscher unsicher, auf was er sich spezialisieren soll, und befindet sich in einem ständigen Zwiespalt zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung – das zeigen auch seine Studienberichte an die Studien- stiftung. Ganzaußer Frage steht für ihn dabei immer die Forschungsarbeit selbst – und ihre Vermittlung.
»Die Aufnahme in die Studienstiftung und die drei Sommerakademien haben mir maßgeblich geholfen, Mut zu haben und zuversichtlich zu sein. Es hat mir auch mehr Selbstbewusstsein gegeben, meinen Weg zu gehen. Begegnungen in der Studienstiftung haben mich bestärkt, mir hohe Ziele zu setzen«, erzählt der Physiker.
Probezeit: Angewandte Forschung oder Grundlagenwissenschaft?
Ketterle promoviert 1986 am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München. In den folgenden drei Jahren forscht er erfolgreich in der Molekülspektroskopie – doch trotz des Erfolges fehlt ihm die Perspektive: »Hätte ich damals mehr Mut gehabt, das Labor zu wechseln, hätte ich diese Sackgasse vermeiden können.« Schließlich erfüllt er sich einen lang gehegten Wunsch und wechselt in die angewandte Forschung: »Ich erlebte in der Verbrennungsforschung die Befriedigung einer zielorientierten Forschung. Man muss niemanden überzeugen, dass und was es wert ist, an einem sauberen Dieselmotor zu arbeiten.«
Ketterle begreift in jener Zeit, wie sehr sich Grundlagenforschung und angewandte Forschung befruchten, zugleich vermisst er aber zunehmend abstrakte Fragen und die Suche nach dem nicht allein nutzungsorientierten Wissen: »Mir wurde immer klarer, wohin ich gehörte – in die reine Grundlagenforschung.« Nach einem Jahr in der Verbrennungsforschung steht er 1990 am Scheideweg: Grundlagenforschung ja, aber welche? »Ich habe mir das Gebiet ausgesucht, wo die meiste Musik drin war, irgendwas mit Lasern und Atomen. So kam ich auf die Tieftemperaturphysik.«
Karriere am MIT und Nobelpreis
Im selben Jahr zieht der 32-Jährige mit seiner Familie nach Cambridge und arbeitet am weltweit renommierten MIT als Gastforscher. »Meine wissenschaftliche Wanderlust führte mich dorthin«, sagt Ketterle. Und es sei wichtig für die eigene Persönlichkeitsentwicklung, internationale Luft zu schnuppern und eine andere Wissenskultur kennenzulernen. In kürzester Zeit schafft es Ketterle vom Assistant Professor zum Inhaber eines der begehrten Stiftungslehrstühle. »Der Wechsel in die USA war damals ein Schritt ohne Sicherheitsnetz, denn ich tauschte eine längerfristige Stelle gegen eine Zweijahres-Stelle mit unsicherer Perspektive«, sagt er. Bereut hat er diesen Schritt nie: »Eine Kombination von Glück, exzellenten Mitarbeitern, uneigennützigen Mentoren, dem richtigen Riecher und eigenen Fähigkeiten hat es mir erlaubt, bei wichtigen Entwicklungen ganz vorne dran zu sein.«
Aus dem einstigen Zickzackkurs ist längst eine geradlinige Karriere geworden: »Der Wechsel der Universität nach dem Vordiplom, der Wechsel des Arbeitsgebietes und der Wechsel ins Ausland waren alle wesentlich für mich. Die Ermunterung, durch solche Wechsel zu gehen, kam auch immer wieder durch die Studienstiftung.« Der Studienstiftung fühlt Ketterle sich bis heute verbunden: Wenn sein Zeitplan es zulässt, trifft sich der fünffache Familienvater mit Geförderten des Begabtenförderwerkes am MIT.
Stand: 2018
- Name
- Angelika Nußberger
- Jahrgang
- 1963
- Förderzeitraum
- 1983-1987
- Beruf
- Juristin, Direktorin des Instituts für osteuropäisches Recht und Rechtsvergleichung an der Universität Köln, Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Eigentlich wollte Angelika Nußberger Gymnasiallehrerin werden und Sprachen unterrichten. Dass die Münchnerin stattdessen einmal als Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte arbeiten würde, hätte die überzeugte Europäerin zu Beginn ihrer Studienzeit 1982 nicht für möglich gehalten. »Ich finde noch immer, dass der Lehrerberuf etwas Faszinierendes hat. Aber ich spürte bereits während des Slawistikstudiums, dass ich die Schule nicht zu meinem Leben machen wollte«, erinnert sich die 56-Jährige. Ein zweimonatiger Aufenthalt in Moskau im Jahr 1985 bringt den Stein endgültig ins Rollen: »Ich verstand, wie wichtig es ist, Sprachen zu lernen, um Menschen erreichen zu können, dass es allerdings nicht genügt, wenn man nicht auch ein Sachgebiet hat, über das man diskutieren kann.«
Berufliche Weichenstellung: Doppelstudium Jura und Slawistik
Deshalb entschließt sich die junge Frau, zusätzlich ein Fach zu studieren, das helfen würde, im grenzüberschreitenden Bereich Entscheidungen zu treffen. Sie liebäugelt kurzfristig mit einem Wirtschaftsstudium, entscheidet sich aber doch für Rechtswissenschaften: Jura und Slawistik stehen ab dem Wintersemester 1984 gemeinsam auf dem Lehrplan.
Der betreuende Referent der Studienstiftung warnt vor der Doppelbelastung und kann ihren Entschluss nicht sofort befürworten. »Damit war ich gezwungen, gute Begründungen zu finden. Dies hat meine Selbstprüfung, ob es der richtige Weg sein würde, vertieft«, erklärt Nußberger. Sie lässt sich nicht beirren, überzeugt ihr Umfeld und schließt am Ende beide Fächer hervorragend ab.
»Die Studienstiftung hat mich während meines gesamten Erststudiums begleitet«, sagt die Professorin für internationales Recht, die an der Universität Köln das Institut für osteuropäisches Recht und Rechtsvergleichung leitet. »Zur Studienstiftung zu gehören«, sei für sie in vielfältiger Weise von Bedeutung gewesen: »Zum einen war ich von Anfang an in einen interdisziplinären Freundeskreis eingebunden, in dem immer lebhaft über das, was es zu lernen und zu erforschen galt, diskutiert wurde. Zum anderen hatte ich immer jemanden, der mir mit Rat und Tat, zugleich auch kritisch, zur Seite stand, insbesondere, wenn es darum ging, im Studium Weichen zu stellen.«
Gefragte Osteuropaexpertin
Als Angelika Nußberger 1989 ihre beiden Studien beendet, hat sich auch die Sowjetunion grundlegend verändert und geöffnet. Als Volljuristin mit Kenntnissen der russischen Sprache und der slawischen Kulturen ist Nußberger prädestiniert, beim Brückenbau von West nach Ost und von Ost nach West mitzuwirken.
Ihr fachliches Know-how baut sie unter anderem bei einer Sommerakademie der Studienstiftung in St. Johann aus: »Ich habe an einem Seminar zum Thema ›Russische Geschichte‹ teilgenommen. Nie zuvor hatte ich mich so intensiv auf ein Seminar vorbereitet, nie so viele Bücher zur Vorbereitung gelesen. Dies war bei meiner Auseinandersetzung mit Sprache und Kultur in Russland ein wesentlicher Grundstock, ein solides Wissen, an das ich in vielerlei Hinsicht anknüpfen konnte«, sagt Angelika Nußberger.
In Würzburg wird sie 1993 mit einer Arbeit über das sowjetische Verfassungsrecht in der übergangszeit promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt 1994 / 95 als »Visiting Researcher« in Harvard und einer Referententätigkeit am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht habilitiert sie sich 2002 in München mit einer Arbeit über Sozialstandards im Völkerrecht. Noch im selben Jahr erhält sie den Ruf an die Universität Köln. »Besser hätte ich es nicht treffen können«, bilanziert Nußberger, die Mitglied in verschiedenen internationalen Organisationen und Beratungsgremien ist, die sich insbesondere der Entfaltung des Sozialrechts und der Menschenrechte in Europa und im Völkerrecht widmen.
Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Als sie 2010 für das Richteramt am Europäischen Gerichtshof vorgeschlagen wird, kann sie nicht widerstehen – obwohl sie da frisch zur Prorektorin an der Universität Köln gewählt worden war. Seitdem pendelt sie zwischen Straßburg und Köln und ist eine von aktuell 14 Richterinnen an dem 47-köpfigen Gericht. Im Februar 2017 wird Nußberger als erste Deutsche Vizepräsidentin des Gerichtshofs für Menschenrechte.
Als die wohl wichtigsten Eignungen, die das Richteramt voraussetze, benennt Nußberger eine grundsätzliche Neugier sowie die Fähigkeit zuzuhören. Neugier, um sich auf die unterschiedlichsten Fälle, Rechtsverständnisse und -systeme, die in Straßburg aufeinandertreffen, einzulassen. Und ein gutes Ohr, um alle Argumente zu hören und abzuwägen.
Trotz der großen beruflichen Herausforderungen gelingt der zweifachen Mutter die Balance: »Familie haben, gehört zum Menschsein«, hat sie einmal in einem Zeitungsinterview gesagt. Ihre Familie ist für sie Ausgleich und Rückzugsraum zugleich.
Stand: 2018
- Name
- Arkadi Jampolski
- Jahrgang
- 1992
- Förderzeitraum
- 2012-2014
- Beruf
- Mitbegründer und Geschäftsführer von „Wunderflats“
»Schon mit 17 jonglierte Arkadi Jampolski mit Millionenbeträgen…« – so oder ähnlich könnten die Anfänge des Unternehmers beschrieben werden, sollte sich in 50 Jahren ein Biograf ans Werk setzen. Bei allem »könnte, würde, sollte« – Fakt ist, dass der heute 26-Jährige bereits zu Schulzeiten in Unternehmensplanspielen seine Leidenschaft für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge entdeckte, die er inzwischen in preisgekrönte Start-ups einbringt.
2014 gewinnt Jampolski mit seinen zwei Geschäftspartnern den mit 100.000 Euro dotierten Businessplan-Wettbewerb des Hasso-Plattner-Instituts. Die Idee des Teams: die schwierige Wohnungssuche von Studierenden, die für ein oder zwei Semester ins Ausland gehen, zu erleichtern und zuverlässiger zu gestalten. Herausgekommen ist dabei die Internetseite »Wunderflats«. Interessenten können aktuell unter anderem in Lissabon, Sevilla, Berlin, aber auch in Oestrich-Winkel, nach Kurzzeitunterkünften suchen oder diese anbieten
Aufbau des Startup-Netzwerks
Sein betriebswirtschaftliches Handwerkszeug erlernt Arkadi Jampolski im European Business Programme der Fachhochschule Münster, wo er 2011 sein Studium aufnimmtund sich im zweiten Semester selbst für ein Stipendium der Studienstiftung bewirbt. Neues zu wagen und sich vor allem zuzutrauen, scheint hinter den Unternehmungen Jampolskis zu stehen, so auch hinter der Selbstbewerbung: Der Eignungstest bereitet ihm nicht so sehr Kopfzerbrechen als vielmehr Spaß, beim Auswahlwochenende reißen ihn die Gruppendiskussionen »vom Hocker«.
Auch nach der erfolgreichen Aufnahme sind es vor allem die Begegnungen mit anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten, die ihn beeindrucken. »über das Studienstiftungsnetzwerk habe ich einen neuen Freundeskreis aus Gründern, Unternehmern und Investoren aufgebaut, der mich stark prägt und der mir geholfen hat, in der Start-up-Szene Fuß zu fassen«, sagt Arkadi Jampolski. In dem Start-up-Netzwerk SUN, in dem sich Geförderte und Alumni aller 13 Begabtenförderwerke vernetzen, findet Jampolski Anregung und Unterstützung für seine eigenen Geschäftspläne und besucht Stammtische und andere Veranstaltungen.
Erfolgsfaktor: Teamplay
»Teamplay« ist für Jampolski überhaupt einer der Schlüsselbegriffe für Erfolg. Das Aushandeln von Kompromissen, die Akzeptanz der Positionen und Bedürfnisse anderer, ist bei Jampolski dabei biografisch verankert. 2001 zieht er mit seinen Eltern, der Großmutter und einem Onkel aus Saransk in Russland nach Deutschland, wo sich ihm »nie erträumte Chancen sowie die wertvolle Erfahrung, sich in einer fremden Kultur zu bewegen und zu integrieren«, eröffnen.
In seiner neuen Heimat engagiert sich Jampolski fortan für auch kontroverse »Meinungsfindungsprozesse«: erst in der Schülervertretung, dann in der Jungen Union, in Hochschulgruppen und der Benefizkonzertreihe »Radau gegen HIV«.
2013 setzt er sich bei dem internationalen Stipendienwettbewerb »Join the best« gegen 1.600 Mitbewerbende durch und erhält einen Praktikumsplatz bei der Axel Springer AG, wo er im Bereich internationale Geschäftsübernahmen und -fusionen mitarbeitet. Nach seinem Bachelor-Doppelabschluss an der Hull University 2014 konzentriert sich Jampolski nun auf den weiteren Aufbau seines Start-up-Unternehmens, für dessen Team er neue Mitarbeitende sucht, die »bis in die Haarspitzen« motiviert sind. So wie er eben.
Stand: 2018
- Name
- Friederike Pannewick
- Jahrgang
- 1966
- Förderzeitraum
- 1989-1991
- Beruf
- Arabistin, Professorin für Arabistik an der Universität Marburg
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 2012 den ersten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis für das Fach Arabistik
Friederike Pannewick ist es gewohnt, zwischen den Zeilen zu lesen: Als Professorin für Arabistik interessiert sie sich insbesondere für subversive Literaturen, für die künstlerischen Ausdrucksformen von Protest, Widerstand oder auch Revolution im Nahen Osten. Dabei steht nicht allein der klassische literarische Text oder das klassische Theater im Fokus, sondern auch solche Darstellungsweisen, die losgelöst von einem institutionellen Kunstbetrieb funktionieren, wie Straßentheater, Handy-Fotos oder Graffiti zum Beispiel.
Im Fokus: die Verbindung von Kultur und Gesellschaft
Den Wandel der Arabistik von einer klassischen Philologie zu einer fächerübergreifenden Disziplin, die sich mit Ideen- und Kulturgeschichte beschäftigt, hat Pannewick dabei mitgestaltet. An dem interdisziplinären Centrum für Nah- und Mittelost-Studien in Marburg vertritt sie seit 2007 ihr Verständnis einer »engagierten Wissenschaft«, einem »Forschen mit anstelle von Forschen über«, wie Pannewick es beschreibt. Im regen Austausch mit Wissenschaftlern aus dem Nahen und Mittleren Osten will sie so auch die engen Verflechtungen der europäischen Geistesgeschichte mit der arabischen Welt deutlich machen.
»Als Nahostwissenschaftlerin sehe ich es als meine Aufgabe an, hier zu vermitteln und darauf hinzuwirken, dass in meiner eigenen Gesellschaft ein unverstellter, unvoreingenommener und wissbegieriger Blick auf den Nahen Osten möglich wird«, sagt Friederike Pannewick in einem Interview 2012, kurz nachdem ihr der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis zugesprochen wird – der erste für die Arabistik überhaupt.
Die Auszeichnung gilt insbesondere Friederike Pannewicks Leistung, frühzeitig kulturell-gesellschaftliche Entwicklungs- und Bruchlinien zu identifizieren und mit ihren Arbeiten, etwa zur Tradition des Märtyrertods in der Literatur, Phänomene wie den Arabischen Frühling verständlich zu machen.
Pannewicks Thema ist das Zusammenspiel von Ästhetik und Gesellschaft, sind die Filme, Bücher und Theaterwerke, die als »Seismograf einer Gesellschaft« im Alltag unaussprechliche Realitäten, Ängste, Hoffnungen und Wünsche abbilden und gleichzeitig die Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflussen.
Der Weg in die Wissenschaft
Vor über 30 Jahren beginnt Friederike Pannewicks wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der arabischen Kultur. 1985 nimmt sie in Bamberg ihr Studium der Orientalistik, Arabistik und Turkologie auf, das sie weiter nach Paris, Damaskus und Berlin führt, wo sie anschließend mit einem Stipendium der Studienstiftung promoviert. »Für mich war die kluge Ausgewogenheit von kompetitiver Auswahl und Gewährenlassen der individuellen Eigenheiten der Stipendiaten einmalig «, sagt Pannewick heute über ihre Zeit als Stipendiatin.
Nach ihrer Promotion arbeitet Pannewick zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin weiter an der FU Berlin, bevor sie 2001 die Leitung des Projekts »Cultural Mobility in nahöstlichen Literaturen « am Wissenschaftskolleg zu Berlin übernimmt. Vermittelt durch die Studienstiftung erhält sie von 2003 bis 2005 ein Postdoc-Stipendium der Meyer-Struckmann-Stiftung. Bis zu ihrer Berufung nach Marburg arbeitet sie an der Universität Oslo als Associate Professor.
Ihre Vermittlerrolle bezieht sich für Pannewick auch auf die Lehre: Gleich dreimal lehnt sie reine Forschungs-Fellowships ab und trägt ihre Begeisterung für ihr Fach als »Wissensbotschafterin « von Hessen, bei Summer Schools oder auch einer Sommerakademie der Studienstiftung über ihre Fachgrenze hinaus. »Leidenschaftliches Interesse« und »Begeisterung« sind für Pannewick dann auch ausschlaggebend bei der »Entscheidung für ein Studienfach oder einen Beruf – allen Karrierestrategien zum Trotz. Wo wirklich gefühltes und gelebtes Engagement mit individueller Begabung kombiniert wird, wird der Erfolg nicht fernbleiben.«
Stand: 2018
- Name
- Hans Thimme
- Lebensdaten
- 1909-2006
- Förderzeitraum
- 1927-1932
- Beruf
- Theologe, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld (1969-1977)
- Aus dem Lebenslauf
- Hat das Evangelischen Studienwerks Villigst mit aufgebaut
Hans Thimme will Medizin studieren. Abgeschreckt von den erwartbaren Kosten und der Länge des Studiums geht er jedoch zunächst für ein Orientierungssemester an die Universität München, das er, wie er in seinen 1990 für die Studienstiftung verfassten Erinnerungen schreibt, mehr in den Bergen als in den Hörsälen verbringt und an dessen Ende er sich für ein Studium der evangelischen Theologie in Berlin entscheidet.
Zu Beginn des zweiten Semesters wird er in die Studienstiftung aufgenommen, damals noch als »Vorsemester«. Nach drei Semestern wechselt Thimme zum Studium nach Marburg und wird zeitgleich vom Leiter der Studienstiftung, Wolfgang Paeckelmann, aufgefordert, sich zu einem Gespräch für die »endgültige Aufnahme« in Kassel zu melden, wo Paeckelmann als Schulleiter arbeitet.
Die endgültige Aufnahme
In Erwartung eines intensiven Prüfungsgesprächs fährt Thimme angespannt nach Kassel und wird »geradezu kollegial« empfangen. Völlig unvorbereitet trifft ihn auch die Frage, was er denn machen würde, wenn es mit der endgültigen Aufnahme in die Studienstiftung nicht klappen sollte. Er werde den Weg schon finden, antwortet Thimme; eine Antwort, die ihm nachträglich »unbedacht und allzu spontan« erscheint. Paeckelmann beendet das Gespräch nach fünf Minuten – und empfiehlt Thimme zur Weiterförderung.
Offensichtlich war Paeckelmann »die innere Einstellung und die Entschlossenheit zum Durchhalten wichtiger als alles angelernte Wissen und alle abfragbare Prüfungsleistung«, schreibt Hans Thimme später und bezeichnet diese Begegnung als prägend für seine eigene Arbeit in der evangelischen Begabtenförderung.
1931 wechselt Thimme noch einmal den Studienort und geht nach Münster, wo er ein Jahr darauf sein erstes theologisches Examen ablegt.
Bekennende Kirche und Aufbau nach dem Krieg
Im Anschluss an sein Studium verbringt Thimme ein Jahr am Theologischen Seminar in Princeton und sieht sich nach seiner Rückkehr »sehr intensiv in die Auseinandersetzungen [...] mit dem Nationalsozialismus einbezogen«. Das Barmer Bekenntnis, mit der sich eine Versammlung evangelischer Christen 1934 von den Deutschen Christen und der kirchlichen Übernahme des Führerprinzips abgrenzte, bildet für Thimme das Fundament seiner »ganzen theologischen und kirchlichen Existenz im leitenden Dienst«. Während der Zeit des Kirchenkampfs arbeitet Thimme als Pfarrer in Spenge und Leiter der Bruderschaft junger Theologen, die der Bekennenden Kirche angehört.
Nach dem Krieg engagiert sich Hans Thimme als Leiter des Predigerseminars und Mitglied der westfälischen Kirchenleitung in Patenschaftsaktionen für bedürftige Theologiestudenten, Flüchtlinge und Vertriebene. Insbesondere setzt er sich für die von Westfalen ausgehende, bald schon die ganze evangelische Kirche in Deutschland umfassende Begabtenförderung ein.
In das neugegründete Evangelische Studienwerk Villigst bringt Thimme seine früheren Erfahrungen als Studienstiftler mit ein, von denen die für ihn wichtigste, dass »alles darauf ausgerichtet [wurde], der Freiheit persönlicher Entscheidung allen Raum zu geben, zugleich aber zu etwa erwünschter Beratung und Begleitung bereitzustehen.«
Ab 1966 übernimmt Thimme den Vorsitz im Villigster Vorstand, von 1968 bis zu seinem Ruhestand 1977 ist er zudem Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen und auch nach seiner Pensionierung bleibt er in zahlreichen Gremien der evangelischen Kirche aktiv.
Stand: 2018
- Name
- Claudia Schlossberger
- Jahrgang
- 1955
- Förderzeitraum
- 1976-1978
- Beruf
- Managerin, Senior Vice President Global Human Resources, Carlsberg Group, Kopenhagen/Dänemark
Wie wird aus einer literaturbegeisterten Slawistin ein Vorstandsmitglied des viertgrößten Brauereikonzerns der Welt? Zufall? Fügung? Unerschrockener Wille? Claudia Schlossbergers Antwort und gleichzeitig Rat für die Lebensplanung lautet schlicht: »Raus aus der Komfortzone! Wenn man sich selbst und was man leisten kann, ausloten will, geschieht das selten auf den geraden Wegen.«
Etwas geschwungener, aber doch konsequent ist dann auch ihr eigener Lebenslauf: Geboren im nordrhein-westfälischen Breyell beginnt sie 1973 an der Universität Köln mit dem Studium der Germanistik und Slawistik – ein »Neigungsstudium«, wie sie sagt, das sie mit Ferienjobs finanziert. Nach der Zwischenprüfung geht sie nach München, nimmt zusätzlich ein BWL-Studium auf und beginnt eine Ausbildung zur Russisch-Übersetzerin.
1976 wird sie für ein Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen – »das Beste, was mir passieren konnte«, wie Schlossberger resümiert. »Ich verdanke der Studienstiftung in jungen Jahren die Öffnung des Blicks darauf, dass Erkenntnis mehr und vielfältiger ist als die begriffliche ›Aneignung‹ eines fachlichen Gegenstands und dass es dazugehört, sich disziplinübergreifend auseinanderzusetzen.«
Von der Slawistik in die Wirtschaft
Nach ihrem Magister verbringt Schlossberger ein Jahr an der Universität in St. Petersburg, lernt weiter Russisch und wird 1982 mit einer Arbeit zum russischen Symbolismus promoviert. Eine akademische Laufbahn kommt für sie zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr infrage. »Schon während der Semesterferien jobbte ich auf Verkaufsmessen für einen Automobilkonzern in Russland – und entdeckte die Wirtschaft.«
Bei der Daimler-Benz AG nimmt ihre Karriere dann auch ihren Anfang: Von 1982 bis 1986 ist sie mit dabei, die Vertriebsstrukturen in ganz Russland neu aufzustellen. Anschließend arbeitet Schlossberger für einige Zeit in Indien.
In ihren Auslandsjahren entdeckt sie ihr Interesse für das Handlungsfeld Personal, das sie bei Daimler-Benz in verschiedensten Funktionen gestaltet. 1997 wechselt Schlossberger dann in die Handelsbranche. Für die neu gegründete Metro Group baut sie den Bereich Human Resources auf, den sie als Personalchefin ab 2010 direkt verantwortet. Sie bleibt bis 2012.
Diversität als Unternehmenskultur
Seit 2012 ist Claudia Schlossberger nun in Kopenhagen »sesshaft«. Beim Brauereikonzern Carlsberg Group sitzt sie im Vorstand und trägt als Personalchefin die Verantwortung für 41 .000 Menschen weltweit. Ihre Einsatzorte liegen mal in Vietnam oder Kasachstan, ihre tägliche Arbeit ist geprägt vom Umgang mit Menschen aus verschiedensten Kulturen, Werteordnungen und Ländern.
Eine Herausforderung, bei der ihr auch die Erlebnisse als Stipendiatin helfen: »In der Studienstiftung habe ich gelernt, meinen eigenen Standpunkt nicht nur zu vertreten, sondern auch infrage zu stellen. Und ich akzeptiere heute, dass mein Gegenüber einen eigenen – meistens anderen – hat. Das hilft in großen Organisationen, in denen viel Wissen und Kompetenz angesammelt sind, aber nicht unbedingt gemeinschaftlich geteilte Ansichten und ein gemeinsam geteiltes Handlungsverständnis existieren«, fasst Schlossberger zusammen.
Ihr Verständnis für Abzweige im Lebenslauf sowie ihre Leidenschaft, Neues zu entdecken, bringt Claudia Schlossberger jahrelang in die Auswahlarbeit der Studienstiftung mit ein. Bis heute sucht sie den Kontakt zu anderen Ehemaligen und besucht ein- bis zweimal im Jahr Alumni-Veranstaltungen.
Stand: 2018
- Name
- Frei Otto
- Lebensdaten
- 1925-2015
- Förderzeitraum
- 1950-1953
- Beruf
- Architekt, Architekturtheoretiker, Leiter des Instituts für Leichte Flächentragwerke an der Universtät Stuttgart (1964-1991)
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt 2015 den Pritzker-Preis
- Von 1945 bis 1947 in Kriegsgefangenschaft in Chartres, Frankreich, wo er als Lagerarchitekt seine ersten Gebäude entwarf
»Ein Gebäude ist umso besser, je weniger daran Gebautes ist!« Wer die artistisch geschwungenen, feingliedrigen Konstruktionen Frei Ottos betrachtet – den deutschen Pavillon auf der Expo 1967 in Montreal, den Tanzbrunnen in Köln, vor allem aber das Zeltdach des Münchner Olympiastadions – der kann sie lesen, diese »ganz leichte architektonische Sprache«, die der Architekt bereits 1953 in einem Aufsatz in der Zeitschrift »Bauwelt« anschlug. Mit nur einer Handvoll Bauten schrieb Frei Otto Architekturgeschichte und prägte mit seinem Ansatz, selbstverständliche, die Natur quasi unsichtbar fortsetzende »Hüllen« zu schaffen, die biomorphe Bauweise.
Zwei Schlüsselerlebnisse waren es, die der 1925 in Siegmar, Sachsen, Geborene als prägend für sein Architekturverständnis beschrieb: der Anblick der zertrümmerten, brennenden Städte im zweiten Weltkrieg, die der junge Pilot aus der Luft sah und eine Studienreise durch die USA Anfang der 1950er Jahre. So ließ die Erfahrung, dass selbst die dicksten Mauern in Sekundenbruchteilen zerstört und in Trümmern liegen können, für Otto die Sinnhaftigkeit möglichst langlebiger und steinerner Bauten wanken, an deren Stelle er eine offenere, leichtere Architektur setzte. Sein Architekturstudium beginnt Frei Otto bereits 1943 in Berlin. Nach seinem Kriegseinsatz als Flugzeugführer und Gefangenschaft kann er erst 1948 das Studium wieder aufnehmen. 1949 wird Frei Otto für ein Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen und von März 1950 bis Oktober 1953 gefördert.
In die Zeit seiner Förderung fällt auch seine Reise durch die USA 1950/1951, auf der sich seine Ideen der spinnenartigen, hauchdünn erscheinenden Zeltkonstruktionen verfestigen. Frei Otto wird diese Reise später als den »Kick« seines Lebens bezeichnen. In den USA trifft er auf die großen Vertreter der organischen Bauweise, wie Frank Lloyd Wright, Richard Neutra und Eero Saarinen. Sein minutiöser Reiseplan verzeichnet weiter Begegnungen mit Mies van der Rohe, Charles Eames und Erich Mendelssohn. In der Korrespondenz mit der Studienstiftung aber auch späteren Berichten liest man etwas von der augenreibenden Verwunderung das ausgerechnet er, der junge Architekturstudent kurz nach dem Vordiplom, als erster Berliner Architekt und Städtebauer da »drüben aufkreuzen durfte«.
Nach Berlin zurückgekehrt, beginnt für Frei Otto ein Wettlauf: In kleineren Aufsätzen und auch Gesprächen mit Kollegen hat der angehende Architekt seine Idee der netzartig angelegten »hängenden Dächer« skizziert. In der Schweiz und Frankreich werden seine Ideen prompt aufgegriffen. Aus der Geschäftsstelle der Studienstiftung ermutigt man Frei Otto, seine Doktorarbeit »Das hängende Dach« zügig voranzutreiben, damit ihm Andere nicht »den Rahm abschöpfen«. 1954 legt er die Dissertation vor, die seinen Ruf begründet.
Nach dem Studienabschluss arbeitet Otto bis zu seinem Tod als freischaffender Architekt und Forscher an verschiedenen Hochschulen, unter anderem als Gründungsdirektor und langjähriger Leiter des 1964 an der Universität Stuttgart eröffneten Instituts für leichte Flächentragwerke. Für seine Konstruktionen wurde Frei Otto vielfach ausgezeichnet, die höchste Ehrung in der Architektur, der Pritzker-Preis für sein Lebenswerk wurde ihm 2015 kurz vor seinem Tod zugesprochen.
Stand: 2018
- Name
- Hans Magnus Enzensberger
- Jahrgang
- 1929
- Förderzeitraum
- 1951-1954
- Beruf
- Lyriker, Essayist, Herausgeber, Übersetzer
- Aus dem Lebenslauf
- Erhielt als 29-Jähriger den Georg-Büchner-Preis
Als Hans Magnus Enzensberger 1951 in die Studienstiftung aufgenommen wird, hat er bereits vier Semester Germanistik und Philosophie in Erlangen und Hamburg studiert. Die wirtschaftliche Lage seiner Eltern ist bei vier Söhnen, von denen zwei studieren, angespannt. Enzensbergers eigene Nebenverdienste aus der Veröffentlichung von Zeitungsartikeln reichen »bei aller Einschränkung« nicht aus, um das weitere Studium abzusichern. Der Vorschlag für ein Stipendium der Studienstiftung kommt also gerade recht. Die finanzielle Freiheit des Stipendiums nutzt Enzensberger für ein Studium abseits des allein prüfungsrelevanten oder berufsvorbereitenden Wissenserwerbs.
»Meine Auffassung vom Studium ist immer recht unorthodox gewesen: Ich habe es nämlich als das einzige gute mögliche Alibi aufgefasst, das es einem jungen Mann ermöglicht, sich jahrelang mit intellektuellen Dingen zu beschäftigen, die ihn jenseits aller Fächer- und Prüfungsordnungen, auch jenseits aller Karrieren, beschäftigen. Ein Studium dieser Art, das einzige, das mir sinnvoll erschien, wäre mir ohne die Hilfe der Studienstiftung nicht möglich gewesen.«
Teil dieses Bildungsverständnisses sind die zahlreichen »Wanderungen durch die Länder Europas«, mit denen Enzensberger zu Studienzeiten beginnt und die sein späteres literarisches Schaffen so sehr prägen: Er reist nach Griechenland und Jugoslawien, besucht Frankreich und Italien und »spaziert durch Lappland«.
Neben dem Studium ist Enzensberger zudem als Schauspieler und Regieassistent an der Erlanger Studiobühne aktiv, in die Nachtstunden fällt »eine sparsame eigene literarische Produktion, die die Klinge blank halten soll«, wie Enzensberger in seinem Bericht über das Wintersemester 1951 / 52 schreibt.
Zum Sommersemester 1952 wechselt Enzensberger an die Uni nach Freiburg. Hier knüpft er – noch als Student – erste Kontakte zum Süddeutschen Rundfunk, bei dem er zunächst freiberuflich mitarbeitet, volontiert und dann bis 1957 für Alfred Andersch im Programm »Radio-Essay« arbeitet. Im selben Jahr veröffentlicht Enzensberger seinen ersten Gedichtband »Verteidigung der Wölfe« – Auftakt seiner bis heute anhaltenden literarischen Produktivität, die sich außer im umfänglichen lyrischen Werk vor allem in der essayistischen Gegenwartsanalyse, der Übersetzung und Aufführung von Bühnenstücken sowie seiner langjährigen Herausgebertätigkeit der Zeitschrift »Kursbuch« sowie später »TransAtlantik« niederschlägt.
Die Förderung der Studienstiftung endet für Hans Magnus Enzensberger bereits 1954. Zum Abschluss seines grundständigen Promotionsstudiums fehlt ihm da noch ein Jahr. Enzensberger verzichtet jedoch darauf, eine Verlängerung zu beantragen, da er seinen Unterhalt inzwischen aus eigenen Einkünften bestreiten kann und um »einem neuen Studienstiftler Platz« zu machen.
Für seine Bewerbung bei der Studienstiftung im Juni 1951 verfasste der damals 22-jährige Hans Magnus Enzensberger einen Lebenslauf, der noch heute Bestandteil seiner Stipendiatenakte ist und den wir mit freundlicher Genehmigung des Autors hier in Auszügen publizieren.
Stand: 2018
- Name
- Ulrike Meinhof
- Lebensdaten
- 1934-1976
- Förderzeitraum
- 1955-1960
- Beruf
- Journalistin, Publizistin
- Aus dem Lebenslauf
- Gründungsmitglied der RAF
Als Ulrike Meinhof 1966 das letzte Mal ausführlicher mit der Studienstiftung in Kontakt tritt, schreibt sie, sie werde in der Stipendiatenkartei wohl als »schwarzes Schaf« geführt. Sie vermutet dies deshalb, weil sie ohne Studienabschluss blieb und insofern die in sie gesetzten Hoffnungen auf akademische Leistungsfähigkeit enttäuscht zu haben glaubt. Im selben Atemzug betont sie aber selbstbewusst, dass ihre erfolgreiche Karriere als Publizistin die Förderung voll gerechtfertigt erscheinen lasse.
Die Vollwaise, die nach dem Tod der Mutter unter der Vormundschaft der friedensbewegten Pädagogik- und Geschichtsprofessorin Renate Riemeck aufwächst, wird Mitte der 1950er-Jahre von ihrer Schule für ein Stipendium der Studienstiftung vorgeschlagen. Alle Gutachter im Aufnahmeverfahren sind beeindruckt von ihrer Klugheit und menschlichen Reife.
Ihr Studium der Pädagogik und Psychologie, für einige Zeit auch der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte, führt sie zunächst nach Marburg, später nach Wuppertal, Münster und Hamburg. Die »endgültige Aufnahme« in die Stiftung nach dreieinhalb Semestern gestaltet sich als Formsache, wenngleich eine Fachgutachterin Meinhofs Neigung moniert, »Probleme theologisch zu radikalisieren«.
Meinhof strebt eine damals nicht unübliche Direktpromotion an, engagiert sich mit der Zeit aber immer stärker politisch, so in der Anti-Atomtod-Bewegung und dann vor allem publizistisch innerhalb der weit verbreiteten linken Studentenzeitung »konkret«. Dass dieses Organ in jenen Jahren wesentlich von der SED finanziert wird und Meinhof Mitglied der illegalen KPD ist, davon ahnt in der Studienstiftung damals niemand etwas.
Gleichwohl drängt der Meinhof betreuende Referent Ende der 1950er-Jahre darauf, Meinhof möge stärker dem vorrangigen Stipendienzweck entsprechen, sich auf die Dissertation konzentrieren und ihre journalistische Arbeit einschränken. Nach einem Gespräch mit ihrem Hamburger Vertrauensdozenten verlängert die Studienstiftung Meinhofs Stipendium über das ursprünglich gesetzte Förderende vom 31. Dezember 1959 hinaus zunächst bis zum 31. März 1960. Eine weitere Unterstützung bis Ende 1960, wie sie Meinhof beantragt, wird an die rechtzeitige Vorlage eines Dissertationsentwurfs samt gutachtlicher Kommentierung durch Meinhofs Doktorvater gebunden. Da sie beides beizubringen schuldig bleibt, scheidet sie Ende März 1960 als Stipendiatin aus.
Die Studienstiftung stellt ihr eine »Übergangsbeihilfe« in Aussicht, sollte sie die Arbeit an der Dissertation wieder aufnehmen. Anfang Juni 1960 trifft sie sich deswegen in Hamburg nochmals mit dem für sie zuletzt zuständigen Referenten und kündigt ihm eine Rückkehr nach Münster an, um ihre Aufmerksamkeit fortan der Dissertation zu widmen. Es folgt monatelanges Schweigen, und ihr Referent teilt Ulrike Meinhof daraufhin mit, dass ihm dieses Verhalten »großes Kopfzerbrechen« bereite. Zu einer Wiederaufnahme der Förderung kommt es nicht.
Neben Meinhof förderte die Studienstiftung zwei weitere Leitfiguren der späteren Ersten Generation der »Roten Armee Fraktion«, nämlich Horst Mahler zwischen 1955 und 1959 sowie Gudrun Ensslin zwischen 1964 und 1968. Wer ihre Förderakten ohne das Wissen des späteren Gangs in den Untergrund liest, bleibt fast ein wenig ratlos zurück. Wenngleich Meinhofs Unterlagen im publizistischen Bereich Tendenzen einer linken Radikalisierung erkennen lassen und Ensslin sogar aus der Studienförderung heraus verhaftet und im Frankfurter Kaufhausbrand-Prozess verurteilt wurde, liefern die in den Akten gesammelten Unterlagen – Lebensläufe, Semesterberichte, Gutachten, Korrespondenzen – doch mehr Hinweise auf berufliche Pläne und persönliche Entwicklungen, die dann nicht eingetreten sind. Alternative Lebensverläufe schienen möglich und erwartbar, und doch kam alles anders.
ALEXANDER GALLUS
Der Autor dieses Porträts ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Chemnitz. Der Historiker und Politikwissenschaftler hat eine Edition der Stipendiatenakten von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Horst Mahler erarbeitet, die 2016 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen ist.
Stand: 2018
- Name
- Peter Strohschneider
- Jahrgang
- 1955
- Förderzeitraum
- 1977-1982
- Beruf
- Mediävist, Professor für Germanistische Mediävistik an der LMU München, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft
- Aus dem Lebenslauf
- Von 2006 bis 2011 Vorsitzender des Wissenschaftsrats, Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und zahlreicher weiterer Akademien
Forscher und Wissenschaftsmanager: Im Lebenslauf von Professor Peter Strohschneider verschränken und bedingen sich beide Funktionen anhaltend. Seit 2013 ist Peter Strohschneider nun Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Für die Porträtserie »90 Jahre, 90 Köpfe« erinnert sich Peter Strohschneideran eine wegweisende Sommerakademie der Studienstiftung.
Im Frühjahr 1978 bewarb ich mich um die Teilnahme an einer Sommerakademie der Studienstiftung in Alpbach in Tirol. Es gab ein umfangreiches Programmheft, aus dem Anmeldeformulare herauszutrennen waren. Auf diesen konnte man maximal drei Seminare zur Auswahl stellen, für die man sich interessieren würde. Meine erste Präferenz war selbstverständlich ein großes Thema: »Paris – Berlin als Hauptstädte des 19. Jahrhunderts«. Sollte das überbelegt sein, so würde ich mich auch auf eine Veranstaltung über »Oswald von Wolkenstein« – im Jahr seines 600. Geburtstages, wie man vermutete – gefreut haben.
Eine weitere Alternative mochte ich mir jedenfalls nicht vorstellen, und so trug ich in die dritte Zeile des Formulars, in einer gewissen Art von anfängerhafter Blödelei, jenes Thema ein, das mir von allen das am meisten abwegige, um nicht zu sagen absurde zu sein schien: »Illustrierte Titelblätter naturkundlicher Werke der frühen Neuzeit«, geleitet von einem Germanisten und einem Medizinhistoriker, deren ziemlich prominente Namen mir selbstverständlich überhaupt nichts sagten.
Die Dramaturgie meiner kleinen Geschichte lässt es ja erwarten: Dieses Seminar war das einzige in diesem Jahr in Alpbach, das nicht ausgebucht war und an dem ich daher teilnehmen konnte. Und es war wunderbar: dicht am historischen Material, inspirierend in der Vielzahl disziplinärer Zugänge (nur zwei Teilnehmer kamen, erinnere ich mich recht, aus demselben Fach), perspektivenreich in den Gesprächen.
Berufliche Weichenstellungen
Immer neue Problemkonstellationen im Schnittfeld von Wissenschaftsgeschichte, Bildwissenschaft, intellectual history, Buch- und Bibliotheksgeschichte taten sich auf, in so herausfordernder Weise, dass wir alle, Seminarleiter und Studierende, das Gespräch ein knappes Jahr später in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, direkt über die alten Drucke gebeugt, fortgesetzt haben. Dies war das eine: die intensive Erfahrung der intellektuellen Faszinationskraft von sachlich völlig Unvertrautem und historisch Fremdem.
Das andere ist eine biographische Koinzidenz: Jener Germanist, den ich in Alpbach im Seminar kennengelernt hatte und dem ich beim Tischtennisspielen immer unterlegen gewesen war, Wolfgang Harms, wurde alsbald nach München berufen an die Universität, an der ich studierte. Ich machte bei ihm Examen, wurde dann sein Assistent und er mein Lehrer – ein Lehrer, der stets jenen Raum öffnete und hegte, in welchem ich das tun konnte, was ich als angehender Literaturwissenschaftler tun wollte.
Und die Studienstiftung? Ihr danke ich für die Organisierung von Gelegenheitsstrukturen, in denen solche glückhaften intellektuellen und professionellen Weichenstellungen des eigenen Lebens sich ereignen können.
Stand: 2018
- Name
- Friedrich Hirzebruch
- Lebensdaten
- 1927-2012
- Beruf
- Mathematiker, Proffessor für Mathematik an der Universität Bonn (1956-1993), Gründer und Direktor des MAX-Planck-Instituts für Mathematik (1980-1995)
- Aus dem Lebenslauf
- Zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, darunter der Wolf-Preis für Mathematik, Aufnahme in den Orden Pour le Mérite, Großes Verdienstkreuz mit Stern, Seki-Takakazu-Preis, Lomonossow-Goldmedaille
Friedrich Hirzebruch zählt zu den prägenden Persönlichkeiten in der Mathematik nach dem Zweiten Weltkrieg. Über seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen hinaus hatte er entscheidenden Anteil an der Integration der deutschen Mathematik in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft. Der Studienstiftung war er durch sein außerordentliches Engagement unter anderem als Akademiedozent und als Mitglied im Kuratorium über Jahrzehnte hinweg eng verbunden.
Nachdem Friedrich Hirzebruch in den letzten Kriegsmonaten Arbeitsdienst, Militär und Gefangenschaft durchlaufen hatte, nimmt er im Wintersemester 1945/46 sein Studium der Mathematik, Physik und Mathematischen Logik an der Universität Münster auf, wo er 1950 als erst 22-Jähriger auch promoviert wird.
Inspiriert vom internationalen Klima und regen wissenschaftlichen Austausch während seines zweijährigen Besuchs am Institute for Advanced Study in Princeton Anfang der 50er Jahre entwickelt Hirzebruch neue Methoden an der Schnittstelle von Geometrie, Topologie und globaler Analysis, welche sich als wegweisend für die Entwicklung der modernen reinen Mathematik erweisen und bis heute von fundamentaler Bedeutung sind.
Netzwerker der Mathematik
Zu den aufsehenerregenden Resultaten dieser Forschungen zählt die sogenannte Formel von Hirzebruch-Riemann-Roch, welche in neuartiger mathematischer Sprache eines der grundlegendsten Ergebnisse in der Theorie der Kurven und Flächen auf Objekte beliebiger Dimension verallgemeinert. Nicht weiter verwunderlich also, dass Hirzebruch bereits im Alter von 27 habilitierte und anschließend einen Ruf an die Universität Bonn erhält.
Als Initiator von Foren internationalen wissenschaftlichen Dialogs wie den bis heute stattfindenden Mathematischen Arbeitstagungen nimmt Hirzebruch bald eine bedeutende Rolle beim Wiederaufbau der deutschen Mathematik und bei deren Vernetzung mit dem Ausland ein. 1980 wird er Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in Bonn, das sich unter seiner bis 1995 andauernden Leitung zu einem Anziehungspunkt für Gastforschende aus aller Welt entwickelt. Als zweimaliger Vorsitzender der Deutschen Mathematiker-Vereinigung setzt er sich im geteilten Deutschland besonders für die Einbeziehung der Wissenschaftler in der DDR und für die Zusammenführung der mathematischen Gesellschaften in Ost und West ein.
Hirzebruch und die Studienstiftung
Seiner Überzeugung, dass Austausch und persönliche Begegnungen ein entscheidendes Klima bilden, um Ideen zu entwickeln, verleiht Friedrich Hirzebruch auch als einer der ersten Dozenten für die Sommerakademien der Studienstiftung Ausdruck. Insgesamt acht Mal wird er hier als begeisterter und begeisternder Arbeitsgruppenleiter aktiv und setzt sein Engagement für die Begabtenförderung in den Gremien der Studienstiftung fort: Er wirkt als Gutachter in der Doktorandenauswahl mit sowie von 1983 bis 1990 im Kuratorium der Studienstiftung, zunächst als zugewähltes Mitglied und ab 1987 als stellvertretender Vorsitzender; ab 1991 steht er dem Gremium als Ehrenvorsitzender vor.
In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Brillanz sowie seiner Fähigkeit, Begabung auch jenseits der eigenen Fachgrenzen zu erkennen und zu fördern, wählt die Studienstiftung Friedrich Hirzebruch zum Namensgeber des seit 2014 verliehenen Promotionspreises für herausragende Arbeiten im Bereich der Mathematik und Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Stand: 2018
- Name
- Julia Broska
- Jahrgang
- 1983
- Förderzeitraum
- 2005-2011
- Beruf
- Biologin, Programmleiterin bei der Deutsche Welthungerhilfe
Als Stipendiatin hat Julia Broska alles mitgenommen: drei Sommerakademien, zwei Sprachkurse, das Lebenswissenschaftliche Kolleg. Als besonders eindrücklich empfindet sie im Rückblick die Erfahrung, »dass alles mit allem zusammenhängt«, sagt Broska. »Der Kontakt zu anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten aus ganz anderen Fachrichtungen und mit anderen Interessen und Talenten hat meine Neugier auf die Welt immer wieder neu entfacht.«
Dieser Neugier geht Julia Broska inzwischen von Berufs wegen und mit großem Engagement nach: Als Quereinsteigerin ist ihr nach dem Biologiestudium der Sprung in die Entwicklungshilfe gelungen. Ihr Interesse an entwicklungspolitischen Zusammenhängen wurde 2009 bei einem von der Studienstiftung finanzierten Forschungsaufenthalt in Südafrika geweckt: »Die Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß fast 20 Jahre nach Ende der Apartheit hat mich schockiert und traf mich völlig unvorbereitet. Nach meiner Rückkehr habe ich dann angefangen, mich privat zu engagieren«, erzählt Julia Broska. In einer kleinen Nichtregierungsorganisation fing sie an, sich für eine bessere HIV-Aufklärung in Südafrika einzusetzen
Engagement in die Entwicklungshilfe
Nach einem Praktikum bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit 2011 beschließt Broska, ihr Ehrenamt zum Beruf zu machen. Seit 2013 arbeitet sie nun für die Welthungerhilfe. Ihr erster Einsatz führt sie nach Nordkorea, wo sie in Pjöngjang landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte betreut.
Danach geht es für die Welthungerhilfe nach Sierra Leone, wo sie sich in mehreren Projekten für die Ebola-Bekämpfung einsetzt. Seit August 2016 ist sie als Programmkoordinatorin in Kabul aktiv. Ihre Hauptaufgabe: neue Hilfsprojekte entwickeln und Gelder für die Umsetzung einwerben.
Nebenbei absolviert sie einen Master-Fernstudiengang in Tropischer Forstwirtschaft. Ein guter Ausgleich zur Berufstätigkeit, sagt Broska. Die größte Herausforderung ihrer Auslandseinsätze und häufigen Ortswechsel sei es doch, mit der erzwungenen Unselbstständigkeit klarzukommen. »Wenn man die Landessprache nicht spricht, sich noch nicht auskennt oder die Sicherheitslage ein freies Bewegen verbietet, hat man außerhalb der Arbeit wenig zu tun. Da ist es hilfreich, sich eine Freizeitbeschäftigung zu suchen, der man von zu Hause aus nachgehen kann.«
Für Julia Broska dennoch kein Grund, an ihrer Entscheidung zu zweifeln. »Viele denken ja, dass sie alleine nichts ausrichten können, dass ihr Engagement ›verpufft‹. Meine Erfahrung ist anders. Und ich sehe mich auch in der Verantwortung, etwas von der Förderung, die mir zuteilwurde, an die Gesellschaft zurückzugeben. So hatte ich als Stipendiatin die Möglichkeit, frei meinem Kopf und meinen Neigungen zu folgen. Diese Chance will ich jetzt auch anderen eröffnen.«
Stand: 2018
- Name
- Wolf-Hartmut Friedrich
- Lebensdaten
- 1907- 2000
- Förderzeitraum
- 1925-1930
- Beruf
- Altphilologe, Professor für Klassische Philologie an der Universität Göttingen (1948-1972)
Schlägt man das »Familienalbum« aller ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Studienstiftung auf, so steht am Anfang der Name Wolf-Hartmut Friedrich. Er ist die Nummer eins, der erste Stipendiat, der im Jahr 1925 vorläufig und zwei Semester später endgültig in die Studienstiftung aufgenommen wird.
Was wir über seine Zeit als Stipendiat wissen, erfahren wir aus den Erinnerungen, die er 1989 für die Studienstiftung aufschreibt. Mit Selbstironie schildert er, wie aus ihm, seinem »übertrieben teutonischen Vornamen« zum Trotz kein »angriffslustiges Rudel- und Raubtier« wurde, sondern ein Philologe und »nur ausnahmsweise bissiges Haustier«.
Die Erwartungen seiner Familie enttäuscht er also, als er nach einem lustlosen Semester Jura in München zur Philologie umschwenkt. Seine davon unberührte Aufnahme in die Studienstiftung mildert allerdings den Schock über den Fachwechsel.
Auf Wanderschaft
Nicht der einzige Wechsel auf Friedrichs wissenschaftlichem Weg: Mehrfach zieht Friedrich während seines Studiums um, von München nach Leipzig, weiter über Kiel und Göttingen bis nach Freiburg, wo er 1931 mit einer Arbeit über Senecas Tragödien promoviert wird. Seine zahlreichen Universitätswechsel sieht er in der Tradition der fahrenden Schüler des Mittelalters, der »aus Liebe zur Wissenschaft Heimatlosen« (amore scientiae factus exul).
Als Stipendiat ist er von den damaligen sogenannten Hörgeldern und Gebühren der Universität befreit. Sein Stipendium von etwa 120 Reichsmark pro Vorlesungsmonat erlaubt ihm gelegentliche Theater- und Kinobesuche. Eine Reise nach Italien oder Griechenland, in die Länder seiner philologischen Studien, ist davon jedoch nicht möglich.
Ankunft und Rückblick
Nach seiner Promotion arbeitet Friedrich einige Jahre als Lektor und wissenschaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen Projekten, bevor er 1938 in Hamburg habilitiert. Es folgen diverse Privatdozenturen, Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft. 1948 nimmt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Klassische Philologie an der Universität Göttingen an – die Wanderjahre sind zu Ende. Bis zu seiner Emeritierung 1972 bleibt Wolf-Hartmut Friedrich in Göttingen.
Zu seiner Zeit als Stipendiat befragt, erkennt Wolf-Hartmut Friedrich den Wert dieser Förderung neben lebenslangen Freundschaften und geselligen Runden vor allem darin, »dass ich [...] einige echte, das heißt problemreiche Jugendjahre nach meinem Sinn oder Eigensinn erleben durfte, mich nicht auf einen ungeliebten Beruf verfrüht festzulegen brauchte, sondern Freiheit und Zeit erhielt herauszufinden, welche Betätigung meinen begrenzten Fähigkeiten am ehesten entspräche«.
Stand: 2018
90 Jahre, 90 Köpfe
- Svenja Flaßpöhler
- Petra Gerster
- Peter Scholze
- Ivan Nagel
- Walter Homolka
- Zoë Beck
- Katharina Grosse
- Friederike Fless
- Seedje Katharina Fink
- Gesine Schwan
- Helmut Schwarz
- Thea Dorn
- Jürgen Zimmer
- Susanna Krüger
- Andreas von Bechtolsheim
- Navid Kermani
- Marcel Odenbach
- Barbara Vinken
- Christiane Heinicke
- Dorothea Rüland
- Eckart von Hirschhausen
- Philipp Justus
- Igor Levit
- Melanie Kreis
- Christian Jankowski
- Heinrich August Winkler
- Constanze Stelzenmüller
- Jürgen Strube
- Hans Maier
- Erwin Neher
- August Everding
- Markus Gabriel
- Hartmut Rosa
- Gert Scobel
- Katrin Suder
- Christoph Wolff
- Jürgen Wellenkamp
- Gertrude Lübbe-Wolff
- Clemens Fuest
- Cornelia Quennet-Thielen
- Ute Frevert
- Wolfhart Pannenberg
- Markus Hilgert
- Antje Vollmer
- Hans Mommsen
- Gerd Faltings
- Christiane Möbus
- Helmut Lachenmann
- Carolin Emcke
- Franka Hörnschemeyer
- Gertrud Simmerding
- Katrin Kinzelbach
- Leonie Freifrau von Braun
- Ulrich Beck
- Jürgen Baumert
- Ole von Uexküll
- Heinrich Detering
- Wiebke Koenig
- Ernst Messerschmid
- Werner Maihofer
- Luise F. Pusch
- Wolf Singer
- Stefan Rahmstorf
- Jürgen Stock
- Christian Hackenberger
- Hannah Schmidt-Friderichs
- Eugen Gerstenmaier
- Melanie Wald-Fuhrmann
- Gesche Joost
- Karl Holzamer
- Regula Venske
- Gustav Seibt
- Felix Oldenburg
- Bernhard Grzimek
- Klaus Mehnert
- Wolfgang Ketterle
- Angelika Nußberger
- Arkadi Jampolski
- Friederike Pannewick
- Hans Thimme
- Claudia Schlossberger
- Frei Otto
- Hans Magnus Enzensberger
- Ulrike Meinhof
- Peter Strohschneider
- Friedrich Hirzebruch
- Julia Broska
- Wolf-Hartmut Friedrich
- Studienstiftung des deutschen Volkes e.V.
- Studienstiftung des deutschen Volkes e.V.
- Studienstiftung des deutschen Volkes e.V.
- Studienstiftung des deutschen Volkes e.V.
- Studienstiftung des deutschen Volkes e.V.
Bildnachweise: